Auszug der Ausgabe Juli / August 2011 - Deutscher Marinebund
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Leinen los!<br />
Magazin des größten deutschen maritimen Interessenverbandes<br />
Heft 4-<strong>2011</strong><br />
<strong>Juli</strong>/<strong>August</strong><br />
Einzelpreis: 3,75 €<br />
ISSN: 1432-9069<br />
Live-Konzert am Marine-Ehrenmal
Editorial<br />
Liebe Leserin, lieber Leser,<br />
es sind nur noch wenige Wochen<br />
bis zum Konzert des Marinemusikkorps<br />
Ostsee am 9. <strong>August</strong> im Innenhof<br />
des Marine-Ehrenmales in Laboe.<br />
Der DMB wird in und um Laboe alles<br />
Erfor<strong>der</strong>liche tun, um auch in diesem<br />
Jahr wie<strong>der</strong> zahlreiche Besucher auf<br />
das Gelände des MEM zu locken.<br />
In das Konzept einer aktiven Öffentlichkeitsarbeit<br />
gehört ebenfalls<br />
die Aufführung <strong>der</strong> Oper „Zauberflöte“<br />
am 26. <strong>August</strong>. Ich bin sicher, auch<br />
<strong>2011</strong> wird <strong>der</strong> Innenhof des Ehrenmales<br />
wie<strong>der</strong> bis auf den letzten Platz gefüllt<br />
sein – und so mancher Klassikfan<br />
wird danach neugierig auf Inhalte<br />
und Bedeutung des MEM sein und<br />
später einen Besuch einplanen – und<br />
dies nicht nur <strong>der</strong> grandiosen Aussicht<br />
wegen. Wir vom DMB wünschen uns<br />
natürlich für beide Veranstaltungen,<br />
dass vor allem die Kameradinnen und<br />
Kameraden aus den nördlichen Landesverbänden<br />
Präsenz zeigen. Wie<br />
groß das Interesse innerhalb <strong>der</strong> Leserschaft<br />
unseres Magazins war, zeigt<br />
die unglaublich hohe Beteiligung an<br />
unserem Preisrätsel. An dieser Stelle<br />
möchte ich denjenigen gratulieren, die<br />
Karten für die „Zauberflöte“ gewonnen<br />
haben und sich Ende <strong>August</strong> auf<br />
den Weg nach Laboe machen dürfen.<br />
Übrigens: Die weiteste Reise zur Redaktion<br />
hatte eine Ansichtskarte, die<br />
in Thailand auf den Weg gebracht<br />
wurde.<br />
Last, but not least: Bei Redaktionsschluss<br />
erreichte uns die Meldung,<br />
dass die Staatsanwaltschaft Kiel die<br />
Akte Gorch Fock geschlossen hat,<br />
weil keine Anhaltspunkte für pflichtverletzende<br />
o<strong>der</strong> strafbare Handlungen<br />
<strong>der</strong> Besatzung gefunden worden<br />
sind.<br />
Am 20. Juni besuchte <strong>der</strong> Wehrbeauftragte<br />
des Deutschen Bundestages<br />
Hellmut Königshaus<br />
die Bark. Er<br />
brachte gegenüber<br />
<strong>der</strong> Mannschaft<br />
auch sein Bedauern<br />
über die einseitige<br />
Berichterstattung<br />
in den Boulevardmedien<br />
zum Ausdruck,<br />
die zu vielen<br />
einseitigen Vorverurteilungen von<br />
Schiff und Besatzung geführt hatten.<br />
Resümee: „Ich bin sehr beeindruckt<br />
von den intensiven Bemühungen <strong>der</strong><br />
Besatzung, die Sicherheit zu verbessern.“<br />
Er sei optimistisch, dass das<br />
Schiff nach Abschluss aller Untersuchungen<br />
weiterfahren werde, sagte<br />
Königshaus weiter. Wir wünschen<br />
Schiff und Besatzung „Eine Handbreit<br />
Wasser unter dem Kiel!“<br />
Mit kameradschaftlichen Grüßen,<br />
Werner Schiebert<br />
Inhalt<br />
4 16 25 32<br />
Deutsche Marine<br />
Fletcher-Klasse: Langlebiges Provisorium................4<br />
Rumpf <strong>der</strong> Bonn überführt........................................7<br />
Brennstart für Fregatte Baden-Württemberg...........7<br />
König <strong>der</strong> Meere.........................................................8<br />
Gorch Fock: Willkommen in Kiel!..........................10<br />
Verteidigungsminister bei <strong>der</strong> Marine.......................12<br />
Wirbelsturm statt Eurocopter?..................................13<br />
Fall Gorch Fock.....................................................22<br />
Navy News<br />
US-Luftverteidigung für Europa................................14<br />
Von allem etwas........................................................16<br />
Die Ägyptische Marine<br />
Seefernaufklärer P-8 Poseidon..................................20<br />
George H.W. Bush in Europa.................................24<br />
Maritimes<br />
Bismarck: Kapitulation kam nicht in Frage..............25<br />
Titelbild: „Flottenmanöver 1960“, PIZ Marine<br />
Maritimes Studium in Flensburg...............................26<br />
Überleben als Spezialist.............................................31<br />
Nachrichten aus <strong>der</strong> Seefahrt....................................36<br />
Geschichte<br />
Im Alarmzustand......................................................32<br />
Die Volksmarine am Tag des Mauerbaus 1961<br />
<strong>Deutscher</strong> <strong>Marinebund</strong><br />
DMB-Expertengespräch in München........................23<br />
Kurs 7. Schnellbootgeschwa<strong>der</strong>.................................28<br />
DMB-Nachrichten....................................................38<br />
125 Jahre MK Erfurt................................................43<br />
Nachrichten aus den Örtlichen Glie<strong>der</strong>ungen...........44<br />
Service<br />
Schiff des Monats.....................................................30<br />
Bücherschapp...........................................................48<br />
Bordtreffen und Suchmeldungen...............................49<br />
Silbenrätsel und Impressum......................................50<br />
Leinen los! 4-11 3
Deutsche Marine<br />
Rumpf <strong>der</strong> Bo n n überführt<br />
In einer gemeinsamen Aktion<br />
<strong>der</strong> Schlepperree<strong>der</strong>eien Wulf<br />
(Cuxhaven) und SFK (Kiel) wurden<br />
am 20. und 21. Mai <strong>2011</strong> <strong>der</strong><br />
Rumpf sowie das Deckshaus des<br />
Einsatzgruppenversorgers Bonn von<br />
ihren Bauplätzen an <strong>der</strong> Ostsee nach<br />
Emden überführt. Bei den Nordseewerken<br />
in Emden wird <strong>der</strong> neue Einsatzgruppenversorger<br />
in den kommenden<br />
Monaten ausgerüstet und<br />
auf seine Ablieferung im Herbst 2012<br />
vorbereitet.<br />
Den größten Anhang hatte das<br />
Schlepperduo Wulf 7 und Holtenau<br />
zu bewältigen. Sie mussten den 172<br />
Meter langen Rumpf <strong>der</strong> Bonn von <strong>der</strong><br />
Peenewerft in Wolgast (P+S Werften)<br />
abholen. Am 20. Mai passierte <strong>der</strong> bereits<br />
mit Hauptmaschinen, Propeller,<br />
Wellen und Ru<strong>der</strong>blättern ausgerüstete<br />
Rumpf den Nord-Ostsee-Kanal und<br />
erreichte am 21. Mai abends die Ems.<br />
Die Schlepper Kiel und Taucher O.<br />
Wulf 5 folgten in <strong>der</strong> Nacht zum 21.<br />
Mai mit dem Deckshaus, das bei <strong>der</strong><br />
Flensburger Schiffbau-Gesellschaft<br />
(FSG) gebaut worden war. Die Bonn<br />
war 2008 bei einer Arbeitsgemeinschaft<br />
bestellt worden. Sie besteht<br />
aus den Werften FSG, P+S, Lürssen<br />
und ThyssenKrupp Marine Systems<br />
(TKMS). Der Baupreis für das Schiff<br />
beläuft sich laut Haushaltsplanung<br />
auf 347 Millionen Euro. Brennstart<br />
für den Bau <strong>der</strong> Bonn war am 23.<br />
Der Rumpf <strong>der</strong> Bo n n verlässt die Kieler NOK-Schleuse<br />
März 2010 in Flensburg bei <strong>der</strong> FSG.<br />
Die Bonn wird das dritte Schiff <strong>der</strong><br />
Klasse 702 in <strong>der</strong> Deutschen Marine.<br />
Die beiden ersten Schiffe Berlin und<br />
Frankfurt am Main waren vor rund<br />
zehn Jahren auf den Werften FSG und<br />
Kröger (Lürssen) gebaut worden.<br />
Text & Foto: fb<br />
Brennstart für Fregatte Ba d e n-Wür ttemberg<br />
Bei Blohm + Voss wurde am 9. Mai<br />
<strong>2011</strong> mit dem Bau <strong>der</strong> ersten Fregatte<br />
<strong>der</strong> Klasse 125 begonnen. Für<br />
die Hamburger Werft sichert sie über<br />
die nächsten sieben Jahre einen Großteil<br />
<strong>der</strong> Auslastung.<br />
Die neuen Fregatten sollen nach<br />
den Worten des Inspekteurs <strong>der</strong> Marine,<br />
Vizeadmiral Axel Schimpf, operationell<br />
und technologisch zuverlässig<br />
und beherrschbar, logistisch betreibbar<br />
und über die gesamte Nutzungsdauer<br />
auch bezahlbar sein. Schimpf<br />
for<strong>der</strong>te, „dass diese neuen Schiffe für<br />
jeden sichtbar ihre Aufträge erfüllen<br />
können. Und zwar möglichst unmittelbar<br />
nach <strong>der</strong> Indienststellung.“<br />
Die neuen Schiffe sichern nach Hans<br />
Christoph Atzpodin, dem Vorstand<br />
<strong>der</strong> ThyssenKrupp Marine Systems,<br />
dem deutschen Schiffbau die Kernkompetenzen<br />
im Marineschiffbau und<br />
Arbeitsplätze in ganz Deutschland.<br />
Die bis zu 26 Knoten schnellen<br />
Schiffe bekommen Flugkörper zum<br />
Selbstschutz und zur Bekämpfung<br />
von See- und Luftzielen. Zwei große<br />
Mehrzweckhubschrauber, Maschinenkanonen<br />
und eine neue<br />
Bordkanone des Kalibers<br />
127 Millimeter. Die Baden-<br />
Württemberg wird auch die<br />
erste Fregatte mit Wulstbug<br />
und Bugstrahlru<strong>der</strong> sowie<br />
zwei Ru<strong>der</strong>blättern sein.<br />
Neu ist auch das Besatzungskonzept.<br />
Eine Stammbesatzung<br />
von nur noch<br />
120 Soldaten soll die Schiffe<br />
fahren. Zusätzlich können<br />
je nach Einsatzszenario an<br />
Bord 20 Soldaten für eine<br />
Hubschraubereinschiffung<br />
