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Neuer Geist in neuer Schule?

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Gefühle zu Auschwitz<br />

Mit den Projekttagen <strong>in</strong> Auschwitz, die vom 20. November bis zum 24.<br />

November stattfanden, trat die 8nb-Klasse ihre letzte geme<strong>in</strong>same<br />

Klassenfahrt an. Der darauf folgende Text soll e<strong>in</strong> Abriss der Veränderung<br />

me<strong>in</strong>er Gefühlswelt <strong>in</strong> Auschwitz se<strong>in</strong>.<br />

Wie ich me<strong>in</strong>e, ist es am s<strong>in</strong>nvollsten am Beg<strong>in</strong>n<br />

dieses Emotionsberichtes über me<strong>in</strong>e Vorstellungen<br />

und Erwartungen an die Fahrt<br />

nach Oświęcim und an das dort gelegene<br />

Konzentrationslager zu schreiben.<br />

Erwartungen im eigentlichen S<strong>in</strong>ne zu hegen<br />

habe ich mit Absicht zu vermeiden<br />

versucht, da ich glaubte besser und <strong>in</strong>tensiver<br />

mit den D<strong>in</strong>gen, mit denen ich mich<br />

<strong>in</strong> Polen ause<strong>in</strong>anderzusetzen hätte, umgehen<br />

zu können. Trotz dieser<br />

Bemühung<br />

hat sich bei mir die<br />

zugegebenermaßen klischeehafte Vorstellung<br />

von Auschwitz als e<strong>in</strong>em düsteren, f<strong>in</strong>steren,<br />

von aller Freude verlassenen Ort e<strong>in</strong>geschlichen.<br />

Als wir nach langer nächtlicher Zugfahrt am frühen,<br />

eiskalten Morgen ankamen, Nebel und F<strong>in</strong>sternis<br />

jeden Ausblick über zehn Meter h<strong>in</strong>aus unmöglich<br />

machten, wunderte ich mich, wie „modern“ Polen zu<br />

se<strong>in</strong> schien. Aber als die Dunkelheit zu schw<strong>in</strong>den begann,<br />

wurde mir wieder klar, dass wir uns eben doch<br />

<strong>in</strong> e<strong>in</strong>em ehemaligen Ostblockland befanden. Vor<br />

allem der Gestank, der von den Abgasen verschiedener<br />

Fabriken herrührt, verdeutlichte mir den Aufholbedarf<br />

Polens.<br />

Noch am selben Vormittag suchten wir das Museum<br />

Auschwitz auf, das Stammlager. Dort besichtigen wir<br />

die Gebäude, darunter das Krematorium, die Häftl<strong>in</strong>gsquartiere<br />

sowie jede Menge anderer Exponate<br />

und den Torbogen mit der berüchtigten Inschrift<br />

„Arbeit macht frei“. Gleich zu Beg<strong>in</strong>n der Führung<br />

wurde me<strong>in</strong>e e<strong>in</strong>zige Vorstellung von Auschwitz zerstört:<br />

Dies ist ke<strong>in</strong> Ort, über dem sprichwörtlich e<strong>in</strong>e<br />

schwarze Wolke hängt. Das KZ-Areal war von e<strong>in</strong>er<br />

frostigen Schneeschicht bedeckt, die glitzernd und<br />

funkelnd das Licht der Sonne reflektierte. Ich nahm<br />

Simon Hemetsberger<br />

wahr, dass dort wie<br />

auf allen anderen Plätzen der Welt die Sonne sche<strong>in</strong>en<br />

kann. Ich hatte fälschlicherweise angenommen,<br />

dass die Gräueltaten, die dort <strong>in</strong> unglaublich großer<br />

Anzahl und Niederträchtigkeit begangen worden<br />

waren, irgende<strong>in</strong>e Spur, e<strong>in</strong>e riesige „Narbe“ h<strong>in</strong>terlassen<br />

hätten.<br />

Was nicht nur für das Stammlager gilt: Mir ist unvorstellbar,<br />

wie die Insassen <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em dünnen Häftl<strong>in</strong>gsgewand<br />

