28.12.2013 Aufrufe

Predigt als PDF

Predigt als PDF

Predigt als PDF

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Erfolgreiche ePaper selbst erstellen

Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.

Palmsonntag, 24. März 2013, 18 Uhr<br />

Kaiser-Wilhelm-Gedächtnis-Kirche<br />

Pfarrer i.R. Peter Freybe<br />

Als Gast: Ender Cetin, Vorsitzender der Sehitlik-Moschee, Neukölln<br />

(kurzfristig stellvertretend für ihn: Herr Ron Weber, Dialogbeauftragter)<br />

Gottesdienstreihe „Toleranz im religiösen Dialog“:<br />

„Gott, der Allmächtige und Allgütige – wie kann er Leid zulassen?“<br />

-------------------------------------------------------------------------------------------------<br />

Liebe Gemeinde, liebe Gäste!<br />

„Im Namen Gottes, des Erbarmers, des Barmherzigen!“<br />

Und wenn wir an den einen und einzigen Gott glauben, dann sage ich auch gern:<br />

„Im Namen Allahs, des Erbarmers, des Barmherzigen!“<br />

So steht es vor jeder der 114 Suren (außer einer, der 9.) im Koran. So eindeutig<br />

scheint es zu sein: Der Anfang und das Ende ist Gott, Allah – der Erbarmer, der<br />

Barmherzige!<br />

Im Arabischen bedeutet das Wort „Erbarmer“ so viel wie „Gebärmutter“. Also<br />

der Ort, aus dem alles Leben geboren wird. Das Erbarmen ist gleichsam die<br />

Mutter allen Lebens. Und der Erbarmer ist der Vater unseres Lebens. Und wo<br />

immer wir uns über andere erbarmen, sind wir Menschen die Ebenbilder Gottes.<br />

Und nun heute <strong>als</strong>o: „Gott, der Allmächtige und Allgütige – wie kann der Leid<br />

zulassen?“ Was für eine Menschheitsfrage durch alle Zeiten hindurch – die<br />

Frage aller Fragen: „Warum?“ Wenn wir nach einer Antwort suchen, dann heißt<br />

das heute für mich: Dieser allmächtige und allgütige Gott kann kein anderer sein<br />

– <strong>als</strong> der Erbarmer, der Barmherzige! Und das „All“ in allmächtig und allgütig<br />

muss sich definieren durch die All-Barmherzigkeit Gottes. Der allmächtige Gott<br />

1


ist dann nicht einer, der alles will und kann. (Er will z.B. den runden Mond nicht<br />

eckig machen…) Es geht nicht um Quantitäten. Und der allgütige Gott ist dann<br />

jedenfalls der, der will, dass alles gut wird. Das ist seine Qualität!<br />

Ja, am Ende soll es so sein, wie es das Neue Testament unserer Bibel sagt<br />

(1.Kor. 15), dass Gott „Alles in allem“ ist! D.h.: alles Erbärmliche und<br />

Erbarmungslose dieser Welt wird eingeschlossen und umfangen sein von Gott,<br />

dem barmherzigen Erbarmer. Alles in allem.<br />

Und dann nun die große, oft so quälende Frage: „Warum das alles?“<br />

Wir kennen alle diese Warum-Fragen: Warum musste das geschehen? Warum<br />

dieses Elend in der Welt: die unheilbare Krankheit, die kleinen Kindern die<br />

Mutter nimmt; der Unfall, der ein Leben so jäh und sinnlos zerstört; der Mord an<br />

einem wehrlosen Menschen? Warum diese Konzentrationslager und der<br />

Archipel Gulag dam<strong>als</strong>? Warum die Folterkeller heute immer noch? Jeder von<br />

uns könnte diese quälende Fragenreihe verlängern. Und dabei kommt dann<br />

natürlich sehr schnell auch die Frage: Wie kann Gott all dieses Leid zulassen?<br />

Eine radikale Infragestellung dieses so fraglichen Gottes finden wir schon bei<br />

dem griechischen Philosophen Epikur (um 300 v. Christus):<br />

„Gott will entweder die Übel nicht beseitigen oder er kann es nicht; oder er kann<br />

es, will aber nicht; oder er will weder noch kann er es; oder er will es und kann<br />

es. Wenn er es kann, und nicht will, so ist er missgünstig, was Gott billigerweise<br />

fremd sein sollte. Wenn er es weder will noch kann, so ist er missgünstig und<br />

schwach und daher auch kein Gott. Wenn er es aber will und kann, was allein<br />

