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Der Kuss des Leprösen

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<strong>Der</strong> <strong>Kuss</strong> <strong>des</strong> <strong>Leprösen</strong> - Franz von Assisi und der Beginn einer neuen<br />

Lebensform.<br />

Die wichtigsten Stationen und wesentlichen Grundlagen seines Lebens für die Bruderschaft angesichts<br />

seines bevorstehenden To<strong>des</strong> in einem Testament zusammenfassend schreibt Franziskus von<br />

Assisi:<br />

So hat der Herr mir, dem Bruder Franziskus, gegeben, das Leben der Buße zu beginnen: denn als<br />

ich in Sünden war, kam es mir sehr bitter vor, Aussätzige zu sehen. Und der Herr selbst hat mich<br />

unter sie geführt, und ich habe ihnen Barmherzigkeit erwiesen. Und da ich fortging von ihnen, wurde<br />

mir das, was mir bitter vorkam, in Süßigkeit der Seele und <strong>des</strong> Leibes verwandelt. Und danach<br />

hielt ich eine Weile inne und verließ die Welt. (Test 1-3)<br />

Franziskus selbst beschreibt im Lebensrückblick die Begegnung mit dem Aussätzigen als entscheidenden<br />

Wendepunkt seines Lebens. Die Bedeutung dieses Ereignisses soll hier vor dem zeitgenössischen<br />

Hintergrund, im Blick auf die daraus erwachsenen Folgen für das Leben <strong>des</strong> Franziskus und<br />

seiner Brüder, erhellt werden. In einem ersten Schritt muss dazu die Bedeutung der Krankheit Aussatz<br />

und die Situation <strong>des</strong> Aussätzigen geklärt werden. Die Krankheit Aussatz ist seit dem Altertum<br />

bekannt und gelangte wahrscheinlich durch römische Truppen nach Europa. Vor allem im Zuge der<br />

Kreuzzüge verbreitete sie sich erneut und erreichte im 13. Jahrhundert, also in der Zeit <strong>des</strong> Franziskus,<br />

wohl den Höhepunkt ihrer Verbreitung in Europa. Allerdings kann nicht von einer Epidemie,<br />

wie etwa bei der Pest oder Syphilis, gesprochen werden, die ganze Landstriche entvölkerte. Die Forschung<br />

geht davon aus, dass im 13. Jahrhundert etwa 2 bis 3 Prozent der Bevölkerung von einer<br />

Form <strong>des</strong> Aussatzes befallen waren. Dabei waren alle Gesellschaftsschichten davon betroffen. Ob<br />

Reiche, Fürsten, Bischöfe, Mönche, Kaufleute oder Arme: jeder konnte von dieser Krankheit befallen<br />

werden. Ebenso muss festgestellt werden, dass trotz guter Kenntnisse der medizinischen Symptome<br />

der Aussatz nicht immer von verschiedenen anderen Hautkrankheiten unterschieden werden<br />

konnte. So zählten viele zu den Aussätzigen, die eigentlich an einer nicht ansteckenden Hautkrankheit<br />

litten. Die Krankheit selbst hat eine lange Inkubationszeit (Jahre bis Jahrzehnte) und nimmt<br />

eine langsame Entwicklung, so dass viele Aussätzige durchaus lange Zeit mehr oder weniger unerkannt<br />

unter der gesunden Bevölkerung weiterleben konnten. Keineswegs zählten die Aussätzigen<br />

<strong>des</strong> Mittelalters zu den Ärmsten der Armen. Im Normalfall waren diese Kranken, egal aus welcher<br />

gesellschaftlichen Schicht sie kamen, relativ gut versorgt. Aufgrund einer entsprechenden Interpretation<br />

durch die Kirchenväter, vor allem Gregor der Große, jener Bibelstellen, die von der Heilung<br />

verschiedener <strong>Leprösen</strong> durch Jesus Christus berichten, galten diese Kranken als vom „Herrn bevorzugte“<br />

Leidenden. Jede Gemeinde und je<strong>des</strong> Bistum war von daher verpflichtet auf ihrem Gebiet für<br />

die Aussätzigen entsprechende Hospize und Stiftungen zu errichten. Diese trugen meist den Namen<br />

<strong>des</strong> hl. Lazarus oder später auch der hl. Magdalena. Entsprechend der medizinischen Kenntnisse


und Möglichkeiten <strong>des</strong> Mittelalters waren so die <strong>Leprösen</strong>, im Vergleich mit anderen Armen, gut<br />

versorgt. Für die Lebenszeit <strong>des</strong> Franziskus können allein für die Stadtkommune und das Bistum<br />