und 50 Soldaten <strong>der</strong> spezialisierten<br />
Einsatzkräfte eingeschifft<br />
werden.<br />
Am 31. März 2016 soll<br />
das Tyschiff von <strong>der</strong> ARGE<br />
F125 an das Bundesamt für<br />
Wehrtechnik und Beschaffung<br />
abgeliefert werden. Die Indienststellung<br />
ist im Sommer 2016 in Wilhelmshaven<br />
geplant. Text & Foto: fb<br />
Vizeadmiral Schimpf (r.) und TKMS-Vorstandschef<br />
Atzpodin<br />
Leinen los! 4-11 7
Deutsche Marine<br />
Wirbelsturm statt Eurocopter?<br />
Sikorsky im Wettrennen um neuen Marine-Bordhubschrauber<br />
Die Deutsche Marine braucht<br />
dringend neue Bordhubschrauber.<br />
Die eingeführten Flugzeugmuster<br />
Sea Lynx und Sea King nähern sich<br />
mit etwa 30 bzw. fast 40 Dienstjahren<br />
dem Ende einer wirtschaftlichen<br />
Nutzung und ihrer Verwendungsdauer.<br />
Für die Fregatten <strong>der</strong> Klassen 124<br />
und 125 sowie für die Einsatzgruppenversorger<br />
Klasse 702 ist ein Bedarf<br />
von 30 Mehrzweck-Hubschraubern<br />
vorhanden. Die Aufgaben umfassen<br />
die Seeraumüberwachung und Aufklärung<br />
von Überwasserkontakten,<br />
die Durchführung von Boarding-<br />
Einsätzen, die U-Bootjagd sowie allgemeine<br />
Transportaufgaben und den<br />
Such- und Rettungsdienst über See.<br />
Schon seit langen Jahren ist <strong>der</strong><br />
von Eurocopter entwickelte MH-90<br />
als neuer Marinehubschrauber im<br />
Gespräch. Seine Beschaffung wurde<br />
aber noch immer nicht eingeleitet. Die<br />
Vorschläge <strong>der</strong> Industrie waren bisher<br />
nicht mit den Anfor<strong>der</strong>ungen <strong>der</strong> Marine<br />
in Einklang zu bringen. Nun bedroht<br />
ein Wirbelsturm den MH-90.<br />
Im <strong>August</strong> 2010 hat das amerikanische<br />
Unternehmen Sikorsky Aircraft<br />
Corporation auf die Ausschreibung<br />
<strong>der</strong> deutschen Bundesregierung zur<br />
Lieferung von neuen Hubschraubern<br />
für die Marine ebenfalls ein Angebot<br />
abgegeben. Zusammen mit deutschen<br />
Partnerunternehmen bietet Sikorsky<br />
den Hubschrauber CH-148 Cyclone<br />
an.<br />
Der Cyclone beinhaltet eingeführte<br />
und im Einsatz bewährte Technik. Für<br />
dieses Fluggerät hat sich zuletzt auch<br />
die kanadische Marine entschieden,<br />
wo es <strong>der</strong>zeit erfolgreich in umfangreichen<br />
Erprobungen ist. Der Cyclone<br />
ist ein echter Mehrzweckhubschrauber<br />
mit einer erweiterbaren Architektur<br />
für deutsche Optionen und<br />
spätere Modifizierungen. Er leitet sich<br />
technisch vom verbreiteten Zivilhubschrauber<br />
S-92 ab, <strong>der</strong> vor allem bei<br />
Öl- und Gasunternehmen im Einsatz<br />
ist und dort weltweit Plattformen<br />
bedient. In Rekordzeit für kommerziell<br />
eingesetzte Helikopter hat die<br />
S-92 Hubschrauberflotte mittlerweile<br />
250.000 Flugstunden erfolgreich<br />
absolviert. Im September 2004 hatte<br />
die Serie ihren Dienst angetreten und<br />
ihre Leistungsfähigkeit in zahlreichen<br />
Flugstunden in kürzester Zeit unter<br />
Beweis gestellt. Die Beständigkeit des<br />
Luftfahrzeuges, kombiniert mit Geschwindigkeit,<br />
Stärke und Reichweite,<br />
bietet die ideale Basis dazu, auch<br />
militärische Nutzer künftig mit einer<br />
robusten und zuverlässigen Plattform<br />
für eine Vielzahl von Einsätzen zu versorgen.<br />
Der Cyclone hat ein Eigengewicht<br />
von 13,3 t und erreicht eine maximale<br />
Geschwindigkeit von 140 kn. Angetrieben<br />
wird er von zwei GE CT 7-8<br />
Turbinentriebwerken mit einer Leistung<br />
von jeweils 1.939 kW. Zu den<br />
Merkmalen des CH-148 gehören eine<br />
optimierte Rotor- und Antriebskonstruktion,<br />
ein Schutz vor Vogelschlag<br />
sowie eine fehler- und schadenstolerante<br />
Konstruktion. Darüber hinaus<br />
verfügt das Luftfahrzeug über beson<strong>der</strong>e<br />
Sicherheitssitze, ein aufprallsicheres<br />
Treibstoffsystem, einen Schutz<br />
gegen elektromagnetische Impulse<br />
und eine Blitzschutzvorrichtung.<br />
Die Sikorsky Aircraft Corporation<br />
sieht in ihrem angebotenen Modell<br />
einen aussichtsreichen Kandidaten<br />
für das deutsche Rüstungsvorhaben.<br />
Im Falle <strong>der</strong> Beschaffung durch die<br />
Deutsche Marine planen Sikorsky<br />
und Rheinmetall Defence mit weiteren<br />
Unternehmen eine wegweisende<br />
Kooperation als German Multi-Role<br />
Helicopter Team (GMRHT). Der Cyclone<br />
wäre nicht <strong>der</strong> erste Sikorsky-<br />
Hubschrauber in <strong>der</strong> Deutschen Marine.<br />
In den 1960er-Jahren war <strong>der</strong><br />
Seenotrettungshubschrauber Sikorsky<br />
H-34, ein Modell aus <strong>der</strong> S-58-Familie,<br />
unermüdlich im Einsatz für in Not<br />
geratene Menschen. Seit nunmehr fast<br />
40 Jahren ist <strong>der</strong> Sea King im Dienst.<br />
Dieser Hubschrauber ist eine Lizenzfertigung<br />
<strong>der</strong> Firma Westland und basiert<br />
auf <strong>der</strong> Sikorsky S-61. Mit dem<br />
Zulauf <strong>der</strong> Einsatzgruppenversorger<br />
findet er seither auf <strong>der</strong> Berlin und<br />
<strong>der</strong> Frankfurt am Main in einem<br />
umfangreichen Einsatzspektrum auch<br />
als Bordhubschrauber Verwendung.<br />
Text: Hans Karr; Foto: Sikorsky<br />
Leinen los! 4-11 13
Navy News<br />
US-Luftverteidigung für Europa<br />
Beginn des European Phased Adaptive Approach<br />
In Leinen Los! 3-<strong>2011</strong> auf Seite 30<br />
wurde bereits kurz über das Eintreffen<br />
von USS Monterey (CG 61) im<br />
Mittelmeer auf seiner Station zur Abwehr<br />
ballistischer Raketen berichtet.<br />
Damit hat eine neue Phase sicherheitspolitischen<br />
und militärischen Beistandes<br />
<strong>der</strong> USA für Europa begonnen:<br />
Der European Phased Adaptive Approach<br />
(EPAA).<br />
Das neue Konzept des EPAA ist in<br />
vier Phasen geglie<strong>der</strong>t, <strong>der</strong>en Realisierung<br />
in <strong>2011</strong> begonnen hat und die<br />
gemäß <strong>der</strong> Planung bis 2020 abgeschlossen<br />
sein soll. Das Eintreffen des<br />
Kreuzers USS Monterey auf seiner<br />
BMD-Station im Mittelmeer ist das<br />
erste sichtbare Zeichen für den Beginn<br />
des EPAA.<br />
USS Monterey ist eine von aktuell<br />
21 Einheiten <strong>der</strong> US Navy, welche<br />
mit dem speziell für die Abwehr ballistischer<br />
Bedrohungen konzipierten<br />
Aegis 3.6.1. BMD 1 -Gefechtsführungssystem<br />
und Abwehrflugkörpern vom<br />
Typ SM-3 Block 1A ausgerüstet ist.<br />
Unterstützt wird die Einheit in naher<br />
Zukunft durch ebenfalls in Europa<br />
stationierte Luftraum-Überwachungsradare<br />
AN/TPY-2 und das in Ramstein<br />
etablierte Führungssystem C2BMC.<br />
C2BMC steht für „Command, Control,<br />
Battle Management & Communication“.<br />
Es ist das Herzstück des<br />
US-amerikanischen Ballistic Missile<br />
Defense System (BMDS). Ein solches<br />
Führungssystem wurde außerhalb<br />
Amerikas erstmals 2010 in Bahrain in<br />
Betrieb genommen. Seit Jahresbeginn<br />
<strong>2011</strong> steht in Ramstein unter dem<br />
Kommando von USEUCOM 2 ein weiteres<br />
System im Rahmen <strong>der</strong> Regional<br />
Defense 3 für Europa zur Verfügung.<br />
Es ermöglicht mit seinen vernetzten<br />
Sensoren sowie seiner Anbindung an<br />
die NATO-Frühwarnorganisation eine<br />
schnelle und robuste Lagebildgewinnung<br />
und unterstützt damit die<br />
Aegis-BMD-Einheiten in ihrer Auftragserfüllung.<br />
Ziel dieser ersten Phase ist die Herstellung<br />
einer initial capability gegen<br />
Start einer SM-3<br />
Bedrohungen<br />
SRBM: Short Range Ballistic Missile<br />
(< 1.000 km Reichweite)<br />
MRBM: Medium Range Ballistic<br />
Missile (1.000 – 3.000 km)<br />
IRBM: Intermediate Range Ballistic<br />
Missile (3.000 – 5.000 km)<br />
ICBM: Intercontinental Ballistic<br />
Missile (> 5.500 km)<br />
SRBM, MRBM und IRBM (siehe Kasten<br />
Bedrohung). Sie soll noch in <strong>2011</strong><br />
abgeschlossen sein, die Interoperabilität<br />
mit den NATO Führungssystemen<br />
weiter verbessert werden. Diese Fähigkeit<br />
richtet sich gegen Bedrohungen<br />
aus dem Bereich des Nahen und<br />
Mittleren Ostens und zielt auf den<br />
Schutz Südeuropas.<br />
In <strong>der</strong> zweiten Phase werden zwischen<br />
2012 und 2015 erste Infrastrukturmaßnahmen<br />
zur Stationierung von<br />
„Aegis-Ashore“ in Rumänien und<br />
Polen durchgeführt, das System auf<br />
Hawaii getestet. Hinter diesem Begriff<br />
verbirgt sich eine landgestützte Version<br />
des bewährten Gefechtsführungssystems<br />
<strong>der</strong> US Navy einschließlich<br />
eines SPY-1-Radarturmes sowie eines<br />
Flugkörper-Starters. Tatsächlich wird<br />
das System aussehen, als habe man die<br />
Brückenaufbauten eines Aegis-Schiffes<br />
abgeflext und an Land gestellt.<br />
Ebenfalls in dieser Phase werden die<br />
Aegis-BMD-Einheiten mit <strong>der</strong> neuen<br />
Aegis-Software 4.0.1 und dem verbesserten<br />
Flugkörper SM-3 Block IB<br />
ausgerüstet, was <strong>der</strong>en Fähigkeit zur<br />
vernetzten Operationsführung weiter<br />
verbessert. Insbeson<strong>der</strong>e wird damit<br />
auch die Option „Launch-on-Remote“<br />
eingeführt, welche es ermöglicht,<br />
SM-3 Block IB Flugkörper auf<br />
Daten <strong>der</strong> über das C2BMC vernetzten<br />
