23.12.2013 Aufrufe

neuen Vätern - Deutsches Jugendinstitut e.V.

neuen Vätern - Deutsches Jugendinstitut e.V.

neuen Vätern - Deutsches Jugendinstitut e.V.

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.

YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.

Johanna Possinger<br />

Auf der Suche nach den „<strong>neuen</strong> <strong>Vätern</strong>“ – Vaterschaft<br />

zwischen Traditionalität und Modernität<br />

Die „<strong>neuen</strong> Väter“ haben Konjunktur. Seitdem die Politik Männer gezielt dazu<br />

auffordert, sich an der Elternzeit aktiv zu beteiligen, berichten die Medien verstärkt<br />

über die „Erfolgsstory neue Väter“ 1 und verkünden angesichts der steigenden<br />

Zahl von <strong>Vätern</strong>, die die Partnermonate im Rahmen des Elterngeldes<br />

in Anspruch nehmen, optimistisch: „Neue Väter hat das Land“ 2 . Auch in der Familienforschung,<br />

die Männer lange Zeit als das „vernachlässigte Geschlecht“ 3<br />

behandelte, mehren sich in den letzten Jahren Studien, die vor allem den Einstellungswandel<br />

von Männern zur Vaterschaft in den Fokus nehmen. Väter<br />

wollen aktive Erzieher und nicht mehr nur Versorger ihrer Kinder sein – so lautet<br />

die Botschaft. Untersucht man jedoch das tatsächliche Verhalten von <strong>Vätern</strong><br />

in der sozialen Praxis, stellt sich Ernüchterung ein. Noch immer ist Vatersein<br />

in erster Linie von der traditionellen Funktion des Vaters als Brotverdiener<br />

der Familie geprägt. Der Alltag zwischen Erwerbsarbeit und Familienleben<br />

stellt Männer vor große Herausforderungen, ihre Bedürfnisse als Vater mit ihren<br />

beruflichen Anforderungen zeitlich in Einklang zu bringen. Das väterliche<br />

Engagement beschränkt sich meist auf den Feierabend und das Wochenende.<br />

Die Suche nach den „<strong>neuen</strong> Väter“ gestaltet sich somit verwirrend und ambivalent.<br />

Der vorliegende Beitrag beschäftigt sich mit dem Spannungsfeld von Anspruch und<br />

Wirklichkeit, in dem die aktuelle Diskussion um die „<strong>neuen</strong> Väter“ stattfindet und<br />

hinterfragt, welche Hindernisse einer aktiven Vaterschaft im Alltag insbesondere seitens<br />

der Arbeitswelt entgegenstehen. Beginnt man mit der Suche nach den „<strong>neuen</strong><br />

<strong>Vätern</strong>“, ist es hilfreich, einen Blick in die Vergangenheit zu werfen, denn in der aktuellen<br />

Diskussion um den Wandel der Vaterrolle wird oft vernachlässigt, dass es schon<br />

immer Veränderungen im normativen Konzept des Vaters und seinen Funktionen geben<br />

hat, die je nach historischem Kontext variierten. 4<br />

Die „<strong>neuen</strong> Väter“ – ein „altes“ Phänomen?<br />

Im Römischen Reich lag die Erziehung der Söhne in der Verantwortung eines „guten“<br />

Vaters. Der „pater familias“ delegierte als uneingeschränktes Oberhaupt der Familie<br />

1 „Erfolgsstory neue Väter“, in: Emma, Jan./Feb. 2009, S. 28 ff.<br />

2 „Neue Väter hat das Land“, in: Tagessspiegel vom 29.10.2008.<br />

3 Tölke, A./Hank, K.: Männer – das vernachlässigte Geschlecht in der Familienforschung, in: Zeitschrift für Familienforschung,<br />

Sonderheft 4, Wiesbaden 2005.<br />

4 Mühling, T./Rost, H.: Väter im Blickpunkt – Perspektiven der Familienforschung, Opladen 2007, S. 9.<br />

56


Auf der Suche nach den „<strong>neuen</strong> <strong>Vätern</strong>”<br />

JOHANNA POSSINGER, Dipl. Kulturwirtin<br />

ist wiss. Referentin im Deutschen<br />

Verein für öffentliche und private<br />

Fürsorge e.V., Berlin. E-Mail:<br />

possinger@deutscher-verein.de<br />

die Erziehung der Töchter weitgehend an die Mutter<br />

und kümmerte sich aktiv um die intellektuelle Entwicklung<br />

der Söhne – wenn auch in der Regel erst<br />

dann, wenn diese dem Kleinkindalter entwachsen<br />

waren. 5 Erst durch Vaterschaft und die damit einhergehende<br />

väterliche Macht wurde Männlichkeit in ihrer<br />

Bedeutung vollwertig – ein Prinzip, das über Jahrhunderte Bestand hatte. Im Zuge<br />

der Aufklärung trat die Autorität des Vaters zunehmend in den Hintergrund und schuf<br />

Raum für ein emotionales Vater-Kind-Verhältnis, das auch Fürsorgeaufgaben für das<br />

Kleinkind mit einschloss. Väter kümmerten sich nicht nur um die Nahrungsversorgung,<br />

sondern auch darum, dass ihre Kinder kulturell und religiös erzogen wurden. 6 Erst die<br />

industrielle Revolution brachte einen großen Umbruch im Leitbild der Vaterrolle mit<br />

sich, denn einhergehend mit der Trennung von Erwerbsarbeit und Familienleben<br />

waren Väter zuhause plötzlich abwesend. Das Gravitationszentrum der Familie verlagerte<br />

sich zur Mutter, die im Laufe des 19. Jahrhunderts vor allem bei der Erziehung<br />

der Söhne an Einfluss gewann. Zu diesem Zeitpunkt bildeten sich „polare Geschlechtscharaktere“<br />

7 heraus mit einer für die Erziehung und Fürsorge der Kinder zuständigen<br />

Mutter und einem erwerbstätigen und meist abwesenden Vater.<br />

Bereits in diesem kurzen historischen Abriss zeigt sich, wie sehr Vaterschaft von gesellschaftlichen<br />