Assisi acht solcher Hospize nachgewiesen werden. Davon drei in unmittelbarer Nähe von Portiunkula.<br />

Ebenso befanden sich in der Nähe <strong>des</strong> Landbesitzes von Pietro Bernardone, dem Vater <strong>des</strong><br />

Franziskus, zwei solche Aussätzigenniederlassungen. Franziskus hatte also häufig Gelegenheit diesen<br />

Kranken zu begegnen. Diese Hospize entsprachen geistlichen Körperschaften und Bruderschaften<br />

in Form von religiösen Genossenschaften. Diese waren mit eigenen Rechten und Statuten (Leprosenordnung)<br />

versehen, die die Versorgung und den konkreten Alltag der Kranken regelten.<br />

Durch vielfältige Stiftungen waren diese Hospize auch finanziell abgesichert. Manches Hospiz<br />

brachte es zu so großen Besitztümern und Reichtum, dass sie auch innerhalb der mittelalterlichen<br />

Gesellschaft eine sozialpolitische Macht darstellten. Innerhalb <strong>des</strong> Hospizes lebten die Aussätzigen,<br />

wohlgemerkt egal aus welcher gesellschaftlichen Stellung sie kamen, in Gütergemeinschaft unter<br />

der Leitung eines Leprosenmeisters. Sie trugen eine gemeinsame Kleidung, ein graues Gewand mit<br />

Umhang und Kapuze, die durchaus an die Bekleidung religiöser Gemeinschaften erinnerte. Sie hatten<br />

das Recht auf eine eigene Kirche, eigene Gottesdienste und einen eigenen Geistlichen. Meist<br />

wurden diese Hospize zwar außerhalb der Städte und Ortschaften aber in der Nähe von Hauptverkehrswegen<br />

errichtet, um den Kranken im Notfalle das eingeschränkte Betteln zu ermöglichen.<br />

Auch dieser Bettel war durch die religiöse Gesellschaftsordnung abgesichert. Sollte die Stiftung <strong>des</strong><br />

Hospizes nicht für die Versorgung der Kranken ausreichen hatten diese ein Anrecht darauf zur<br />

„mensa sancti spiritus“, zum Tisch <strong>des</strong> Heiligen Geistes, Zuflucht zu nehmen. Mit anderen Worten,<br />

jeder der einen bettelnden Aussätzigen antraf war zu einer Gabe verpflichtet. Die Verweigerung eines<br />

solchen Werkes der Barmherzigkeit galt als schwere Sünde. Diese geschichtlichen Fakten mögen<br />

zunächst die Situation der <strong>Leprösen</strong> gar nicht so negativ erscheinen lassen. Dennoch muss festgestellt<br />

werden, dass es sich bei den Aussätzigen, um die Ausgestoßenen <strong>des</strong> Mittelalters handelt.<br />

Zunächst einmal ausgehend von der Vorstellung, dass diese Krankheit als hochgradig ansteckend<br />

und unheilbar galt, wurden die <strong>Leprösen</strong> immer mehr aus dem normalen Alltagsleben der Städte<br />

und Orte verdrängt. Schließlich bestimmte das dritte Laterankonzil von 1179 die totale Absonderung<br />

der Aussätzigen von den gesunden Menschen. Die Behörden einer Stadtgemeinde wurden verpflichtet<br />

zu Beginn einer jeden Amtszeit eine regelrecht Durchsuchung <strong>des</strong> Gebietes auszuführen,<br />

um eventuelle Aussätzige aufzuspüren. Jeder Pfarrer wurde, unter Androhung von Exkommunikation,<br />

angewiesen beim bloßen Verdacht auf eine Lepraerkrankung sofort Anzeige zu erstatten. Die<br />

Betroffenen wurden dann einer Art medizinisch-religiöser Untersuchungen unterzogen. Bei geringstem<br />

Verdacht wurden sie für das Hospiz bestimmt. In einem feierlichen Rechtsakt mussten sie sich<br />

aller ziviler Rechte und Besitztümer entkleiden und in einem anschließenden kirchlichen Ritus wurden<br />

sie dazu bestimmt und ausgeweiht die Welt zu verlassen. Damit waren sie für die religiöse


Ständeordnung <strong>des</strong> Mittelalters nicht mehr existent. Mancherorts wurde auch die Totenmesse gelesen.<br />

