Nr. 6 Verwahrlosung/Vermüllung - Caritasverband für die Diözese ...
Nr. 6 Verwahrlosung/Vermüllung - Caritasverband für die Diözese ...
Nr. 6 Verwahrlosung/Vermüllung - Caritasverband für die Diözese ...
Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.
YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.
Merkblatt <strong>für</strong> <strong>die</strong><br />
Gesetzliche Betreuung<br />
<strong>Verwahrlosung</strong>/<strong>Vermüllung</strong> 1<br />
Gesetzliche Betreuerinnen und Betreuer haben immer wieder mit einer Situation von<br />
Betreuten zu tun, <strong>die</strong> im Fachjargon unter dem Begriff „<strong>Verwahrlosung</strong>“ oder „<strong>Vermüllung</strong>“<br />
zusammengefasst wird. Dieser Begriff ist auch im Bereich professionellen<br />
Handelns vage und unbestimmt.<br />
Die Kriterien zur Definition von <strong>Verwahrlosung</strong> sind eng verbunden mit der persönlichen<br />
Lebensführung, Erfahrung und Wertehaltung des gesetzlichen Betreuers /<br />
der gesetzlichen Betreuerin.<br />
Das Betreuungsgesetz sieht im Grundsatz vor, dass <strong>die</strong> Betreuten, so weit wie möglich,<br />
ihren individuellen Stil pflegen können und auch Marotten bis zu einem gewissen<br />
Grad. Damit verstärkt es <strong>die</strong> im Grundgesetz festgelegten Grundrechte der<br />
Selbstbestimmung und der persönlichen Entfaltung.<br />
Es wäre aber zu einfach, inhuman und gegen <strong>die</strong> Menschenwürde, wenn eine Gesellschaft<br />
nicht auch Grenzen bestimmen würde. Wo ist nun <strong>die</strong> Grenze zwischen<br />
individuellem Lebensstil/Marotte auf der einen Seite und Krankheit oder Abnormität<br />
auf der anderen Seite? Die Antwort auf <strong>die</strong>se Frage ist nicht einfach. Es ist nicht<br />
sinnvoll, wenn eine Gesellschaft <strong>die</strong>s im Einzelfall klärt.<br />
Bereits an <strong>die</strong>ser Stelle kann gesagt werden, dass <strong>die</strong> Grenzen sehr schwammig<br />
sind. Deswegen können wir Ihnen in <strong>die</strong>sem Merkblatt nur einige Hilfen zu Beurteilung<br />
von solchen Situationen an <strong>die</strong> Hand geben.<br />
1. Wie wird <strong>Verwahrlosung</strong> sichtbar?<br />
<strong>Nr</strong> . 6<br />
Sie können Phänomene der <strong>Verwahrlosung</strong><br />
beobachten an dem Zustand der<br />
Wohnung, des Hauses, dem Wohnumfeld<br />
und zum anderen an der Bewohnerin /<br />
dem Bewohner selbst.<br />
Die Wohnung befindet sich typischerweise<br />
in desolatem Zustand. Die haushälterische<br />
Fürsorge und Pflege findet offensichtlich<br />
kaum statt. Weiter fällt auf, dass <strong>die</strong><br />
Wohnung voller Gegenstände, kein Raum,<br />
keine Ecke ausgespart und frei ist. Für <strong>die</strong><br />
gesetzliche Betreuerin/den Betreuer ist eine<br />
Ordnung der Dinge häufig nicht erkennbar.<br />
Erst bei genauerem Hinsehen lassen sich<br />
1 Wohl wissend, dass <strong>die</strong> Begriffe „<strong>Verwahrlosung</strong>“ und „<strong>Vermüllung</strong>“ umstritten sind, haben wir <strong>die</strong>se als<br />
Überschrift gewählt. Wir haben uns bemüht bessere Begriffe da<strong>für</strong> zu finden, sind aber immer wieder auf<br />
<strong>die</strong>se zurückgekommen. Im Verlaufe des Textes machen wir <strong>die</strong> Schwierigkeiten deutlich, <strong>die</strong> mit <strong>die</strong>sen<br />
Worten zusammenhängen. Falls Sie Verbesserungsvorschläge haben, lassen sie <strong>die</strong>se uns wissen.<br />
<strong>Caritasverband</strong> <strong>für</strong> <strong>die</strong> <strong>Diözese</strong> Mainz e.V. - Referat Besondere Lebenslagen – Bahnstraße 32,<br />
55128 Mainz Tel.: 0 61 31-28 26-286, Fax: 06131-2826-279