länger als e<strong>in</strong>en Tag bei der Kälte, wie wir sie<br />

dort verspürten, überleben konnten.<br />

E<strong>in</strong>es der dort gezeigten Ausstellungsstücke, das<br />

mich besonders berührte (- neben den hunderten<br />

Häftl<strong>in</strong>gsfotos, die mit dem Datum der E<strong>in</strong>lieferung<br />

nach Auschwitz und dem Todestag des Häftl<strong>in</strong>gs versehen<br />

waren -), war e<strong>in</strong> Brief des KZ-Kommandanten<br />

Rudolf Höß. In diesem schrieb er über jüdische Mütter,<br />

die ihren verängstigten und we<strong>in</strong>enden K<strong>in</strong>dern<br />

Mut zuredeten und ihnen versprachen, dass alles<br />

bald gut se<strong>in</strong> werde, obwohl oder weil sie wussten,<br />

dass sie <strong>in</strong> wenigen M<strong>in</strong>uten vergast werden würden.<br />

Er wunderte sich darüber, woher die Frauen trotz der<br />

Todesnähe die Kraft hernahmen die K<strong>in</strong>der zu beru-<br />

higen. Was mich besonders schockierte,<br />

war, dass Höß das Leid und<br />

Elend dieser unschuldigen, ausgemergelten<br />

Menschen erkannte,<br />

es pe<strong>in</strong>lich genau <strong>in</strong> diesem Brief<br />

festhielt, aber nicht zugeben wollte,<br />

dass er selbst ihnen dies alles<br />

zufügte. Als ich selber Fotos von<br />

den sozusagen lebenden K<strong>in</strong>derleichen<br />

sah, wurde mir se<strong>in</strong> me<strong>in</strong>er<br />

Ansicht nach widersprüchliches<br />

Verhalten - falls e<strong>in</strong> solches überhaupt<br />

möglich ist - noch unerklärlicher.<br />

Wovor ich mich <strong>in</strong> besonderem<br />

Ausmaß ekelte, waren die ebenfalls<br />

dort ausgestell ten Berge von<br />

Menschenhaar, die zu Stoff verarbeitet<br />

werden sollten.<br />

Am Nachmittag desselben Tages<br />

wurden uns die Stadt Oświęcim<br />

sowie e<strong>in</strong> jüdisches Gedenkzentrum<br />

und e<strong>in</strong> entweihter jüdischer<br />

Friedhof gezeigt. Wir erfuhren, dass<br />

die Stadtbevölkerung zeitweise zu<br />

über 60% aus Juden bestand und<br />

dass heute dort ke<strong>in</strong> e<strong>in</strong>ziger Jude<br />

mehr lebt, was mich e<strong>in</strong>erseits wütend,<br />

andererseits aber sehr betroffen<br />

und traurig stimmte.<br />

Am nächsten Vormittag besuchten<br />

wir Auschwitz II, besser bekannt als<br />

Birkenau. Der erste E<strong>in</strong>druck war<br />

jener von der unfassbaren Größe<br />

dieses Lagers. Sah man am Stacheldrahtzaun<br />

entlang, verschwand er<br />

mehrere hundert Meter weiter im<br />

Nebel, was e<strong>in</strong>en glauben machte,<br />

dass das KZ unendlich groß sei.<br />

Wir traten dort <strong>in</strong> rekonstruierte<br />

Häftl<strong>in</strong>gsbaracken e<strong>in</strong>. Besonders<br />

bestürzend war für mich die K<strong>in</strong>derbaracke,<br />

da sich dort – wie uns<br />

unsere Führer<strong>in</strong> erzählte – e<strong>in</strong>e<br />

e<strong>in</strong>en Meter zwanzig hohe Latte<br />

befand; alle K<strong>in</strong>der wurden daran<br />

gemessen, und wenn das Gebäude<br />

überfüllt war, wurden jene, die<br />

kle<strong>in</strong>er waren, sofort zu den Gaskammern<br />

geschickt.<br />

Nachdem wir den Rest Birkenaus<br />

