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Tanzstunde 1946 „Wer will denn nach diesen Zeiten ... - Durchblick

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Eins-Zwei-Drei, Eins-Zwei-Drei, „Die Damen<br />

schauen am rechten Ohr des Mannes vorbei. Bitte,<br />

meine Herren, gehen Sie mehr auf Tuchfühlung!“<br />

Wiener Blut, Wiener Blut, „und schön im Takt<br />

bleiben“ wie das jauchzt, wie das klingt, wie das …….<br />

„aua“. Schon wieder war der Absatz<br />

eines Herren auf der Fußspitze einer<br />

Dame gelandet.<br />

Meine Güte! Wie sich das anhört?<br />

Meine Damen – meine Herren. Denn<br />

die, die sich dort im Dreivierteltakt<br />

drehten, machten absolut nicht den<br />

Eindruck, Damen und Herren zu sein.<br />

Diese jungen Menschen wollten einfach<br />

nur tanzen, und sie hatten viel<br />

getan, das zu erreichen!<br />

OK, ich erzähle mal der Reihe<br />

<strong>nach</strong>. Bei dem Bombenangriff am<br />

19. 2. 1945 wurde uns auch noch der<br />

Rest unserer Kellerunterkunft genommen.<br />

Der Chef meines Vaters, der<br />

selbst eine Familie mit fünf Personen<br />

hatte, nahm uns in seinem schönen<br />

Einfamilienhaus im Buschweg/Rosterberg<br />

auf. Wir waren ebenfalls fünf Personen, und es war<br />

bereits Enge genug, als uns von Amts wegen noch ein<br />

Bewohner zugewiesen wurde. Dies war ein alter Herr,<br />

welcher in Siegen gut bekannt war, <strong>denn</strong> dort hatte er<br />

bereits viele Jahre eine Tanzschule betrieben. Der Tanzlehrer<br />

Hesse, inzwischen bestimmt über 70, war an Körper<br />

und Seele ziemlich zerstört. Er hatte keine Familie und<br />

glaubte, wie er sagte, auch nicht an eine Zukunft als Tanzlehrer.<br />

<strong>„Wer</strong> <strong>will</strong> <strong>denn</strong> <strong>nach</strong> <strong>diesen</strong> <strong>Zeiten</strong> und in <strong>diesen</strong><br />

<strong>Zeiten</strong> tanzen? Tanzen ist doch wohl das Letzte, woran die<br />

Leute heute denken!“ pflegte er immer zu sagen.<br />

Uns tat dieser Mensch<br />

sehr Leid. Sein Leben war<br />

Tanzen gewesen, und sonst<br />

konnte er nichts. Gerne unterhielt<br />

er sich mit meiner<br />

Mutter, die ihm immer wieder<br />

Mut zusprach. „Gerade<br />

jetzt – Herr Hesse – gerade <strong>nach</strong> solchen schlimmen <strong>Zeiten</strong><br />

und in unserer Tristesse wollen die Menschen wieder<br />

leben. Und zum Leben gehört Musik – und Musik ist Tanz.“<br />

Dabei nahm sie ihn schon mal am Arm und drehte zu einer<br />

imaginären Musik ein, zwei Ründchen. Mehr ließ der Platz<br />

des Zimmers – noch die Puste Herrn Hesses – nicht zu.<br />

In solchen Augenblicken huschte auch mal ein kleines<br />

Lächeln über das Gesicht des Grauhaarigen, aber wenn sein<br />

Magen wieder knurrte, war alles beim Alten. Hunger hatte<br />

Unterhaltung<br />

<strong>Tanzstunde</strong> <strong>1946</strong><br />

Diese Klasse haben wir leider nie<br />

erreicht: Walter Kaiser und Marianne<br />

Wolff 1952/53.<br />

<strong>„Wer</strong> <strong>will</strong> <strong>denn</strong> <strong>nach</strong> <strong>diesen</strong> <strong>Zeiten</strong><br />

