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32 Die Linde Die Linde 33<br />
Übrigens hat der Lindwurm (Bezeichnung<br />
für einen Drachen, meist ungeflügelt) nicht<br />
direkt etwas mit der Linde zu tun, sondern<br />
mit deren Wortursprung. Das sehr Wendige<br />
und Biegsame ist auch eine Eigenschaft der<br />
Lindwürmer.<br />
Aus den Aphroditelinden sind mit der<br />
Christianisierung die Marienlinden geworden<br />
und aus den Thing- und Gerichtslinden<br />
die Dorf- und Tanzlinden. In der Mitte vieler<br />
Dörfer sind bis heute Linden zu finden; sie<br />
waren Versammlungsort zu Festen. Um sie<br />
wurde getanzt und unter ihnen wurden Küsse<br />
getauscht. Liebe, Leben und Fruchtbarkeit<br />
waren mit ihnen verbunden, aber auch Frieden.<br />
Es wurden Linden gepflanzt, wenn<br />
Kinder auf die Welt kamen (in manchen Regionen<br />
betraf das nur die weiblichen Kinder)<br />
und wenn nach einem Krieg Frieden geschlossen<br />
wurde.<br />
Das Holz der Linde war in der Kunst sehr<br />
beliebt. Da es leicht zu bearbeiten ist, wurden<br />
daraus die schönsten Schnitzereien gefertigt,<br />
zum Beispiel die Altarbilder von<br />
Tilman Riemenschneider.<br />
Besonders beeindruckend sind so einige<br />
Tanzlinden. Es stand zwar fast überall eine<br />
Linde im Mittelpunkt der Siedlung, unter der<br />
Festivitäten stattfanden, aber bei manchen<br />
wurden die Äste so geleitet, dass es möglich<br />
war, in der Krone Böden einzuziehen, um<br />
darauf zu musizieren und zu tanzen. Es gibt<br />
verschiedenste Arten von ihnen, mit mehreren<br />
Böden, mit Stützkonstruktionen oder<br />
Freitreppen. Noch heute sind in ein paar Orten<br />
Tanzlinden zu sehen. Schaut sie euch an,<br />
solange sie der Zeit noch trotzen.<br />
Die Linde in der Musik<br />
Walther von der Vogelweide hat es vorgemacht<br />
und viele griffen das Thema der Linde<br />
in ihren Liedern auf. In seinem Lied wohnt<br />
die Linde einer erfüllten Liebe bei. Zur Zeit<br />
der Romantik ist sie oft mit einer sehnsüchtigen<br />
oder unerfüllten Liebe zu Mensch und<br />
Heimatland verknüpft. Das bekannteste jener<br />
romantischen Lieder ist wohl „Am Brunnen<br />
vor dem Tore", welches früher auch den Titel<br />
„Der Lindenbaum" trug. Weitere Stücke<br />
sind beispielsweise „Keinen Tropfen mehr<br />
im Becher", „Der Mai ist gekommen" und<br />
„Hoch auf dem gelben Wagen". Meist geht<br />
es um einen Wanderer, der aus seiner Heimat<br />
fort musste und sich an ein Mädchen erinnert,<br />
welches er dort geliebt hat, oder der auf<br />
der Wanderschaft für kurze Zeit unter einer<br />
Linde Heimat findet.<br />
Flöten hör ich und Geigen,<br />
lustiges Baßgebrumm,<br />
junges Volk im Reigen<br />
tanzt um die Linde herum.<br />
Wirbelnde Blätter im Winde,<br />
es jauchzt und lacht und tollt,<br />
ich bliebe so gern bei der Linde;<br />
aber der Wagen, der rollt.<br />
(aus: „Hoch auf dem gelben Wagen“)<br />
Es wird immer von der Eiche als dem Baum<br />
der Deutschen gesprochen. Mag sie auch für<br />
Stärke und Stolz stehen, so ist es doch eindeutig<br />
die Linde, durch die die emotionale<br />
Verbindung der Menschen zueinander und<br />
zu ihrer Heimat dargestellt wird.<br />
Die Linde als Heil- und Zauberpflanze<br />
Mit unseren heutigen Analysemethoden<br />
wissen wir, dass Flavone die Aderwände<br />
stärken, die Durchblutung und die Aufnahme<br />
von Vitamin C, D und Calcium fördern. Die<br />
Gerbstoffe der Linde lindern Ekzeme, Entzündungen,<br />
Schwellungen und helfen bei<br />
Darmerkrankungen.<br />
Früher war dieses Wissen noch nicht wissenschaftlich<br />
belegt, wurde dafür aber konsequent<br />