verschiedene Formen der Unordnung<br />
unterscheiden. (Detmering, 1985 in Beiträge<br />
zum Thema „<strong>Verwahrlosung</strong> im Alter“,<br />
Kuratorium Deutsche Altershilfe,<br />
Köln 1998).<br />
1. 1 Geordnete Unordnung<br />
Hier besteht trotz deutlich erkennbarer<br />
<strong>Verwahrlosung</strong> ein Ordnungssystem. Es<br />
lässt sich erkennen durch <strong>die</strong> Beobachtung<br />
der Art und Weise der Nutzung der<br />
Wohnung durch ihre Bewohnerin / ihren<br />
Bewohner. Die darin lebenden Personen<br />
wissen, wo sich welche Gegenstände<br />
befinden, durch <strong>die</strong> Wohnung sind z.B.<br />
Gänge gelegt, <strong>die</strong> systematisch freigehalten<br />
werden, es gibt bestimmte Plätze an<br />
denen eine bestimmte Art von Gegenstand<br />
gelagert wird.<br />
1.2 Keine Ordnung<br />
Hier werden <strong>die</strong> Gegenstände ohne Unterschied<br />
oder Klassifizierung angehäuft,<br />
<strong>die</strong> Räume gleichen einer Müllhalde, sie<br />
sind nicht mehr zweckbestimmt benutzbar.<br />
Wir sprechen hier von einer sogenannten<br />
„<strong>Vermüllung</strong>“. Dies kann soweit<br />
gehen, dass <strong>die</strong> Bewohnerin / der Bewohner<br />
sehr häufig <strong>die</strong> Wohnung verlässt,<br />
um z.B. zu schlafen, zu waschen oder<br />
eine Toilette zu benutzen.<br />
1.3 Unbewohnbarkeit<br />
Hier ist <strong>die</strong> <strong>Vermüllung</strong> so weit fortgeschritten,<br />
dass <strong>die</strong> Wohnung nicht mehr bewohnt werden<br />
kann und <strong>die</strong> Wohnsubstanz gefährdet<br />
ist. Die hygienischen Verhältnisse sind untragbar<br />
geworden und <strong>die</strong>ser Zustand gefährdet<br />
<strong>die</strong> Gesundheit der Bewohnerin / des Bewohners<br />
und der Nachbarschaft (z. B. starker<br />
Ungezieferbefall, verschimmelte Lebensmittel,<br />
Schimmelpilze i. d. Wohnung). Meist gehen<br />
von <strong>die</strong>ser Wohnung auch üble Gerüche<br />
aus.<br />
2. Die Person<br />
Krasse Vernachlässigung der Bekleidung,<br />
ungepflegter Zustand der Haare, der Nägel,<br />
der Haut und der Körpergeruch weisen auf<br />
<strong>Verwahrlosung</strong> hin. Kleider werden oft in<br />
mehreren Schichten übereinander getragen<br />
und kaum abgelegt oder gewechselt. Kennzeichen<br />
von <strong>Verwahrlosung</strong> ist häufig der<br />
Rückzug der Betroffenen in <strong>die</strong> Isolation und<br />
Verweigerungshaltung gegenüber Kommunikation<br />
mit der Umwelt. Fast typisch ist, dass<br />
<strong>die</strong>se Personen Hilfe von außen meist vehement<br />
und kategorisch ablehnen.<br />
2. Ursachen von <strong>Verwahrlosung</strong><br />
<strong>Verwahrlosung</strong> von Erwachsenen und im<br />
höheren Lebensalter wird in der Regel als<br />
Ausdruck verschiedener psychiatrisch<br />
relevanter Erkrankungen beschrieben 2 So<br />
u.a. bei schizophrenen und zyklothymen<br />
Erkrankungen, Demenz, bei Alkoholmissbrauch.<br />
In der Biografie finden sich Belege <strong>für</strong><br />
bereits in früheren Lebensphasen bestehende<br />
Tendenzen der sozialen Absonderung,<br />
Selbstbezogenheit und Argwohn.“ 3<br />
2 S. a- R. Röschel in Beiträge zum Thema „<strong>Verwahrlosung</strong><br />
im Alter“, Kuratorium Deutsch Altershilfe,<br />
Köln 1998<br />
3 „A.g.O.“<br />
<strong>Caritasverband</strong> <strong>für</strong> <strong>die</strong> <strong>Diözese</strong> Mainz e.V. - Referat Besondere Lebenslagen – Bahnstraße 32,<br />
55128 Mainz Tel.: 0 61 31-28 26-286, Fax: 06131-2826-279
Es muss zuerst <strong>die</strong> von der Wohnung<br />
bzw. dem Zustand der Wohnung ausgehende<br />
Fremd- und Selbstgefährdung<br />
