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Aufgabe 5 (pdf)

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Übungslektion V: Empirische Daten, Induktion<br />

Galileis Experiment der schiefen Ebene<br />

Den <strong>Aufgabe</strong>n dieser Lektion liegt ein Textausschnitt aus den Discorsi (Galilei<br />

1998) von Galileo Galilei zugrunde. Es handelt sich um die Schilderung eines<br />

Experiments, welches zeigen soll, dass sich bei der ”<br />

natürlich beschleunigten<br />

Bewegung“ (Galilei 1998, S. 146) die zurückgelegten Strecken wie die Quadrate<br />

der dafür benötigten Zeiten verhalten, in moderner Notation s ∼ t 2 . In der<br />

doppelten Zeit z. B. wird die vierfache Strecke zurückgelegt. Die Ableitung dieser<br />

Hypothese soll auf zwei verschiedene Arten rekonstruiert werden mit dem Ziel,<br />

zu sehen, welche Rolle die Schlussform der Induktion dabei spielt.<br />

Eine detaillierte und historisch adäquate Analyse des Experiments zu erarbeiten,<br />

ist hingegen nicht der Anspruch dieser Übungslektion. Für eine Diskussion<br />

des Experiments sei auf Graßhoff (2005) und Crawford (1996) verwiesen.<br />

In den unten zitierten Text wurden Nummern in eckigen Klammern eingefügt,<br />

um in den <strong>Aufgabe</strong>n auf die entsprechenden Sätze leicht Bezug nehmen<br />

zu können.<br />

Text<br />

[1] Auf einem Lineale, oder sagen wir auf einem Holzbrette von 12 Ellen Länge,<br />

”<br />

bei einer halben Elle Breite und drei Zoll Dicke, war auf dieser letzten schmalen<br />

Seite eine Rinne von etwas mehr als einem Zoll Breite eingegraben. [2] Dieselbe<br />

war sehr gerade gezogen, und um die Fläche recht glatt zu haben, war inwendig<br />

ein sehr glattes und reines Pergament aufgeklebt; [3] in dieser Rinne liess<br />

man eine sehr harte, völlig runde und glattpolirte Messingkugel laufen. [4] Nach<br />

Aufstellung des Brettes wurde dasselbe einerseits gehoben, bald eine, bald zwei<br />

Ellen hoch; [5] dann liess man die Kugel durch den Kanal fallen und verzeichnete<br />

in sogleich zu beschreibender Weise die Fallzeit für die ganze Strecke: [6]<br />

häufig wiederholten wir den einzelnen Versuch, zur genaueren Ermittelung der<br />

Zeit, und fanden gar keine Unterschiede, auch nicht einmal von einem Zehntheil<br />

eines Pulsschlages. [7] Darauf liessen wir die Kugel nur durch ein Viertel der<br />

Strecke laufen, [8] und fanden stets genau die halbe Fallzeit gegen früher. [9]<br />

Dann wählten wir andere Strecken, [10] und verglichen die gemessene Fallzeit<br />

mit der zuletzt erhaltenen und mit denen von 2/3 oder 3/4 oder irgend anderen<br />

Bruchtheilen; [11] bei wohl hundertfacher Wiederholung fanden wir stets, [12]<br />

dass die Strecken sich verhielten wie die Quadrate der Zeiten: [13] und dieses<br />

zwar für jedwede Neigung der Ebene, d. h. des Kanales, in dem die Kugel lief.<br />

[. . .] [14] Zur Ausmessung der Zeit stellten wir einen Eimer voll Wasser auf, in<br />

dessen Boden ein enger Kanal angebracht war, durch den ein feiner Wasserstrahl<br />

sich ergoss, der mit einem kleinen Becher aufgefangen wurde, während einer jeden<br />

beobachteten Fallzeit: [15] das dieser Art aufgesammelte Wasser wurde auf<br />

einer sehr genauen Waage gewogen; [16] aus den Differenzen der Wägungen<br />

erhielten wir die Verhältnisse der Gewichte und die Verhältnisse der Zeiten,<br />