Wandlungstendenzen und ihren Kontextbedingungen abhängig ist.<br />

Auch im 18. und frühen 19. Jahrhundert scheint es Konzepte von Vaterschaft gegeben<br />

zu haben, die der heutigen Idee der „<strong>neuen</strong> Väter“ nahe kamen, indem aktive<br />

Sorgetätigkeit ein zentrales Element von Vaterschaft darstellte. 8 Doch im Verlauf der<br />

industriellen Trennung von Arbeit und Leben wurden Vaterschaft und Sorgearbeit<br />

nachhaltig voneinander entfremdet. Als „guter Vater“ galt fortan in erster Linie ein<br />

Mann, der seine Familie ernähren und ihr materielle Sicherheit bieten konnte. Dieses<br />

traditionelle Konzept des „Brotverdiener“-Vaters wird heute durch das im Zuge der<br />

Gleichberechtigung entstandene Konzept des „<strong>neuen</strong> Vaters“ in Frage gestellt.<br />

Einstellungswandel von <strong>Vätern</strong><br />

Wie mehrere Studien der letzten Jahre zeigen, ist auf der Einstellungsebene von Männern<br />

ein deutlicher Wandel weg von ihrer Rolle als Alleinverdiener der Familie hin zu<br />

einer aktiveren Beteiligung als Erzieher ihrer Kinder erkennbar. Schon im Jahr 1998<br />

ordnete eine repräsentative Männerstudie 17 % der deutschen Männer der Kategorie<br />

„neuer Mann“ zu. 9 Eine soeben erschienene Folgestudie dieser Untersuchung zeigt,<br />

5 Kniebiehler, Y.: Geschichte der Väter – Eine kultur- und sozialhistorische Spurensuche, Stuttgart 1996.<br />

6 Gillis, J.: Mythos Familie – Auf der Suche nach der eigenen Lebensform, Weinheim 1997, S. 296.<br />

7 Hausen, K.: Die Polarisierung der „Geschlechtscharaktere“, in: Conze, W.: Sozialgeschichte in der Neuzeit Europas,<br />

Stuttgart 1976.<br />

8 Gillis, J.: Mythos Familie – Auf der Suche nach der eigenen Lebensform, Weinheim 1997, S. 290.<br />

9 Zulehner, P. M./Volz, R.: Männer im Aufbruch – Wie Deutschlands Männer sich selbst und wie Frauen sie sehen,<br />

Ostfildern 1998.<br />

57


Johanna Possinger<br />

dass heute, zehn Jahre später, der Anteil der „<strong>neuen</strong>“ bzw. „modernen“ Männer leicht<br />

auf 19 % angestiegen ist. 10 Gleichzeitig nahm die Zahl der „teiltraditionellen“ Männer<br />

von 30 % im Jahr 1998 auf 27 % im Jahr 2008 ab. Interessanter als der quantitative<br />

Vergleich ist dabei aber die Beobachtung, dass sich die Einstellungen innerhalb der<br />

Typologien zum Teil merklich gewandelt haben. Waren 1998 noch 78 % der „Teiltraditionellen“<br />

der Ansicht, die Frau sollte in erster Linie für Haushalt und Kinder da sein,<br />

sank diese Quote binnen zehn Jahren auf 64 %. Noch signifikanter ist, dass es 1998<br />

nur 19 % der „Teiltraditionellen“ befürworteten, dass beide Elternteile teilzeiterwerbstätig<br />

sind und sich egalitär um Haushalt und Kinder kümmern. Heute halten<br />

bemerkenswerte 36 % von ihnen dieses Modell für eine gute Lösung. 11 Auch wenn der<br />

Anteil der „modernen“ Männer also relativ konstant geblieben ist, so sind die „Teiltraditionellen“<br />

in ihren Einstellungen jedoch grundsätzlich moderner geworden.<br />

Das traditionelle Ernährermodell ist vor allem in den Köpfen junger Männer noch stark<br />

verankert, wie eine aktuelle Studie der Bertelsmann Stiftung und des Deutschen <strong>Jugendinstitut</strong>s<br />

zeigt. 12 So befürwortet fast die Hälfte der Befragten die klassische Aufgabenteilung<br />

zwischen männlichem Brotverdiener und weiblicher Fürsorgerin. Gleichzeitig<br />

zeigt sich auch hier eine Verschiebung der Einstellungen in Richtung „neuer Vater“.<br />

So will sich die überwältigende Mehrheit der befragten Nicht-Väter später einmal<br />

aktiv in der Betreuung ihrer Kinder engagieren. 46 % möchten dafür nach der Geburt<br />

des Kindes ihren Beruf zeitweise zurückstellen, 43 % würden sogar auf ihre Berufskarriere<br />

zugunsten des Kindes verzichten. 13<br />

Angesichts dieser ambivalenten Ergebnisse ist es nicht überraschend, dass das Frankfurter<br />

Institut für Sozialforschung eine Vielfalt von Vatertypen identifiziert, die sich mit<br />

den gesellschaftlichen Erwartungen an den „<strong>neuen</strong> Vater“ auf unterschiedliche Weise<br />

auseinandersetzen. 14 Demnach sind 28,5 % der befragten Väter dem Typus „egalitärer<br />

Vater“ zuzuordnen, der sich als partnerschaftlich, dem Kind zugewandt, geduldig<br />

und als von der Partnerin akzeptiert wahrnimmt. Er lehnt traditionelle Rollenbilder ab<br />

und ist daran interessiert, die Organisation des Familienalltags nicht zur alleinigen Aufgabe<br />

der Mutter werden zu lassen. Die emotionale Beziehung zum Kind ist für das<br />

Selbstverständnis des „egalitären Vaters“ von hoher Bedeutung. Daneben sind weitere<br />

fünf Vatertypen auszumachen, wie z.B. der „fassadenhafte Vater“, der seinen Kindern<br />

zwar mehr als der traditionelle Brotverdiener sein möchte, sich jedoch schnell<br />

überfordert fühlt und seine Partnerin im Alltag nur selten entlastet, oder der „randständige<br />