angewandt. Gerade die Linde ist ein<br />
Allroundtalent, was ihre positive Wirkung<br />
auf die Physis des Menschen angeht. Sie<br />
wirkt schweißtreibend, fiebersenkend und<br />
schleimlösend bei Erkältungen. Bei Magenund<br />
Darmkrankheiten wirkt sie spasmolytisch.<br />
Diese Liste könnte fast endlos weitergeführt<br />
werden. Die Menschen sahen herzförmige<br />
Blätter, benutzten sie gegen Herzkrankheiten<br />
und voilá, Dank der Flavone<br />
funktionierte die Behandlung. Plinius der Ältere<br />
behandelte damit Geschwüre und Hildegard<br />
von Bingen wendete die Linde bei Augenkrankheiten<br />
an. Im Gegensatz zu vielen<br />
anderen pflanzlichen Arzneimitteln ist die<br />
Linde auch angenehm im Geschmack und<br />
man kann nahezu jeden Bestandteil gegen irgendein<br />
Leiden verwenden.<br />
Lindenblütenhonig oder -tee kann man auch<br />
einfach so genießen oder letzteren zur Haarund<br />
Zahnpflege nutzen.<br />
In der Homöopathie wird die Linde bei Sehschwächen,<br />
inneren Blutungen und Kopfschmerzen<br />
angewendet. Auch soll sie harmonisierend<br />
auf den Geist und Charakter<br />
einwirken. Unruhige und gehetzte Menschen<br />
sollen Linden aufsuchen, um sich zu beruhigen.<br />
Allerdings wird diese Wirkung wohl<br />
eher von Mensch zu Mensch unterschiedlich<br />
ausgeprägt sein.<br />
Die Linde gilt in der Magie auch als Schutzbaum.<br />
Wird ein magischer Kreis mit Lindenholz<br />
errichtet oder ein Ritual unter einer Linde<br />
abgehalten, sollen diese unanfälliger gegen<br />
äußerliche Störungen oder böse Geister<br />
sein. Man spricht der Linde auch die Fähigkeit<br />
zu, Probleme und Sorgen von den Menschen<br />
nehmen zu können. Hierfür spricht<br />
man das Belastende bewusst unter einer Linde<br />
aus und atmet ein paar Mal tief ein und<br />
aus. Glaubt man an die Macht der Linde,<br />
fühlt man sich augenblicklich erleichtert.<br />
Auch gegen Blitzschlag und Dämonen soll<br />
die Linde ein gutes Mittel sein. Die Eheschließung<br />
unter einer Linde bewirkt innige,<br />
langlebige Liebe und Fruchtbarkeit. Liebeszauber,<br />
auf Lindenrinde geschrieben oder mit<br />
einem Lindenstab gewirkt, verheißen besonderen<br />
Erfolg.<br />
Wie wir sehen, begleitet die Linde den Menschen<br />
seit seinen Anfängen. Sie hilft beim<br />
Hausbau, bei der Herstellung wichtiger<br />
Gebrauchsgegenstände und der Bekämpfung<br />
von Krankheiten. Linden unterstützen den<br />
Menschen in Rechts- und Liebesdingen. Viele<br />
Orte tragen eine Linde in ihrem Namen<br />
oder haben zumindest ein Gasthaus oder eine<br />
Straße, die dementsprechend benannt wurde.<br />
Das ist kein Wunder, denn schließlich stand<br />
der Lindenbaum ja lange Zeit im Mittelpunkt<br />
unserer dörflichen Gemeinschaften. Leider<br />
verträgt die Linde eine „Errungenschaft“ des<br />
Menschen gar nicht gut und ist deshalb immer<br />
seltener bei uns zu finden: Sie ist sehr<br />
empfindlich gegen Abgase. Sollte sich also<br />
jemand über sein mit Lindenblüten verklebtes<br />
Auto ärgern, so möge er bedenken, dass<br />
dies vielleicht nur ein kleiner Versuch ist,<br />
uns des Platzes der Linde zu erinnern.<br />
Quellen:<br />
Arminte<br />
R. Strassmann: Baumheilkunde, 2006.<br />
E. & K. Hollerbach: Heilen und Kochen mit<br />
der Natur, 2006.<br />
Schauer/Caspari: Der große BLV Pflanzenführer,<br />
2004.<br />
S. Fischer-Rizzi: Blätter von Bäumen, 2007.<br />
Fleischhauer/ Guthmann/ Spiegelberger:<br />
Essbare Wildpflanzen, 2010.<br />
H. Hertwig: Gesund durch Heilpflanzen,<br />
1938.<br />
Dörfler/Roselt: Heilpflanzen gestern und<br />
heute, 1989.