Mit dieser radikalen Ausgrenzung verbinden sich auch sehr schnell wieder negative religiöse<br />

Vorstellungen. Diesem leistete eine Fehldeutung <strong>des</strong> Infektionsmechanismus Vorschub. Man wusste<br />

nicht, dass diese Krankheit durch Tröpfchen über den Hals-Nase-Weg übertragen wurde, sondern<br />

vermutete eine genitale Übertragung. Folglich war es ganz klar, der Aussatz war die Strafe Gottes<br />

für eine sexuelle Sünde. So wurde diese Krankheit immer mehr als Folge einer schuldhaften Verstrickung<br />

und Strafe für einen unchristlichen Lebenswandel angesehen. Folglich mussten sich die<br />

Kranken fortan in ihren Hospizen einem strengen Bußleben unterwerfen, um für ihre Sünde Genugtuung<br />

zu leisten. Damit war der Aussätzige nicht nur mit einer unheilbaren Krankheit konfrontiert,<br />

sondern fand sich auch als Ausgestoßener und religiös gebrandmarkter Mensch ohne Hoffnung auf<br />

Erlösung wieder. Diesen Menschen, die eigentlich nicht mehr als solche angesehen wurden, begegnete<br />

Franziskus häufig und mit großem Widerwillen, wie uns die Biografien berichten: Denn so widerwärtig<br />

war ihm, wie gesagt, der Anblick der Aussätzigen, dass er sie nicht nur keinesfalls sehen,<br />

sondern noch viel weniger ihrer Behausung nahe kommen wollte. (3Gef. 11). Dieses Verhalten <strong>des</strong><br />

Franziskus gegenüber den Aussätzigen dürfte wohl dem der meisten seiner Zeitgenossen entsprochen<br />

haben. Um diesen religiös und gesellschaftlich Ausgestoßenen in anderer Weise zu begegnen<br />

bedurfte es erst einiger einschneidender Erlebnisse im Leben <strong>des</strong> Franziskus. Diese können hier nur<br />

summarisch aufgeführt werden: der verlorene Krieg zwischen Assisi und Perugia, das Jahr in Gefangenschaft,<br />

die schwere Krankheit, der gescheiterte Versuch an einem Kreuzzug teilzunehmen,<br />

das planlose Herumirren auf der Suche nach einem neuen Lebenssinn und das Aufkommen eines<br />

starken Schuldgefühles mit einem ausgeprägten Bewusstsein für die eigene Sünde und Schuld.<br />

Franziskus musste selbst erst die harte Erfahrung der eigenen Verletzlichkeit und der eigenen Verwundungen<br />

machen, bevor er fähig wurde sich gegenüber den Aussätzigen zu öffnen. Das Franziskus<br />

auf diesem Wege unter die Aussätzigen geführt wurde sieht er als Fügung Gottes. Er erwies ihnen<br />

jene Barmherzigkeit, jene menschliche Zuwendung, die er selbst auch für seine eigene Lebenssituation<br />

nötig hatte. Die meisten Biografien schildern uns nicht nur den Handkuss, den Franziskus<br />

dem Ausgestoßenen gab, sondern berichten, dass der Aussätzige diese menschliche Geste erwiderte,<br />

indem er Franziskus den Friedensgruß schenkte. Da wandelte sich Franziskus, das was bisher bitter<br />

erschien in Süßigkeit und was bisher süß war wurde in Bitterkeit verwandelt. Diese menschliche<br />

Begegnung wurde für Franziskus zur wirklichen Lebenswende. Seine bisherigen Wertevorstellungen<br />

und Kriterien die Welt, die Kirche und die Gesellschaft seiner Zeit zu beurteilen und damit auch<br />

sein eigenen Lebensmaßstäbe wurden radikal verwandelt. Diese existenzielle Erfahrung der Begegnung<br />

eröffnete Franziskus eine neue Wertewelt, die ihn veranlasste die Werte und Kriterien, die Logik<br />

seiner Zeit, der Kirche und Gesellschaft, zu verlassen und eine neues Leben unter und mit den<br />

Aussätzigen zu beginnen. Und danach hielt ich eine Weile inne und verließ die Welt. <strong>Der</strong> Aussätzi-


ge hatte Franziskus, indem er seinen menschlichen Gruß mit dem Friedensgruß erwiderte, eine<br />

neue Lebensperspektive, neue Maßstäbe und einen Sinn vermittelt.<br />

In dieser echten menschlichen und gegenseitigen Zuwendung vermochte Franziskus im späteren Lebensrückblick<br />

das Wirken Gottes auszumachen und er selbst sah dieses Ereignis als entscheidenden<br />