Vater“, der sich durch die enge Beziehung zwischen Mutter und Kind ausgeschlossen<br />

fühlt.<br />

Diese Untersuchungen zeigen, dass durchaus ein Einstellungswandel unter Männern<br />

stattgefunden hat, der eine Tendenz hin zu einer stärker anwesenden und aktiver er-<br />

10 Volz, R./Zulehner, P. M.: Männer in Bewegung – Zehn Jahre Männerentwicklung in Deutschland, Baden Baden 2009.<br />

11 Ebd., S. 33.<br />

12 Zerle, C./Krok, I.: Null Bock auf Familie? Der schwierige Weg junger Männer in die Vaterschaft, Gütersloh 2008.<br />

13 Ebd., S. 85.<br />

14 Bambey, A./Gumbinger, H.-W.: Neue Väter – andere Kinder? Das Vaterbild im Umbruch – zwischen gesellschaftlichen Erwartungen<br />

und realer Umsetzung, in: Forschung Frankfurt 04/2006, S. 26–31.<br />

58


Auf der Suche nach den „<strong>neuen</strong> <strong>Vätern</strong>”<br />

ziehenden Vaterschaft erkennen lässt. Die „<strong>neuen</strong> Väter“ sind somit keine vorübergehende<br />

Modeerscheinung der Medien, sondern nehmen zumindest auf der Einstellungsebene<br />

einen stabilen Anteil von ca. 20 % aller Väter in Deutschland ein. Allerdings<br />

scheint es sich nicht um einen durchgängigen Wachstumstrend zu handeln, der<br />

diese Gruppe kontinuierlich größer werden lässt. Stattdessen zeichnet sich eine starke<br />

Differenzierung von Vaterschaft auf der Einstellungsebene ab, so dass eine Vielzahl<br />

von neben- und gegeneinander stehenden Leitbildern für Vaterschaft auszumachen<br />

sind. 15<br />

Auffällig ist dabei, dass die meisten Studien individuell verschiedene Definitionen vorlegen,<br />

was unter einem „<strong>neuen</strong> Vater“ zu verstehen sei. So gilt einmal ein Vater bereits<br />

dann als „neu“, wenn er eine egalitäre Einstellung zur Aufgabenverteilung in der<br />

Partnerschaft äußert, wohingegen in anderen Studien erst die Reduzierung von Arbeitszeit,<br />

z.B. in Form von Elternzeit oder Teilzeit, als Gradmesser des „<strong>neuen</strong> Vaters“<br />

erachtet wird. Hier besteht begrifflicher Klärungsbedarf. 16 Hilfreich ist die Unterscheidung<br />

von Burkhart 17 oder auch Kassner 18 , die das Engagement von <strong>Vätern</strong> in der Familie<br />

sowie eine dem Kind zugewandte Haltung als „aktive Vaterschaft“ bezeichnen,<br />

von „neuer Vaterschaft“ jedoch nur dann sprechen, wenn veränderte Formen der<br />

innerfamilialen Arbeitsteilung gelebt werden. Dies gilt insbesondere für Väter, die bereit<br />

sind, ihre Erwerbstätigkeit zugunsten der Familie zu reduzieren. Somit wird die Bereitschaft<br />

zum Karriereverzicht zur „Gretchenfrage“ der „<strong>neuen</strong> Väter“. 19<br />

Väter zwischen Anspruch und Wirklichkeit<br />

In starkem Kontrast zu dem steigenden Bedürfnis von Männern nach aktiverer Vaterschaft<br />

steht deren soziale Praxis im Alltag. Männliche Lebensläufe und Lebensentwürfe<br />

sind nach wie vor primär vom Erwerbsleben und weniger von der Familie geprägt.<br />

Nach der Geburt eines Kindes ist bei Paaren in der Regel eine dauerhafte Traditionalisierung<br />

der Arbeitsteilung erkennbar, 20 denn Mütter geben ihre Berufstätigkeit vorübergehend<br />

auf und kehren erst mit zunehmendem Alter des Kindes in den Arbeitsmarkt<br />

zurück. 21 Ist der oft schwierige Wiedereinstieg in das Erwerbsleben geschafft,<br />

arbeiten die meisten abhängig beschäftigten Mütter in Teilzeit mit durchschnittlich<br />

24,4 Stunden pro Woche, Väter hingegen überwiegend in Vollzeit mit 39,7 Stunden<br />

pro Woche. Dabei verbringen Väter tendenziell sogar mehr Zeit am Arbeitsplatz als<br />

kinderlose Männer. 22 Investieren erwerbstätige Mütter in die Betreuung und Fahrdiens-<br />

15 Vgl. Cyprian, G.: Die weißen Flecken in der Diskussion zur „<strong>neuen</strong> Vaterrolle“ – Folgerungen aus dem gegenwärtigen Forschungsstand<br />

in Deutschland, in: Zeitschrift für Familienforschung 1/2005, S. 76–79.<br />

16 Vgl. Walter, H.: Männer als Väter, Gießen 2002, S. 61.<br />

17 Burkhart, G.: Das modernisierte Patriarchat – neue Väter und alte Probleme, in: Neue Zeitschrift für Familienforschung 1/2007,<br />

S. 87.<br />

18 Kassner, K.: Männlichkeitskonstruktionen von „<strong>neuen</strong> <strong>Vätern</strong>“, in: Baur, N./Luedtke, J.: Die soziale Konstruktion von Männlichkeit,<br />

Opladen 2008, S. 144.<br />

19 Burkhart, G. (Fn. 17), S. 87.<br />

20 Fthenakis, W./Kalicki, B./Peitz, G.: Paare werden Eltern – die Ergebnisse der LBS-Familienstudie, Opladen 2002.<br />

21 Statistisches Bundesamt: Familienland Deutschland, Wiesbaden 2008.<br />

22 Klenner, C./Pfahl, S.: Jenseits von Zeitnot und Karriereverzicht – Wege aus dem Arbeitszeitdilemma, Analyse der Arbeitszeiten<br />

von Müttern, <strong>Vätern</strong> und Pflegenden und Umrisse eines Konzeptes, WSI Diskussionspapier Nr. 158, Düsseldorf 2008.<br />

