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22 Magie der Natur Magie der Natur 23<br />
und nur der Jüngste hatte den Mut hinabzusteigen.<br />
Er gelangte in die Anderswelt, das<br />
Reich der Fata Morgana, fand dort den Dieb,<br />
einen bösen Zauberer, schlug ihm den Kopf<br />
ab und befreite zahlreiche Jungfrauen. Seine<br />
boshaften Brüder jedoch wollten allen Ruhm<br />
für sich und ließen ihn allein in dem tiefen<br />
Schacht zurück. Der Scheich erblindete vor<br />
Kummer und Gram und kein Arzt konnte<br />
ihm helfen, bis einer kam, der meinte: „Hier<br />
gibt es nur ein Mittel, das ist das Wasser der<br />
Fata Morgana. Wer damit seine Augen<br />
wäscht, wird wieder sehend.“ 2<br />
Der verlorene Sohn erfuhr vom Unglück des<br />
Vaters und entdeckte, dass die Fata Morgana<br />
mit ihm in der Anderswelt weilte. Unweit<br />
der schlafenden Fee fand er die Quelle des<br />
Wassers, welches zu heilen vermochte.<br />
„Und sie war so schön, daß sie mit sieben<br />
Schleiern bedeckt war, und ihre Schönheit<br />
doch durch alle sieben Schleier hindurch<br />
leuchtete. Da beugte sich der Königssohn<br />
über sie, und nahm ihr die sieben Schleier<br />
weg, und als er sah, wie schön sie war, entbrannte<br />
er in heftiger Liebe zu ihr, neigte<br />
sich und küßte sie.“ 3<br />
Sie erwachte und wurde darüber sehr wütend.<br />
Der Prinz schaffte die Flucht zurück zu<br />
seinem Vater, heilte ihn mit dem Wasser, erlangte<br />
das Königreich und wurde am Ende<br />
doch von der Morgana eingeholt. Diese jedoch<br />
sprach: „Ich bin die Fata Morgana.<br />
Dieser Jüngling aber hat mir meine Schleier<br />
geraubt, und hat mich geküßt, als ich schlief.<br />
Darum muß er mein Gemahl werden, und<br />
ich will ihn zu einem mächtigen König machen.“<br />
4<br />
Dieses Märchen klingt romantisch und hat<br />
ein gutes Ende. Doch leider schafften es<br />
nicht alle Verschollenen, aus der Wüste<br />
2 Die Geschichte der Fata Morgana, in: Laura<br />
Gonzenbach: Sizilianische Märchen<br />
3 Ebd.<br />
4 Ebd.<br />
heimzukehren. Vielleicht sagte man früher,<br />
dass ein in der Wüste verschollener Mann<br />
die Fata Morgana geheiratet habe, um so<br />
dem Wüstentod etwas Tröstliches zu verleihen.<br />
Ein anderes Märchen namens „Fata Morgana“<br />
handelt von einem jungen Seemann, der<br />
wegen Zauberei beschuldigt wurde und auf<br />
hoher See von Bord gehen musste. Er bekam<br />
ein Ruderboot und musste sich auf dem Ozean<br />
zurechtfinden, bis er auf eine Insel kam.<br />
Er fand sich in einem Paradies, dem Reich<br />
der Fata Morgana wieder, welches jedoch<br />
aus Dunst und Schaum zu bestehen schien.<br />
Luftige wunderschöne Frauengestalten holten<br />
ihn ab und brachten ihn zum Thron der<br />
Fee. Diese war „ein Weib voll Schönheit und<br />
Majestät, anzuschauen wie eine Göttin und<br />
Königin, denn Himmlisches und Irdisches<br />
spiegelte sich auf ihrem Gesicht, beides in<br />
gleicher Vollkommenheit.“ und sie sprach<br />
über sich: „Die Menschen schelten mich und<br />
das Reich meiner Wunder. Sie spotten meiner,<br />
sie nennen mich eine Dämonin des Unheils,<br />
die alles verspricht, aber nichts wirklich<br />
gibt, und nennen, was ich zu ihrem Heil<br />
beginne, eine endlose Täuschung.“ 5<br />
Alsbald reichte sie ihm die Hand. Er wollte<br />
danach greifen, doch sie verschwand und er<br />
fand sich auf ihrem Thron wieder und war<br />
selbst König. Doch als er aufstand und einen<br />
Schritt wegging, verschwand auch dieser.<br />
Enttäuscht von vielen nicht erfüllten Erwartungen<br />
und der Sehnsucht, die ihm das Herz<br />
bluten ließ, fand ihn die Fata Morgana, klärte<br />
ihn über die Trugbilder, denen er nachjagte,<br />
auf und sprach: „Die Zeit, die du in meiner<br />
Nähe zubrachtest, ist dir nicht verloren.<br />
Wenn du wieder zu deinen Brüdern zurückkehrst,<br />
wirst du Kraft genug besitzen, um<br />
wegen einer fehlgeschlagenen Hoffnung<br />
nicht zu unterliegen. Das ist der Segen, den<br />