Moment seiner Bekehrung an. Von da an überwand er die Ausgrenzung dieser Kranken und wird zu<br />

ihrem besonderen Freund, der nicht nur ihr Leben teilt, sondern auch Elemente <strong>des</strong> Lebens der Aussätzigen<br />

für sich und seine dann entstehende Brüdergemeinschaft übernahm. Aber durch die Gnade<br />

Gottes wurde er so sehr ein Vertrauter und Freund der Aussätzigen, dass, wie er selbst in seinem<br />

Testament bezeugt, er unter ihnen lebte und ihnen demütig diente. (3 Gef.) Inwieweit das Leben der<br />

Aussätzigen zum Beispiel die Kleidung der Brüder, ihren Tagesablauf, das Almosensammeln und<br />

selbst die Regel beeinflusste ist noch nicht genügend untersucht. Aber es scheint Ähnlichkeiten zwischen<br />

der Kleidung, der Regel, dem Gebetsleben der Brüder und der Kleidung, den Statuten und<br />

dem geregelten Gebet der Aussätzigen zu geben. Sicher ist jedenfalls, dass es schon sehr früh eine<br />

Art <strong>des</strong> Noviziates gab, welches die neuen Brüder im Dienst an den Aussätzigen verbrachten. Auch<br />

ist belegt, dass die Brüder unterwegs hauptsächlich in <strong>Leprösen</strong>hospizen übernachteten. Auch neue<br />

Niederlassungen wurden meist bei oder zumin<strong>des</strong>t in der Nähe von Aussätzigenhäusern eingerichtet.<br />

(z.B. in Speyer u. Erfurt vgl. Jord 33, 39, 44) Mit großer Wahrscheinlichkeit haben die Brüder<br />

selbst unter Franziskus ein solches Hospiz gegründet. Zumin<strong>des</strong>t gibt es starke Hinweise darauf,<br />

dass das den hl. Lazaro und Maurizio geweihte Hospiz Valloncello bei Spoleto 1218 von Franziskus<br />

und den Brüdern gegründet wurde. Eventuell für Brüder, die selber an Aussatz erkrankt waren. Dieser<br />

äußeren menschlichen Zuwendung zu den Aussätzigen entsprach bei Franziskus eine innere Einstellung,<br />

die, wiederum mehrfach in den Biografien belegt, sich besonders in der Art und Weise,<br />

wie Franziskus von den Aussätzigen sprach zeigte. Brüder in Christo pflegte der selige Franziskus<br />

die Aussätzigen zu nennen. (Sp 58) In Christus sah Franziskus die Aussätzigen als zu seiner eigenen<br />

Bruderschaft gehörig an. In seiner theologischen Ausdeutung <strong>des</strong> Franziskuslebens berichtete später<br />

Bonaventura davon, dass Franziskus in den Aussätzigen Christus selbst gesehen und gedient habe.<br />

Von dieser Zeit an zog er den Geist der Armut, den demütigen Sinn und das Streben herzlichen Erbarmens<br />

an. Wenn ihn nämlich früher nicht nur beim Umgang mit Aussätzigen, sondern schon bei<br />

deren Anblick aus der Ferne heftiger Ekel überkam, so erwies er nun rein um der Liebe <strong>des</strong> gekreuzigten<br />

Christus willen, der nach <strong>des</strong> Propheten Wort wie ein Aussätziger verachtet erschien, den<br />

Aussätzigen in wohltätigem Erbarmen Dienste der Demut und der Hilfsbereitschaft, um sich selbst<br />

vollständig zu verachten. Auch wenn Bonaventura hier schon die Realität der Aussätzigenbegegnung<br />

theologisiert und spiritualisiert, im Kern bringt er jene innere Haltung <strong>des</strong> Franziskus zur<br />

Sprache, die zwischen den Aussätzigen und Jesus Christus in seiner Passion eine enge Verbindung<br />

erspürte. Aufgrund der großen Bedeutung, die das Leben unter und der Dienst an den Aussätzigen


ei Franziskus und den ersten Brüdergenerationen einnahm kann festgestellt werden, dass der Liebesdienst<br />

an den Aussätzigen wesentliche zum Urcharisma der franziskanischen Bewegung gehörte.

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