59


Johanna Possinger<br />

te ihrer Kinder im Durchschnitt 130 Minuten pro Tag, sind es bei den erwerbstätigen<br />

<strong>Vätern</strong> nur 66 Minuten. 23<br />

An den Wochenenden, insbesondere den Sonntagen, beteiligen sich Väter zwar in<br />

zeitlich höherem Umfang an der Kinderfürsorge als noch vor wenigen Jahren, jedoch<br />

zeigt der direkte Vergleich mit Müttern, dass auch diese ihr sonntägliches Engagement<br />

in der Kinderbetreuung erhöht haben, und zwar stärker noch als die Väter. Aus zeitlicher<br />

Sicht führt die gestiegene Väterbeteiligung deshalb nicht zu einer Entlastung der<br />

Mütter. 24 Hinzu kommt, dass Väter vor allem spezifische Aktivitäten mit ihren Kindern<br />

unternehmen, wie etwa Sport treiben, spielen oder spazieren gehen, während Frauen<br />

meist die kontinuierlich anfallenden Fürsorgeaufgaben des Familienalltags übernehmen.<br />

Dies zeigt sich besonders im Krankheitsfall des Kindes. Hier geben selbst unter<br />

den modern eingestellten Männern lediglich 19 % an, tatsächlich zuhause zu bleiben,<br />

um das Kind zu pflegen. 25<br />

Diese Diskrepanz zwischen egalitärer Einstellung einerseits und traditionellem Verhalten<br />

der Väter andererseits wird auch durch die gestiegene Quote von Männern in Elternzeit<br />

bisher nicht gelöst. Zwar ist der Anteil der Väter, die das zum 1. Januar 2007<br />

eingeführte Elterngeld beansprucht haben, im Vergleich zum Erziehungsgeld im letzten<br />

Quartal 2006 von 3,5 % auf 18,5 % im ersten Quartal 2008 angestiegen. Dies<br />

kann jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Mehrheit von ihnen lediglich<br />

eine Auszeit von zwei Monaten nimmt, während immer noch 87 % aller Mütter ihr<br />

Erwerbsleben für ein Jahr unterbrechen. 26 Es überrascht somit nicht, dass über 80 %<br />

aller Mütter angeben, die Verantwortung für die Erziehung und Betreuung ihrer Kinder<br />

läge überwiegend oder vollständig bei ihnen. 27 Das mehrheitlich praktizierte Familienmodell<br />

ist das einer „Zuverdiener-Ehe“, d.h. einer modernisierten Form des männlichen<br />

Ernährermodells, bei dem überwiegend die teilzeiterwerbstätige Frau die Hauptverantwortung<br />

für die Sorge- und der vollzeitberufstätige Mann für die Erwerbsarbeit<br />

trägt.<br />

Angesichts dieser ernüchternden Lücke zwischen Anspruch und Wirklichkeit der „<strong>neuen</strong><br />

Väter“ scheint es, als habe Ulrich Becks viel zitierte männliche „verbale Aufgeschlossenheit<br />

bei weitgehender Verhaltensstarre“ 28 nicht an Gültigkeit verloren. Es<br />

lohnt sich jedoch, die Suche nach den „<strong>neuen</strong> <strong>Vätern</strong>“ fortzusetzen und den Blick gezielt<br />

auf die Barrieren zu richten, die einer aktiven Vaterschaft im Alltag entgegenstehen.<br />

Im Gegensatz zum Muttersein ist Vatersein wesentlich kontextabhängiger und<br />

wird erst dann verständlich, wenn es „als Auseinandersetzung mit den verschiedenen<br />

23 Statistisches Bundesamt: Wo bleibt die Zeit? Die Zeitverwendung der Bevölkerung in Deutschland 2001/02, Wiesbaden 2003,<br />

S. 25.<br />

24 Grunow, W.: Wandel der Geschlechterrollen und Väterhandeln im Alltag, in: Mühling, T./Rost, H.: Väter im Blickpunkt – Perspektiven<br />

der Familienforschung, Opladen 2007, S. 69.<br />

25 Volz, R./Zulehner, P. M. (Fn. 10), S. 97–98.<br />

26 BMFSFJ: Elterngeldbericht – Bericht über die Auswirkungen des Bundeselterngeld- und Elternzeitgesetzes sowie über die gegebenenfalls<br />

notwendige Weiterentwicklung, Berlin 2008.<br />

27 Allensbach Familienmonitor 2008: Repräsentative Befragung zum Familienleben und zur Familienpolitik, Osnabrück 2008.<br />

28 Beck, U.: Risikogesellschaft, Frankfurt a.M. 1986, S. 169.<br />

60


Auf der Suche nach den „<strong>neuen</strong> <strong>Vätern</strong>”<br />

zentralen Norm- und Taktgebern der Vaterrolle“ wahrgenommen und gedeutet wird. 29<br />

Neben institutionellen Rahmenbedingungen sowie medialen und kulturellen Bildern<br />

von Vaterschaft und Männlichkeit sind es auf der Mikroebene des Individuums Faktoren<br />

wie die eigene Biografie, das soziale Milieu, der Bildungsstand, die Partnerin und<br />

das Kind selbst, die Vatersein im Alltag mitbestimmen. Ein zentraler „Taktgeber“ 30 ,der<br />

im Folgenden näher beleuchtet werden soll, ist die Erwerbsarbeit. Sie stellt eine entscheidende<br />

Rahmenbedingung für die Gestaltung des Familienlebens dar und nimmt<br />

gerade bei Männern, deren Lebensentwürfe traditionell stärker berufs- als familienorientiert<br />

sind, eine Schlüsselstellung ein. 31<br />

Betriebliche Hindernisse aktiver Vaterschaft 32<br />

Die Entscheidung darüber, ob aktive Vaterschaft, z.B. in Form von Teilzeit oder Elternzeit,<br />

tatsächlich gelebt werden kann, ist unmittelbar mit finanziellen und beruflichen<br />

Erwägungen verknüpft. In einer Evaluation zum Elterngeld von 2008 gaben gut zwei<br />

Drittel der befragten Familien an, die Partnermonate vor allem aus finanziellen und<br />

betrieblichen Gründen nicht in Anspruch genommen zu haben. 33 Die bestehende<br />

