30.12.2013 Aufrufe

April 1999 - Der Fels

April 1999 - Der Fels

April 1999 - Der Fels

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.

YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.

preis ist seit Oktober 97 um mehr<br />

als vierzig Prozent gefallen, das<br />

Exportvolumen dieser Haupteinnahmequelle<br />

sinkt ebenfalls, so<br />

daß in den nächsten Monaten und<br />

Jahren mit einer harten Rezession<br />

zu rechnen ist. Das Pro-Kopf-Einkommen<br />

sinkt beständig, die Preise<br />

für Grundnahrungsmittel steigen<br />

drastisch, mit ihnen die Inflation,<br />

die Straßen füllen sich mit Arbeitslosen,<br />

neuerdings auch mit<br />

akademisch gebildeten. In den Gewerkschaften<br />

und auf dem Basar<br />

gärt es. Da die Bevölkerung seit<br />

Jahren auf Sparflamme lebt, waren<br />

und sind soziale Unruhen keineswegs<br />

auszuschließen.<br />

Aber es wäre eine Illusion zu<br />

glauben, daß das wirtschaftlich geschwächte<br />

Regime jetzt ideologisch<br />

sanfter vorginge, nur weil in<br />

vielen Rathäusern Reformer ohne<br />

Geld sitzen. Im Gegenteil. Überall<br />

wird gespart, nur beim Nuklearprogramm<br />

und dem Revolutionsexport<br />

nicht. Daß Teheran bereits<br />

über Trägersysteme mit Reichweiten<br />

bis zu zweitausend Kilometer<br />

verfügt, ist nicht nur in Israel<br />

bekannt, das voll im Radius dieser<br />

Raketen liegt. Offen ist eigentlich<br />

nur, wann diese Systeme auch mit<br />

Atomwaffen bestückt werden können.<br />

Momentan sollen mehrere<br />

Dutzend russische Physiker und<br />

Wissenschaftler auf den Gehaltslisten<br />

Teherans stehen und iranischen<br />

Kollegen das nötige Know<br />

how vermitteln. Moskau selber liefert<br />

Material knapp unterhalb der<br />

militärisch nutzbaren Schwelle –<br />

für harte Dollars, versteht sich.<br />

Den Exodus seiner Wissenschaftler<br />

kann Moskau nur begrenzt kontrollieren.<br />

Dem Import an Know how steht<br />

der Export an revolutionären Ideen<br />

gegenüber. Zwar ist der Waren-Export<br />

für die traditionellen Güter Öl,<br />

Pistazien, Kaviar und Teppichen<br />

rückläufig, für die Ausfuhr der revolutionären<br />

Ideen aber gibt es<br />

keine Schranken. Selbst in Südafrika<br />

sind die Revolutionäre aktiv.<br />

Das Land am Kap ist sogar als bevorzugtes<br />

Ziel für den Revolutionsexport<br />

auserkoren worden.<br />

Und zwar in Zusammenarbeit mit<br />

dem weißen Untergrund, rechtsextremen<br />

Buren, die aus ideologischen<br />

und rassistischen Gründen<br />

das demokratische Regime in Pretoria<br />

bekämpfen. Ihr gemeinsames<br />

Ziel: die Aufteilung Südafrikas.<br />

Die Buren und die Muslims sollen<br />

ihren eigenen Staat bekommen<br />

oder wenigstens eine weitgehende<br />

Autonomie.<br />

Aber auch intern verfolgen die<br />

Mullahs nach wie vor einen radikalen<br />

Kurs. Die Verfolgung der Bahai<br />

wurde verschärft, liberale Schriftsteller<br />

werden gejagt und ermordet,<br />

man redet vom Club der toten<br />

Dichter. Und damit es nicht zu sozialen<br />

Unruhen kommt, denkt man<br />

in der Führung darüber nach, eine<br />

außenpolitische neue Krise gegen<br />

die Taliban in Afghanistan oder um<br />

die strategisch wichtigen Inseln in<br />

der Straße von Hormus zu provozieren.<br />

All das will man im Westen nicht<br />

so richtig zur Kenntnis nehmen.<br />

Man verweist auf die Kommunalwahlen<br />

im März, bei denen die Reformer<br />

um Chatami große Erfolge<br />

errungen hätten. Aber man vergißt,<br />

daß Reformen auch Geld kosten.<br />

Die Reformer haben in den Rathäusern<br />

