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Spuren früher Vermessung und Raumordnung in der Region Basel ...

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Kultur- <strong>und</strong> Technikgeschichte<br />

<strong>Spuren</strong> <strong>früher</strong> <strong>Vermessung</strong> <strong>und</strong><br />

<strong>Raumordnung</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Region</strong> <strong>Basel</strong> <strong>und</strong><br />

im Alpengebiet<br />

Mit bisher unveröffentlichten Karten-Beispielen wird gezeigt, dass alte christliche Kirchen auf Kultachsen<br />

(Geraden) liegen. Die Absteckung dieser Geraden können wir als frühe <strong>Vermessung</strong> <strong>und</strong> <strong>Raumordnung</strong><br />

bezeichnen. Kalen<strong>der</strong>, Kult, <strong>Vermessung</strong> <strong>und</strong> <strong>Raumordnung</strong> bilden e<strong>in</strong> <strong>in</strong>tegrales Konzept <strong>der</strong> römischen<br />

Limitation. In Falera GR haben wir e<strong>in</strong>e Ko<strong>in</strong>zidenz von christlichen Kultachsen mit e<strong>in</strong>er vorrömischen, bronzezeitlichen<br />

Ste<strong>in</strong>reihe (ca. 1300 v. Chr.). Auch im Raum <strong>Basel</strong> überlagern sich christliche, römische <strong>und</strong><br />

keltische <strong>Spuren</strong>. Wer waren die ersten Geometer?<br />

K. Ammann<br />

E<strong>in</strong>leitung<br />

Die früheste bekannte systematische <strong>Vermessung</strong> im schweizerischen Mittelland <strong>und</strong> Jura f<strong>in</strong>den wir <strong>in</strong> den<br />

römischen Limitationen <strong>der</strong> ersten zwei Jahrh<strong>und</strong>erte n. Chr. Die Frage <strong>der</strong> Ausdehnung <strong>und</strong> lokalen<br />

Ausrichtung (Orientierung) dieser Limitationssysteme <strong>und</strong> die zeitliche Abfolge ihrer Entstehung ist schwierig zu<br />

beantworten. Die römischen Grenzste<strong>in</strong>e s<strong>in</strong>d nicht erhalten. <strong>Spuren</strong> römischer <strong>Vermessung</strong> s<strong>in</strong>d teilweise noch<br />

sichtbar <strong>in</strong> alten Geme<strong>in</strong>de- <strong>und</strong> Bezirksgrenzen <strong>und</strong> im alten Wegnetz ([1], [2], [6]). Sicher ist, dass die<br />

Hauptrichtung des Sonnenkalen<strong>der</strong>s (Sommersolstitium) bedeutsam war. So ist z.B. das Strassennetz von<br />

Augusta Raurica genau nach dem Sonnenaufgang am 21. Juni orientiert.<br />

Zwischen <strong>der</strong> römischen Kolonisierung <strong>und</strong> den ersten kartografischen <strong>Vermessung</strong>en <strong>der</strong> Neuzeit (15. Jh.)<br />

klafft e<strong>in</strong>e Wissenslücke. Noch unsicherer ist <strong>der</strong> Blick zurück <strong>in</strong> die vorrömische, schriftlose Zeit <strong>in</strong><br />

Mitteleuropa. Im ersten Jahrtausend vor Christus lebten hier Kelten, <strong>der</strong>en Sprache <strong>und</strong> Bräuche sich <strong>in</strong> Grossbritannien<br />

<strong>und</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> Bretagne teilweise noch erhalten haben.<br />

Das Interesse an <strong>der</strong> Frühgeschichte ist <strong>in</strong> den letzten 30 Jahren gewachsen. E<strong>in</strong> beson<strong>der</strong>es Interesse gilt den<br />

Zeugen aus <strong>der</strong> Ste<strong>in</strong>zeit (Megalithkultur) mit Stonehenge <strong>und</strong> Carnac als prom<strong>in</strong>ente Beispiele. Die<br />