Gehaltslücke zwischen den Geschlechtern in Höhe von 23 % 34 liefert eine wichtige<br />

Erklärung dafür, warum Väter – wenn überhaupt – nur in geringem Umfang eine berufliche<br />

Auszeit nehmen. Je mehr ein Vater im Vergleich zu seiner Partnerin zum Haushaltseinkommen<br />

beiträgt, desto irrationaler wird eine aktive Fürsorgebeteiligung des<br />

Vaters aus ökonomischer Sicht für die Familie. Das Elterngeld mit seiner lohnabhängigen<br />

Einkommensersatzleistung kann hier oft nur bedingt Abhilfe schaffen. Der<br />

Wunsch, ein „neuer Vater“ zu sein, scheitert somit nicht selten an grundlegenden<br />

finanziellen Überlegungen, die Männern eine klassische Ernährerfunktion nahe legen<br />

und die traditionelle Arbeitsteilung der Geschlechter verfestigen.<br />

Eng damit verbunden sind betriebliche Hindernisse, die einer aktiven Vaterschaft entgegenstehen.<br />

Zwar steigt die Zahl der Arbeitgeber in Deutschland, die Familienfreundlichkeit<br />

als Wettbewerbsfaktor für sich entdeckt haben und ihre Beschäftigten<br />

beim Spagat zwischen Kindern und Erwerbsarbeit unterstützen wollen, gleichwohl ist<br />

dies für die meisten Betriebe nach wie vor eine Thematik, die in erster Linie Frauen be-<br />

29 Cyprian, G.: Väterforschung im deutschsprachigen Raum, in: Mühling, T./Rost, H.: Väter im Blickpunkt – Perspektiven der Familienforschung,<br />

Opladen 2007, S. 38.<br />

30 7. Familienbericht: Familie zwischen Flexibilität und Verlässlichkeit. Perspektiven für eine lebenslaufbezogene Familienpolitik,<br />

Berlin 2006, S. 210.<br />

31 Meuser, M.: Keine Zeit für Familie? Ambivalenzen involvierter Vaterschaft, in: Heitkötter, M. et. al.: Zeit für Beziehungen? Zeit<br />

und Zeitpolitik für Familien, Opladen 2009, S. 226.<br />

32 Die im Folgenden aufgeführten Zitate stammen von <strong>Vätern</strong>, die im Jahr 2008 über ihren Alltag zwischen Erwerbstätigkeit und<br />

Vatersein mithilfe leitfadengestützter biografischer Interviews befragt wurden. Die Väter sind zwischen 29 und 52 Jahre alt und<br />

haben Kinder im Alter zwischen 7 Monaten und 18 Jahren. Alle Befragten haben den gleichen Arbeitgeber: einen Großkonzern<br />

aus der Energie- und Versorgungsbranche, der vom Audit berufundfamilie der gemeinnützigen Hertiestiftung als familienfreundlich<br />

ausgezeichnet wurde. Die Erhebung führte die Autorin im Rahmen ihrer Dissertation am Lehrstuhl für Mikrosoziologie<br />

(Prof. Dr. Hans Bertram) der Humboldt Universität zu Berlin durch.<br />

33 Rheinisch-Westfälisches Institut für Wirtschaftsforschung: Evaluation des Gesetzes zum Elterngeld zur Elternzeit, Endbericht,<br />

Berlin 2008, S. 61.<br />

34 Böcklerimpuls: Größter Lohnrückstand bei älteren Frauen, Hans Böckler Stiftung, Düsseldorf, 2008.<br />

61


Johanna Possinger<br />

trifft. Angebotene familienfreundliche Maßnahmen werden vor allem gegenüber Müttern<br />

kommuniziert. Bei Männern wird hingegen sowohl automatisch unterstellt als<br />

auch stillschweigend erwartet, dass sie ihre familiären Verpflichtungen den beruflichen<br />

unterordnen. 35 Zwar begrüßen es 59 % der Betriebe in Deutschland, wenn Väter ihre<br />

Arbeitszeit für die Familie reduzieren, mehr als die Hälfte von ihnen unterstützt dies<br />

aufgrund antizipierter betrieblicher Schwierigkeiten im eigenen Unternehmen jedoch<br />

nicht. 36 Männliche Angestellte mit Kindern werden nicht als moderne „caregiver“, sondern<br />

ausschließlich als traditionelle „breadwinner“ wahrgenommen. 37 In vielen Unternehmen<br />

gestaltet sich die Suche nach <strong>Vätern</strong>, die familienbedingt Teilzeit oder Elternzeit<br />

in Anspruch nehmen, als die Suche nach der Nadel im Heuhaufen:<br />

„Also hier gibt’s keinen Vater in Elternzeit [...]. Das heißt also, uns hier direkt betrifft<br />

es gar nicht“ (Personalmanager, 45, ein Kind).<br />

In der Betriebskultur vieler Arbeitgeber ist das traditionelle Rollenbild des ununterbrochen<br />

vollzeiterwerbstätigen Mannes noch immer stark verankert. Überstunden werden<br />

als Zeichen von Einsatz und Loyalität gegenüber dem Unternehmen gesehen. Abweichungen<br />

von diesem Verhalten, wie z.B. der Wunsch nach einer familienbedingten<br />

Reduzierung der Arbeitszeit oder aber auch lediglich die Einhaltung der tariflich vorgesehenen<br />

Arbeitszeit, werden insbesondere bei Männern als fehlendes Engagement,<br />

Leistungsschwäche und Verweigerung interpretiert: 38<br />

„Das Unternehmen mag familienfreundlich augenscheinlich sein, aber […] in diesem<br />

Gefüge erwartet man mehr von den Männern, dass sie sich voll und ganz für<br />

die Firma einsetzen. Bei den Frauen wird es mehr akzeptiert, wenn sie das Kind<br />

vom Kindergarten abholen müssen. […] weil es auch nicht die Normalität ist, dass<br />

ein Vater, ich sag mal, um sieben oder halb acht kommt und um vier wieder geht.<br />