Sensoren zu starten.<br />
Bis 2018 soll die dritte Phase des<br />
EPAA, Robust IRBM Defense, abgeschlossen<br />
sein. Sie beinhaltet den Aufbau<br />
und die Inbetriebnahme <strong>der</strong> beiden<br />
Aegis-Ashore-Systeme in Rumänien<br />
und Polen sowie die Einführung<br />
<strong>der</strong> Aegis-5.1-Software in Verbindung<br />
mit dem Flugkörper SM-3 Block IIA<br />
bei den Aegis-Systemen in See. Die<br />
Modifikationen in den individuellen<br />
Systemen erlauben eine Verbesserung<br />
<strong>der</strong> Zieldatendiskriminierung und <strong>der</strong><br />
Möglichkeit, Raketen durch die Nutzung<br />
von Fremddaten zu bekämpfen<br />
(Engage-on-Remote). Der geschützte<br />
Bereich erweitert sich bis Mitteleuropa.<br />
2020 soll mit Abschluss <strong>der</strong> vierten<br />
Phase – Early Intercept and Regional<br />
ICBM Defense – die Regional Defense<br />
für ganz Europa einsatzfähig sein.<br />
Ab 2018 werden die Flugkörper SM-3<br />
Block IIB mit ihrer höheren Reichweite<br />
und gesteigerten Geschwindigkeit<br />
in den Aegis-BMD-Systemen an Land<br />
eingerüstet. Regional Defense für Europa<br />
bedeutet gleichzeitig, eine erste<br />
Verteidigungslinie <strong>der</strong> US Homeland<br />
Defense 7.000 Kilometer vor <strong>der</strong> US-<br />
14 Leinen los! 4-11
Navy News<br />
Küste. Hier zeigt sich auch die Haupt-<br />
Motivation <strong>der</strong> USA für den kostenintensiven<br />
European Phased Adaptive<br />
Approach: Die USA schieben ihre<br />
Verteidigungslinie gegen die Raketenbedrohung<br />
des Heimatlandes so weit<br />
wie möglich nach Osten, ähnliches<br />
wurde durch Kooperationsabkommen<br />
mit Japan, Südkorea und Taiwan<br />
bereits im Pazifik erreicht.<br />
USS Monterey und ihre Schwesterschiffe<br />
zeigen den europäischen<br />
Staaten denn auch eine Fähigkeitslücke<br />
auf: Noch immer fehlen in NATO-<br />
Europa Waffensysteme zur Abwehr<br />
ballistischer Bedrohungen, schon liegt<br />
aber Südost-Europa in Reichweite<br />
zum Beispiel iranischer Mittelstreckenraketen.<br />
Es fehlen Waffensysteme,<br />
<strong>der</strong>en Fähigkeit die Bevölkerung<br />
<strong>der</strong> europäischen Staaten schützen<br />
könnte. Die meisten Systeme <strong>der</strong><br />
landgestützten Flugabwehr in NATO-<br />
Europa sind sowohl hinsichtlich ihrer<br />
Zahl als auch ihrer Fähigkeiten nicht<br />
zur flächendeckenden Verteidigung<br />
gegen ballistische Bedrohungen des<br />
eigenen Territoriums geeignet. Echtes<br />
Potenzial läge nur bei <strong>der</strong> seegestützten<br />
Luftverteidigung. Zwar verfügen<br />
die Marinen <strong>der</strong> europäischen NATO-<br />
Staaten über zwei Dutzend hochmo<strong>der</strong>ne<br />
Flugabwehreinheiten – z.B. die<br />
deutschen Fregatten <strong>der</strong> Sachsen-<br />
Klasse (F124) – jedoch besitzt keine<br />
davon aktuell eine Fähigkeit zur Abwehr<br />
von ballistischen Raketen. Eine<br />
Nachrüstung dieser Fähigkeit wäre<br />
aber technisch realisierbar, allein <strong>der</strong><br />
politische Wille wurde bislang nicht<br />
artikuliert. Andreas Uhl<br />
1<br />
BMD: Ballistic Missile Defense<br />
2<br />
USEUCOM: US European Command in<br />
Stuttgart<br />
3<br />
Die US-Einteilung für BMD lautet Theater<br />
Defense (für Truppenkontingente im<br />
Einsatz), Regional Defense (für Gebiete<br />
<strong>der</strong> Verbündeten) und Homeland Defense<br />
(für das US-amerikanische Territorium)<br />
USS Ho p p e r beim ABM-Test<br />
Fotos: US Navy<br />
Koordiniertes FK-Schießen<br />
USS Monterey<br />
Leinen los! 4-11 15
Navy News<br />
Von allem etwas ...<br />
Die Ägyptische Marine<br />
Von Klaus Mommsen<br />
Relief eines antiken ägyptischen Schiffes<br />
Staatsjacht El Ho r r i a<br />
Jahre vor <strong>der</strong> Zeitwende<br />
entsteht am<br />
3.000<br />
Nil eine <strong>der</strong> frühen Hochkulturen,<br />
aber die Ägypter sind zunächst auf ihr<br />
Binnenland fokussiert; „maritime“<br />
Aktivitäten – militärisch wie merkantil<br />
– gibt es nur auf dem Nil. Erst mit<br />
Erweiterung des regionalen Einflusses<br />
gewinnt auch die offene See an Bedeutung.<br />
Pharao Thutmosis III. (1486–<br />
1425 v. Chr.) gründet schließlich eine<br />
erste Marine und lässt zur Unterstützung<br />
seiner Feldzüge nach Babylonien<br />
(heute Syrien bis Irak) auf einer für<br />
damalige Verhältnisse riesigen Werft<br />
in Memphis zahlreiche Schiffe bauen.<br />
Meist dienen diese allerdings nur<br />
dem Transport von Truppen, Pferden<br />
und Material über das östliche Mittelmeer<br />
und durch das Rote Meer, und<br />
die Marine hat bloße Unterstützungsfunktion<br />
für die Landarmee des Pharao.<br />
Mit Eroberung durch die Perser<br />
(525 v. Chr.) gerät Ägypten für mehr<br />
als 2.300 Jahre unter Fremdherrschaft.<br />
Den Persern folgen Alexan<strong>der</strong><br />
<strong>der</strong> Große, Ptolemäer, Römer, Byzantiner,<br />
Araber, Mameluken und Osmanen.<br />
1798 landen französische Truppen<br />
unter Napoleon in Ägypten und beenden<br />
de facto die osmanische Herrschaft.<br />
Als Napoleon nach dem Seesieg<br />
des briti schen Admirals Nelson<br />
bei Abukir den Orientfeldzug abbrechen<br />
muss, nutzt <strong>der</strong> albanische Offizier<br />
Muhammad Ali Pascha die Lage<br />
zur Machtergreifung. Er kann den Osmanen<br />
eine gewisse Selbstständigkeit<br />
abringen und leitet die Geschichte des<br />
mo<strong>der</strong>nen Ägyptens ein. Der Bau des<br />
Suezkanals (1859–1869) macht das<br />
Land allerdings <strong>der</strong>art von ausländischem<br />
Geld abhängig, dass die von<br />
Briten und Franzosen eingerichtete<br />
Staatsschuldenverwaltung eigentliche<br />
Regierung wird. Als Großbritannien<br />
1882 „seinen“ Seeweg nach Indien<br />
durch einen Putsch bedroht sieht,<br />
besetzt ein Expeditionskorps kurzerhand<br />
das Land – und bleibt. 1914<br />
wird Ägypten formell britisches Protektorat.<br />
1922 gewährt Großbritannien<br />
dem „Königreich Ägypten“ offiziell<br />
Unabhängigkeit, zieht aber weiter die<br />
Fäden; uneingeschränkte Souveränität<br />
gibt es erst 1936.<br />
Fast 3.400 Jahre nach Thutmosis<br />
III. entsteht in dieser Zeit wie<strong>der</strong> eine<br />
eigen ständige ägyptische Marine. 1927<br />
erwähnen internationale Flottenhandbücher<br />
erstmals eine mit ex-britischen<br />
Fahrzeugen ausgestattete „Küstenwache<br />
und Fi schereischutzbehörde“.<br />
Flaggschiff ist die Amir al Farouk,<br />
eine mit zwei „Sechs-Pfün<strong>der</strong>n“ (152<br />
mm) bestückte 1.400-ts-Korvette.<br />
Größtes Schiff ist aber die 1865 gebaute<br />
Staatsjacht Mahroussa, die<br />
übrigens noch heute (als El Horria)<br />
in Dienst ist. Im Zweiten Weltkrieg<br />
spielt die kleine Küstenwache keine<br />
Rolle. Vielmehr wird <strong>der</strong> ägyptische<br />
Haupthafen Alexandria Flottenstützpunkt<br />
<strong>der</strong> britischen Royal Navy<br />
und Exil-Hafen für zahlreiche Schiffe<br />
europäischer Mittelmeermarinen,<br />
die sich hierhin flüchten und von hier<br />
operie ren. Die wenigen ägyptischen<br />
Einheiten überstehen den Krieg meist<br />
16 Leinen los! 4-11
Navy News<br />
unbe schadet; in Kämpfe sind sie praktisch<br />
nicht verwickelt.<br />
Nach Kriegsende entsteht neben<br />
<strong>der</strong> bisherigen kleinen Küstenwache<br />
eine re guläre Marine. Noch im<br />
Aufbau befindlich, kommt ihre erste<br />
Herausfor<strong>der</strong>ung im Krieg gegen den<br />
neuen Feind Israel. Im Israelischen<br />
Unabhängigkeitskrieg ist sie die einzige<br />
arabische Marine, aber sie bleibt<br />
gegen die Israelis, die nur über einige<br />
wenige, schwach bewaffnete Fahrzeuge<br />
verfügen, ohne vorzeigbaren<br />
Er folg. Versuche zum Beschuss <strong>der</strong> israelischen<br />
Küste sind halbherzig, die<br />
Pro paganda dafür aber laut. Als die<br />
ägyptische Luftwaffe ein israelisches<br />
Schiff vor Tel Aviv zum Abdrehen<br />
zwingt, reklamiert die am Geschehen<br />
völlig unbe teiligte Marine sofort den<br />
„Sieg in <strong>der</strong> Seeschlacht vor Tel Aviv“<br />
für sich. We nig später versenken israelische<br />
Kampfschwimmer vor Gaza<br />
mit Sprengbooten die Amir al Farouk;<br />
500 Ägypter gehen mit ihrem<br />
Flaggschiff unter. Mit dem Anspruch,<br />
neben <strong>der</strong> stärksten Armee auch die<br />
stärkste arabische Marine zu stellen,<br />
wächst die Flotte in den Folgejahren<br />
kräftig auf. 1949/50 überlässt die britische<br />
Royal Navy aus Überschussbeständen<br />
Geleitzerstörer, Fregatten,<br />
Kor vetten, Wachboote, Minensucher<br />
und Landungsboote. 1955 zählt die<br />
Marine bereits 5.000 Mann, und aus<br />
Großbritannien kommen noch einmal<br />
zwei Zerstö rer <strong>der</strong> Z-Klasse; aus den<br />
USA ein 4.000-ts-Landungsschiff. So<br />
ausgewogen und relativ mo<strong>der</strong>n ausgerüstet<br />
sich diese Flotte auch präsentiert:<br />
mangelnde Ausbildung und Motivation<br />
sowie fehlendes Verständnis<br />
in <strong>der</strong> Streitkräftefüh rung für maritime<br />
Belange setzen ihren Fähigkeiten<br />
enge Grenzen.<br />
FK-Schnellboot Osa<br />
1952 beendet ein Militärputsch die<br />
Monarchie. Oberst Nasser verfolgt<br />
eine na tionalistische „pan-arabische“<br />
Politik. Als er 1956 den Suezkanal<br />