abgeschätzt werden. Danach kann <strong>die</strong><br />
Form der Unordnung (geordnete Unordnung,<br />
keine Ordnung, Unbewohnbarkeit)<br />
bestimmt werden. Wichtig hierbei ist auch<br />
<strong>die</strong> Feststellung, ob es sich bei der <strong>Verwahrlosung</strong><br />
um einen Prozess oder eine<br />
relativ stabilen Zustand handelt<br />
Hilfreich ist, wenn man als gesetzlicher<br />
Betreuer/gesetzliche Betreuerin mit <strong>die</strong>sem<br />
Phänomen konfrontiert ist, folgende<br />
Fragen stellt:<br />
1. Besteht ergebliche Gefährdung der<br />
Gesundheit des Betreuten oder auch<br />
von Dritten (z. B. Nachbarn). Allein<br />
das Stapeln von Zeitungen oder von<br />
Krimskrams ist noch keine Gefährdung<br />
der Gesundheit. Ist <strong>die</strong>s verbunden<br />
mit starkem Ungeziefer- oder<br />
Schimmelbefall und Schmutz, ist eine<br />
Gefährdung schon wahrscheinlicher.<br />
2. Wer leidet am am meisten darunter?<br />
3. Welche Lösungsversuche gab es bereits<br />
und wer schlägt nun welches<br />
Vorgehen vor?<br />
Dies bedeutet auch zu klären, wer<br />
welche Interessen an der Lösung hat.<br />
Nicht immer sind gutgemeinte Lösungsvorschläge<br />
auch gut gemeint<br />
(z. B. Vermieter will <strong>die</strong> Wohnung zu<br />
einem höheren Mietpreis an neuen<br />
Mieter vermieten).<br />
4. Wer äußert welche Erwartungen?<br />
5. Welcher Kontakt ist mit der betreffenden<br />
Person möglich ?<br />
Gibt es Möglichkeiten <strong>die</strong> Beziehung/den<br />
Kontakt so zu gestalten,<br />
dass Veränderungen auf langfristige<br />
Sicht mit Einverständnis der Betreuten<br />
möglich ist?<br />
6. Welche Möglichkeiten der Hilfe/der<br />
Veränderung gibt es?<br />
3. Was kann getan werden?<br />
7. Welche fachlichen, personellen und zeitlichen<br />
Ressourcen stehen zur Verfügung?<br />
Wer kann ihnen helfen? (Z. B. Behörden,<br />
Betreuungsvereine, Arzt)<br />
Verwahrloste oder von <strong>Verwahrlosung</strong> bedrohte<br />
Menschen brauchen Hilfe. Häufig auch<br />
professionelle Hilfe. Eine Hilfe ist in der Regel<br />
nur in Übereinstimmung mit der betroffenen<br />
Person möglich. Die Verweigerung der Hilfe<br />
und Ablehnung der helfenden Person ist ein<br />
typisches Symptom <strong>für</strong> <strong>Verwahrlosung</strong>. Hilfe<br />
und Veränderung sind in der Regel auch nur<br />
längerfristig möglich.<br />
Wichtig ist es, dass <strong>die</strong> helfende Person sich<br />
nicht aufdrängt. Geduld ist angesagt, sofern<br />
nicht eine akute Selbst- oder Fremdgefährdung<br />
gegeben ist.<br />
Zwangsbefugnisse des gesetzlichen Betreuers<br />
finden wir im Gesetz nicht. Sie sind auch<br />
in der Rechtsliteratur sehr umstritten.<br />
Wenn es keine anderen Möglichkeiten der<br />
der Hilfe gibt, ist es sinnvoll, eine Genehmigung<br />
zum Zutritt der Wohnung beim zuständigen<br />
Amtsgericht zu beantragen.<br />
Als Betreuer/Betreuerin mit dem Aufgabenkreis<br />
Aufenthaltsbestimmung einschließlich<br />
Unterbringung können Sie notfalls eine Unterbringung<br />
eines verwahrlosten Betreuten<br />
veranlassen.<br />
Voraussetzung <strong>für</strong> eine „zivilrechtliche Unterbringung<br />
nach § 1906 BGB“ ist:<br />
1. Psychische Krankheit, geistige und seelische<br />
Behinderung und<br />
2. Gefahr der Selbsttötung oder eines erheblichen<br />
gesundheitlichen Schadens.<br />
Eine drohende <strong>Verwahrlosung</strong> reicht hier<br />
nicht aus.<br />
Eine psychische Krankheit, geistige oder seelische<br />
Behinderung können Sie als Betreuerin/als<br />
Betreuer nicht selbsttätig feststellen.<br />
Dies muss in jedem Fall ein Facharzt tun. Nur<br />
wenn ein Facharzt eine „krankhafte Störung<br />