und in <strong>diesen</strong> <strong>Zeiten</strong> tanzen?<br />

Tanzen ist doch wohl das Letzte, woran<br />

die Leute heute denken!“<br />

er ständig, und man sah ihn draußen auch nur mit einer<br />

Soldatenschultertasche, in die er alles steckte, was er für<br />

essbar hielt. Manchmal half ich ihm, sein Zimmer aufzuräumen,<br />

und als ich dabei verfaultes Obst und eine<br />

schimmelige Brotkruste fand, war uns klar, es war nicht nur<br />

mit reden getan – er brauchte Hilfe.<br />

Mutter hatte die Idee! In unserer<br />

Verwandtschaft war ein Stadtverordneter.<br />

Der musste helfen, und er tat es<br />

auch! So konnte Mutter <strong>nach</strong> ein bis<br />

zwei Monaten ihren Plan fix und<br />

fertig dem Tanzlehrer Hesse vortragen.<br />

Also … in dem Hochbunker Eintracht/Gläserstraße/Koblenzer<br />

Straße<br />

bekam Herr Hesse ganz oben einen<br />

Raum, in dem er eine Tanzschule<br />

eröffnen konnte. Die Freude seinerseits<br />

hielt sich in Grenzen. „Wie soll<br />

das gehen? Ein fensterloser, kalter<br />

Raum, keine Reklame, und die Musik,<br />

und, und, und … ja – eine Genehmigung<br />

muss ich doch auch haben.“ Die<br />

hatte Mutti bereits für ihn besorgt.<br />

Seine Gesichtszüge wurden weich,<br />

als er das Papier in der Hand hielt. Für<br />

alles Weitere hatte Mutti mich eingeplant. Das ging auch<br />

klar. Jedem, der es wissen wollte – oder auch nicht – erzählte<br />

ich von der bevorstehenden Tanzschuleröffnung, und<br />

in kürzester Zeit hatte ich viele Interessenten zusammen.<br />

Alle wollten nicht nur Tanzen lernen, sondern waren auch<br />

zu jeglicher Hilfe bereit.<br />

Meine Freundinnen und ich befreiten den grauen, tristen<br />

Raum vom Dreck. Ein Klassenfreund brachte einen halben<br />

Eimer weiße Farbe. Frisch war diese auch nicht mehr – und<br />

zu wenig war es auch. Es hätte nicht gereicht, alle Wände zu<br />

weißen. So malten wir einfach<br />

nur breite, weiße Streifen<br />

an die Wände. 40 cm<br />

grau, 40 cm weiß. Nicht<br />

schlecht, ein tolles Design!<br />

Licht gab uns eine Glühbirne,<br />

die ebenfalls gespendet<br />

wurde. Und so sah schon<br />

<strong>nach</strong> kurzer Zeit alles recht freundlich aus. Herr Hesse<br />

stand bei all dem Gewusel, das wir veranstalteten, nur im<br />

Weg, aber er stand uns lächelnd im Weg. Stühle bekamen<br />

wir vom Herrn Stadtverordneten. Jeder Stuhl aus einer anderen<br />

Epoche, aber man hatte das Gefühl, dass auch die sich<br />

freuten, bei solch einem Unterfangen dabei zu sein. Ich<br />

weiß nicht mehr, wie es kam, und ich weiß auch nicht mehr,<br />

wie alles klappte. Plötzlich war ein altes Kanonenöfchen da,<br />

ein richtig schönes Modell, Gusseisen mit verziertem<br />

6 durchblick 2/2006<br />


Türchen und herausnehmbarem Aschenkasten. Das Wichtigste<br />

fehlte aber immer noch: Die Musik! Es kostete einem<br />

unserer Mädchen viel liebevolle Überredungskunst mit<br />

ihrem Papa, bis der endlich weich wurde und ihr den aus<br />

den Trümmern geretteten Kofferplattenspieler und ein paar<br />

wirklich schöne Tanzmusik-Schallplatten überließ. Sie<br />

musste ihm hoch und heilig versprechen, dass nur sie<br />

alleine das Gerät bedienen würde und dass es <strong>nach</strong> jeder<br />

<strong>Tanzstunde</strong> ohne Macken wieder <strong>nach</strong> Hause kam. Als der<br />

Herbst ins Land kam, hatte Herr Hesse neunundzwanzig<br />

angemeldete Tanzschüler.<br />

Zum Eröffnungstag hatte<br />

meine Mutter unseren<br />

„Meister“ herausgeputzt.<br />

Seinen alten, abgestoßenen<br />

Anzug gebürstet, ein wenig<br />

das silbergraue Haar gestutzt und ihm dreimal über die<br />

linke Schulter gespuckt. „Toi, Toi, Toi“, hatte sie gesagt,<br />

und er hatte ihr gekonnt die Hand geküsst.<br />

Wir standen alle bereits vor dem Bunker, als unser<br />

„Meister“ kam. Unsere Kleidung war einfach, unsere<br />

Freude riesig, und das Päckchen, das jeder trug, geheimnisvoll.<br />

Wir stiegen die vielen Stufen hinauf und dann<br />

Unterhaltung<br />

Unsere Kleidung war einfach,<br />

unsere Freude riesig, und das Päckchen,<br />

das jeder trug, geheimnisvoll.<br />

wurden unsere Päckchen ausgepackt! Holz, Kohlen,<br />

Briketts, alte Zeitungen und alles Brennbare kam zu Tage.<br />

Das Öfchen wurde gefüttert, bald bollerte es und unser<br />

Raum wurde richtig schön warm. Unser Tanzlehrer hielt<br />

eine kleine Rede, in der er sich für alles bedankte, was wir<br />

geleistet hatten. Und für den Mut in die Zukunft, den wir<br />

ihm wieder gegeben hatten.<br />

Nachdem die Damen links und die Herren rechts Platz<br />

genommen hatten, brachte er uns, die wir bis jetzt eher<br />

eine kleine, liebevolle<br />

„Hau-Ruck-Gesellschaft“<br />

gewesen waren, bei, wie<br />

wir uns nun – wenigstens in<br />

der <strong>Tanzstunde</strong> – gesellschaftsfähig<br />

zu benehmen<br />

hätten. Ja, alles schön und<br />

gut, unser Kopf war nicht so an Etikette interessiert, <strong>denn</strong><br />

unsere Beine zuckten. Endlich wurde die erste Platte aufgelegt.<br />

Die Musik erklang, unser grauer Raum wurde zum<br />

Glaspalast, auf einmal blühte der weiße Flieder, und wir<br />

tanzten in den siebenten Himmel der Liebe!<br />

Ja, so war’s <strong>1946</strong>! Und – so wie es war –, war es wirklich<br />

schön!<br />

Inge Göbel<br />

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durchblick 2/2006 7

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