Publikationen machen deutlich, dass neben den Hochkulturen im Orient, die sich durch Schriftlichkeit, hohes<br />

wissenschaftliches, technisches <strong>und</strong> adm<strong>in</strong>istratives Niveau auszeichnen - man denke an den Bau <strong>der</strong><br />

Pyramiden im 3. Jahrtausend v. Chr. -, auch die Megalithvölker technische <strong>und</strong> organisatorische Höchstleistungen<br />

erbracht haben. E<strong>in</strong>e beiden Kulturbereichen geme<strong>in</strong>same Basis bildet die Kalen<strong>der</strong>astronomie. Cäsar<br />

erwähnt, dass die Ausbildung <strong>der</strong> keltischen Druiden 19 Jahre dauert, was e<strong>in</strong>em bekannten Mondzyklus von<br />

18.7 Jahren entspricht.<br />

Abb. 1: Keltisches Mondhorn,<br />

M.Kerner, helvetia archäologica Nr. 127


Frühgeschichtliche <strong>Vermessung</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> Schweiz?<br />

Bezüglich unserer Fragestellung s<strong>in</strong>d die vorrömischen Ste<strong>in</strong>setzungen von beson<strong>der</strong>em Interesse. Wir<br />

unterscheiden e<strong>in</strong>zeln stehende Ste<strong>in</strong>e (Menhire) mit o<strong>der</strong> ohne Schalen <strong>und</strong> Zeichnungen (Petroglyphen),<br />

kreisförmige Anordnungen (Cromlechs) <strong>und</strong> Alignements. E<strong>in</strong>e weitere Beson<strong>der</strong>heit bilden die Grabanlagen<br />

(Dolmengräber).<br />

Die Deutung <strong>und</strong> Datierung dieser Ste<strong>in</strong>relikte ist unterschiedlich <strong>und</strong> schwierig. Viele Autoren identifizieren<br />

astronomisch/kalendarische Beziehungen. Ulrich <strong>und</strong> Greti Büchi (Die Megalithe <strong>der</strong> Surselva [3]) identifizieren<br />

<strong>in</strong> den Petroglyphen sogar historische astronomische Ereignisse wie z. B. e<strong>in</strong>e totale Sonnenf<strong>in</strong>sternis <strong>und</strong><br />

gew<strong>in</strong>nen daraus Datierungsh<strong>in</strong>weise. Im Vor<strong>der</strong>gr<strong>und</strong> ihrer Untersuchungen steht die auf den lokalen Horizont<br />

bezogene Kalen<strong>der</strong>astronomie <strong>und</strong> die lokale Ste<strong>in</strong>geometrie. Es ist häufig von Peilungen die Rede; e<strong>in</strong>e<br />

grossräumige <strong>Vermessung</strong> wird nicht postuliert.<br />

Das h<strong>in</strong>gegen ist Gegenstand <strong>der</strong> sog. Belchentheorie (Rolf d'Aujour d'hui, [4]). Die drei Belchen <strong>der</strong> <strong>Region</strong><br />

<strong>Basel</strong> (Ballon d'Alsace, Badischer Belchen <strong>und</strong> Schweizer Belchen) bilden e<strong>in</strong> pythagoräisches astronomisches<br />

Megadreieck von 80 km Seitenlänge. Der Name Belchen wird auf die keltische Wurzel bhel (hell, weiss,<br />

glänzend) zurückgeführt. Die drei Belchen s<strong>in</strong>d somit gleichzeitig Kultstätten (Kalen<strong>der</strong>astronomie) <strong>und</strong> die<br />

Hauptpunkte e<strong>in</strong>es <strong>Vermessung</strong>s- <strong>und</strong> <strong>Raumordnung</strong>ssystems.<br />

Nach d'Aujour d'hui erfolgte die weitere räumliche Fe<strong>in</strong>glie<strong>der</strong>ung nach geometrischen Kriterien<br />