verstaatlicht, kommt es zum Krieg<br />
mit Großbritannien und Frankreich<br />
(und Israel). Die Ma rine kann <strong>der</strong> amphibischen<br />
Invasion <strong>der</strong> Großmächte<br />
am Nordeingang des Su ezkanals nur<br />
hilflos zusehen. Zwar behält Ägypten<br />
nach einer Resolution <strong>der</strong> Vereinten<br />
Nationen letztendlich die Kontrolle<br />
über den Kanal, aber die Bezie hungen<br />
mit den Briten sind natürlich beendet.<br />
Im begonnenen Kalten Krieg springt<br />
die Sowjetunion bereitwillig in die<br />
Bresche. Von ihrer großzügigen Militärhilfe<br />
profitiert auch die Marine,<br />
Am i r Al Fa r o u k<br />
die sich auf sowjetische Technologie<br />
um stellt (wenngleich die alten ex-britischen<br />
Einheiten noch in Dienst bleiben)<br />
und bis 1970 auf 14.000 Mann<br />
aufwächst. Schon direkt nach dem Suezkrieg<br />
treffen zwei Zerstörer Skory<br />
ein; weitere zwei folgen etwas später.<br />
Die Sowjetunion liefert U-Boote <strong>der</strong><br />
Whiskey-Klasse, Torpedoschnellboote<br />
Shershen und P-6 (letztere werden<br />
dann auch in Lizenz in Alexandria<br />
gebaut), Minensucher, U-Jagdboote,<br />
Landungsfahrzeuge und Hilfsschiffe.<br />
1962 gibt es erste FK-Schnellboote<br />
<strong>der</strong> Komar-Klasse, etwas später auch<br />
<strong>der</strong> Osa-Klasse.<br />
Die Umstellung auf „überlegene“<br />
sowjetische Technologie und<br />
Einsatzverfah ren trägt jedoch nicht<br />
die erwarteten Früchte. Auf dem Papier<br />
stellt Ägypten die stärksten Seestreitkräfte<br />
im gesamten Nahen und<br />
Mittleren Osten – mit kampfstarken<br />
Flotten im Mittelmeer und im Roten<br />
Meer – aber in zwei neuen Kriegen gegen<br />
Israel (Juni-Krieg 1967 und Jom-<br />
Kippur-Krieg 1973) bleiben diese hoffnungslos<br />
unterlegen. Überdies können<br />
nach Sperrung des Suezkanals jahrelang<br />
auch keine Einheiten mehr zwischen<br />
den Flottenbereichen verlegen.<br />
Zwar werden immer wie<strong>der</strong> lautstark<br />
große „Seesiege“ verkündet; tatsächlich<br />
wird aber in beiden Kriegen keine<br />
einzige israelische Kampfeinheit auch<br />
nur beschädigt, während die ägyptische<br />
Marine die meisten ihrer neuen<br />
FK-Schnellboote verliert. Der einzige<br />
Erfolg kommt im Oktober 1967, als<br />
– nach dem erklärten Waffenstillstand<br />
– FK-Schnellboote Komar aus <strong>der</strong><br />
Deckung <strong>der</strong> Hafenmolen von Port<br />
Said den vor <strong>der</strong> Küste patrouillierenden<br />
israelischen Zerstörer Eilat<br />
mit Seeziel-FK Styx versenken. Nach<br />
dem Krieg von 1967 gleicht die Sowjetunion<br />
zwar die Verluste schnell aus,<br />
liefert Ende <strong>der</strong> 60er-Jahre u.a. mo<strong>der</strong>nste<br />
U-Boote <strong>der</strong> Romeo-Klasse,<br />
FK-Schnellboote Osa sowie weitere<br />
Leinen los! 4-11 17
Navy News<br />
Fregatte Al Za f i r <strong>der</strong> chinesischen Ji a n gh u-III-Klasse<br />
US-Neubauten Am b a s s a d o r Mk-III<br />
U-Boot <strong>der</strong> Ro m e o -Klasse<br />
Minensucher und Landungsschiffe.<br />
Dessen ungeachtet wird aber auch <strong>der</strong><br />
Jom-Kippur-Krieg zum militärischen<br />
Desaster. Nassers Nachfolger Sadat<br />
bricht schließlich mit <strong>der</strong> Sowjetunion,<br />
sucht den politischen Ausgleich<br />
mit Is rael – und den Schulterschluss<br />
mit den Westmächten.<br />
Mit <strong>der</strong> politischen Neuausrichtung<br />
will die ägyptische Marine nun natürlich<br />
auch zügig den Wechsel zu westlicher<br />
Technologie. Auf <strong>der</strong> Wunschliste<br />
ste hen mo<strong>der</strong>ne französische/britische<br />
U-Boote und italienische Fregatten,<br />
aber das Geld fehlt. Land- und Luftstreitkräfte<br />
haben Priorität. Die Flotte<br />
muss wei ter mit den ex-sowjetischen<br />
(und noch immer auch einigen ex-britischen)<br />
Ein heiten leben, die zusehends<br />
verfallen und nach und nach ausgemustert<br />
werden. Langsam kommt<br />
<strong>der</strong> Flottenumbau dann aber doch in<br />
Gang. Mitte <strong>der</strong> 1970er-Jahre beginnt<br />
auf einer Werft in Alexandria <strong>der</strong> Bau<br />
neuer FK-Schnellboote <strong>der</strong> October-<br />
Klasse. Basis sind Komar-Rümpfe;<br />
die Neubauten werden aber mit italienischen<br />
Seeziel-FK bestückt; letztere<br />
finden sich auch auf von <strong>der</strong> britischen<br />
Vosper gebauten FK-Schnellbooten<br />
Ramadan. Für die Küstenwache<br />
entstehen einige Jahre später auf<br />
einer Werft in Port Said Wachboote<br />
<strong>der</strong> Nisr-Klasse; eine an<strong>der</strong>e Werft in<br />
Timsah baut Boote <strong>der</strong> Timsah-Klasse.<br />
In Spanien kann man schließlich<br />
zwei Fregatten Descubierta kaufen.<br />
Die neuen politischen Partner helfen,<br />
aber die Geschenke bleiben doch hinter<br />
den Erwartungen zurück. Auf <strong>der</strong><br />
Suche nach preisgünstigen Alternativen<br />
wird man Anfang <strong>der</strong> 1980er-<br />
Jahre in China fündig. Die Chinesen<br />
liefern vier U-Boote Romeo und zwei<br />
Jianghu-III-FK-Fregatten. Alte sowjetische<br />
FK-Schnellboote Komar werden<br />
durch praktisch baugleiche chinesische<br />
Hegu ersetzt; Patrouillenboote<br />
Shanghai-II und Hainan lösen alte<br />
sowjetische Boote ab.<br />
Damit nicht genug: Anfang <strong>der</strong><br />
1990er-Jahre überlassen die USA gebrauchte<br />
Fregatten Knox, denen einige<br />
Jahre später noch mehrere Oliver<br />
Hazard Perry folgen und liefern<br />
neue, mo<strong>der</strong>ne Swiftships Minenabwehrfahrzeuge.<br />
Aus Deutschland<br />
werden 2003 fünf FK-Schnellboote<br />
Klasse 148 und zwei Versorger übernommen.<br />
Seit 2006 dienen von <strong>der</strong> US<br />
Navy ausgemusterte Mi nenjagdboote<br />
Osprey neben den alten sowjetischen<br />
Natya und Yurka. Um auch an Bewährtem<br />
und Bekanntem festhalten<br />
zu können, werden 2007 in Montenegro<br />
und Finnland gebrauchte, ausgemusterte<br />
Osa gekauft. 2010 gibt<br />
es schließlich Medienberichte zu einem<br />
möglichen Erwerb norwegischer<br />
Schnellboote <strong>der</strong> Hauk-Klasse.<br />
Für die ägyptische Marine bedeuten<br />
die jeweiligen Neuzugänge nicht nur<br />
will kommene Verstärkung, son<strong>der</strong>n<br />
wohl auch einen logistischen Albtraum.<br />
Im Endeffekt entsteht nämlich<br />
ein Sammelsurium unterschiedlichster<br />
Technologie wie es weltweit wohl<br />
einmalig sein dürfte. Ex-sowjetische<br />
Erzeugnisse finden sich direkt neben<br />
alten und neuen chinesischen, amerikanischen<br />
und westeuropäischen Systemen,<br />
Ersatzteilen, Handbüchern etc.<br />
Wie es genau weitergehen soll, weiß<br />
eigentlich niemand so genau. Fest<br />
bestellt sind <strong>der</strong>zeit nur in den USA<br />
vier FK-Schnellboote Ambassador<br />
Mk-III, die 2012/13 alte Hegu und<br />
October ablösen sollen. Für die inzwischen<br />
30 Jahre alten Ramadan ist<br />
eine Mo<strong>der</strong>nisierung geplant. Es gibt<br />
Wünsche nach mindestens einer weiteren<br />
(gebrauchten spanischen) Fregatte<br />
<strong>der</strong> Descubierta-Klasse. Auch<br />
die U-Bootflottille möchte man „mittelfristig“<br />
gern mo<strong>der</strong>nisieren. Für<br />
den Kauf neuer U-Boote fehlt jedoch<br />
das Geld. Sicher wird man auch hier<br />
18 Leinen los! 4-11
Navy News<br />
Fotos: Wikipedia, Museum Luxor, Wikimedia, Swan Hunter, Milphotos, Deutsche Marine (4), Michael Nitz, Lockheed Martin<br />
Fregatte Sh a r m el Sh e i kh <strong>der</strong> Pe r r y-Klasse<br />
Ehemaliges deutsches FK-Schnellboot <strong>der</strong> Klasse 148<br />
Ta b a r j a, ex deutsche Bergen<br />
FK-Schnellboot <strong>der</strong> Ra m a d a n-Klasse<br />
erst einmal nach billigen Alternativen<br />
auf dem Gebrauchtmarkt suchen.<br />
Mit einem Personalumfang von fast<br />
20.000 Mann und mehr als 100 in <strong>der</strong><br />
Liste <strong>der</strong> Kriegsschiffe aufgeführten<br />
Schiffen und Booten präsentiert sich<br />
die Ägyp tische Marine heute rein zahlenmäßig<br />
als die stärkste im gesamten<br />
arabischen Raum. Die operative<br />
Führung erfolgt direkt aus dem Marinehauptquartier<br />
in Ras El Tina bei<br />
Alexandria. Hier findet sich auch <strong>der</strong><br />
größte Flottenstützpunkt mit u.a. <strong>der</strong><br />
Fregatten- und U-Bootbrigade. Weitere<br />
kleinere Stützpunkte gibt es entlang<br />
<strong>der</strong> ganzen Mittelmeerküste, von<br />
Sollum bis Port Said, im Suezkanal<br />
(Ismailia) und an dessen Südausgang,<br />
sowie schließlich im Roten Meer bei<br />
Hurghada und Safajah.<br />
Die operativen Fähigkeiten bleiben<br />
allerdings doch hinter den Erwartungen<br />
an eine zahlenmäßig so umfangreiche<br />
Flotte zurück. Dies liegt nicht nur<br />
an <strong>der</strong> dargestellten „materiellen Vielfalt“.<br />
Auch wenn Übungen mit an<strong>der</strong>en<br />
(westli chen) Marinen allmählich<br />
zunehmen, bleiben doch erhebliche<br />
Ausbildungsde fizite; Schiffe und Boote<br />
„produzieren“ nur wenige Seetage;<br />
bei Führung „nach Gutsherrenart“<br />
ist <strong>der</strong> Teamgedanke bei Besatzungen<br />
nur wenig ausgeprägt. Auch die regionale<br />
Zersplitterung vom Mittelmeer<br />
bis ins Rote Meer ist nicht gerade<br />
vorteilhaft. Hauptfaktor dürfte aber<br />
