Mit Schwefelraketen und Weltraumspiegeln gegen ... - Greenpeace
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<strong>Mit</strong> <strong>Schwefelraketen</strong> <strong>und</strong><br />
<strong>Weltraumspiegeln</strong> <strong>gegen</strong> den<br />
Klimakollaps<br />
Die internationalen Klimaverhandlungen kommen nicht<br />
vom Fleck <strong>und</strong> immer lauter wird der Ruf nach tech nischen<br />
Eingriffen, um die Erderwärmung aufzuhalten. Heute<br />
beschäftigen sich deshalb nicht nur Universi täten <strong>und</strong><br />
think-tanks, sondern auch Regierungen <strong>und</strong> UN-Gremien<br />
mit dem Geo-Engineering. Ideen gibt es viele, aber<br />
bezüglich Wirkung <strong>und</strong> Risiken tappt man noch weitgehend<br />
im Dunkeln.<br />
Von Samuel Schlaefli<br />
3<br />
WISSEN<br />
5<br />
1<br />
2<br />
4<br />
© cliMate central<br />
1Künstliche Bäume als CO2-Staubsauger<br />
Pflanzen absorbieren über die Fotosyn -<br />
these kontinuierlich Kohlendioxid aus der Atmosphäre.<br />
Leider brauchen sie dafür enorm viel<br />
Zeit. Klaus Lackner von der Columbia University<br />
will diesen Prozess nicht nur imitieren, sondern<br />
auch beschleunigen. Seine künstlichen Bäume<br />
saugen Luft an, filtern diese <strong>und</strong> wandeln das<br />
CO2 in Natriumbicarbonat um. Dieses wird verdichtet<br />
<strong>und</strong> soll danach als Gas in porösem Gestein<br />
im Erdboden oder in der Tiefsee gelagert werden.<br />
Eine Tonne CO2 sollen solche «Bäume» einst täglich<br />
absorbieren. Das ist tausendmal mehr, als ihre<br />
natürlichen Vorbilder schaffen. 100 000 «Bäume»<br />
auf einer Fläche von 600 Hektaren könnten laut<br />
einer englischen Studie die CO2-Emissionen des<br />
gesamten Vereinigten Königreichs (ohne Stromproduktion)<br />
aufnehmen. Obwohl Demonstrationsprojekte<br />
noch fehlen, bestehen kaum Zweifel,<br />
dass die Technologie funktioniert. Doch weil die<br />
CO2-Konzentration in der Atmosphäre lediglich<br />
0,04 Prozent beträgt, ist die Effizienz begrenzt<br />
<strong>und</strong> die CO2-Absorption im Vergleich mit anderen<br />
Verfahren teuer. Schätzungen gehen von mehreren<br />
h<strong>und</strong>ert Euro pro Tonne CO2 aus. Zugleich<br />
benötigen das chemische Verfahren <strong>und</strong> die Verdichtung<br />
des Gases grosse Mengen an Energie –<br />
laut Studien so viel, dass bei einem Energiemix,<br />
wie er heute zum Beispiel in Deutschland verwendet<br />
wird, bis zur Hälfte des absorbierten CO2<br />
wieder emittiert würde.<br />
Wirtschaftlicher wäre die direkte Absorption<br />
von CO2 bei grossen Emittenten. Wie zum Beispiel<br />
bei Kohlekraftwerken, wo die Konzentrationen<br />
im Vergleich zur Umgebungsluft 300 Mal höher<br />
sind. Damit wäre das Problem der Lagerung jedoch<br />
nicht gelöst. Zu den viel diskutierten Risiken<br />
gehören die Sicherheit im Fall von Erdbeben,<br />
die Versauerung von Gr<strong>und</strong>wasser <strong>und</strong> mögliche<br />
Lecks bei Lagerstätten. Einsprachen von Anwohnerinnen<br />
<strong>und</strong> Anwohnern potenzieller Lagerstandorte<br />
sind deshalb wahrscheinlich. In<br />
Deutschland haben heftige Proteste in ersten Testgebieten<br />
de facto zum Stopp der weiteren<br />
Forschung geführt.<br />
2Planktonfütterung mit unabsehbaren<br />
Folgen für Ozeane<br />
«Gebt mir einen halben Tanker gefüllt mit<br />
Eisen, <strong>und</strong> ich gebe euch eine neue Eiszeit», prahlte<br />
der US-Ozeanograf John Martin in den 80er-Jahren<br />
<strong>und</strong> propagierte erstmals die Eisendüngung der<br />
Ozeane. Sein Vorschlag beruhte auf der Fotosynthese<br />
von Phytoplankton, das an der Meeresoberfläche<br />
schwebt. Dieses wandelt Kohlendioxid<br />
<strong>und</strong> Sonnenlicht in Biomasse um <strong>und</strong> gibt anschliessend<br />
Sauerstoff ab. Damit ist Plankton für<br />
r<strong>und</strong> die Hälfte des weltweit jährlich von Pflanzen<br />