(Pythagoräisches Dreieck 3 4 5, Goldener Schnitt usw.). Er erklärt damit die spezielle Lage wichtiger keltischer<br />

Siedlungselemente im Grossraum <strong>Basel</strong>. Die Theorie ist noch umstritten. Auf jeden Fall setzt sie e<strong>in</strong>e<br />

frühgeschichtliche, grossräumige systematische <strong>Vermessung</strong>/Absteckung voraus. Es spricht aber nichts<br />

dagegen, dass die vermessungstechnischen Kenntnisse bereits im 1. Jahrtausend v. Chr. vorhanden waren.<br />

Abb. 2: Solstitiall<strong>in</strong>ien (rot) <strong>und</strong> Mondextreme (blau)


Abb. 3: Das Belchendreieck von Rolf d`Aujour d`hui 1992. Ballon d`Alsac, Bad. Belchen <strong>und</strong> Schweizer<br />

Belchen (Sonnenberge) bilden e<strong>in</strong> Kalen<strong>der</strong>dreieck. Der Höllenboden ist das Zentrum des Mondkalen<strong>der</strong>s<br />

(Blauen = Mondberge).<br />

Falera, lange Kultl<strong>in</strong>ien<br />

In Falera bei Flims f<strong>in</strong>den wir e<strong>in</strong>e <strong>der</strong> wenigen erhaltenen Ste<strong>in</strong>setzungen <strong>der</strong> Schweiz. Sie wurde von Ulrich<br />

<strong>und</strong> Greti Büchi vermessen <strong>und</strong> zusammen mit <strong>der</strong> Geme<strong>in</strong>de restauriert. Das F<strong>und</strong>material ermöglichte e<strong>in</strong>e<br />

Datierung <strong>in</strong> das 13. Jh. v. Chr. (Bronzezeit). Die Ste<strong>in</strong>reihe hat das Azimut 62° <strong>und</strong> ist nach dem Sonnenkalen<strong>der</strong><br />

orientiert (e<strong>in</strong> Monat vor Sommerwende am Calanda).<br />

Der Schreibende hatte hier 1985 se<strong>in</strong> Schlüsselerlebnis. Es zeigt sich nämlich, dass mehrere christliche<br />

Kultbauten (Kirchen, Kapellen, Bildstöckli) auf dieser viel älteren Ste<strong>in</strong>achse liegen. So f<strong>in</strong>den wir fünf<br />

Objekte <strong>in</strong> <strong>der</strong> 62°-Geraden, d.h. auf e<strong>in</strong>er Kultachse: die Kirchen von Schnaus, Rusche<strong>in</strong>, Ladir, Falera <strong>und</strong><br />

Laax (Bildstöckli). Diese Tatsache ist schon J. Maurizio (1948) aufgefallen: Er erwähnt drei <strong>der</strong> von mir<br />

genannten fünf Objekte <strong>und</strong> zusätzlich den sog. Crap da Tiranns <strong>in</strong> Rusche<strong>in</strong>.<br />

Die markant gelegene Kirche Ladir liegt im Schnittpunkt e<strong>in</strong>er weiteren, 9 km langen, genau West-Ost<br />

verlaufenden Kirchen-/Kultachse: Siat, Ladir, Schleuis (kle<strong>in</strong>e Abweichung, Rutschung?), Sagens, Valendas.<br />

Fünf Kirchen; e<strong>in</strong> Zufall sche<strong>in</strong>t ausgeschlossen. Diese signifikante Kultachse wird auch <strong>in</strong> VPK 11/91 (G.<br />

Coray, J.P. Voiret) als allgeme<strong>in</strong> bekannt erwähnt. Ich habe sie 1986 Ulrich Büchi vorgelegt, er hatte davon<br />

noch ke<strong>in</strong>e Kenntnis. Me<strong>in</strong>e Entdeckung, dass mittelalterliche Kultbauten auf alten frühgeschichtlichen<br />