sein, dass – wie im gesamten Nahen<br />
und Mittleren Osten – die Marine<br />
auch in Ägypten konzeptionell aber<br />
vor allem auch finanziell weit hinter<br />
Heer und Luftwaffe rangiert. Bei <strong>der</strong><br />
politischen und militärischen Führung<br />
(in den letzten Jahrzehnten überdies<br />
weitgehend identisch) gibt es kaum<br />
Verständnis für übergreifende maritime<br />
Belange, und die Funktion einer<br />
Marine wird weitestgehend in bloßer<br />
Unterstützung <strong>der</strong> Landstreitkräfte<br />
von See her gesehen. In <strong>der</strong> Konsequenz<br />
bleiben ihre Mittel für Neubeschaffungen,<br />
aber auch für Wartung<br />
und Instandhaltung vorhandener Einheiten<br />
deutlich begrenzt. Sie müssen<br />
sich mit dem begnügen, was Heer und<br />
Luftwaffe „übrig lassen“.<br />
Auch wenn hochseefähige Kampfschiffe<br />
zur Flotte gehören, werden für<br />
die Marine jenseits <strong>der</strong> Küstengewässer<br />
kaum Aufgaben erkannt, und dies<br />
reflek tiert auch ihr offizieller Auftrag.<br />
Zunächst einmal soll sie Häfen, Küste<br />
und Hoheitsgewässer sowie die<br />
Eingänge des Suezkanals und dessen<br />
Ansteuerun gen schützen und gegnerische<br />
Angriffe von See abwehren.<br />
Dazu verfügt sie auch über Küstenverteidigungsstellen<br />
mit FK-Batterien.<br />
Darüber hinaus soll sie Operationen<br />
<strong>der</strong> Landstreitkräfte durch seeseitigen<br />
Flankenschutz, amphibische Operationen<br />
und Kommando-Unternehmen<br />
unterstützen und schließlich Binnenwasserstraßen<br />
und den Suezkanal<br />
vor Terrorangriffen schützen sowie<br />
Schmuggel und Migration über See<br />
bekämpfen. Für diesen Teil <strong>der</strong> Auftragserfüllung<br />
ist ihr operativ auch die<br />
ansonsten strukturell zu den Grenztruppen<br />
gehörende Küstenwache unterstellt.<br />
Eine eigene Marinefliegerkomponente<br />
gibt es nicht; Flugzeuge<br />
<strong>der</strong> Luftwaffe erfüllen bei Bedarf maritime<br />
Aufgaben.<br />
Auch in Zukunft wird die ägyptische<br />
Marine von substanzieller Hilfe<br />
befreun deter Nationen abhängig bleiben.<br />
Wie diese sich vor dem Hintergrund<br />
<strong>der</strong> „Arabischen Revolution“<br />
gestalten wird, ob man vielleicht wie<strong>der</strong><br />
einmal neue Partner suchen muss,<br />
bleibt abzuwarten. Viel wird sicher<br />
auch davon abhän gen, in welchem<br />
Maße (radikale) islamische Elemente<br />
die künftige ägyptische Politik bestimmen<br />
– und wie sich dann das Verhältnis<br />
zu Israel entwickelt.<br />
Leinen los! 4-11 19
Maritimes<br />
Maritimes Studium in Flensburg<br />
Ausbildungszentrum an <strong>der</strong> Fachhochschule erweitert<br />
Der 6. Mai war ein großer Tag für<br />
die Fachhochschule (FH) Flensburg.<br />
In nur 19 Monaten Bauzeit<br />
wurde <strong>der</strong> Campus erweitert. Eines<br />
<strong>der</strong> mo<strong>der</strong>nsten Simulationszentren<br />
Nordeuropas wurde seiner Bestimmung<br />
übergeben. Am Maritimen<br />
Zentrum sollen die bislang über verschiedene<br />
Standorte verstreuten Studiengänge<br />
<strong>der</strong> Seefahrt, die Fort- und<br />
Weiterbildung <strong>der</strong> Lotsen sowie die<br />
Fachschule für Seefahrt vereint und<br />
Schiffsoffiziere ausgebildet werden.<br />
Das dreigeschossige Gebäude mit gut<br />
1.200 m 2 Nutzfläche steht zum Beginn<br />
des kommenden Sommersemesters<br />
200 Studierenden zur Verfügung.<br />
Für die Ausbildung stehen 33<br />
Übungs- und Seminarräume bereit.<br />
Der nautische Schiffsführungssimulator<br />
verfügt über sechs Brückenkabinen<br />
mit Schiffsoperationszentralen und<br />
Ausbil<strong>der</strong>kabinen. Die Simulation ist<br />
aufgrund <strong>der</strong> Projektionstechnik mit<br />
Sichtsystemen, die bis zu 270° Sichtfeld<br />
abbilden, überaus realistisch. Dabei<br />
können die sechs virtuellen Schiffe<br />
weltweit alle Seegebiete bei Tag und<br />
Nacht befahren. Zur Eröffnung steuerte<br />
<strong>der</strong> Ministerpräsident Schleswig-<br />
Holsteins, Peter Harry Carstensen,<br />
einen Frachter aus <strong>der</strong> Holtenauer<br />
Schleuse hinaus auf die Kieler Förde.<br />
Für die Aus- und Weiterbildung<br />
<strong>der</strong> Schiffsbetriebsingenieure dienen<br />
ein Maschinenraumsimulator und ein<br />
„Safety and Security Trainer“. Dort<br />
lassen sich Stör- und Unglücksfälle<br />
in einem umfassenden System simulieren,<br />
das ein komplettes Schiff umfasst.<br />
Weiterhin verfügt <strong>der</strong> Campus<br />
über einen Rechner zur Simulation<br />
von Beladungszuständen und Stabilitätsberechnungen.<br />
Das neue Gebäude glänzt nicht<br />
nur mit mo<strong>der</strong>nster Technik, son<strong>der</strong>n<br />
auch mit einem energetischen Konzept,<br />
das die Bauherrin, die Gebäudemanagement<br />
Schleswig-Holstein<br />
AöR (GMSH) mit Energiespezialisten<br />
entwickelt hat. Demnach sollen<br />
massive Betondecken Hitze und Kälte<br />
abhalten. Zwei Geschosse sollen mechanisch<br />
gelüftet werden. Lediglich<br />
das Obergeschoss soll aktiv gekühlt<br />
werden, weil die dort installierten Simulatoren<br />
Wärme produzieren. Die<br />
zentrale Belüftungsanlage soll mit einer<br />
Wärmerückgewinnung gekoppelt<br />
werden. „Mit diesen Maßnahmen<br />
haben wir die Energieeinsparverordnung<br />
um 38% unterschritten und die<br />
FH kann sich über niedrige Energiekosten<br />
freuen“, so Henrik Harms,<br />
Geschäftsführer <strong>der</strong> GMSH. Die Baumaßnahme<br />
wurde primär vom Land<br />
Schleswig-Holstein mit 4,7 Millionen<br />
Euro finanziert.<br />
Als große Bereicherung für das<br />
Land hat Ministerpräsident Peter<br />
Harry Carstensen das neue Maritime<br />
Zentrum bezeichnet. „Dieses Zentrum<br />
wird die öffentliche Aufmerksamkeit<br />
einmal mehr darauf lenken, welche<br />
Bedeutung die maritime Forschung<br />
und Wirtschaft und die Schifffahrt<br />
insgesamt bei uns haben“, sagte er in<br />
seiner Ansprache zur Eröffnung.<br />
Carstensen wies darauf hin,<br />
dass die maritime Wirtschaft in<br />
Schleswig-Holstein einen Anteil von<br />
zwölf Prozent am Bruttoinlandsprodukt<br />
habe. „Unsere Seehäfen sind die<br />
Drehscheiben des deutschen Außenhandels.<br />
Je<strong>der</strong> dritte Arbeitsplatz in<br />
Deutschland hängt am Export“, sagte<br />
er. Mit dem Maritimen Zentrum würden<br />
die schleswig-holsteinische Forschungslandschaft<br />
und auch die heimische<br />
Wirtschaft um einen wichtigen<br />
Baustein reicher. In Flensburg gebe es<br />
jetzt ein erstklassiges Aus- und Weiterbildungszentrum<br />
für Schiffsoffiziere.<br />
26 Leinen los! 4-11
Maritimes<br />
Gleichzeitig entstehe ein Ausbildungsstandort<br />
für internationales<br />
Schiffsführungspersonal. Davon profitiere<br />
das Land und schließe mehrere<br />
Lücken auf einmal: „Die deutsche<br />
Schifffahrt hat einen großen Bedarf an<br />
hoch qualifizierten nautischen Schiffsoffizieren.<br />
Schleswig-Holstein leistet<br />
mit <strong>der</strong> Erhöhung <strong>der</strong> Ausbildungskapazitäten<br />
durch das Maritime Zentrum<br />
in Flensburg einen wesentlichen<br />
Beitrag zur Deckung dieses Fachkräftebedarfs“,<br />
so Carstensen.<br />
Flensburg hat eine lange Tradition<br />
in <strong>der</strong> maritimen Ausbildung. Nachdem<br />
bereits seit 1852 eine Königlich-<br />
Dänische Navigationsschule in Flensburg<br />
ansässig war, wurde 1882 mit<br />
<strong>der</strong> Königlichen Seedampfmaschinistenschule<br />
– die spätere Schiffsingenieur-<br />
und Seemaschinistenschule – die<br />
erste und älteste schiffsbetriebstechnische<br />
Ausbildungsstätte in Deutschland<br />
geschaffen. Auch die Kaiserliche Marine<br />
ließ ihren Führungsnachwuchs<br />
in Flensburg ausbilden: 1910 wurde<br />
die Marineschule Mürwik (MSM) ihrer<br />
Bestimmung übergeben, seitdem<br />
wurden dort über 30.000 Offizieranwärter<br />
auf ihre Aufgaben vorbereitet.<br />
Mit <strong>der</strong> Ausbildungsausstattung Nautische<br />
Schiffsführung (AANS) verfügt<br />
auch die MSM über einen mo<strong>der</strong>nen<br />
Schiffsführungssimulator.<br />
Das Jahr 1973 wird als „Geburtsjahr“<br />
<strong>der</strong> Fachhochschule Flensburg<br />
genannt. 1992 wird die kombinierte<br />
nautisch-technische Ausbildung zum<br />
Schiffsbetriebsoffizier an <strong>der</strong> FH ins<br />
Leben gerufen, an <strong>der</strong> Fachschule für<br />
Seefahrt (FS) werden die Kapitänsausbildungslehrgänge<br />
AN, AK und AM<br />
eingeführt. Die FH und die FS kooperieren<br />
mittlerweile im Rahmen des<br />
Maritimen Zentrums.<br />
Es gibt zwischen den zivilen Ausbildungseinrichtungen<br />
und <strong>der</strong> MSM<br />
eine gute Zusammenarbeit. So werden<br />
seit 2006 einige <strong>der</strong> angehenden<br />
Offiziere des militärfachlichen Dienstes<br />
im Bereich Nautik <strong>der</strong> Fachschule<br />
ausgebildet und erhalten mit ihrem<br />
Abschluss das Befähigungszeugnis<br />
(Patent) zum Nautischen Wachoffizier.<br />
Im Gegenzug nutzte die Seefahrtsschule<br />
bisher die AANS <strong>der</strong> Marine.<br />
Mittlerweile hat sich die Fachhochschule<br />
Flensburg, Deutschlands nördlichste<br />
Hochschule, mit rund 3.600<br />
Studierenden zu einer <strong>der</strong> erfolgreichsten<br />
deutschen Hochschulen für Technik<br />