Das ist nicht normal“ (Abteilungsleiter, 51, zwei Kinder).<br />

Gerade viele junge Väter stehen der Möglichkeit, Elternzeit in Anspruch zu nehmen,<br />

theoretisch zwar sehr positiv gegenüber, nehmen davon in der Praxis jedoch selbst Abstand.<br />

Da die Phase des Berufseintritts für sie zunehmend von unsicheren Beschäftigungsverhältnissen<br />

wie Praktika oder befristeten Verträgen geprägt ist, stellen sie ihren<br />

Wunsch nach einer aktiven Vaterrolle meist hinter ihrem ebenso großen Bedürfnis,<br />

der Familie finanzielle Sicherheit zu geben, zurück. Ein Ausbrechen aus der klassischen<br />

Rolle des „Erwerbsmannes“ 39 könnte negativ auffallen und zu einer Nichtverlängerung<br />

der Beschäftigung, d.h. zu beruflichen Sanktionen führen, unter denen auch die Familie<br />

zu leiden hätte. Zwei junge Väter berichten:<br />

35 Vgl. Meuser, M. (Fn. 31), S. 224.<br />

36 BMFSFJ: Elterngeld und Elternzeit: Einstellungen der Verantwortlichen in deutschen Wirtschaftsunternehmen. Ergebnisse einer<br />

repräsentativen Umfrage, Berlin 2006, S. 14–17.<br />

37 Vgl. Holter, Ø. G. et al.: „We don’t have anything like that here!” – Organisations, Men and Gender Equality in: Puchert,<br />

R./Gärtner, M./Höyng, S.: Work Changes Gender – Men and Equality in the Transition of Labour Forms, Opladen 2005.<br />

38 Vgl. Baur, N./Luetke, J.: Männlichkeit und Erwerbsarbeit bei westdeutschen Männern, in: Baur, N./Luetdke, J.: Die soziale Konstruktion<br />

von Männlichkeit – hegemoniale und marginalisierte Männlichkeiten in Deutschland, Opladen, 2008 S. 81.<br />

39 Vgl. Döge, P.: Geschlechterdemokratie als Männlichkeitskritik, Bielefeld 2001.<br />

62


Auf der Suche nach den „<strong>neuen</strong> <strong>Vätern</strong>”<br />

„Also diese Option halte ich grundsätzlich für sinnvoll und habe sie auch in Betracht<br />

gezogen, aber eben durch die Situation mit dem befristeten Vertrag wäre<br />

es, ja – nicht besonders sinnvoll“ (PR-Mitarbeiter, 29, ein Kind).<br />

„Ich hab das mit der Elternzeit überlegt, aber ich habe gerade den Arbeitsplatz gewechselt<br />

[…]. Und auch wenn die Kollegen und Chefs nett sind, wenn ich jetzt<br />

aussetze, dann bin ich weg vom Fenster. Also mein Arbeitsplatz ist mir sicher, aber<br />

dann nicht mehr in dieser Position“ (Industrieelektroniker, 32, ein Kind).<br />

Die hier geschilderte Angst vor beruflichen Nachteilen ist nicht unbegründet. „Neue<br />

Väter“, die Elternzeit oder Teilzeit in Anspruch nehmen, gelten als Exoten und müssen<br />

ihre Entscheidung nicht selten mit Karriereeinbrüchen bezahlen:<br />

„Ja, also man hat mir damals knallhart gesagt: Meine Karriere ist zu Ende. Ich werde<br />

nicht mehr [Anm.: in Projekten] gruppiert. Natürlich unter 4 Augen [...]. ,Wenn<br />

Du hier Teilzeit arbeitest, ist hier die Sache für Dich erstmal beendet.’ Und das fand<br />

ich schon hart“ (Sachbearbeitender Referent, 39, zwei Kinder).<br />

In vielen Betrieben wird die Unternehmenskultur von „Dinosaur Dads“ 40 geprägt, d.h.<br />

von <strong>Vätern</strong> mit traditionellem Rollenverständnis, die in den entscheidenden Positionen<br />

sitzen und denen es schwer fällt, Männer mit einem abweichenden Lebensmodell zu<br />

akzeptieren, die ihren Beruf zugunsten der Familie einschränken möchten. Neben den<br />

Vorgesetzten sind es häufig auch Kollegen und Kolleginnen, die kein Verständnis für<br />

die Erfüllung von Sorgeaufgaben aufbringen oder befürchten, dass die anfallende Arbeit<br />

auf ihre Schultern umverteilt wird. Die Reaktionen reichen hier von spöttischen<br />

Kommentaren bis hin zu Zweifeln an der Männlichkeit eines „<strong>neuen</strong> Vaters“:<br />

„Er [Anm.: der Vorgesetzte] wollte mir eigentlich damit zu verstehen geben, meine<br />

Frau ist unflexibel. Ich würde eigentlich faktisch unter dem Pantoffel stehen,<br />

weil ich immer derjenige bin, der später kommt oder mit den Kindern zum Arzt<br />

geht“ (Sachbearbeitender Referent, 39, zwei Kinder).<br />

In der Logik der Betriebe zählen vor allem jederzeitige Verfügbarkeit, Mobilität und Flexibilität<br />

– allesamt Anforderungen, die den Bedürfnissen von Kindern nach Verlässlichkeit,<br />

Planbarkeit und Zeit für die Intensivierung von Bindungen oft diametral entgegenstehen.<br />

Selbst in Betrieben, die sich für eine familiengerechte Personalpolitik einsetzen,<br />

werden angebotene Maßnahmen, wie z.B. gleitende Arbeitszeit, in der Praxis<br />

oft nicht in Anspruch genommen, wenn sie quer zur Unternehmenskultur liegen:<br />

„Insofern hab ich schon oft drüber nachgedacht, wie wäre es, wenn ich erst um<br />

acht aufstehe und erst um zehn im Büro bin, könnt ich ja hier. Die Kollegen würden<br />

dann natürlich sagen: ‚Ja wir sind schon zwei Stunden hier und dann kommst<br />

40 Gesterkamp. T.: Väter zwischen Laptop und Wickeltisch, in: Mühling, T./Rost, H.: Väter im Blickpunkt – Perspektiven der Familienforschung,<br />

