April 1999 - Der Fels
April 1999 - Der Fels
April 1999 - Der Fels
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preis ist seit Oktober 97 um mehr<br />
als vierzig Prozent gefallen, das<br />
Exportvolumen dieser Haupteinnahmequelle<br />
sinkt ebenfalls, so<br />
daß in den nächsten Monaten und<br />
Jahren mit einer harten Rezession<br />
zu rechnen ist. Das Pro-Kopf-Einkommen<br />
sinkt beständig, die Preise<br />
für Grundnahrungsmittel steigen<br />
drastisch, mit ihnen die Inflation,<br />
die Straßen füllen sich mit Arbeitslosen,<br />
neuerdings auch mit<br />
akademisch gebildeten. In den Gewerkschaften<br />
und auf dem Basar<br />
gärt es. Da die Bevölkerung seit<br />
Jahren auf Sparflamme lebt, waren<br />
und sind soziale Unruhen keineswegs<br />
auszuschließen.<br />
Aber es wäre eine Illusion zu<br />
glauben, daß das wirtschaftlich geschwächte<br />
Regime jetzt ideologisch<br />
sanfter vorginge, nur weil in<br />
vielen Rathäusern Reformer ohne<br />
Geld sitzen. Im Gegenteil. Überall<br />
wird gespart, nur beim Nuklearprogramm<br />
und dem Revolutionsexport<br />
nicht. Daß Teheran bereits<br />
über Trägersysteme mit Reichweiten<br />
bis zu zweitausend Kilometer<br />
verfügt, ist nicht nur in Israel<br />
bekannt, das voll im Radius dieser<br />
Raketen liegt. Offen ist eigentlich<br />
nur, wann diese Systeme auch mit<br />
Atomwaffen bestückt werden können.<br />
Momentan sollen mehrere<br />
Dutzend russische Physiker und<br />
Wissenschaftler auf den Gehaltslisten<br />
Teherans stehen und iranischen<br />
Kollegen das nötige Know<br />
how vermitteln. Moskau selber liefert<br />
Material knapp unterhalb der<br />
militärisch nutzbaren Schwelle –<br />
für harte Dollars, versteht sich.<br />
Den Exodus seiner Wissenschaftler<br />
kann Moskau nur begrenzt kontrollieren.<br />
Dem Import an Know how steht<br />
der Export an revolutionären Ideen<br />
gegenüber. Zwar ist der Waren-Export<br />
für die traditionellen Güter Öl,<br />
Pistazien, Kaviar und Teppichen<br />
rückläufig, für die Ausfuhr der revolutionären<br />
Ideen aber gibt es<br />
keine Schranken. Selbst in Südafrika<br />
sind die Revolutionäre aktiv.<br />
Das Land am Kap ist sogar als bevorzugtes<br />
Ziel für den Revolutionsexport<br />
auserkoren worden.<br />
Und zwar in Zusammenarbeit mit<br />
dem weißen Untergrund, rechtsextremen<br />
Buren, die aus ideologischen<br />
und rassistischen Gründen<br />
das demokratische Regime in Pretoria<br />
bekämpfen. Ihr gemeinsames<br />
Ziel: die Aufteilung Südafrikas.<br />
Die Buren und die Muslims sollen<br />
ihren eigenen Staat bekommen<br />
oder wenigstens eine weitgehende<br />
Autonomie.<br />
Aber auch intern verfolgen die<br />
Mullahs nach wie vor einen radikalen<br />
Kurs. Die Verfolgung der Bahai<br />
wurde verschärft, liberale Schriftsteller<br />
werden gejagt und ermordet,<br />
man redet vom Club der toten<br />
Dichter. Und damit es nicht zu sozialen<br />
Unruhen kommt, denkt man<br />
in der Führung darüber nach, eine<br />
außenpolitische neue Krise gegen<br />
die Taliban in Afghanistan oder um<br />
die strategisch wichtigen Inseln in<br />
der Straße von Hormus zu provozieren.<br />
All das will man im Westen nicht<br />
so richtig zur Kenntnis nehmen.<br />
Man verweist auf die Kommunalwahlen<br />
im März, bei denen die Reformer<br />
um Chatami große Erfolge<br />
errungen hätten. Aber man vergißt,<br />
daß Reformen auch Geld kosten.<br />
Die Reformer haben in den Rathäusern<br />