besichtigt und unser Mittagessen<br />

zu uns genommen hatten, durften<br />

wir an e<strong>in</strong>em Zeitzeugengespräch<br />

teilnehmen. Obwohl uns der Zeitzeuge<br />

alles genau zu erklären versuchte,<br />

fiel es mir schwer se<strong>in</strong>en<br />

Erläuterungen folgen, denn se<strong>in</strong><br />

Deutsch klang für mich außergewöhnlich<br />

fremd. Ich konnte mir<br />

trotz se<strong>in</strong>er e<strong>in</strong>dr<strong>in</strong>glichen Erklärungsversuche<br />

sehr schwer vorstellen,<br />

was dieser Mensch wirklich<br />

unter dem Nazi-Regime erdulden<br />

musste, da er wie jeder andere<br />

Mann se<strong>in</strong>es Alters aussah. Von<br />

außen war nichts Außergewöhnliches<br />

an ihm. Doch irgendwie hatte<br />

ich das Gefühl, dass dieses Frage-<br />

Antwort-Spiel, das e<strong>in</strong> KZ-Opfer<br />

mit meist respektlosen und vor<br />

allem ahnungslosen Jugendlichen<br />

spielen musste, äußerst erniedrigend<br />

se<strong>in</strong> musste, es war e<strong>in</strong>e Art<br />

„Freakshow“, <strong>in</strong> der er wie e<strong>in</strong> exotisches<br />

Untier an der Le<strong>in</strong>e vorgeführt<br />

wurde. Ich konnte mich des<br />

Gefühls nicht erwehren, dass die<br />

Nazis über ihr Ende h<strong>in</strong>aus doch<br />

„gewonnen“ hatten!<br />

Die Exkursion nach Auschwitz<br />

hat mir geholfen zu erfassen, was<br />

an Grausamkeiten und Abscheulichem<br />

während der Hitlerherrschaft<br />

wirklich geschehen ist.<br />

Obwohl ich <strong>in</strong> me<strong>in</strong>er gesamten<br />

Gymnasialzeit mehrere Male über<br />

dieses dunkelste Kapitel der Ge-<br />

52 53<br />

schichte unterrichtet worden und<br />

daher gut <strong>in</strong>formiert war, eröffnete<br />

sich e<strong>in</strong>em e<strong>in</strong>e neue, entsetzliche<br />

Dimension, <strong>in</strong>dem ich Auschwitz<br />

und Birkenau, den dazu gehörenden<br />

Krematorien und Baracken begegnete.<br />

Alle<strong>in</strong> der Gedanke, dass<br />

genau an der Stelle, wo ich gerade<br />

stand, vor annähernd 60 Jahren<br />

e<strong>in</strong> unschuldiger Mensch getötet<br />

wurde, erschüttert mich zutiefst.<br />

Im Angesicht von Auschwitz habe<br />

ich mich hilflos und völlig verstört<br />

gefühlt.<br />

Diese Projekttage haben mehr<br />

Fragen aufgeworfen, als sie mir<br />

beantwortet haben: Wie können<br />

Menschen anderen Menschen so<br />

etwas zufügen? Wie kann man e<strong>in</strong>em<br />

Wahn so verfallen se<strong>in</strong>? Wie<br />

kann man e<strong>in</strong> kle<strong>in</strong>es K<strong>in</strong>d monatelang<br />

ausbeuten und be<strong>in</strong>ahe<br />

verhungern lassen und dann e<strong>in</strong>fach<br />

<strong>in</strong> den Tod schicken? Wie können<br />

Menschen das alles aushalten?<br />

Wie kann man so etwas mit sich<br />

machen lassen? Warum haben sich<br />

nur so wenige gewehrt? …<br />

Das Nachdenken darüber wird bei<br />

mir noch lange anhalten. Doch<br />

bedrückt mich auch die Tatsache,<br />

dass das Leben trotz aller Grausamkeiten<br />

e<strong>in</strong>fach gnadenlos weitergehen<br />

kann und weitergeht.

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