Opladen 2007, S. 108.<br />

63


Johanna Possinger<br />

du erst.’ Das ist, glaub ich, so fürs Team eher kontraproduktiv“ (PR-Mitarbeiter, 29,<br />

ein Kind).<br />

Informelle Verhaltensrichtlinien und Selbstverständlichkeiten, die nicht explizit formuliert,<br />

aber implizit vorausgesetzt werden, prägen die Unternehmenskultur vieler Arbeitgeber,<br />

selbst wenn Betriebsvereinbarungen den Beschäftigten mehr zeitliche Spielräume<br />

lassen würden. 41 Insbesondere von Führungskräften – unabhängig von ihrem<br />

Geschlecht – wird stillschweigend erwartet, dass sie jederzeit voll einsatzbereit sind:<br />

„Und da glaube ich [...], dass der Wunsch der Firma zwar schon da ist familienfreundlich<br />

zu sein, aber der Druck ist doch sehr stark, dass faktisch nicht so viel<br />

Rücksicht darauf genommen wird. Ist natürlich abhängig davon, in welcher Position<br />

das ist. Wenn ich heute vor halb sechs nach Hause gehe, weil ich sage, ich will<br />

noch mal mit meinem Kind Schularbeiten machen oder das Kind hat Geburtstag,<br />

wir wollen was unternehmen, dann wird das in meiner Position nicht gerne gesehen“<br />

(Abteilungsleiter, 51, zwei Kinder).<br />

Die Möglichkeit, auch Führungspositionen in Teilzeit zu erfüllen, um auch hier Mitarbeiterinnen<br />

und Mitarbeitern mehr Zeit für ihre Familien einzuräumen, ist für viele Personalverantwortliche<br />

noch immer undenkbar:<br />

„Dass ein Kollege mal ein halbes Jahr Elternzeit nicht da ist, das ist kein Problem.<br />

Also das kann man überbrücken. Aber letztendlich, ich sag mal, wenn jemand<br />

wirklich auf 50 % reduziert, dann hätten wir ein echtes Problem. [...] Weil beispielsweise<br />

wenn sie eine Besprechung organisieren, geht man selbstverständlich<br />

davon aus, dass alle immer Zeit haben“ (Personalmanager, 45, ein Kind).<br />

Andere wirtschaftliche Interessen sind es, die das betriebliche Ziel der Familienfreundlichkeit<br />

gerade in Krisenzeiten untergraben. Modernisierte Formen von Vaterschaft<br />

werden nur insoweit akzeptiert, wie sie die Arbeitsmarktverfügbarkeit des Mannes<br />

nicht berühren. 42 Drohende Entlassungen, sinkende Personaldecken bei steigender Arbeitsbelastung<br />

und die herrschende Anwesenheitskultur in vielen Betrieben begünstigen,<br />

dass 57 % der abhängig beschäftigten Väter in Deutschland länger als 40 Stunden<br />

pro Woche arbeiten. 43 Sich vor diesem Hintergrund für ihren Wunsch nach mehr<br />

Zeit in der Familie einzusetzen, fordert <strong>Vätern</strong> viel Selbstbewusstsein ab. So finden sie<br />

sich nicht selten ungewollt in der Rolle des traditionellen Brotverdieners wieder, der seine<br />

Wochenarbeitszeit aufgrund des gestiegenen beruflichen Drucks sogar zusätzlich<br />

erhöht und seinen Kindern lediglich am Wochenende ein „Freizeit-Papa“ sein kann.<br />

Chronische Zeitnot ist es, womit viele vollzeitbeschäftigte Väter, die sich dennoch ak-<br />

41 Vgl. Hochschild, A.: Keine Zeit – Wenn die Firma zum Zuhause wird und zu Hause nur Arbeit wartet, Wiesbaden 2006,<br />

S. 23.<br />

42 Born, C./Krüger, H.: Vaterschaft und Väter im Kontext sozialen Wandels, in: Walter, H.: Männer als Väter, Gießen 2002,<br />

S. 138.<br />

43 Klenner, C./Pfahl, S.: Jenseits von Zeitnot und Karriereverzicht – Wege aus dem Arbeitszeitdilemma, Analyse der Arbeitszeiten<br />

von Müttern, <strong>Vätern</strong> und Pflegenden und Umrisse eines Konzeptes, WSI Diskussionspapier Nr. 158, Düsseldorf 2008.<br />

64


Auf der Suche nach den „<strong>neuen</strong> <strong>Vätern</strong>”<br />

tiv an der Fürsorge für ihre Kinder beteiligen wollen, im Alltag zu kämpfen haben. Das<br />

Bedürfnis nach aktiver Vaterschaft wird häufig auf einen späteren Zeitpunkt verschoben<br />

und nur dann verwirklicht, wenn der Beruf dies zulässt:<br />

„Man will ja ein guter Vater sein und man möchte ein bisschen was bieten, ja, [...]<br />

weil man der Meinung ist, fünf Tage in der Woche haben die Kinder überhaupt<br />

nichts von Dir, also musst du am Wochenende vielleicht mal mehr powern, damit<br />

sie sich noch mehr freuen“ (Technischer Angestellter, 48, zwei Kinder).<br />

„Das ist, was mich manchmal stört, ist dass so ein Tagensablauf bei mir sehr eng<br />

gesteckt ist. Also morgens aufstehen zack zack zack, den Jungen gemeinsam zur<br />

Schule zu kriegen, dann schnell zur Arbeit. Ab sieben oder acht, je nachdem, wann<br />

ich zu Hause bin, die restlichen Dinge noch schnell zu erledigen, vielleicht auf dem<br />

Nachhauseweg. Und vieles kompensiert sich auf das Wochenende oder auf den<br />

Urlaub und das Leben rast natürlich auch sehr schnell dahin“ (Abteilungsleiter, 51,<br />

zwei Kinder).<br />

Vaterschaft zwischen Traditionalität und Modernität<br />

Sind die „<strong>neuen</strong> Väter“ angesichts dieser Hindernisse im Erwerbsleben also doch „besser<br />

als ihr Ruf“ 44 ? Die Spurensuche schwankt zwischen modernen, partnerschaftlichegalitären<br />