Gott zukommt, woher stammen <strong>als</strong>o die Übel und warum beseitigt er sie nicht?“<br />

Ja, es kann einem schon schwindlig werden bei all diesem Fragen nach dem<br />

Leid der Welt!<br />

2


Ich nehme einen neuen Anlauf. Ich möchte so gern festhalten an dem, was so<br />

viele Menschen der Bibel geglaubt und gelebt haben. Im Psalm der Hebräischen<br />

Bibel (130, 8) werden wir erinnert: „Barmherzig ist der Herr und von großer<br />

Güte. Er wird nicht für immer hadern, noch ewig zornig sein.“ Und dann die<br />

alte Hiobs-Klage und Frage: ’Herr, wie lange noch?’ Aber dazu dann eben auch<br />

diese Hiobs-Geduld, noch im Neuen Testament wird davon erzählt (Jak. 5,1):<br />

„Von der Geduld Hiobs habt ihr gehört und habt gesehen, wie’s der Herr<br />

hinausführt; denn der Herr ist barmherzig und ist ein Erbarmer.“ Da ist er wieder<br />

und immer noch: der Erbarmer.<br />

Jesus nimmt einen neuen Anlauf. Heute am Palmsonntag zieht Jesus in der Stadt<br />

des Friedens, in Jerusalem ein. Und das Volk ist begeistert. Jetzt wird er alle<br />

Fragen nach Freud und Leid beantworten. Aber – und das ist schon bezeichnend,<br />

er reitet nicht gewaltig und gewalttätig auf einem stolzen Ross – er zieht ein auf<br />

einem kleinen Esel – ohne Macht, ohne Gewalt, geradezu demütig. Denn er will<br />

weiter auf die Barmherzigkeit Gottes vertrauen. Es soll wahr werden und wahr<br />

bleiben, was er gelehrt und gelebt hat, <strong>als</strong> er durch die Dörfer und Städte<br />

Palästinas zog. Des verrufenen Zöllners Zachäus hat er sich erbarmt – er hat<br />

ihm die größte Ehre angetan, er ist in sein Haus zum Essen eingekehrt (Luc 19).<br />

Der stadtverrufenen Frau hat er zur Seite gestanden und sich vor sie gestellt, <strong>als</strong><br />

die rechtgläubigen Frommen sie steinigen wollten (Joh 8). Und dann hat er die<br />

Geschichte von dem barmherzigen Vater erzählt (Luc 15). Als der zerlumpte<br />

verlorene Sohn zu ihm nach Hause zurückkehrt – da kann der Vater gar nicht<br />

anders: er sieht ihn, er geht ihm entgegen, und ehe der etwas stammeln kann,<br />

breitet er seine Arme aus und drückt ihn fest an sich. Und hier steht es nun<br />

geschrieben: (ähnlich wie bei der Gebärmutter im Arabischen) “ es jammerte<br />

ihn“, es drehte ihm die Eingeweide um, das volle Erbarmen kommt über das<br />

Leid dieses Menschen: “Denn dieser mein Sohn war tot und ist wieder lebendig<br />

geworden!“ Und dann erzählt Jesus noch diese andere Geschichte vom<br />

3


„barmherzigen Samariter“. Da liegt ein Mensch, unter die Räuber gefallen und<br />

halbtot. Und zwei gläubige Volksgenossen, ein Priester und ein Tempeldiener,<br />

kommen vorbei und lassen ihn links liegen. Und ein Andersgläubiger, ein<br />

Fremder, fast ein Feind, ein Palästinenser sieht den Juden liegen und hebt ihn<br />

auf und bringt ihn zur Pflege in ein Haus. So zeigt sich die Barmherzigkeit<br />

Gottes auf Erden am hellen Tage.<br />

Mit all diesen Erfahrungen von menschlichem Leid und Freud zieht Jesus auf<br />

dem Esel in Jerusalem ein. Und ich glaube, er wusste, was er tat und was nun<br />

kommen wird: Er geht den erbarmungslosen Menschen, die der Ruf nach dem<br />

starken Mann antreibt, entgegen – und vertraut sich ganz und gar diesem – oft so<br />

unverständlichen Erbarmen des Vaters an. Im Garten wird er beten (Mt 26, 39):<br />

„Mein Vater, ist’s möglich, so gehe dieser Kelch an mir vorüber; doch nicht wie<br />

ich will, sondern wie du willst.“ Woher nimmt Jesus dieses Vertrauen, diesen<br />

