Stenographischer Bericht 87. Sitzung - Deutscher Bundestag
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Dr. Christa Luft<br />
<strong>Deutscher</strong> <strong>Bundestag</strong> – 14. Wahlperiode – <strong>87.</strong> <strong>Sitzung</strong>. Berlin, Donnerstag, den 17. Februar 2000 7991<br />
ist, so denke ich, aktuell und muss von der Bundesregierung<br />
beachtet werden.<br />
Ein zweites Problem: Die rot-grüne Regierung setzt<br />
insbesondere mit ihrer Steuerpolitik darauf, die Standortbedingungen<br />
in der Bundesrepublik Deutschland zu<br />
verbessern. Das ist nicht neu. Wo aber sind die Beschäftigungs-<br />
und Investitionswirkungen geblieben, die in<br />
der Vergangenheit durch die Steuersenkungspolitik der<br />
alten Regierung, von CDU/CSU und F.D.P., eingeleitet<br />
werden sollten? Wo sind die Beispiele dafür, dass eine<br />
solche Politik Auswirkungen auf Investitionen und Beschäftigung<br />
hat?<br />
Ich erinnere daran, dass die Vorgängerregierung die<br />
Körperschaftsteuer mehrfach gesenkt hat. Ich erinnere<br />
daran, dass die Gewerbekapitalsteuer abgeschafft worden<br />
ist. Ich erinnere an die Aussetzung der Vermögensteuer<br />
und den reduzierten Solidarbeitrag. Dies alles waren<br />
beträchtliche Entlastungen für die Unternehmen,<br />
insbesondere für große Konzerne. Wo aber sind die beabsichtigten<br />
Wirkungen auf Investitionen und Beschäftigung<br />
geblieben?<br />
(Beifall bei der PDS)<br />
Woher wollen Sie in einer Marktwirtschaft, in einer<br />
offenen Gesellschaft wissen, wie viele Investoren unter<br />
günstigeren Bedingungen was investieren werden, welche<br />
Ideen sie verwirklichen können und wie viel Wachstum<br />
sich daraus ergeben wird? Das alles bleibt Spekulation.<br />
Wenn Sie tatsächlich etwas für die Verbesserung der<br />
Standortbedingungen und die Förderung der Beschäftigung<br />
tun wollen, dann entschließen Sie sich endlich zu<br />
einer Mehrwertsteuerentlastung für arbeitsintensive<br />
Dienstleistungen.<br />
(Beifall der Abg. Dr. Barbara Höll [PDS])<br />
Das haben wir hier wiederholt diskutiert. Sie sagen, das<br />
würde Steuerausfälle zur Folge haben, die zu groß seien,<br />
die wir nicht verkraften könnten. Ich habe den Eindruck,<br />
dass die Bundesregierung durch die neue Steuerpolitik<br />
in vielen Bereichen Selbstfinanzierungseffekte in zweistelliger<br />
Milliardenhöhe erwartet. Dagegen wären die<br />
Steuerausfälle durch eine geringere Mehrwertsteuer für<br />
arbeitsintensive Dienstleistungen wirklich Peanuts. Sie<br />
sollten sich entscheiden, das zu tun, was andere europäische<br />
Länder auf diesem Gebiet inzwischen auf den Weg<br />
gebracht haben. Ich nenne Frankreich, Griechenland und<br />
Holland als Beispiele.<br />
(Beifall bei der PDS)<br />
Auch die gezieltere Förderung regional vernetzter<br />
Wirtschaftsstrukturen gehört zu den Entwicklungspotenzialen,<br />
über die stärker nachgedacht werden muss. Insbesondere<br />
im Osten Deutschlands wird es noch für eine<br />
ganze Reihe von Jahren unverzichtbar sein, die regionale<br />
Wirtschaftsförderung zu intensivieren; denn dort<br />
weltmarktorientierte Großinvestitionen als Königsweg<br />
zu erwarten führt in die Irre. In Ostdeutschland geht es<br />
im Besonderen um die Umsetzung der lokalen Agenda<br />
21, um die Veränderung der Ordnung bei der Vergabe<br />
öffentlicher Aufträge und viele andere Dinge. Über-<br />
haupt kommt der Osten Deutschlands in diesem Jahreswirtschaftsbericht<br />
nur sehr traditionell vor. Ob wirklich<br />
etwas Neues auf den Weg gebracht worden ist, was man<br />
unter „Chefsache Aufbau Ost“ verbuchen könnte, bleibt<br />
im Dunkeln.<br />
Lassen Sie mich drittens sagen: Absolut unterbelichtet<br />
ist in Ihrem <strong>Bericht</strong> die Vorsorge für eine soziale<br />
Gestaltung des europäischen Integrationsprozesses. Sich<br />
für soziale Mindeststandards einzusetzen ist doch unverzichtbar,<br />
sollen den Menschen Ängste vor der Osterweiterung<br />
der EU genommen werden. Das würde auch<br />
Rechtspopulisten den Boden für eine Rattenfängerpolitik<br />
entziehen.<br />
(Beifall bei der PDS)<br />
Aber Niedriglohnpolitik, die vollständige Aushöhlung<br />
der Tarifverträge und Ladenöffnungen rund um die Uhr<br />
zu propagieren, wie dies eben Herr Brüderle getan hat,<br />
ist doch nichts, womit Sie Menschen, die schon jetzt eine<br />
sehr niedrig bezahlte Beschäftigung haben und sich<br />
vor der Zukunft fürchten, auf ein in Zukunft größeres<br />
Europa vorbereiten können. Dabei ist es den Menschen<br />
auch egal, ob das, was gegenwärtig geschieht, eine<br />
Marktwirtschaft im Eucken‘schen Sinne ist oder nicht.<br />
(Dirk Niebel [F.D.P.]: Das haben Sie ja<br />
40 Jahre mit Bravour vorgeführt, wie man das<br />
besser macht!)<br />
Menschen messen ihre Zukunftszuversicht doch an dem,<br />
was sie in ihrer täglichen Arbeit spüren, und an den Erwartungen,<br />
die sich bislang nicht erfüllt haben.<br />
Danke schön.<br />
(Beifall bei der PDS)<br />
Präsident Wolfgang Thierse: Ich erteile dem Bundesminister<br />
Werner Müller das Wort.<br />
Dr. Werner Müller, Bundesminister für Wirtschaft<br />
und Technologie: Herr Präsident! Meine Damen und<br />
Herren! Eines will ich vorab sagen: Dieser Jahreswirtschaftsbericht<br />
ist ein so gutes Dokument, dass er<br />
durchaus eine etwas bessere Würdigung verdient gehabt<br />
hätte.<br />
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/<br />
DIE GRÜNEN)<br />
Das sage ich insbesondere im Hinblick auf die Rede von<br />
Herrn Glos.<br />
Lassen Sie mich ein Zweites vorneweg schicken. Ich<br />
möchte mich insbesondere im Namen meiner Mitarbeiter<br />
sehr herzlich bei dem Finanzminister und seinen<br />
Mitarbeitern für die Art und Weise bedanken, in der dieser<br />
Jahreswirtschaftsbericht erstellt worden ist. Er ist ein<br />
insgesamt völlig einvernehmlich erarbeitetes Dokument.<br />
Infolgedessen ist manches von dem, was Sie, Herr Brüderle,<br />
gesagt haben, für mich nicht so furchtbar wichtig.<br />
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten<br />
des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)<br />
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