Unsere einzigartige Brasilienreise - Amerikanetz
Unsere einzigartige Brasilienreise - Amerikanetz
Unsere einzigartige Brasilienreise - Amerikanetz
Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.
YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.
Wir erfuhren z. B, daß den Ärzten im „brasilianischen Münsterland" grundsätzlich eine plattdeutsch<br />
sprechende Sprechstundenhilfe zur Seite steht, sofern der jeweilige Arzt nicht selbst<br />
unsere Mundart beherrscht.<br />
Was uns interessant erschien, war folgende Redewendung, die im 19. und 20. Jahrhundert in<br />
Brasilien gebräuchlich war und heute noch ist. Wenn von Deutschland gesprochen wurde oder<br />
gesprochen wird, sagt man: „Der kommt von drüben“. Unweit von São Martinho liegt ein sehr<br />
kleiner Ort mit dem Namen Alemanha (Deutschland). Wenn Einwohner aus dem „brasilianischen<br />
Münsterland" eine Stippvisite in dem kleinem Ort gemacht hatten, sagten sie mit verschmitztem<br />
Stolz: „Wir waren drüben“.<br />
In gemütlicher Runde war es üblich, in einem großem Glas einen Drink in unterschiedlicher<br />
Zusammensetzung, sehr oft mit Zuckerrohrschnaps, zu mixen. Dieses gefüllte Glas machte dann<br />
seine gesellige Runde. Valberto erzählte, ein unwissender Gastdozent hätte den Inhalt des gefüllten<br />
Glases als sein eigen betrachtet und es bis auf den Grund ausgetrunken. Der Vortrag<br />
hätte dann nicht mehr stattgefunden, er sei ins Wasser (Schnaps) gefallen.<br />
Bei den meisten Kolonisten war der Anbau von Zuckerrohr, der in Zuckerfabriken verarbeitet<br />
wurde, bis vor ca. 20 Jahren die Haupterwerbsquelle. Nachdem der Import von Zucker aus Kuba<br />
preiswerter war, kam für die Kolonisten diese Einnahmequelle zum Erliegen.<br />
Ein großer Prozentsatz der Kolonisten im „brasilianischen Münsterland“ baut Tabak an. Es ist<br />
zur Zeit eine sichere Einnahmequelle, weil der Endpreis des geernteten, getrockneten Tabaks<br />
bei der Pflanzung schon feststeht. In den hohen Trockenspeichern wird heute überwiegend mit<br />
Trocknungsautomaten die Temperatur und Luftfeuchtigkeit für den Reifeprozeß des Tabaks<br />
reguliert. Bei der herkömmlichen manuellen Trocknung waren großes Fachwissen und Erfahrungswerte<br />
der Kolonisten in der Reifephase gefragt. Die offene Feuerstelle mußte Tag und<br />
Nacht befeuert und beobachtet werden, damit die Temperatur im Trockenraum konstant blieb.<br />
Die Kolonisten haben ihr Nachtlager in der Zeit des Trocknunsprozesses oft im Speicher neben<br />
der Feuerstelle aufgeschlagen, um in erforderlichen Zeitabständen Brennmaterial nachzulegen.<br />
Auf die Favelas möchten wir, ohne eine tiefgreifende Untersuchung durchzuführen, wie folgt<br />
hinweisen. Wir sahen hauptsächlich in Florianópolis kilometerweit links und rechts der großen<br />
Ausfallstraßen erbärmliche menschliche Behausungen, die in Brasilien Favelas genannt werden.<br />
Aus allen Gegenständen des Sperrmülls werden über Nacht, natürlich ohne Bauerlaubnis, in<br />
Gemeinschaftsarbeit für unsere Begriffe mehr als unwürdige Unterkünfte errichtet, im krassen<br />
Gegensatz zu der wunderbaren Silhouette der Stadt Florianópolis mit der überdurchschnittlich<br />
menschlichen Wohnkultur. Der Stadt sind die illegalen Besetzungen der städtischen Grundstücke<br />
entlang der Straßen ein Dorn im Auge. Wenn am Tag die Hütten im städtischem Auftrag<br />
durch Raupenfahrzeuge entfernt werden, entstehen in der Nacht wieder unerwünschte neue Behausungen.<br />
Die Stadt hat große Wohnblocks mit einem geringen Mietzins für die Minderbemittelten<br />
errichtet, um sie durch Umsiedlung wieder in die Gesellschaft einzugliedern. Ein großer<br />
Teil der Favelasbewohner verschmäht die bessere Wohnkultur und zieht das menschenunwürdige<br />
Leben in den Hütten vor. Viele Favelasbewohner und deren Vorfahren sind in dieses Milieu<br />
hinein geboren worden und wollen nicht bedauert werden. Es ist für uns nicht vorstellbar,<br />
daß ein gesunder, charakterfester Bürger aus der Mittelschicht so in das untere asoziale Umfeld<br />
abgleiten kann.<br />
In Brasilien steht der Ausspruch der legendären drei V für Vergessen, verhaßt, verehrt, er hat<br />
mich sehr nachdenklich gestimmt und ich fragte nach dem Hintergrund dieser Aussage in Brasilien.<br />
Vergessen: Man sagte mir, daß die deutschen Kolonisten nach der Einwanderung im 19. Jahrhundert<br />
und der Zuteilung ihrer zugedachten Urwaldflächen von der brasilianischen<br />
Regierung alleingelassen wurden. Man glaubte wohl, daß die Zielstrebigkeit,<br />
der Fleiß und der ungebrochene Wille der Deutschen, aus dieser Pionierarbeit das<br />
Beste für sich und die kommenden Generationen zu machen, genug Voraussetzungen<br />
für einen neuen Lebensabschnitt waren.<br />
Verhaßt: Die Brasilianer deutscher Herkunft waren im Ersten wie auch im Zweiten Weltkrieg<br />
dauernden Repressalien durch die brasilianische Regierung ausgesetzt. Die<br />
deutsche Sprache, ihre Bräuche und die Pflege des kulturellen Lebens wurden mit<br />
3