Vaterschaftsidealen und der traditionellen Praxis. Betrachtet man das tatsächliche<br />

Verhalten viele Männer, so ist ein „guter Vater“ in erster Linie immer noch<br />

ein „Brotverdiener“, der seine Vollzeit-Erwerbstätigkeit nach der Geburt eines Kindes<br />

ohne größere Unterbrechung fortführt bzw. ausdehnt. Was sich jedoch verändert hat<br />

– und dies ist in seiner langfristigen Wirkung nicht zu unterschätzen – ist, dass sich die<br />

Einstellung der Väter modernisiert hat und sie für ihre Kinder zunehmend fürsorgliche<br />

Erzieher statt lediglich Versorger sein wollen. Angesichts dieser veränderten Erwartungen,<br />

die Väter an sich selbst haben, aber mit denen sie auch seitens ihrer Partnerinnen<br />

sowie ihres sozialen Umfelds konfrontiert werden, ist das traditionelle Ernährermodell<br />

erklärungsbedürftig geworden. 45 In der Realität des Alltags stoßen viele Väter – genauso<br />

wie Mütter – jedoch an die strukturellen Barrieren einer Arbeitswelt, die allen<br />

Imagekampagnen für mehr Familienfreundlichkeit zum Trotz familiale Fürsorge mit<br />

Karriereeinbußen bestraft. Nicht nur bei den <strong>Vätern</strong> selbst, sondern auch auf der<br />

Ebene der Betriebe ist somit eine Diskrepanz zwischen Anspruch und Wirklichkeit<br />

erkennbar.<br />

Daneben sind es auch wohlfahrtsstaatliche Strukturen und hegemoniale Leitbilder der<br />

Geschlechterordnung sowie von Männlichkeit, die Barrieren einer gelebten aktiven Vaterschaft<br />

darstellen. 46 Seit der industriellen Revolution gilt väterliche Sorgetätigkeit<br />

44 Mühling, T./Rost, H.: Väter im Blickpunkt – Perspektiven der Familienforschung, Opladen 2007, S. 15.<br />

45 Meuser, M. (Fn. 31), S. 220.<br />

46 Kassner, K.: Männlichkeitskonstruktionen von „<strong>neuen</strong> <strong>Vätern</strong>“, in: Baur, N./Luetdke, J.: Die soziale Konstruktion von Männlichkeit<br />

– hegemoniale und marginalisierte Männlichkeiten in Deutschland, Opladen, 2008, S. 142.<br />

65


Johanna Possinger<br />

nicht mehr als Eigenschaft, die Männlichkeit stärkt, sondern die sie in Frage stellt. Traditionelle<br />

Geschlechtsstereotype sind noch immer stark in den Köpfen vieler Männer –<br />

und auch Frauen – verankert. Herauszuheben ist an dieser Stelle vor allem die Rolle der<br />

Partnerinnen, deren Erwartungen an Väter häufig widersprüchlich und ambivalent<br />

sind. Zwar wünschen sich 42 % aller in einer Partnerschaft lebenden Mütter, dass sich<br />

die Väter mehr an der Familienarbeit beteiligen würden, zugleich hält aber fast die<br />

Hälfte von ihnen den eigenen Partner für einen „hoffnungslosen Fall“. 47 An ihren Männern<br />

schätzen Frauen überwiegend deren Ernährerrolle und messen vor allem dem Einkommen<br />

sowie dem beruflichen Erfolg ihrer Partner eine hohe Bedeutung zu. 48 Mütter<br />

schwanken somit zwischen traditionellen und egalitären Erwartungen an ihre Partner<br />

und trauen diesen die Erfüllung von Fürsorgeaufgaben häufig nicht zu.<br />

Im Kontext dieser „doppelten Botschaften“ seitens ihrer Partnerinnen sowie der Arbeitswelt<br />

oszillieren Väter zwischen Traditionalität und Modernität. Mit der Einführung<br />

der „Vätermonate“ hat die Politik Männern einen wichtigen Anreiz zu aktiver Vaterschaft<br />

gesetzt. Es bleibt abzuwarten, wie nachhaltig die „<strong>neuen</strong> Väter“ sein werden,<br />

d.h. ob sich nach der Phase der Elternzeit oder Teilzeit eine dauerhafte Modernisierung<br />

der Arbeitsteilung in der Familie entwickelt oder ob die Elternzeit für Väter lediglich ein<br />

„kurzes biografisches Zwischenspiel und bestenfalls die Einstiegsdroge“ 49 darstellt.<br />

Das Kriterium der Arbeitszeitreduzierung darf dabei nicht den Blick auf andere Formen<br />

gelebter aktiver Vaterschaft verhüllen, die jenseits der öffentlichen Diskussion um die<br />

„<strong>neuen</strong> Väter“ bestehen. Das väterliche Engagement beschränkt sich nicht nur auf das<br />

Kleinkindalter. Viele Beiträge des Vaters zur Fürsorgearbeit, wie z.B. die Überprüfung<br />

von Hausaufgaben, werden erst mit zunehmendem Alter des Kindes sichtbar. Weiterführend<br />

scheint hier auch die Frage zu sein, welche Bewältigungsstrategien Väter<br />

selbst entwickeln, um mit den teils gegensätzlichen Erwartungen umzugehen, die im<br />

Spannungsfeld zwischen Erwerbs- und Familienleben an sie gestellt werden. Somit<br />

zeigt die Suche nach den „<strong>neuen</strong> <strong>Vätern</strong>“, dass viele Väter selbst auf der Suche nach<br />

Strategien sind, wie sie mit der Diskrepanz zwischen Anspruch und Wirklichkeit umgehen<br />

und ihr Ideal von aktiver Vaterschaft mit ihren beruflichen Verpflichtungen in<br />

Einklang bringen können.<br />

47 Institut für Demoskopie Allensbach: Vorwerk Familienstudie 2008, Wuppertal 2008, S. 45 ff.<br />

48 Ebd.<br />

49 Gesterkamp, T.: Wenn Männer zuviel arbeiten, in: die tageszeitung vom 27.10.2008.<br />

66

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!