und Wirtschaft entwickelt. Innovative<br />
Studiengänge wie zum Beispiel<br />
Biotechnologie-Verfahrenstechnik<br />
o<strong>der</strong> Internationale Fachkommunikation<br />
bestätigen national und international<br />
ihren guten Ruf. Aufgrund vieler<br />
Aktivitäten im Bereich des Technologie-<br />
und Wissenstransfers haben sich<br />
an <strong>der</strong> FH Flensburg zahlreiche Fachschwerpunkte<br />
herausgebildet: das<br />
Zentrum für Mobilkommunikation,<br />
<strong>der</strong> Bereich Krankenhausmanagement<br />
o<strong>der</strong> <strong>der</strong> Studienbereich des Energieund<br />
Umweltmanagements. Mit rund<br />
60 Hochschulen weltweit hat die FH<br />
Flensburg Kooperationsverträge geschlossen.<br />
In den maritimen Studiengängen<br />
kann unter zwei Bereichen gewählt<br />
werden: Das Bachelor-Studium<br />
Schiffstechnik bietet die Schwerpunkte<br />
Schiffsbetriebstechnik und Schiffsmaschinenbau.<br />
Während die erste<br />
Themengruppe darauf abzielt, später<br />
eine Tätigkeit als technischer Wachoffizier<br />
o<strong>der</strong> Leiter in <strong>der</strong> Maschinen-<br />
Eröffnung des Maritimen Zentrums durch Wirtschaftsminister de Jager, Ministerpräsident<br />
Carstensen, FH-Präsident Zickfeld und GMSH-Geschäftsführer Harms<br />
anlage von Schiffen o<strong>der</strong> Offshore-<br />
Einrichtungen wahrzunehmen, richtet<br />
sich <strong>der</strong> zweite Schwerpunkt an diejenigen,<br />
die eher einen landgebundenen<br />
Beruf anstreben, z.B. in Ingenieurbüros,<br />
Klassifikationsgesellschaften o<strong>der</strong><br />
<strong>der</strong> maritimen Zulieferindustrie.<br />
Der Bachelor-Studiengang Seeverkehr,<br />
Nautik und Logistik hat das<br />
staatliche Befähigungszeugnis als<br />
Nautischer Wachoffizier zum Ziel.<br />
Absolventen stehen eine Karriere als<br />
Kapitän bzw. Lotse sowie entsprechende<br />
Berufsfel<strong>der</strong> in Behörden und<br />
Industrie offen. Nach dem Abschluss<br />
als Bachelor kann das erworbene<br />
Wissen im Rahmen eines optionalen<br />
dreisemestrigen Master-Studienganges<br />
weiter vertieft werden. Diese weitergehende<br />
Spezialisierung ist jedoch<br />
für die zukünftigen Schiffsingenieure<br />
und Kapitäne nicht erfor<strong>der</strong>lich.<br />
Abgerundet wird das Ausbildungsangebot<br />
des Maritimen Zentrums<br />
durch eine Auswahl an Son<strong>der</strong>lehrgängen<br />
und Seminaren, vom „Einführungslehrgang<br />
für den Dienst auf Tankern“<br />
über „Deutsches Schifffahrtsrecht<br />
für Auslän<strong>der</strong>“ bis zum „Crowd-<br />
Management auf Ro-Ro-Schiffen“.<br />
Eine beson<strong>der</strong>s enge Kooperation gibt<br />
es mit <strong>der</strong> Kieler Lotsenbrü<strong>der</strong>schaft.<br />
Sie hat einen Vertrag mit <strong>der</strong> FH über<br />
die umfassende Weiterbildung ihrer<br />
See- und Kanallotsen abgeschlossen.<br />
Das Intensivieren <strong>der</strong> Zusammenarbeit<br />
mit den maritim geprägten<br />
Fachbereichen <strong>der</strong> weiteren Hochschulen<br />
in Schleswig-Holstein wird<br />
angestrebt, vor allem die Vernetzung<br />
mit den Schiffbau-Studiengängen soll<br />
vorangetrieben werden.<br />
Professor Dr. Herbert Zickfeld, Präsident<br />
<strong>der</strong> Fachhochschule Flensburg<br />
in seiner Eröffnungsansprache: „Die<br />
Fachhochschule Flensburg zählt die<br />
maritimen Wissenschaften zu ihren<br />
wichtigsten Arbeitsbereichen. Mit <strong>der</strong><br />
Inbetriebnahme des neuen Maritimen<br />
Zentrums mit einer Gesamtinvestition<br />
von rund sechs Millionen Euro und<br />
einer noch intensiveren Bündelung<br />
unserer Kompetenzen folgen wir einer<br />
125-jährigen maritimen Tradition<br />
und schaffen optimale Voraussetzungen<br />
für Lehre, Forschung und Technologietransfer.<br />
Wir sehen uns als das<br />
akademische maritime Zentrum des<br />
Nordens.“<br />
Text & Fotos: mfa<br />
Leinen los! 4-11 27
Maritimes<br />
Überleben als Spezialist<br />
Krise im deutschen Schiffbau noch nicht überstanden<br />
Foto: Hamburg Süd<br />
Es klang zwar bedenklich aus <strong>der</strong><br />
Leitungsetage des Verbandes für<br />
Schiffbau und Meerestechnik (VSM)<br />
während <strong>der</strong> Pressekonferenz im Anschluss<br />
an die jährliche Mitglie<strong>der</strong>versammlung,<br />
aber durchaus nicht hoffnungslos.<br />
Trotz positiver Signale sei<br />
die Krise für den deutschen Schiffbau<br />
noch nicht überstanden. „Es ist Land<br />
in Sicht, aber wir können auf Rettungswesten<br />
noch nicht verzichten!“,<br />
lautete das Fazit des Verbandes.<br />
Das Jahr 2010 habe einige Lichtblicke<br />
gebracht, im Auftragseingang<br />
beson<strong>der</strong>s gegen Ende des Jahres,<br />
aber diese hätten längst nicht alle Unternehmen<br />
erreicht, deshalb stünden<br />
immer noch strukturelle Anpassungen<br />
und Neuausrichtungen <strong>der</strong> Produktionsprogramme<br />
im Mittelpunkt<br />
<strong>der</strong> Unternehmensaktivitäten. Der<br />
Auftragseingang 2010 dokumentiere,<br />
dass auch traditionsreiche Containerschiffswerften<br />
ihr Portfolio neu ausgerichtet<br />
hätten. Es hieß weiter, dass<br />
fast ausnahmslos Spezialschiffe und<br />
innovative Schiffstypen für den Bau<br />
von Offshore-Windparks, Fähren,<br />
Kreuzfahrtschiffen und Megajachten<br />
akquiriert worden seien. Mit einem<br />
Auftragseingang von 2,7 Mrd. Euro<br />
Die Ca p Sa n Ra p h a e l <strong>der</strong> Hamburg Süd<br />
seien die deutschen Werften 2010 jedoch<br />
deutlich unter einer notwendigen<br />
Jahresproduktion geblieben. Anschlussaufträge<br />
seien daher dringend<br />
erfor<strong>der</strong>lich. Um das auch politisch<br />
abzusichern, hat <strong>der</strong> VSM eine ganze<br />
Reihe von For<strong>der</strong>ungen an die Regierung<br />
gestellt, <strong>der</strong>en Ergebnisse abzuwarten<br />
sind. Die Schiffbauindustrie<br />
empfindet sich als eine <strong>der</strong> Schlüsselindustrien<br />
unseres Landes und erwartet<br />
deshalb auch entsprechende politische<br />
Aufmerksamkeit, an<strong>der</strong>s ausgedrückt,<br />
verlässliche Unterstützung.<br />
Insgesamt ist zu berichten, dass <strong>der</strong><br />
Umsatz aller Schiffbaubetriebe, also<br />
des See-, Binnen- und Marineschiffbaus,<br />
<strong>der</strong> Reparatur und des Umbaus<br />
sowie des Boots- und Jachtbaus 2010<br />
auf ca. 8 Mrd. Euro gestiegen ist. Das<br />
ist zwar eine Rekordzahl, die aber<br />
nicht darüber hinwegtäuschen darf,<br />
dass für zahlreiche Schiffbaubetriebe<br />
Anschlussaufträge dringend notwendig<br />
sind.<br />
Der Handelsschiffbau bildete in<br />
2010 mit einem durchschnittlichen<br />
Anteil von 55 Prozent immer noch<br />
den Schwerpunkt <strong>der</strong> deutschen<br />
Werftaktivitäten. Die Seeschiffswerften<br />
lieferten 49 Schiffe mit ca. 1 Mio.<br />
CGT im Wert von knapp 4,7 Mrd.<br />
Euro ab. Davon entfiel fast die Hälfte<br />
auf Passagierschiffe und Megajachten.<br />
Mit 24 neuen Bestellungen und 0,7<br />
CGT im Wert von 2,7 Mrd. Euro sind<br />
die Auftragseingänge jedoch deutlich<br />
hinter den Ablieferungen zurückgeblieben.<br />
Zudem sind in 2010 sieben<br />
Aufträge im Wert von 0,7 Mrd. Euro<br />
storniert worden, was den Auftragsbestand<br />
zum Ende des Jahres auf 74<br />
Schiffe mit 1,5 Mio. CGT und einem<br />
Wert von 7,4 Mrd. Euro verringerte.<br />
97 Prozent davon entfielen auf Exporte.<br />
Der Marineschiffbau belief sich auf<br />
ca. 1 Mrd. Euro, wobei ein weiterer<br />
Rückschritt wegen das Beschaffungsvolumen<br />
im nationalen Bereich sowie<br />
<strong>der</strong> international zunehmenden<br />
Konkurrenz nicht auszuschließen ist.<br />
Auch im Bereich Reparaturen und<br />
Umbauten lief es nicht mehr ganz so<br />
gut wie in den Jahren zuvor. Das Ergebnis<br />
blieb mit 0,9 Mrd. Euro allerdings<br />
nur wenig, wie man das auch<br />
immer auffassen mag, zurück. Deutlich<br />
geringere Auswirkungen hatte<br />
<strong>der</strong> Binnenschiffbau zu verzeichnen,<br />
die Beschäftigungslage ist noch stabil,<br />
Anschlussaufträge sind jedoch auch<br />
hier nötig.<br />
Die Zulieferindustrie ist zwar nach<br />
wie vor als in etlichen Teilbereichen<br />
gut aufgestellt, spürt jedoch auch hier<br />
in zunehmendem Maße vor allem die<br />
asiatische Konkurrenz. Die deutsche<br />
Meerestechnik kann, zumindest noch,<br />
als ein wachsen<strong>der</strong> Industriezweig angesehen<br />
werden, und fühlt sich auch<br />
so, obwohl sie nur in Nischen auch international<br />
gesehen stark ist. Das aber<br />
könnte sich zum Positiven än<strong>der</strong>n,<br />
je weiter sich das Geschehen in die<br />
Tiefsee und zur Erschließung an<strong>der</strong>er<br />
Ressourcen als Öl und Gas verlagert.<br />
Weitere große Chancen bieten sich im<br />
Bereich <strong>der</strong> Windkraftenergie vor den<br />
Küsten. Hier könnten deutsche Unternehmen<br />
aufgrund <strong>der</strong> beson<strong>der</strong>en<br />
Bedingungen, mit denen sie in Nordund<br />
Ostsee konfrontiert sind, gute<br />
Chancen auf dem sehr aufnahmefähigen<br />
Weltmarkt gewinnen. hjw<br />
Leinen los! 4-11 31
Geschichte<br />
Im Alarmzustand<br />
Einsatz <strong>der</strong> Volksmarine und<br />
Grenzbrigade am Tag des<br />
Mauerbaus 1961<br />
