30.12.2013 Aufrufe

Sachlicher Romanze

Sachlicher Romanze

Sachlicher Romanze

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Erfolgreiche ePaper selbst erstellen

Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.

Die Frage ist, welche Haltung der Sprecher und letztlich Kästner selbst gegenüber dem Geschehen<br />

einnimmt, ob es wirklich unpersönliche Distanz ist oder nicht vielmehr eine allgemein menschliche<br />

Trauer, auch wenn sie einfach auf der Beschreibungsebene bleibt. Vielleicht löst das ja gerade Betroffenheit<br />

aus, was in der ersten Strophe beschrieben wird, dass das Schönste, was es in diesem<br />

Leben gibt, nämlich die Liebe, genauso verschwindet, verloren geht wie ein überhaupt nicht wichtiger<br />

Gegenstand.<br />

Hier kann eine Bemerkung zum Autor weiter helfen: Kästner glaubte an das Mitleid als den höchsten<br />

moralischen Wert – und man kann dieses Mitleid durchaus in diesem Gedicht erkennen – aber<br />

es ist eins, das von Humor in dem Sinne nicht weit entfernt ist, dass hier etwas beschrieben wird,<br />

was jedem von uns passieren kann. Kästner erhebt sich nicht über die vom Unglück Betroffenen,<br />

fast hält er schonende Distanz.<br />

Die Idee von der Allgemeingültigkeit des Vorgangs wird dadurch unterstützt, dass Kästner im Gedicht<br />

einfach „sie“ sagt, wenn es um die beiden Unglücklichen geht – damit stehen sie stellvertretend<br />

für die Vielen, denen es genauso geht. Das Gedicht bekommt eine gewisse parabolische Bedeutung,<br />

d.h. wie in einer Parabel wird eine Geschichte erzählt, die - auf das Wesentliche reduziert<br />

– eine allgemeine Aussage macht. Man verlässt dieses Gedicht klüger, als man hineingeraten ist,<br />

aber auch trauriger, vielleicht auch etwas wachsamer, was die eigene Liebe angeht – aber wie die zu<br />

schützen ist, darüber sagt das Gedicht nichts, man muss es selbst herausfinden.<br />

Noch ein kleiner Nachtrag zum Begriff der „Sachlichkeit“<br />

Die Zeit der Weimarer Republik, in der dieses Gedicht entstanden ist (um 1928), enthält auch eine<br />

literarische Strömung, die man „neue Sachlichkeit“ nennt: Diese Literatur bedeutete eine Art gereimte<br />

Prosa, Journalismus in Versen, bzw. Lebenshilfe in Gedichten. Zwar bekommt man nicht<br />

viel Hilfe in diesem Gedicht, aber über das Leben erfährt man viel – und das in einer provozierend<br />

einfachen Sprache, die viele Menschen erreichen konnte und kann.

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!