Kultl<strong>in</strong>ien liegen (können), führte 1985-87 zu weiteren Kartenstudien im Lugnez, im Luganese <strong>und</strong> im Raum<br />

<strong>Basel</strong>. Im Lugnez f<strong>in</strong>den wir e<strong>in</strong>e Kopie <strong>der</strong> 62°L<strong>in</strong>ie von Falera <strong>in</strong> <strong>der</strong> Kirchenachse Lumbre<strong>in</strong>-Surcasti-<br />

Camuns. Im Luganese bildet die Kirche San Zenone das Zentrum e<strong>in</strong>es Radialsystems mit markanten<br />

astronomischen Ko<strong>in</strong>zidenzen. Die Kirche selbst bef<strong>in</strong>det sich auf e<strong>in</strong>er Felskuppe, die H<strong>und</strong>erte von<br />

vermutlich frühgeschichtlichen Schalen aufweist.


Abb. 4: Falera, San Rumetg, Ulrich <strong>und</strong> Greti Büchi: Die Megalithe <strong>der</strong> Surselva, 1983. 62˚- Ste<strong>in</strong>reihe mit<br />

Kirche Ladir im H<strong>in</strong>tergr<strong>und</strong><br />

Auch im Raum Base/ fand ich mehrere markante Kultachsen. Beson<strong>der</strong>s e<strong>in</strong>drücklich ist die 13 km lange genau<br />

WestOst verlaufende Kirchenachse HertenMöhl<strong>in</strong>-Wallbach (auch hier die Welschen). Parallel dazu verläuft die<br />

Visur vom Nullpunkt (Umbilikus) von Augusta Raurica zum Sonnenberg (römisches Heiligtum). Am 21.<br />

Dezember 1999 beobachtete ich vom Hörsaal aus den Sonnenaufgang <strong>in</strong> <strong>der</strong> Adlerlücke. Dies führte zur<br />

Entdeckung des Münsterkreuzes. Auf e<strong>in</strong>e weitere e<strong>in</strong>drückliche Kultachse auf <strong>der</strong> Jura-Südseite (Kanton<br />

Solothurn) hat mich im April 2001 Kollege Andre Sigel h<strong>in</strong>gewiesen.<br />

Das Basler Münster<br />

Schon für das Jahr 347 wird <strong>in</strong> <strong>Basel</strong> e<strong>in</strong> Bischof als geistlicher <strong>und</strong> weltlicher Fürst erwähnt, was die<br />

beson<strong>der</strong>e Bedeutung des Münsterstandortes unterstreicht.<br />

Die Solstitiall<strong>in</strong>ien <strong>der</strong> Sonne bilden e<strong>in</strong> Andreaskreuz, dessen Achsen von <strong>der</strong> West-Ostrichtung um r<strong>und</strong> 36°<br />

abweichen. Auf die Kultachse vom Basler Münster nach <strong>der</strong> Kirche Riehen hatte H. Stohler schon 1946<br />

h<strong>in</strong>gewiesen. Me<strong>in</strong>e Untersuchung zeigt nun, dass das vollständige Solstitialkreuz heute noch versichert ist mit<br />

dem Münster im Zentrum <strong>und</strong> den markanten Kirchenbauten von Riehen, Wolschwiller sowie Blotzheim (Notre<br />

Dame du chene) <strong>und</strong> <strong>der</strong>topografischen Horizontkerbe zwischen Adler <strong>und</strong> Schauenburg (Sonnenaufgang am<br />

21. Dez.). Die Visur nach Wolschwiller beträgt r<strong>und</strong> 17.05 km o<strong>der</strong> 24 Centurien. Der <strong>Vermessung</strong>snullpunkt<br />

(Umbilikus) <strong>in</strong> Augusta Raurica liegt genau 9 bzw. 11 Centurien vom Münster. Wir s<strong>in</strong>d hier also auf e<strong>in</strong>deutig