Vom 31. <strong>Juli</strong> bis zum 12. <strong>August</strong><br />
1961 befand sich die Volksmarine<br />
in einer Flottenübung. Ähnlich<br />
angelegte Manöver fanden sonst im<br />
September o<strong>der</strong> Oktober statt. Ein<br />
Motiv für die vorgezogene Übung war<br />
womöglich die Erwartung des von<br />
Moskau genehmigten und vom Kommando<br />
<strong>der</strong> Gruppe <strong>der</strong> Sowjetischen<br />
Streitkräfte in Deutschland abgesegneten<br />
Mauerbaus. Am<br />
12. <strong>August</strong> um 16 Uhr<br />
unterzeichnete Staatschef<br />
Walter Ulbricht<br />
die geheimen Einsatzpläne<br />
für den bevorstehenden<br />
Einsatz <strong>der</strong><br />
NVA. Um 23 Uhr trat<br />
<strong>der</strong> von Erich Honecker<br />
geleitete Zentrale<br />
Führungsstab im Berliner<br />
Polizeipräsidium<br />
am Alexan<strong>der</strong>platz<br />
zusammen. Noch aus<br />
<strong>der</strong> Übungsphase heraus<br />
stellte die Volksmarine<br />
um 1 Uhr des<br />
13. <strong>August</strong> die Stufe<br />
„Erhöhte Gefechtsbereitschaft“ (EG)<br />
her. Im Verlauf des Tages kam für die<br />
NVA <strong>der</strong> Befehl Übergang zu „Volle<br />
Gefechtsbereitschaft (VG)“. Man<br />
befürchtete eine militärische Reaktion<br />
<strong>der</strong> westlichen Alliierten auf den<br />
Mauerbau. Die Marineführung hielt<br />
ihre Flottenkräfte im Seegebiet vor<br />
Rügen-Hiddensee-Darßer Ort in Bereitschaft.<br />
Fast parallel absolvierte die<br />
Bundesmarine vom 8. bis 24. <strong>August</strong><br />
in <strong>der</strong> Nordsee und <strong>der</strong> westlichen<br />
Ostsee das Flottenmanöver Wallenstein<br />
IV.<br />
Küstenabschnitte<br />
Die Volksmarine hatte die Aufgabe,<br />
die an <strong>der</strong> Sektorengrenze zwischen<br />
Ost- und Westberlin sowie um die<br />
Westberliner Stadtgrenze zum Bezirk<br />
Potsdam vollzogenen<br />
mil<br />
i t ä r i s c h e n<br />
Sperrmaßnahmen gemeinsam mit<br />
Booten <strong>der</strong> Grenzbrigade seeseitig<br />
abzusichern. Zur Überwachung des<br />
Küstenvorfeldes wurde die mecklenburgische<br />
Küste von West nach<br />
Ost vorübergehend in vier Küstenabschnitte<br />
A-B-C-D eingeteilt. Der<br />
MLR Kr a k e in Kiellinie vor Rügen<br />
westliche Abschnitt A mit <strong>der</strong> Marinebasis<br />
Tarnewitz unterstand Kapitänleutnant<br />
Fritz Broß. Ihm waren je<br />
eine Abteilung Minenleg- und Räumschiffe<br />
(MLR) Typ Krake, Räumboote<br />
Typ Schwalbe und U-Jagdschiffe<br />
Typ 201 M zugeteilt. Die U-Jäger<br />
übernahmen die Grenzsicherung West<br />
auf einer Vorpostenposition im Seegebiet<br />
vor Travemünde. Kapitänleutnant<br />
Ulrich Ehlig befehligte den Küstenabschnitt<br />
B mit <strong>der</strong> Stabsstelle in Zingst.<br />
Die Schiffe lagen im kleinen Hafen<br />
Darßer Ort. Der Abschnitt wurde<br />
nach einigen Tagen aufgelöst und dem<br />
Abschnitt A angeglie<strong>der</strong>t. Die Hauptkräfte<br />
mit 10 MLR Typ Habicht,<br />
sechs Räum- und Reedeschutzbooten<br />
Typ Schwalbe und Delphin sowie<br />
einem Küstenschutzschiff Typ Riga<br />
waren im Küstenabschnitt C konzentriert.<br />
Sie lagen überwiegend in <strong>der</strong><br />
Tromper Wiek vor Anker. Darunter<br />
befanden sich anfänglich auch U-Jagdschiffe<br />
201 M. Wegen unzureichen<strong>der</strong><br />
Funkverbindung im Hafen Sassnitz<br />
verlegte <strong>der</strong> Einsatzstab C nach Kap<br />
Arkona. Der von Korvettenkapitän<br />
Fritz Labjon geführte Stab mit 10<br />
Offizieren bezog im<br />
1826/27 von Schinkel<br />
erbauten Leuchtturm<br />
seinen Gefechtsstand.<br />
Um in die Befehlslage<br />
eingewiesen zu<br />
werden, mussten die<br />
Kommandanten <strong>der</strong><br />
vis-à-vis zum Fischerdörfchen<br />
Vitt vor Anker<br />
liegenden Marineschiffe<br />
mit Beibooten,<br />
Kuttern des Typs<br />
K-10, an Land geru<strong>der</strong>t<br />
werden. Die Einweisung<br />
erfolgte dann<br />
direkt vor Ort in Vitt<br />
o<strong>der</strong> im Schinkelturm<br />
auf Arkona. Zum Küstenabschnitt D<br />
mit Peenemünde als Marinebasis gehörten<br />
Reedeschutzboote <strong>der</strong> Typen<br />
Delphin und Tümmler, Räumboote<br />
Schwalbe und Hilfsschiffe. Diese<br />
Kräfte unterstanden Kapitänleutnant<br />
Kurt Kästner. Nach einer Woche nahm<br />
die Volksmarine die Alarmstufe „VG“<br />
auf „EG“ zurück, die dann verdeckt<br />
für einige Einheiten bis Mitte Dezember<br />
1961 bestehen blieb. Die Küstenabschnittsstäbe<br />
wurden im September<br />
aufgelöst. Die an <strong>der</strong> Militäraktion in<br />
Berlin eingesetzten NVA-Kräfte kehrten<br />
bis zum 23. September in ihre Heimatstandorte<br />
zurück.<br />
Warnschuss<br />
In <strong>der</strong> damals in Ost und West<br />
geschürten Kriegshysterie und ange-<br />
32 Leinen los! 4-11
Geschichte<br />
MLR Kr a k e<br />
spannten politischen Lage stellte die<br />
SED-Führung <strong>der</strong> Volksmarine die<br />
Aufgabe, die Seegrenze dicht zu machen.<br />
Fehlende Informationen zur<br />
Umsetzung des Auftrages führten in<br />
jener Zeit zur ungenügenden Beachtung<br />
des Internationalen Seerechts<br />
zur friedlichen Durchfahrt in See. Am<br />
14. <strong>August</strong> for<strong>der</strong>te <strong>der</strong> Kommandant<br />
eines MLR das im Seegebiet nördlich<br />
Rügen verkehrende westdeutsche Küstenmotorschiff<br />
(Kümo) Elizabeth II<br />
auf, zu stoppen. Das MLR setzte das<br />
entsprechende internationale Flaggensignal<br />
„L“, eine gelb-schwarz übereck<br />
geteilte Flagge. Der Kapitän, <strong>der</strong> offensichtlich<br />
nichts von den gesperrten<br />
DDR-Gewässern wusste, fuhr<br />
unbeirrt weiter. Daraufhin bat <strong>der</strong><br />
MLR-Kommandant den Chef <strong>der</strong> 1.<br />
Flottille per Funk um Feuererlaubnis.<br />
Diese wurde ohne Zögern erteilt. Mit<br />
2 bis 3 Feuerstößen aus <strong>der</strong> 25-mm-<br />
Zwillingsflak vor den Bug brachten<br />
die Marinesoldaten das Kümo zum<br />
stoppen. Als die Geschosse in See einschlugen,<br />
wi<strong>der</strong>rief <strong>der</strong> Flottillenchef<br />
seine Feuererlaubnis. Dazu war es zu<br />
spät. Das MLR brachte seinen Kutter<br />
K-10 zu Wasser. Ein Prisenkommando<br />
ru<strong>der</strong>te zum Kümo, um es zu durchsuchen.<br />
Ein von zwei bewaffneten<br />
Marinesoldaten begleiteter Seeoffizier<br />
stieg über und begab sich auf die Brücke<br />
zum Kapitän. Der war außer sich<br />
vor Wut und protestierte wegen des<br />
Beschusses heftig. Nach Kontrolle <strong>der</strong><br />
Bordbücher und <strong>der</strong> Ladung konnte<br />
<strong>der</strong> Kapitän seine Fahrt ohne Beanstandung<br />
fortsetzen. Das MLR wurde<br />
anschließend sofort in den Stützpunkt<br />
Sassnitz beor<strong>der</strong>t. Der Chef des Stabes<br />
untersuchte den Fall mit dem Waffeneinsatz<br />
gegen ein ziviles westdeutsches<br />
Schiff.<br />
H-02-Führungsstelle<br />
Blick nach achtern von einem Schiff <strong>der</strong> Ri g a-Klasse<br />
Als Führungsstelle diente dem<br />
Chef <strong>der</strong> Volksmarine, Konteradmiral<br />
Heinz Neukirchen, anfangs das<br />
Stabs- und Führungsschiff H-02 vom<br />
Projekt 62. Das erst vor drei Monaten<br />
in Dienst gestellte 1.320 t verdrängende<br />
pontonförmige Fahrzeug mit drei<br />
Decks wurde auch als schwimmen<strong>der</strong><br />
Stützpunkt bezeichnet. Mit umfangreicher<br />
Nachrichtentechnik ausgestattet,<br />
fungierte das antriebslose Schiff<br />
als Reservegefechtsstand des Chefs<br />
Leinen los! 4-11 33
Geschichte<br />
<strong>der</strong> Volksmarine. Es hatte an <strong>der</strong> Pier<br />
östlich <strong>der</strong> Ziegelgrabenbrücke am<br />
Dänholm fest gemacht. Daneben lag<br />
die Staatsjacht Ostseeland, auf <strong>der</strong><br />
Neukirchen residierte. Nach einigen<br />
Tagen wurde H-02 in den Saaler Bodden<br />
geschleppt. Es lag am Anleger Althagen<br />
bei Ahrenshoop. Neukirchen<br />
und sein Stab führten die Flotte nun<br />
wie<strong>der</strong> vom Hauptgefechtsstand im<br />
Kommando <strong>der</strong> Volksmarine in Rostock-Gehlsdorf.<br />
Auf H-02 verblieb als<br />
Reservegefechtsstand eine Rumpfbesatzung<br />
und die Leitung des Stellvertreter<br />
Operativ beim Chef des Stabes.<br />
Inspektionsfahrt<br />
Das Küstenschutzschiff (KSS)<br />
Friedrich Engels <strong>der</strong> Riga-Klasse<br />
lag mit an<strong>der</strong>en Booten im Bereitschaftsraum<br />
vor Sassnitz. Der Kommandant,<br />
Kapitänleutnant Dietrich<br />
Dembiany, erhielt Befehl, die Marinebasis<br />
Peenemünde anzulaufen, um<br />
Konteradmiral Neukirchen an Bord<br />
zu nehmen. In Höhe <strong>der</strong> Reede Insel<br />
Ruden kam <strong>der</strong> Admiral an Bord. Der<br />
Flottenchef stellte dem Kommandanten<br />
die Aufgabe, die in See entfalteten<br />
Vorpostenschiffe <strong>der</strong> Volksmarine von<br />
Osten beginnend abzufahren. Hierbei<br />
handelte es sich überwiegend um vor<br />
Anker liegende MLR des Typs Habicht<br />
und Krake. Die Besatzungen<br />
hatten die Aufgabe, den Schiffsverkehr<br />
im befohlenen Seegebiet aufzuklären.<br />
Im Verlauf <strong>der</strong> Fahrt quer durch die<br />
westliche Ostsee missfiel dem Flottenchef,<br />
dass das 1.168 t große KSS die<br />
Räumboot Typ Sc h w a l b e<br />
eigenen Schiffe eher ortete als umgekehrt.<br />
