Im Reich der Mitte - Grundeinkommen
Im Reich der Mitte - Grundeinkommen
Im Reich der Mitte - Grundeinkommen
Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.
YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.
DIE UNTERMIETER. Gut möglich, dass<br />
man beim Mittagessen Grossratspräsidentin<br />
Brigitta Gerber trifft. Ihr<br />
«Büro für Toleranzkultur» liegt nur<br />
zwei Stockwerke höher, in <strong>der</strong> ehemaligen<br />
Teppichetage <strong>der</strong> Volksbank.<br />
Die Miete finde Gerber «ein<br />
bisschen teuer». An<strong>der</strong>s als für Margrit<br />
Manz ist das für sie aber kein<br />
Grund, sich ein neues Büro zu<br />
suchen. Zu sehr schätzt sie die Lage<br />
und die Infrastruktur des Hauses.<br />
Kaffeeküche, WC und Kopierapparat<br />
benutzt sie zusammen mit den Leuten<br />
von <strong>der</strong> «Programmzeitung»,<br />
vom Filmverleih Cineworx, <strong>der</strong> Journalistin,<br />
dem Programmierer und<br />
<strong>der</strong> Sekretärin, die alle hier auf <strong>der</strong><br />
Etage arbeiten.<br />
Etwas davon abgetrennt sind die<br />
Räume von Dieter Zülsdorf. Er leitet<br />
das «Aurainstitut für Biodyna-<br />
<br />
kultur.mitte.<br />
<strong>Im</strong> <strong>Reich</strong> <strong>der</strong> <strong>Mitte</strong><br />
Vom Experiment zur Institution: Das Unternehmen <strong>Mitte</strong><br />
MIRIAM GLASS (Text), MARGRIT MÜLLER (Fotos)<br />
Drei Männer erklärten vor acht<br />
Jahren ein Haus zum Nabel <strong>der</strong><br />
Stadt. In den ehemaligen Hauptsitz<br />
<strong>der</strong> Volksbank zog das Unternehmen<br />
<strong>Mitte</strong> ein. Die Ex-Bank<br />
wurde zum öffentlichen Ort. Was<br />
Pionierarbeit war, hat sich längst<br />
etabliert. Wie überlebt die Kreativität<br />
von damals in <strong>der</strong> Institution<br />
von heute?<br />
Die Sofas sind neu. Hinfläzen auf<br />
blauem Stoff, mehr Liegen als Sitzen,<br />
das geht nicht mehr. Den Latte<br />
macchiato schlürft man im Kaffeehaus<br />
<strong>Mitte</strong> neuerdings in aufrechter<br />
Haltung auf bordeauxrotem Le<strong>der</strong>.<br />
Zu den eckigen Sitzmöbeln passen<br />
ein gestraffter Rücken und elegant<br />
übereinan<strong>der</strong> geschlagene Beine.<br />
Die breite Lehne lädt dazu ein, den<br />
Arm lässig darauf auszustrecken und<br />
zufrieden in den Raum zu blicken.<br />
Das tut Thomas Tschopp (46), Mitbegrün<strong>der</strong><br />
des Unternehmens <strong>Mitte</strong>.<br />
«Unsere alten Flun<strong>der</strong>n waren so<br />
was von abgewetzt», sagt er über die<br />
alten Sofas. Von diesem Stil hat man<br />
sich in <strong>der</strong> <strong>Mitte</strong> verabschiedet.<br />
Sind die neuen Sofas ein Zeichen<br />
für die Entwicklung des ganzen<br />
Betriebs? Weg von ungestümer<br />
Experimentierfreude, hin zum<br />
gediegenen, wohlüberlegten Auftritt?<br />
Thomas Tschopp erinnert sich<br />
an die Anfänge des Unternehmens,<br />
als die Privatwohnungen im Dachgeschoss<br />
noch manchmal mit zum<br />
öffentlichen Raum gehörten, wo<br />
gegessen, getrunken und diskutiert<br />
wurde. Tschopp grinst. «Damals<br />
waren wir wilde Kerle.» Sein Kollege<br />
Daniel Häni (41), ebenfalls Grün<strong>der</strong><br />
des Unternehmens <strong>Mitte</strong>, wi<strong>der</strong>spricht.<br />
Keinesfalls soll <strong>der</strong> Eindruck<br />
entstehen, die lebendigsten Zeiten<br />
seien vorbei. <strong>Im</strong> Gegenteil: Häni<br />
fühlt sich «jünger und wil<strong>der</strong> denn<br />
je».<br />
WIDERSPRÜCHE. Für den einen sind<br />
die wilden Zeiten also vorbei, für den<br />
an<strong>der</strong>n dauern sie an – so wi<strong>der</strong>sprüchlich<br />
klingt es oft, wenn die<br />
Geschäftsleitung Auskunft gibt.<br />
Je<strong>der</strong> hat seine eigene Sicht <strong>der</strong><br />
Dinge, da werden keine einheitlichen<br />
Antworten serviert. Die vier<br />
Gesellschafter <strong>der</strong> Unternehmen<br />
<strong>Mitte</strong> GmbH diskutieren, kritisieren<br />
einan<strong>der</strong>, fahren dem Kollegen auch<br />
mal über den Mund und klemmen<br />
Themen ab, die vor <strong>der</strong> Journalistin<br />
nicht auf den Tisch sollen. Das Literaturhaus<br />
ist so ein Thema: Ende<br />
2003 zog Literaturhausleiterin Margrit<br />
Manz mit ihrem Betrieb aus <strong>der</strong><br />