ömische <strong>Spuren</strong> gestossen. Der Name Wolschwiller weist ja auch h<strong>in</strong> auf die Welschen <strong>und</strong> die Kirche <strong>in</strong> Blotzheim<br />

liegt heute an <strong>der</strong> rue des roma<strong>in</strong>s (!) Dieser Bef<strong>und</strong> schliesst aber nicht aus, dass das Münstersystem<br />

vorrömisch (keltisch) ist. In diesem Falle stellt sich neu die Frage nach <strong>der</strong> Bedeutung des Münsterstandortes<br />

im Belchensystem.<br />

Karte 1: Falera-Ladir, mit 62˚- Achse <strong>und</strong> Siat-Valendas, K. Ammann 1985<br />

Karte 2: Lumbre<strong>in</strong>, K. Ammann 1985


Keltische Achse als Vorbild?<br />

Abb. 5: Falera – Lugnez, Kultl<strong>in</strong>ien, J. Maurizio, 1948<br />

Parallel zur Münsterl<strong>in</strong>ie verläuft e<strong>in</strong>e 36°Achse von Chrischona über Maria Ste<strong>in</strong> (!) zur Challmatte<br />

(Keltenmatte?) auf <strong>der</strong> Krete des Jura-Blauen. Diese Achse passt nicht <strong>in</strong> den römischen Limitationsraster <strong>und</strong><br />

ist vermutlich älter.<br />

Zusammenfassung<br />

Zwischen den ersten systematischen regionalen <strong>Vermessung</strong>en zu Beg<strong>in</strong>n <strong>der</strong> Neuzeit (15. bis 17. Jh.) <strong>und</strong> den<br />

römischen Limitationen kurz vor <strong>der</strong> Zeitenwende <strong>und</strong> <strong>in</strong> den ersten zwei Jahrh<strong>und</strong>erten unserer Zeitrechnung<br />

klafft e<strong>in</strong>e grosse Lücke. Man kann aber davon ausgehen, dass sich Teile <strong>der</strong> römischen Limitationen <strong>in</strong><br />

christlichen Kultbauten, Geme<strong>in</strong>de-, Bezirks- <strong>und</strong> Landesgrenzen <strong>und</strong> - bis zum Beg<strong>in</strong>n <strong>der</strong> umfangreichen<br />

Bautätigkeit <strong>der</strong> Neuzeit - auch im alten Wegnetz erhalten haben.<br />

Verschiedene neuere Autoren postulieren e<strong>in</strong>e vorrömische, keltische Landvermessung <strong>und</strong> Ortswahl nach<br />

kosmologischen Kriterien. E<strong>in</strong>e strenge Beweisführung ist schwierig. Immerh<strong>in</strong> gibt es e<strong>in</strong>ige Indizien, die dafür<br />

sprechen, dass auch <strong>in</strong> <strong>der</strong> Schweiz schon <strong>in</strong> den letzten zwei vorchristlichen Jahrtausenden systematische<br />

Kalen<strong>der</strong>beobachtungen <strong>und</strong> Absteckungen stattgef<strong>und</strong>en haben.<br />

Die meisten frühgeschichtlichen Kultplätze, vor allem die bedeutsamen, wurden mit <strong>der</strong> Christianisierung aus<br />

plausiblen Gründen überbaut (Kirchenbauten, Kapellen, Wegkreuze) o<strong>der</strong> tabuisiert (Teufelsste<strong>in</strong>, Höllenboden). Es ist<br />

z.B. auffallend, dass das Basler Münster <strong>der</strong> HI. Mutter Gottes geweiht ist <strong>und</strong> sowohl Maria Ste<strong>in</strong> als auch Notre<br />

Dame du chene bedeutende Wallfahrtsorte s<strong>in</strong>d.