1


[17] und zwar mit solcher Genauigkeit, dass die zahlreichen Beobachtungen niemals<br />

merklich (di un notabile momento) von einander abwichen.“ (Galilei 1998,<br />

S. 162f.)<br />

<strong>Aufgabe</strong> 1<br />

Der oben zitierte Text lässt sich in verschiedene Klassen von Aussagen unterteilen:<br />

a) Einige Sätze (oder Teilsätze) sind Konstruktionsvorschriften. Diese geben die<br />

Teile der experimentellen Anordnung und die Abläufe an, die im Laufe des<br />

Experiments nicht verändert werden. Dies sind sozusagen die Hintergrundbedingungen<br />

des Experiments.<br />

b) Andere Sätze sind Situationsbeschreibungen. Durch sie werden verschiedene<br />

Situationen charakterisiert, die im Laufe des Experiments realisiert werden.<br />

c) Eine weitere Klasse sind die Beobachtungsaussagen. Diese Sätze beschreiben,<br />

welche Werte gewisse Grössen und Eigenschaften in den verschiedenen<br />

Situationen annehmen.<br />

d) Ausserdem gibt es eine Klasse von Sätzen, die Replikationsangaben, durch<br />

welche mitgeteilt wird, wie oft eine bestimmte der durch die Situationsbeschreibungen<br />

charakterisierten Situationen realisiert wird und ob sich trotz<br />

der unterstellten Gleichheit der Wiederholungen Unterschiede beobachten<br />

lassen.<br />

Teilen Sie jeden Satz (oder Teilsatz) einer der vier Klassen zu.<br />

<strong>Aufgabe</strong> 2<br />

Aus den Situationsbeschreibungen geht hervor, dass im Laufe des Experiments<br />

die Neigung der Ebene variiert wird. Verschiedene Neigungen der Ebene entsprechen<br />

verschiedenen Situationen, die im Laufe des Experiments realisiert werden.<br />

Im folgenden lassen wir diesen Aspekt unberücksichtigt und betrachten nur ein<br />

Teilexperiment, bei dem die Neigung der Ebene festgehalten wird. Das Teilexperiment<br />

besteht also darin, auf einer schiefen Ebene (mit festgehaltener Neigung)<br />

eine Kugel laufen zu lassen und zu messen, wieviel Zeit die Kugel braucht, um<br />

bestimmte Strecken zu durchlaufen.<br />

Kann aus diesen endlichen Versuchsreihen geschlossen werden, dass in beliebig<br />

vielen Wiederholungen immer gilt, dass die Strecke proportional zum Quadrat<br />

der Zeit ist? Wie kann diese Hypothese abgeleitet werden? Die Replikationsangaben<br />

(Sätze der Klasse d) könnten so interpretiert werden, dass per<br />

Induktion auf die Hypothese s∼t 2 geschlossen werden kann.<br />

2


<strong>Aufgabe</strong> 2a<br />

Vervollständigen Sie, wie gewohnt, das folgende Ableitungsschema, in dem die<br />

Schlussregel der Induktion verwendet wird. Der experimentelle Aufbau und Ablauf<br />

(siehe Konstruktionsvorschriften) gehen als ”<br />

Definition des Experiments“<br />

in das Ableitungsschema ein; der empirische Befund (siehe Beobachtungsaussagen)<br />

als ”<br />

Beobachtung“. Geben Sie auch an, auf welche Zeilen Schlussregeln<br />

angewendet werden. Vervollständigen Sie auch, wie üblich, die vierte Spalte.<br />

1 Experiment = Experimenteller Aufbau und Ablauf<br />

wie in Konstruktionsvorschriften beschrieben<br />

2 In den Wiederholungen Nr.1 bis Nr.100 des Experiments<br />

(siehe Definition in Zeile 1) ist s∼t 2 .<br />

3 In beliebigen Wiederholungen des Experiments<br />

ist s∼t 2 .<br />

<strong>Aufgabe</strong> 2b<br />

Geben Sie explizit an, wie die Schlussregel der Induktion in diesem Fall lautet.<br />