der Geistestätigkeit“ z.B. infolge eines hirnor-<br />
<strong>Caritasverband</strong> <strong>für</strong> <strong>die</strong> <strong>Diözese</strong> Mainz e.V. - Referat Besondere Lebenslagen – Bahnstraße 32,<br />
55128 Mainz Tel.: 0 61 31-28 26-286, Fax: 06131-2826-279
ganischen Aufbauprozesses im Sinne<br />
von § 104 <strong>Nr</strong>. 2 BGB diagnostiziert, und<br />
eine akute Selbst- oder Fremdgefährdung<br />
vorliegt, können Sie eine Unterbringung<br />
veranlassen.<br />
Die von der gesetzlichen Betreuerin/dem gesetzlichen<br />
Betreuer veranlasste Unterbringung<br />
muss immer vom zuständigen Vormundschaftsgericht<br />
genehmigt werden, im<br />
Eilfall ist eine einstweilige Anordnung des Gerichts<br />
möglich.<br />
In Sachen <strong>Verwahrlosung</strong> haben <strong>die</strong> gesetzlichen<br />
Betreuerinnen und Betreuer<br />
einen weiten Spielraum bei der Hilfe <strong>für</strong><br />
<strong>die</strong>se Menschen. Es lässt sich eben nicht<br />
allgemein, sondern nur individuell, nach<br />
sorgfältiger Abwägung der verschiedenen<br />
Gesichtspunkte, entscheiden.<br />
Gesetzliche Betreuer haben kein Recht<br />
und keinen Auftrag <strong>die</strong> Bürger zu erziehen<br />
oder zu bessern. Es steht jedem<br />
Menschen in unserem Lande frei, sein<br />
Leben so zu gestalten wie er will und<br />
nach seiner eigene Lebensauffassung zu<br />
leben. Dazu zählen auch etwaige soziale<br />
4. Schlussbemerkungen<br />
Auffälligkeiten. Dies ist zu respektieren.<br />
Nur bei erheblicher Eigengefährdung und<br />
bei Fremdgefährdung besteht das Recht<br />
und möglicherweise auch <strong>die</strong> Pflicht einzugreifen<br />
und notfalls auch Zwangsmaßnahmen<br />
herbeizuführen, aber nur, wenn<br />
<strong>die</strong>se erfolgversprechend sind.<br />
Jede Form von Zwang bedarf gerichtlicher<br />
Anordnung.<br />
Bei Feststellung von <strong>Verwahrlosung</strong> ist es<br />
hilfreich, wenn Sie sich mit dem örtlichen<br />
Betreuungsverein oder der örtlichen<br />
Betreuungsbehörde beraten und professionelle<br />
Hilfe einschalten<br />
Literaturhinweise/Quellen:<br />
Susanne Wolfer-Bartelmez / Monika Fiersching (Herausgeber)<br />
Beiträge zum Thema „<strong>Verwahrlosung</strong> im Alter“, Kuratorium Deutsche Altershilfe, Köln<br />
1998<br />
Rund ums Alter, Alles Wissenswerte von A – Z, Kuratorium Deutsche Altershilfe, Verlag<br />
TH Beck<br />
Bisher erschienene Merkblätter zur Gesetzlichen Betreuung:<br />
<strong>Nr</strong>. 1 Aufwandsentschädigung und Aufwandspauschale<br />
<strong>Nr</strong>. 4 Die Betreuungsverfügung und <strong>die</strong> Vortreuer/-innen<br />
<strong>für</strong> ehrenamtliche Besorgevollmacht<br />
<strong>Nr</strong>. 5 Was ist gesetzliche Betreuung?<br />
<strong>Nr</strong>. 2 Pflegeversicherung<br />
<strong>Nr</strong>. 6 <strong>Verwahrlosung</strong>/<strong>Vermüllung</strong><br />
<strong>Nr</strong> 2a Informationen zu Einstufung in Pflegestufen<br />
durch den med. Dienst<br />
<strong>Nr</strong>. 7 Heimaufnahme<br />
<strong>Nr</strong>. 3 Alterskrankheiten - Demenz <strong>Nr</strong>. 4<br />
<strong>Nr</strong>. 8 Merkblatt <strong>für</strong> Ärzte und Pflegekräfte<br />
Die Betreuungsverfügung und<br />
<strong>die</strong> Vorsorgevollmacht<br />
Beratung und Hilfe bei allen Betreuungsvereinen und Beratungsstellen der Allgemeinen<br />
Lebensberatung der des örtlichen <strong>Caritasverband</strong>es<br />
<strong>Caritasverband</strong> <strong>für</strong> <strong>die</strong> <strong>Diözese</strong> Mainz e.V. - Referat Besondere Lebenslagen – Bahnstraße 32,<br />
55128 Mainz Tel.: 0 61 31-28 26-286, Fax: 06131-2826-279