Mut: Alles, was der Vater tun wird – das wird gut für mich sein!? So kann<br />

wirklich nur einer beten, der weiß, dass er in jedem Fall (!) in den Armen des<br />

Vaters und seiner Barmherzigkeit nicht verloren gehen kann.<br />

Und dann am Kreuz. ‚Die Menschen’, wir Menschen?, halten es so schlecht aus,<br />

wenn ein anderer Mensch so ganz und gar, wie Jesus, den Weg der Liebe und<br />

Barmherzigkeit bis zum letzten Ende geht und lebt. Und dazu gehören nun eben<br />

auch in Jesu Mund die alten Worte des Psalms (22). „Mein Gott, mein Gott,<br />

warum hast du mich verlassen?“ Aber, bei allem Leiden – Jesus schreit diese<br />

Worte nicht einfach so in die Gegend. Er nimmt den Barmherzigen beim Wort.<br />

„Mein“ Gott, „mein“ Gott, ruft er. DU, in deiner Liebe und Barmherzigkeit kann<br />

ich nicht auf ewig verloren und verlassen sein und bleiben! Was für ein<br />

unendliches Gottvertrauen im Leben und im Sterben! Denn Gottes All-Macht<br />

und All-Güte zeigt und bewährt sich gerade im tiefsten Leid.<br />

Liebe Gemeinde, mit dem Kopf zu verstehen ist das alles nicht.<br />

4


Aber es gibt Menschen, die böses Leid miteinander durchgestanden haben –<br />

die verstehen mehr!<br />

Inge Jens, die Frau des Tübinger Rhetorikprofessors, schreibt darüber ihr Buch.<br />

Ihr Mann, Walter Jens ist seit Jahren an schwerster Demenz erkrankt. Und die<br />

Frage, warum das alles, hat sie sich oft gestellt. Und nun schreibt sie:<br />

„Die Rückschau auf mein Leben verbietet mir, mit dem Heute zu hadern. Auf<br />

die Frage: ‚Warum muss das sein, warum trifft das gerade uns?’, wüsste ich<br />

zwar auch jetzt noch keine Antwort zu geben. Aber – das wurde mir schlagartig<br />

bewusst – diese Frage zöge unweigerlich eine zweite nach sich, die ich ebenso<br />

wenig wie die erste beantworten könnte: Warum ist es denn gerade mir – uns –<br />

so lange so ungeheuer gut ergangen? Warum war es gerade uns vergönnt, ein so<br />

interessantes, erfülltes und – trotz mancher Schwierigkeiten - glückliches Leben<br />

zu führen?“ Warum?<br />

Es scheint so: Auf alle „Warum-Fragen“ gibt es eigentlich keine Antwort.<br />

Für eine letzte Antwort – so können wir es in der Hebräischen Bibel, im Neuen<br />

Testament und im Koran lesen – eine letzte Antwort wird es aber noch geben.<br />

Diese Bücher, Glaubenszeugnisse unserer Geschichte reden von einem „letzten<br />

Gericht“ über alle Welt. Für uns kann das nach all dem Gesagten nur ein<br />

Gericht des barmherzigen Gottes sein! Gut <strong>als</strong>o, dass die Bibel von einem<br />

letzten Gericht redet. Ja, manchmal freue ich mich geradezu, dass es – Gott sei<br />

Dank – solch ein letztes Gericht gibt. Denn dann wird endlich alles klar! Dann<br />

werden wir es erleben, wie Gottes Allmacht sich darin zeigt, dass er allen, ja,<br />

allen seinen Geschöpfen sein Erbarmen und seine All-Güte zeigt. Wenn wir mit<br />

Jesus beten: „Dein Wille geschehe!“, kann das etwas anderes heißen <strong>als</strong>:<br />

5


Dass DU, barmherziger Gott, endlich und ohne Ende und ewig alles in allem<br />

bist! So möchte ich auch einen der vielen Namen Allahs im Islam verstehen:<br />

Gott – der All-Barmherzige.<br />

Und so kann das Leben dann werden, wie es im letzten Buch unserer Bibel heißt<br />

und was schon so viele Menschen in ihrem Leiden getröstet hat<br />

(Offenbarung Joh 21):<br />

„…und Gott wird abwischen a l l e Tränen von ihren Augen, und der Tod wird<br />

nicht mehr sein, noch Leid, noch Geschrei noch Schmerz wird mehr sein; denn<br />

das Erste ist vergangen…Siehe, ich mache a l l e s neu!“<br />

Amen<br />

6

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!