Tanzstunde 1946 „Wer will denn nach diesen Zeiten ... - Durchblick

Türchen und herausnehmbarem Aschenkasten. Das Wichtigste
fehlte aber immer noch: Die Musik! Es kostete einem
unserer Mädchen viel liebevolle Überredungskunst mit
ihrem Papa, bis der endlich weich wurde und ihr den aus
den Trümmern geretteten Kofferplattenspieler und ein paar
wirklich schöne Tanzmusik-Schallplatten überließ. Sie
musste ihm hoch und heilig versprechen, dass nur sie
alleine das Gerät bedienen würde und dass es nach jeder
Tanzstunde ohne Macken wieder nach Hause kam. Als der
Herbst ins Land kam, hatte Herr Hesse neunundzwanzig
angemeldete Tanzschüler.
Zum Eröffnungstag hatte
meine Mutter unseren
„Meister“ herausgeputzt.
Seinen alten, abgestoßenen
Anzug gebürstet, ein wenig
das silbergraue Haar gestutzt und ihm dreimal über die
linke Schulter gespuckt. „Toi, Toi, Toi“, hatte sie gesagt,
und er hatte ihr gekonnt die Hand geküsst.
Wir standen alle bereits vor dem Bunker, als unser
„Meister“ kam. Unsere Kleidung war einfach, unsere
Freude riesig, und das Päckchen, das jeder trug, geheimnisvoll.
Wir stiegen die vielen Stufen hinauf und dann
Unterhaltung
Unsere Kleidung war einfach,
unsere Freude riesig, und das Päckchen,
das jeder trug, geheimnisvoll.
wurden unsere Päckchen ausgepackt! Holz, Kohlen,
Briketts, alte Zeitungen und alles Brennbare kam zu Tage.
Das Öfchen wurde gefüttert, bald bollerte es und unser
Raum wurde richtig schön warm. Unser Tanzlehrer hielt
eine kleine Rede, in der er sich für alles bedankte, was wir
geleistet hatten. Und für den Mut in die Zukunft, den wir
ihm wieder gegeben hatten.
Nachdem die Damen links und die Herren rechts Platz
genommen hatten, brachte er uns, die wir bis jetzt eher
eine kleine, liebevolle
„Hau-Ruck-Gesellschaft“
gewesen waren, bei, wie
wir uns nun – wenigstens in
der Tanzstunde – gesellschaftsfähig
zu benehmen
hätten. Ja, alles schön und
gut, unser Kopf war nicht so an Etikette interessiert, denn
unsere Beine zuckten. Endlich wurde die erste Platte aufgelegt.
Die Musik erklang, unser grauer Raum wurde zum
Glaspalast, auf einmal blühte der weiße Flieder, und wir
tanzten in den siebenten Himmel der Liebe!
Ja, so war’s 1946! Und – so wie es war –, war es wirklich
schön!
Inge Göbel
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durchblick 2/2006 7