Abb. 3: San Zenone, Radialsystem mit markantem rechtw<strong>in</strong>kligem Kreuz: Monte Lema-Vezio-San Zenone-San<br />

Clemente-D<strong>in</strong>o <strong>und</strong> Sores<strong>in</strong>a-Vira-San Zenone-Paradiso(!)-San Salvatore(!), FHBB 1997.<br />

E<strong>in</strong> kle<strong>in</strong>er, wichtiger Restbestand «keltischer Kultur» könnte auch <strong>in</strong> den Flurnamen (Toponyme) zu f<strong>in</strong>den se<strong>in</strong>. Ich<br />

verweise auf die Wurzel carn (c r n), die durch Carnac belegt ist <strong>und</strong> <strong>in</strong> verschiedenerAbwandlung auftaucht, so auch<br />

im Wort Grian (= keltischer Sonnengott). Weitere <strong>Spuren</strong> f<strong>in</strong>den sich im überlieferten Brauchtum <strong>und</strong> Sagengut.<br />

Die kalendarische Ausrichtung (oft Ostung) alter Kirchenbauten ist allgeme<strong>in</strong> bekannt. Neu ist <strong>der</strong> Nachweis, dass<br />

auch diese Kultorte selbst auf Kultl<strong>in</strong>ien liegen, oft mit kalendarischer Bedeutung. Diese Kultl<strong>in</strong>ien bilden<br />

astronomische Dreiecke (Belchensystem) <strong>und</strong>/o<strong>der</strong> gehen vom Zentrum e<strong>in</strong>es regionalen Radialsystems aus. Diese<br />

Ersche<strong>in</strong>ung ist auch bei den Scharrbil<strong>der</strong>n <strong>der</strong> Nasca-Kultur zu beobachten.<br />

Es sche<strong>in</strong>t die Hypothese erlaubt, dass schon im letzten vorchristlichen Jahrtausend e<strong>in</strong>e kalendarisch, kultisch<br />

begründete systematische <strong>Vermessung</strong> <strong>und</strong> erste <strong>Raumordnung</strong> stattgef<strong>und</strong>en hat, die spurenweise <strong>in</strong><br />

mittelalterlichen Kirchenbauten <strong>und</strong> Kultachsen erhalten geblieben ist.<br />

Die noch zu beweisende «Tatsache», dass neben <strong>der</strong> «konventionellen Besiedlung» e<strong>in</strong>e kosmologisch/kultisch<br />

begründete höhere, nicht pragmatische <strong>Raumordnung</strong> geschaffen wurde, wäre e<strong>in</strong> wesentliches Element <strong>der</strong><br />

Kulturgeschichte <strong>und</strong> Besiedlungstheorie.<br />

Ausblick<br />

E<strong>in</strong> vertieftes Studium frühgeschichtlicher Landesvermessung kann nur <strong>in</strong>terdiszipl<strong>in</strong>är erfolgreich se<strong>in</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong><br />

Zusammenarbeit von Archäologen, Historikern, Sprachwissenschaftern, Geodäten, Astronomen <strong>und</strong> Geologen. Bei<br />

dieser <strong>Spuren</strong>suche s<strong>in</strong>d digitale Karten <strong>und</strong> globale Positionierungssysteme (G PS) hervorragende Werkzeuge.<br />

Wissen <strong>und</strong> Intuition bleiben aber Voraussetzung für Entdeckerglück. E<strong>in</strong>e anerkannte Methodik, die e<strong>in</strong>e gesicherte<br />

zeitliche E<strong>in</strong>ordnung <strong>und</strong> Interpretation von frühen <strong>Vermessung</strong>sspuren ermöglicht, fehlt <strong>und</strong> ist noch zu entwickeln.


Abb. 4: Münsterkreuz, Chrischona, Röm, Limitationsraster, K. Ammann 2000.<br />

Abb. 5: Münsterkreuz, Fortsetzung Süd-West, K. Ammann 2000.


