Die Muster- knaben - Rondo
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Operettenhauptstadt:<br />
An der Komischen<br />
Oper wird das Genre<br />
vom Tüll befreit<br />
Musiktheater<br />
Operette sich wer kann!<br />
Borstig, kitzlig und verpönt: <strong>Die</strong> Operette, lustigste Abart<br />
der Oper, kehrt zurück. Von Robert Fraunholzer<br />
Auf „Lara’s Theme“, das<br />
berühmte Hauptthema<br />
in „Doktor Schiwago“,<br />
kam der Operettenkomponist<br />
Robert Stolz in seinen<br />
Memoiren zu sprechen: „Ich will<br />
keineswegs unterstellen“, so Stolz,<br />
„dass jemand mir das Thema gestohlen<br />
hat – aber um alle Zweifel<br />
zu zerstreuen, muss ich doch<br />
sagen, dass ich es gut vierzig<br />
Jahre, bevor Doktor Schiwago entstand,<br />
geschrieben habe.“ Und<br />
zwar in Gestalt des Liedes „Vater<br />
Strauß, schau runter und hör’ den<br />
Applaus“. <strong>Die</strong> Ähnlichkeiten zu<br />
Maurice Jarres „Lara“-Thema sind<br />
tatsächlich frappant. Robert Stolz<br />
nahm’s, wie es seiner Zunft gebührt:<br />
mit Humor.<br />
16<br />
<strong>Die</strong> Operette, eine stark vom<br />
Aussterben bedrohte Spezies,<br />
ist die wohl am meisten ausgeweidete,<br />
verlachte und vertriebene<br />
Gattung des Musiktheaters.<br />
Sie konnte sich nie<br />
wehren, weil sie ja zum Lachen<br />
auf die Welt gekommen war. Sie<br />
enthält einige der triftigsten<br />
philosophischen Wahrheiten<br />
der Musikgeschichte: „Ganz<br />
ohne Weiber geht die Chose<br />
nicht“ oder auch: „Glücklich ist,<br />
wer vergisst, was nicht mehr zu<br />
ändern ist“. Sie wollte immer nur<br />
amüsieren, leicht sein und Spaß<br />
machen. Und hat dabei, nebenbei<br />
gesagt, den Verhältnissen<br />
dreist auf der Nase herumgetanzt<br />
und ins Gesicht gespuckt. Aber<br />
ernst nehmen, das durfte sich die<br />
Operette selber nicht.<br />
So wurde sie vom Zeitgeist<br />
übel untergebuttert. Am<br />
schlimmsten dort, wo man ihr zu<br />
schmeicheln behauptete. In den<br />
60er und 70er Jahren zum Beispiel,<br />
als man der Operette mit Haarspray,<br />
gerüschten Abendfummeln<br />
und Anneliese Rothenberger ein<br />
zeitgemäßes Fernseh-Image verpassen<br />
wollte. Oder noch früher,<br />
in den 50ern, als Rudolf Schock<br />
den Witz mit Pomade festzukleben<br />
verstand. Das war alles<br />
gut gemeint – und zuweilen sogar<br />
wirklich gut (z.B. in „Zigeunerliebe“<br />
mit Schock oder im „Walzertraum“<br />
mit Rothenberger). Aber<br />
den Sinn der Operette, der immer<br />
borstig und kitzlig und pieksend<br />
war, traf es nicht.<br />
Wer erfahren will, was<br />
Operette will, höre die legendäre<br />
Fritzi Massary mit „Warum soll<br />
eine Frau kein Verhältnis haben“<br />
(aus Oscar Straus’ „Eine Frau, die<br />
weiß was sie will“). Oder Richard<br />
Tauber, wenn er „Das Leben<br />
durchs Champagnerglas betrachtet“<br />
(„Zwei Märchenaugen“<br />
aus der „Zirkusprinzessin“ von<br />
Emmerich Kálmán). Und Alt-<br />
Legenden wie Jan Kiepura, Vera<br />
Schwarz und Peter Anders. Ihre<br />
Hits sagten dem kategorischen<br />
Imperativ des Spießbürgertums<br />
den Kampf an. Sie waren die Apotheose<br />
eines neuen Bürgertums<br />
aus dem Geiste der Unbürgerlichkeit.<br />
Unspießig, frivol und<br />
alles andere als philiströs. <strong>Die</strong>se<br />
Tradition ist verlorengegangen,<br />
leider. Der Grund ist nicht einmal<br />
komisch.<br />
<strong>Die</strong> Nazis waren Schuld. Das<br />
laszive Treiben besonders der<br />
„silbernen“ Operette (also alles<br />
nach Strauß, Suppé, Millöcker<br />
und Zeller) war ihnen – obwohl<br />
sonst so unterhaltungsversessen<br />
– suspekt. Zwar galt die<br />
„Lustige Witwe“ als Hitlers Lieblingswerk.<br />
Doch schon deren<br />
Komponist Franz Lehár konnte<br />
seine jüdische Frau nur mit<br />
knapper Not vor dem Zugriff der<br />
Foto: Iko Freese/drama-berlin, Anja Frers