5 Fata Morgana, in: Heinrich Schmidt: Seemanns-Sagen<br />
und Schiffer-Märchen<br />
ich dir mitgebe, in dem Augenblick, da du im<br />
Begriff bist, mein Reich zu verlassen.“ 6<br />
Der Jüngling brach auf und wurde am heimischen<br />
Strand nach über einem Jahr, das er<br />
verschollen war, gefunden und beschloss<br />
nicht mehr nach der weiten Welt zu greifen<br />
und sich mit dem zufrieden zu geben, was er<br />
hatte.<br />
„Ich werde in meiner Beschränktheit zufrieden<br />
sein, seit ich weiß, daß unser Heil nur in<br />
unserer eigenen Brust ruht und ohne dasselbe<br />
alle Herrlichkeiten, alle Pracht, aller<br />
Glanz, die das Leben uns bieten, nichts als<br />
eine herbe Täuschung sind.“ 7<br />
Dieses Märchen gefällt mir persönlich wegen<br />
des Endes am besten. Egal was man sucht:<br />
Was man nicht in sich selbst findet, findet<br />
man auch nie im Außen. Beide Märchen sagen<br />
uns aber noch mehr: In beiden ist die Fata<br />
Morgana eine Fee, welche junge Männer<br />
prüft, die Anderswelt bewohnt, wunderschön<br />
ist und mit Trugbildern arbeitet. Dies ist der<br />
Kern der Sagen rund um eine Erscheinung,<br />
die immer wieder Seefahrer, Fischer, Händler<br />
und Wanderer in die Irre geführt, genarrt<br />
und nicht selten ins Verderben gelockt hat.<br />
Aber vielleicht tun wir damit Unrecht. Vielleicht<br />
sollten wir besser sagen, dass all jene<br />
nach Avalon entrückt wurden.<br />
Das sagt die Wissenschaft<br />
Das „Wie“ und das „Wann“ der Entstehung<br />
einer Fata Morgana hängen eng zusammen<br />
und sind mit Wetterlagen und den Naturgesetzen<br />
der Optik zu erklären. Das „Wo“ dagegen,<br />
lässt sich kurz und knapp mit einem<br />
Wort beantworten: prinzipiell „überall“ auf<br />
dem Erdenrund. Auch wenn einem durch diverse<br />
Geschichten suggeriert wird, dass die<br />
Fata Morgana ein Phänomen der Wüste wäre,<br />
so kann sie, wie die vielen Beispiele weiter<br />
oben zeigen, jeder Person auch auf dem<br />
6 Ebd.<br />
7 Ebd.<br />
Meer, in Gebirgen und in sämtlichen Klimazonen,<br />
ja selbst in einem Flugzeug begegnen.<br />
Nur in Wäldern und Städten trifft man sie<br />
vielleicht nicht an, weil dort die Bäume und<br />
Häuser die Sicht versperren.<br />
Um zu entstehen, benötigt eine Fata Morgana<br />
im Grunde genommen nur zwei Luftschichten<br />
unterschiedlicher Massendichte,<br />
welche scharf voneinander abgegrenzt sind.<br />
So gesehen ist es ein ähnlicher Fall, als wenn<br />
Öl auf Wasser schwimmt. Jedoch ist die Abgrenzung<br />
nicht annähernd so scharf, da sich<br />
Luft grundsätzlich immer aufgrund von Diffusionseffekten<br />
mischt. Diese Luftschichten<br />
können übereinander liegen oder auch waagerecht<br />
aufeinander treffen. Die erstgenannte<br />
Situation ist jedoch der mit großem Abstand<br />
häufigste Ereignisfall.<br />
Ein solches Aufeinandertreffen nennt man<br />
„Inversionswetterlage“. Die kältere Luft besitzt<br />
hierbei auch die höhere Dichte und es<br />
muss windstill sein, damit keine plötzliche<br />
Mischung der Luftschichten stattfindet. Ursachen<br />
für eine Inversion können zum Beispiel<br />
Aufheizung oder Abkühlung des Bodens<br />
sein. Damit verbunden ist eine starke<br />
Temperaturveränderung der unteren Luftschichten,<br />
während obere kaum beeinflusst<br />
werden. Kaum hat man sich versehen, hat<br />
man auf diese Weise deutlich unterschiedliche<br />
Luftdichten der aufeinander liegenden<br />
Luftmassen. Weitere Ursachen für diese speziellen<br />
Wetterlagen können Absinkinversionen<br />
oder Turbulenzinversionen sein.<br />
Ersteres bedeutet, dass verschiedene Luftpakete<br />
unterschiedlich schnell absinken und<br />
dann beginnen, sich übereinander zu lagern.<br />
Ohne ins Detail gehen zu wollen, führt dieses<br />
Verhalten zur Übereinanderstapelung von<br />
Luftschichten mit hohen Temperatur- und<br />
damit verbundenen Dichteunterschieden. Die<br />
Turbulenzinversion entsteht ähnlich, nur bewegen<br />
sich hierbei die Luftpakete weniger<br />
vertikal, sondern mehr horizontal.