<strong>Aufgabe</strong> 2c<br />

Rekapitulieren Sie: Unter welchen Voraussetzungen ist die Konklusion (Zeile 3)<br />

des Arguments gemäss dieser Rekonstruktion wahr?<br />

<strong>Aufgabe</strong> 3<br />

<strong>Aufgabe</strong> 3a<br />

Das in <strong>Aufgabe</strong> 2 präsentierte Argument verwendet die Schlussregel der Induktion.<br />

Diese Schlussregel ist (zumindest wenn nicht zusätzliche Bedingungen<br />

unterstellt werden) nicht wahrheitserhaltend. Wie könnte eine Ableitung der<br />

Hypothese s∼t 2 aussehen, in der nur wahrheitserhaltende Schlussregeln verwendet<br />

werden?<br />

Vervollständigen Sie, wie gewohnt, das folgende Ableitungsschema, das ohne<br />

die Schlussregel der Induktion auskommt. Es sollen nur wahrheitserhaltende<br />

Schlussregeln verwendet werden. Dafür müssen zusätzliche Annahmen eingeführt<br />

werden. Versuchen Sie diesen neuen Annahmen aussagekräftige Namen<br />

zu geben.<br />

3


1 Experiment = Experimenteller Aufbau und Ablauf<br />

wie in Konstruktionsvorschriften beschrieben<br />

2 In den Wiederholungen Nr.1 bis Nr.100 des Experiments<br />

(siehe Definition in Zeile 1) ist s∼t 2 .<br />

3 Wiederholungen des Experiments unterscheiden<br />

sich nicht in relevanter Hinsicht bezüglich des Bewegungsverhaltens<br />

der Kugel.<br />

4 Wenn sich Wiederholungen des Experiments nicht<br />

in relevanter Hinsicht bezüglich eines Prozesses unterscheiden,<br />

dann läuft dieser Prozess in beliebigen<br />

Wiederholungen immer gleich ab.<br />

5 Bewegungsprozesse laufen in beliebigen Wiederholungen<br />

des Experiments immer gleich ab.<br />

6 In beliebigen Wiederholungen des Experiments ist<br />

s∼t 2 .<br />

Einsetzen (Z2,Z5)<br />

<strong>Aufgabe</strong> 3b<br />

Rekapitulieren Sie: Unter welchen Voraussetzungen ist die Konklusion (Zeile 6)<br />

des Arguments gemäss dieser Rekonstruktion wahr?<br />

Zusatzaufgabe<br />

Galilei scheint die Rollenergie der Kugel nicht zu berücksichtigen. Was für Konsequenzen<br />

hat das für die Beurteilung seiner Experimente auf der schiefen Ebene<br />

und seiner Experimente zum freien Fall?<br />

Literatur<br />

Crawford, F. S.: 1996, Rolling and slipping down Galileo’s inclined plane:<br />

Rhythms of the spheres, American Journal of Physics 64(5), 541–546.<br />

Galilei, G.: 1998, Unterredungen und mathematische Demonstrationen über zwei<br />

neue Wissenszweige, die Mechanik und die Fallgesetze betreffend (1638),<br />

Vol. 11 der Ostwalds Klassiker der Exakten Wissenschaften, Verlag Harri<br />

Deutsch, Thun und Frankfurt am Main. Aus dem ital. und lat. übers. und<br />

hrsg. von A. von Oettingen. – 4. Aufl., Repr. [der Ausg. Leipzig, Engelmann,<br />

1890 - 1904].<br />

Graßhoff, G.: 2005, in C. Jönsson & A. Fässler (Hrg.), Die Top Ten der<br />

schönsten physikalischen Experimente, Rowohlt.<br />

4

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