Abb. 6: Drei Kultl<strong>in</strong>ien: Herten-Möhl<strong>in</strong>-Wallbach, Herten-Noll<strong>in</strong>gen, Augusta Raurica-Sonnenberg,<br />

K. Ammann 1986<br />

Abb. 7: 36˚-Kultachse Aarwangen-Oftr<strong>in</strong>gen, A. Sigel 2001


Abb. 6: Das Basler Münster<br />

Abb. 7: Bolzheim, Nôtre Dame du Chệne.<br />

Literatur (Auswahl):<br />

[1] R. Laur-Belart: Limitation. BL <strong>und</strong> S0, Festschrift Tatar<strong>in</strong>off 1938.<br />

[2] H. Stohler: div. Artikel zu Augst <strong>und</strong> Limitation, VPK 1945 S. 269-281.<br />

[3] U. <strong>und</strong> G. Büchi: Die Megalithe <strong>der</strong> Surselva, mehrere Bände, Desert<strong>in</strong>a Verlag.<br />

[4] R. d'Aujour d'hui: Das Belchensystem, BAZ 18.6.1992, weitere Artikel <strong>in</strong> Festschrift Ludwig Berger Bd. 25 August<br />

1998.<br />

[5] J. Maurizio: Die Ste<strong>in</strong>setzung von Mutta bei Fellers, Ur Schweiz 1948.<br />

[6] P. Meyer-Maurer: Römische Landvermessung <strong>in</strong> <strong>der</strong> Schweiz , mit Kartenauszügen, Helvetia archäologica<br />

115/116, 1998.<br />

Blume, Lachmann: Corpus Agrimensorum, Berl<strong>in</strong> 1848.<br />

0. Marti: Keltische Landvermessung 1946.<br />

R. Müller: Der Himmel über dem Menschen <strong>der</strong> Ste<strong>in</strong>zeit, Berl<strong>in</strong> 1970.<br />

A. Thom: The megalithic man, ca. 1960.<br />

H. H<strong>in</strong>drichs: div. Artikel <strong>in</strong> Orion, ca. 1985.<br />

U. Schwegler: Schalen- <strong>und</strong> Zeichenste<strong>in</strong>e <strong>der</strong> Schweiz, <strong>Basel</strong> 1992.<br />

J.P. Mohen: Megalithkultur <strong>in</strong> Europa, Bildband, Belser Verlag Zürich 1989.<br />

R. Monste<strong>in</strong>: Keltische Stätten <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Region</strong> <strong>Basel</strong>, Astronomische H<strong>in</strong>tergründe, Diplomarbeit HTL Muttenz 1984.<br />

W. Eich<strong>in</strong>, A. Bohnert: Das Belchensystem, Markgäflerland 2/1985.<br />

W. Schlosser, J. Cierny: Sterne <strong>und</strong> Ste<strong>in</strong>e, 1996.<br />

G. Coray, J.P. Voiret: Megalithische Schalenste<strong>in</strong>e, VPK 11/91.<br />

VDV-Schriftenreihe: Zur Geschichte des <strong>Vermessung</strong>swesens, Verlag Chmielorz.<br />

H. Lichtenegger: Archäoastronomle <strong>und</strong> Geodäsie, VGI 3/200.<br />

L. Decramer: Nordafrika, 3/2001.<br />

Römische Landvermessung <strong>in</strong> Der <strong>Vermessung</strong>s<strong>in</strong>genieur<br />

Prof. Karl Ammann<br />

Wan<strong>der</strong>strasse 9<br />

CH-4054 <strong>Basel</strong><br />

karljammann@tiscal<strong>in</strong>et.ch<br />

Achtung: Dieser Artikel wurde im Juli 2002 <strong>in</strong> <strong>der</strong> Fachzeitschrift VPK, <strong>Vermessung</strong>,<br />

Photogrammetrie, Kulturtechnik abgedruckt. Herr Prof. Karl Ammann ist mit <strong>der</strong> Veröffentlichung auf<br />

dieser Web-Seite e<strong>in</strong>verstanden.<br />

Daniel Reichmuth - CH-6438 Ibach / SZ – www.erratiker.ch

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