<strong>Mitte</strong> aus. Zu teuer war ihr die Miete<br />
im dritten Stock <strong>der</strong> ehemaligen<br />
Volksbank, zu wenig repräsentativ<br />
die Räume.<br />
Dass die Gäste sich «durch den<br />
Dienstboteneingang» über eine<br />
Wendeltreppe «hochkringeln» mussten,<br />
das passte Margrit Manz nicht,<br />
wie sie sich im Gespräch mit <strong>der</strong> baz<br />
erinnert. Jedenfalls nicht für über<br />
125000 Franken Miete pro Jahr.<br />
Aber Mietzinsen sind auch so ein<br />
Thema, das die Geschäftsleitung lieber<br />
nicht zu breit auswalzt (siehe<br />
Kasten).<br />
KÖNNEN, STATT MÜSSEN. Dass das<br />
Unternehmen <strong>Mitte</strong> mit Miet- und<br />
Kaffeepreisen «Geld macht wie<br />
Heu», sei ein verbreitetes Vorurteil,<br />
sagt Thomas Tschopp. «Aber das<br />
stimmt nicht. Wir haben eine<br />
gemeinnützige Ausrichtung.» Häni<br />
ergänzt: Nicht um Gewinnmaximierung<br />
gehe es hier, son<strong>der</strong>n um «Sinnmaximierung».<br />
Doch was ist <strong>der</strong> Sinn<br />
dieses Hauses? «Nicht müssen, son<strong>der</strong>n<br />
können», antwortet Daniel<br />
Häni. «Das ist unser Leitsatz für fast<br />
alle Entscheidungen.»<br />
Hänis Beispiel: Man soll im Café<br />
etwas bestellen können, aber nicht<br />
müssen. Deshalb herrscht in <strong>der</strong><br />
Halle kein Konsumationszwang.<br />
Tatsächlich: Da kann man stundenlang<br />
mit einem Buch sitzen, ohne<br />
dass die Bedienung einem regelmässig<br />
neue Wünsche auferlegt.<br />
Manche Besucher ärgern sich,<br />
dass sie sich ihren Latte für vier Franken<br />
achtzig selber holen müssen und<br />
ihre Tasse schnell wie<strong>der</strong> abgeräumt<br />
wird. Tarik Nazari (42), in <strong>der</strong><br />
Geschäftsleitung für den Gastro-<br />
Betrieb zuständig, leidet unter <strong>der</strong><br />
Kritik <strong>der</strong> Gäste, vermisst die Anerkennung<br />
seiner Arbeit. Die Besucherzahl<br />
spricht für ihn: Etwa Tausend<br />
Leute zieht es täglich ins Café<br />
fumare non fumare und an die Tischchen<br />
in <strong>der</strong> grossen Halle.<br />
KEINE CHICKS. Tagsüber kommen<br />
viele Eltern mit kleinen Kin<strong>der</strong>n.<br />
«Die <strong>Mitte</strong> ist sehr kin<strong>der</strong>freundlich»,<br />
lobt eine junge Mutter. Nur die<br />
neuen Sofas findet sie unpraktisch:<br />
Die Lücke zwischen Sitzfläche und<br />
Lehne ist so gross, dass kleine Kin<strong>der</strong><br />
da einfach durchrutschen, rückwärts<br />
auf den Boden. Da waren ihr die<br />
alten «Flun<strong>der</strong>n» lieber. Die 16-<br />
jährige Lea sitzt abends in <strong>der</strong> <strong>Mitte</strong>,<br />
weil Platz ist für grosse Gruppen.<br />
Ausserdem mag sie das Publikum<br />
hier: «Die <strong>Mitte</strong> ist kein Ort für<br />
Chicks, die sich zudröhnen o<strong>der</strong> nur<br />
ihren Ausschnitt zeigen wollen.»<br />
Aber ein Ort zum Sehen und Gesehenwerden<br />
ist die <strong>Mitte</strong> schon, und<br />
auch ein guter Ort, um stundenlang<br />
Menschen zu beobachten.<br />
Nicht alle tun das. Viele starren<br />
konzentriert auf ihre Laptops und<br />
versuchen, sich nicht von Stimmengewirr,<br />
Musik und Kin<strong>der</strong>geschrei<br />
ablenken zu lassen.<br />
PASTA UND PARKETT. Es gibt ruhigere<br />
Arbeitsplätze im Haus, aber<br />
davon wissen die meisten Kaffeehausgäste<br />
nichts. Wenige haben je<br />
die oberen Stockwerke erkundet.<br />
Nur bis ins erste Obergeschoss ist so<br />
mancher schon gekommen, denn<br />
hier gibts mittags Pasta. Sebastiano<br />
Guglielmino schnippelt schon um<br />
zehn Uhr morgens Broccoli. Der pensionierte<br />
Italiener lässt sich in die<br />
Töpfe gucken. Seine Kin<strong>der</strong> betreiben<br />
das Café Da Graziella an <strong>der</strong><br />
Feldbergstrasse; sie liefern die<br />
Quarktaschen und Cornetti für die<br />
Frühstücksgäste im Unternehmen<br />
<strong>Mitte</strong>. Sebastianos Frau Grazia serviert<br />
mittags in den ehemaligen<br />
Bank-Büros hungrigen Gästen für<br />
fünfzehn Franken einen Teller Pasta.<br />
Salat, Brot und Wasser nimmt man<br />
sich selbst. Da gibt es nichts zu<br />
mäkeln: Lecker, günstig, praktisch,<br />
schnell tafelt man unter weisser<br />
Stuckdecke, auf edlem Parkett.<br />
Gespräch. Fumare o<strong>der</strong> Non<br />
Arbeit. E-Mails zum Kaffee.