leere Kassen vorgefunden.<br />

Das Kalkül der schwarzen<br />

Mullahs dürfte sein: Mit den Wahlen<br />

kann das Volk erstmal Luft ablassen,<br />

und wenn der Unmut weiter<br />

wächst und sogar soziale Unruhen<br />

auszubrechen drohen, dann haben<br />

wir mit den Reformern die Sündenböcke.<br />

Das dürfte der Hauptgrund<br />

gewesen sein, weshalb man die in<br />

der Verfassung vor zwanzig Jahren<br />

schon vorgeschriebenen Wahlen<br />

erst jetzt im März 99 gestattete. Das<br />

Kalkül geht weiter: Wenn es Chatami<br />

gelingt, auf seiner Goodwill-<br />

Tournee in Europa neue Kredite<br />

locker zu machen, dann hilft das<br />

dem Regime insgesamt. Keiner<br />

kann so überzeugend Hände<br />

schütteln wie Chatami – zum Wohle<br />

aller Mullahs. Denn eines ist<br />

klar: Die Reformer verfügen nicht<br />

über die Schlüsselpositionen in der<br />

Republik. Beispiel Justiz: Kein Gericht<br />

der islamischen Republik ist<br />

wirklich unabhängig. Diese Republik<br />

hat eine Doppel-Verfassung:<br />

Neben den staatlichen Instanzen<br />

stehen die religiösen, und die haben<br />

im Zweifelsfall Vorrang. Das<br />

gilt für die Pasdaran (Revolutionswächter)<br />

in Bezug auf die Armee<br />

ebenso wie für die Gerichte in Bezug<br />

auf die Religionstribunale. Das<br />

müssen bisweilen selbst allzu<br />

reformeifrige Geistliche am eigenen<br />

Leibe spüren, etwa Mohsen<br />

Kadivar, der im März wegen seiner<br />

Kritik an der beherrschenden Rolle<br />

der Mullahs in Politik und Justiz<br />

festgenommen wurde und sich vor<br />

so einem Gericht verantworten<br />

muß. Und es ist auch verfrüht, im<br />

Justizwesen selbst eine Wende zu<br />

mehr Liberalität zu sehen, nur weil<br />

der jetzige konservative Leiter,<br />

Ayatollah Mohammad Yasdi, nicht<br />

mehr für eine weitere Amtszeit<br />

kandidieren will. <strong>Der</strong> Nachfolger<br />

wird vom geistlichen Oberhaupt,<br />

Ayatollah Chamenei, ernannt, und<br />

außerdem unterliegen die Urteile<br />

des Justizwesens den geistlichen<br />

„Aufsichtsräten“, dem Obersten<br />

Revolutionsrat, in dem die Reformer<br />

weder Sitz noch Einfluß haben.<br />

Diese politischen Verhältnisse<br />

sind im Vatikan bekannt. Dort betreibt<br />

man Realpolitik für den Frieden<br />

und zum Schutz der Christen in<br />

der Region. Und man hat einen weiteren<br />

Blick, der sich mit dem bekannten<br />

Wort von Jacques Maritain<br />

beschreiben läßt: Das kommende<br />

Jahrhundert wird religiös sein oder<br />

es wird gar nicht sein.<br />

In der Tat, angesichts der skrupellosen<br />

Anwendung von menschenverachtenden<br />

Forschungsergebnissen<br />

der Pharma-Industrie<br />

(RU 486) und der sich in den USA<br />

entwickelnden Klon-Industrie sowie<br />

der alles niederwalzenden Tyrannei<br />

des Marktes, der ethiklos<br />

nur nach den Gesetzen von Angebot<br />

und Nachfrage funktioniert,<br />

darf man sich die Frage stellen: wo<br />

sind heute die Verbündeten für eine<br />

menschenfreundliche Vision? Im<br />

Islam wird man sie immerhin teilweise<br />

finden, im radikalen Islam<br />

kaum. Dessen starre Vorstellungen<br />

von Welt und Gott sind mit der Toleranz<br />

des Christentums nicht vereinbar.<br />

Auch unterscheidet er generell<br />

nicht zwischen Staat und Religion.<br />

Deshalb laufen islamisch<br />

geprägte Regime immer Gefahr, in<br />

eine weltimmanente Theokratie<br />

oder theokratische Diktatur abzugleiten,<br />

siehe Iran.<br />

116 DER FELS 4/<strong>1999</strong>

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!