Das KSS begegnete auch mehreren<br />
Schnellbooten <strong>der</strong> Bundesmarine,<br />
die in rasanter Fahrt und Distanz<br />
vorbei zogen.<br />
Militärische Sicherung<br />
<strong>der</strong> Seegrenze<br />
Einige Bootsbesatzungen <strong>der</strong> an<br />
<strong>der</strong> Küste dislozierten Grenzbrigade<br />
erfuhren in den frühen Morgenstunden<br />
aus dem Radio, dass mit Anbruch<br />
des Sonntags die Grenzen zu den<br />
Westsektoren in Berlin dicht gemacht<br />
werden. Das Alarmsignal ließ nicht<br />
lange auf sich warten, dann stachen<br />
die Fahrzeuge <strong>der</strong> in Wismar, Sassnitz<br />
und Wieck stationierten drei Bootsgruppen<br />
in See. Im Zusammenwirken<br />
mit Schiffen <strong>der</strong> Volksmarine nahmen<br />
sie für einige Wochen den verstärkten<br />
Küstensicherungs- und Nahvorpostendienst<br />
auf. In Erwartung des<br />
Drucks von DDR-Flüchtlingen auf<br />
die Seegrenze bezogen an <strong>der</strong> Küste<br />
von Boltenhagen bis Dornbusch auf<br />
Hiddensee ca. 12 bewegliche, d.h. auf<br />
einer Halse manövrierende Schiffe,<br />
eine Nahvorposten-Position in See.<br />
Das seit 1952 an <strong>der</strong> DDR-Landund<br />
Seegrenze bestehende verschärfte<br />
Grenzregime wurde jetzt an <strong>der</strong> 521<br />
km langen DDR-Ostseeküste, einschließlich<br />
<strong>der</strong> inneren Boddengewässer,<br />
nach dem politischen Willen <strong>der</strong><br />
SED-Führung durch einen Seegrenzschutz<br />
militärisch organisiert. In seinem<br />
Befehl Nr. 88/61 unterstellte <strong>der</strong><br />
Minister für Nationale Verteidigung<br />
die 6. Grenzbrigade Küste (GBK) mit<br />
Wirkung vom 4. November 1961 operativ<br />
dem Chef <strong>der</strong> Volksmarine.<br />
Zum Dienstalltag <strong>der</strong> 6. GBK gehörten:<br />
Verhin<strong>der</strong>ung von Grenzdurchbrüchen<br />
vom Festland in die<br />
freie See, Verfolgung von Flüchtlingen<br />
in See, Küstenvorfeldüberwachung<br />
auf Beobachtungstürmen, Kontrolle<br />
von Fahrgastschiffen <strong>der</strong> Weißen<br />
Flotte, Küstenfischer und Häfen sowie<br />
die Überwachung des allgemeinen<br />
Verbots über den privaten Seesport in<br />
See- und Küstengewässern. Damit hatte<br />
die Volksmarine nichts im Sinn. Zur<br />
Wahrnehmung dieser Aufgaben in See<br />
wurden <strong>der</strong> 6. GBK in den 60er-Jahren<br />
Räumboote des Typs Schwalbe und<br />
U-Jagdschiffe Typ 201 M zugeführt.<br />
1971/73 erhielt die 6. GBK Minensuch-<br />
und Räumboote des Typs Kondor<br />
I. Ende <strong>der</strong> 70er-Jahre verfügte<br />
die 6. GBK über drei Grenzschiffabteilungen<br />
mit 18 Schiffen Kondor I,<br />
drei Grenzbataillone mit sieben Kompanien,<br />
12 technische Beobachtungskompanien<br />
und drei Kompanien für<br />
Kontrollpassierpunkte, eine selbstständige<br />
Grenzkompanie, eine Funkmesskompanie<br />
mit drei mobilen Zügen<br />
und ein Grenzausbildungsbataillon.<br />
Wie viele Fluchtbeispiele belegen,<br />
richtete sich <strong>der</strong> Einsatz <strong>der</strong> 6. GBK<br />
vor allem nach innen gegen die eigene<br />
Bevölkerung. Im Zeitraum 1961 bis<br />
1989 versuchten 5.636 Personen über<br />
die Ostsee zu fliehen. 913 glückte die<br />
Flucht in die Freiheit. 189 Frauen und<br />
Männer ertranken in <strong>der</strong> See. Schuld<br />
an ihrem Tod trugen jedoch nicht die<br />
Naturgewalten <strong>der</strong> See, son<strong>der</strong>n das<br />
politische System, dem sie entrinnen<br />
wollten.<br />
Grenzpolizei entert<br />
MS Se e b a d Bi n z<br />
Als das MS Seebad Binz in den<br />
Morgenstunden des 18. <strong>August</strong> von<br />
Wolgast aus zur Eintagesfahrt „Rund<br />
um Bornholm“ in See stach, ahnte keiner<br />
<strong>der</strong> 200 Passagiere, was sie auf See<br />
erwarten würde. Unter ihnen befand<br />
sich eine Gruppe von 16 Jugendlichen<br />
<strong>der</strong> Jungen Gemeinde Schmöckwitz<br />
in Berlin sowie Studenten <strong>der</strong> Freien<br />
Universität in Westberlin. Nordöstlich<br />
von Stubbenkammer wurde die See<br />
34 Leinen los! 4-11
Geschichte<br />
zunehmend rauer. Immer mehr Landratten<br />
zollten Rasmus Tribut und hingen<br />
von <strong>der</strong> Seekrankheit gezeichnet,<br />
über <strong>der</strong> Reling. Kapitän Ahrens entschloss<br />
sich, die Fahrt abzubrechen.<br />
Aus Protest gegen den Fahrtabbruch<br />
verfasste <strong>der</strong> Schmöckwitzer Pfarrersohn<br />
eine Art Spaß-Petition: „Seiner<br />
Majestät, dem Herrn Admiral auf<br />
Seebad Binz untertänigst übermittelt.<br />
In Anbetracht <strong>der</strong> guten Stimmung auf<br />
dem Oberdeck bitten 10 Berliner stellvertretend<br />
für die meisten Passagiere<br />
um Fortsetzung <strong>der</strong> Fahrt in Richtung<br />
Bornholm.“ Angesichts zunehmen<strong>der</strong><br />
Windstärke 6 wurde die „Bitte“ abgelehnt.<br />
Die Jugendlichen for<strong>der</strong>ten in<br />
Sprechchören das Anlaufen von Bornholm.<br />
Plötzlich auftreten<strong>der</strong> Trinkwassermangel<br />
verschärfte die Situation<br />
an Bord. Kapitän Ahrens glaubte,<br />
dass das Wasser vorsätzlich für einen<br />
Tank-Zwischenstopp auf Bornholm<br />
abgelassen wurde. Jetzt wurde aus<br />
dem jugendlichen Jux-Papier mit den<br />
Unterschriften politischer Ernst. In<br />
den Vormittagstunden empfing Rügenradio<br />
in Glowe die Meldung des<br />
Kapitäns über eine Meuterei an Bord.<br />
Berliner Jugendliche wollten angeblich<br />
für ihre Republikflucht das Einlaufen<br />
nach Bornholm erzwingen. Kurz darauf<br />
stach ein Bereitschaftsboot <strong>der</strong><br />
Grenzbrigade von Sassnitz aus in<br />
See. Der Kommandant, Oberleutnant<br />
Frank, nahm Kurs zum Fahrgastschiff<br />
<strong>der</strong> Weißen Flotte. Sein Einsatzbefehl<br />
lautete: das Schiff aufbringen, die<br />
Provokateure zur Aufgabe ihres Vorhabens<br />
zwingen und das Motorschiff<br />
nach Sassnitz geleiten. Das Boot <strong>der</strong><br />
Grenzbrigade näherte sich dem in See<br />
schaukelnden Ausflugsdampfer und<br />
schwenkte sein Buggeschütz drohend<br />
in Richtung Schiffsbrücke. Man vermutete,<br />
dass sich dort die „Meuterer“<br />
verschanzt hätten. Den Passagieren<br />
verschlug es die Sprache. Die Grenzer<br />
kamen längsseits und eskortierten<br />
die Seebad Binz nach Sassnitz. Tage<br />
später meldete die DDR-Presseagentur<br />
ADN „eine Bande gegnerischer<br />
Elemente habe die Mannschaft <strong>der</strong><br />
Seebad Binz überwältigt und die<br />
Passagiere in einen Raum gezwungen,<br />
um mit dem Schiff nach Bornholm zu<br />
flüchten“. Die Medien <strong>der</strong> Bundesrepublik<br />
berichteten über den Zwischenfall,<br />
wie aus „jugendlichen Banditen“<br />
Opfer des „Ulbricht-Regimes“<br />
wurden, zu denen sie die DDR-Justiz<br />
auch machte. Da sich die Schiffsentführung<br />
nicht beweisen ließ, wurden<br />
10 jugendliche „Staatsfeinde“ wegen<br />
ihres religiösen Glaubens und Besuchen<br />
<strong>der</strong> Westberliner Kirchentage<br />
„als Söldner <strong>der</strong> NATO-Kirche“ vorgeführt.<br />
Sie erhielten Haftstrafen von<br />
drei Monaten bis acht Jahren.<br />
Schnellboote attackieren<br />
Minensucher<br />
Von den in den Häfen Darßer Ort,<br />
Sassnitz o<strong>der</strong> Gager auf Rügen dislozierten<br />
drei Torpedoschnellbootsabteilungen<br />
mit insgesamt 27 Booten<br />
des Projektes 183 verlegte eine Abteilung<br />
ab 13. <strong>August</strong> für vier Monate<br />
in die Marinebasis Warnemünde/<br />
Hohe Düne. Im Rahmen <strong>der</strong> routinemäßigen<br />
Ablösung <strong>der</strong> Boote kam<br />
es am 24. September zur Begegnung<br />
mit dem westdeutschen Minensucher<br />
Uranus (M 1099). Das Fahrzeug <strong>der</strong><br />
Schütze-Klasse befand sich auf einer<br />
Erprobungsfahrt im Seegebiet südlich<br />
Gedser Rev etwa in Höhe des Ostseebades<br />
Wustrow vom Fischland Darß.<br />
Plötzlich brausten zwei Bootsgruppen<br />
mit 13 Schnellbooten <strong>der</strong> Volksmarine<br />
heran. Die vom Hafen Darßer Ort<br />
kommende Gruppe fuhr <strong>der</strong> aus Warnemünde<br />
ausgelaufenen Gruppe zur<br />
Ablösung entgegen. Als man den in<br />
freier See operierenden Minensucher<br />
bemerkte, formierten sich die Schnellboote<br />
in einer Zangenformation zum<br />
Scheinangriff. Einige Schnellboote sollen<br />
dabei ihre 25-mm-Doppellafette<br />
zeitweise auf den Minensucher gerichtet<br />
haben. Angesichte <strong>der</strong> Drohkulisse<br />
in See stoppte <strong>der</strong> Minensucher. Die<br />
Begegnung dauerte etwa 20 Minuten,<br />
dann drehten die Schnellboote wie<strong>der</strong><br />
ab. Die Aufklärung im Kommando<br />
<strong>der</strong> Volksmarine verfasste darüber einen<br />
Bericht. Das Schreiben gelangte<br />
ins Strausberger Verteidigungsministerium.<br />
Hier erfuhr <strong>der</strong> Bericht eine<br />
erstaunliche Wandlung. Aus <strong>der</strong> Begegnung<br />
mit dem Minensucher wurde<br />
eine Verletzung <strong>der</strong> DDR-Territorialgewässer<br />
durch ein Fahrzeug <strong>der</strong> Bundesmarine,<br />
worauf die Schnellboote<br />
<strong>der</strong> Volksmarine zum Einsatz kamen.<br />
Text & Fotos: Ingo Pfeiffer<br />
Geschützexerzieren an <strong>der</strong> 20 mm-Doppellafette Flak 38<br />
Leinen los! 4-11 35