leere Kassen vorgefunden.<br />
Das Kalkül der schwarzen<br />
Mullahs dürfte sein: Mit den Wahlen<br />
kann das Volk erstmal Luft ablassen,<br />
und wenn der Unmut weiter<br />
wächst und sogar soziale Unruhen<br />
auszubrechen drohen, dann haben<br />
wir mit den Reformern die Sündenböcke.<br />
Das dürfte der Hauptgrund<br />
gewesen sein, weshalb man die in<br />
der Verfassung vor zwanzig Jahren<br />
schon vorgeschriebenen Wahlen<br />
erst jetzt im März 99 gestattete. Das<br />
Kalkül geht weiter: Wenn es Chatami<br />
gelingt, auf seiner Goodwill-<br />
Tournee in Europa neue Kredite<br />
locker zu machen, dann hilft das<br />
dem Regime insgesamt. Keiner<br />
kann so überzeugend Hände<br />
schütteln wie Chatami – zum Wohle<br />
aller Mullahs. Denn eines ist<br />
klar: Die Reformer verfügen nicht<br />
über die Schlüsselpositionen in der<br />
Republik. Beispiel Justiz: Kein Gericht<br />
der islamischen Republik ist<br />
wirklich unabhängig. Diese Republik<br />
hat eine Doppel-Verfassung:<br />
Neben den staatlichen Instanzen<br />
stehen die religiösen, und die haben<br />
im Zweifelsfall Vorrang. Das<br />
gilt für die Pasdaran (Revolutionswächter)<br />
in Bezug auf die Armee<br />
ebenso wie für die Gerichte in Bezug<br />
auf die Religionstribunale. Das<br />
müssen bisweilen selbst allzu<br />
reformeifrige Geistliche am eigenen<br />
Leibe spüren, etwa Mohsen<br />
Kadivar, der im März wegen seiner<br />
Kritik an der beherrschenden Rolle<br />
der Mullahs in Politik und Justiz<br />
festgenommen wurde und sich vor<br />
so einem Gericht verantworten<br />
muß. Und es ist auch verfrüht, im<br />
Justizwesen selbst eine Wende zu<br />
mehr Liberalität zu sehen, nur weil<br />
der jetzige konservative Leiter,<br />
Ayatollah Mohammad Yasdi, nicht<br />
mehr für eine weitere Amtszeit<br />
kandidieren will. <strong>Der</strong> Nachfolger<br />
wird vom geistlichen Oberhaupt,<br />
Ayatollah Chamenei, ernannt, und<br />
außerdem unterliegen die Urteile<br />
des Justizwesens den geistlichen<br />
„Aufsichtsräten“, dem Obersten<br />
Revolutionsrat, in dem die Reformer<br />
weder Sitz noch Einfluß haben.<br />
Diese politischen Verhältnisse<br />
sind im Vatikan bekannt. Dort betreibt<br />
man Realpolitik für den Frieden<br />
und zum Schutz der Christen in<br />
der Region. Und man hat einen weiteren<br />
Blick, der sich mit dem bekannten<br />
Wort von Jacques Maritain<br />
beschreiben läßt: Das kommende<br />
Jahrhundert wird religiös sein oder<br />
es wird gar nicht sein.<br />
In der Tat, angesichts der skrupellosen<br />
Anwendung von menschenverachtenden<br />
Forschungsergebnissen<br />
der Pharma-Industrie<br />
(RU 486) und der sich in den USA<br />
entwickelnden Klon-Industrie sowie<br />
der alles niederwalzenden Tyrannei<br />
des Marktes, der ethiklos<br />
nur nach den Gesetzen von Angebot<br />
und Nachfrage funktioniert,<br />
darf man sich die Frage stellen: wo<br />
sind heute die Verbündeten für eine<br />
menschenfreundliche Vision? Im<br />
Islam wird man sie immerhin teilweise<br />
finden, im radikalen Islam<br />
kaum. Dessen starre Vorstellungen<br />
von Welt und Gott sind mit der Toleranz<br />
des Christentums nicht vereinbar.<br />
Auch unterscheidet er generell<br />
nicht zwischen Staat und Religion.<br />
Deshalb laufen islamisch<br />
geprägte Regime immer Gefahr, in<br />
eine weltimmanente Theokratie<br />
oder theokratische Diktatur abzugleiten,<br />
siehe Iran.<br />
116 DER FELS 4/<strong>1999</strong>