absorbierten Kohlendioxids verantwortlich <strong>und</strong><br />
das Meer die grösste Kohlenstoffsenke unseres<br />
Magazin <strong>Greenpeace</strong><br />
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Wissen<br />
Planeten. Das wollen sich Martin <strong>und</strong> andere<br />
Geoingenieure zunutze machen: Durch Düngung<br />
mit Nährstoffen wie Eisen, Stickstoff <strong>und</strong> Phosphor<br />
kann das Planktonwachstum künstlich angeregt<br />
<strong>und</strong> zusätzliches CO2 aus der Atmosphäre<br />
absorbiert werden. Plankton stirbt nämlich bereits<br />
nach wenigen Tagen ab. Ein Teil des absinkenden<br />
Kohlenstoffs wird von Bakterien umgesetzt <strong>und</strong><br />
dient als Nahrung für Kleinlebewesen. Der Rest<br />
fällt in Form von Biomasse auf den Meeresgr<strong>und</strong>,<br />
wo der Kohlenstoff dem natürlichen Kreislauf für<br />
bis zu tausend Jahren entzogen ist.<br />
Die Ozeandüngung gehört heute zu den<br />
besterprobten Ideen des Geo-Engineering. Seit<br />
1993 wurde sie in 13 Freilandexperimenten im<br />
Südozean <strong>und</strong> im Nordwestpazifik getestet. Das<br />
grösste Experiment (LOHAFEX) umfasste die<br />
Düngung einer Fläche von 300 Quadratkilometern<br />
mit 10 000 Kilogramm Eisensulfat. Doch die<br />
anfängliche Euphorie über das Potenzial der<br />
Methode ist in den vergangenen Jahren verflogen.<br />
Die theoretischen Annahmen zur Effektivität<br />
konnten in den Experimenten nicht reproduziert<br />
werden. Zwar bildeten sich meist grossflächige<br />
Algenblüten, doch sank das Plankton nicht wie<br />
gewünscht ab. Ein nennenswerter Nettoexport von<br />
CO2 in die Tiefe wurde laut einer Übersichtsstudie<br />
des Umweltb<strong>und</strong>esamtes für Mensch <strong>und</strong> Umwelt<br />
Dessau-Roßlau/D in keinem der bisherigen Experimente<br />
nachgewiesen. Der anfänglich geb<strong>und</strong>ene<br />
Kohlenstoff wurde bis zu 80 Prozent wieder<br />
in die Atmosphäre freigesetzt. Weiter beobachteten<br />
Forscher eine verstärkte Blüte von Kieselalgen,<br />
die ein starkes Nervengift produzieren,<br />
sowie einen Sauerstoffmangel in tieferen Meeresschichten.<br />
Kritiker befürchten deshalb weitreichende<br />
Konsequenzen für die maritimen Ökosysteme<br />
<strong>und</strong> unkalkulier bare Folgen für die gesamte<br />
Nahrungskette bis zum Menschen.<br />
De facto besteht seit Mai 2008 ein Moratorium<br />
für die Ozeandüngung, das von 192 Staaten<br />
im Rahmen der Convention on Biological Diversity<br />
(CBD) beschlossen wurde. Trotzdem unternahm<br />
der amerikanische Unternehmer Russ George im<br />
Juli 2012 auf eigene Faust ein Experiment vor<br />
der Küste Kanadas <strong>und</strong> kippte 100 Tonnen Eisensulfat<br />
in den Pazifik. Satellitenbilder zeigten<br />
anschliessend ein stark erhöhtes Algenwachstum<br />
in einem Gebiet von über 10 000 Quadratkilometern.<br />
Nach eigenen Aussagen wollte George die<br />
indigene Bevölkerung des Inselarchipels Haida<br />
Gwaii bei der Regeneration der Lachsbestände<br />
unterstützen. Er hatte jedoch bereits früher mit<br />
dem Unternehmen Planktos Inc. auf sich aufmerksam<br />
gemacht, das die Ozeandüngung über<br />
international handelbare CO2-Kompensationszertifikate<br />
kommerzialisieren wollte. Umweltverbände<br />
<strong>und</strong> Anwälte nannten den Versuch vor Kanada<br />
eine «krasse Verletzung» zweier internationaler<br />
Moratorien.<br />
3Star Wars <strong>gegen</strong> den Klimawandel<br />
Die wissenschaftlichen Publikationen des<br />
US-Astronomen Roger Angel bieten Stoff für Kontroversen<br />
— <strong>und</strong> Science-Fiction-Romane: Angel<br />
will zehn Billionen transparente Siliziumscheiben<br />
1,5 Millionen Kilometer von der Erde entfernt im<br />
All platzieren. Die so produzierte 100 000 Kilometer<br />
lange Wolke aus Reflektoren würde zwei Prozent<br />
des Sonnenlichts reflektieren, das normalerweise<br />
auf die Erde trifft. Dafür soll über 30 Jahre jede<br />
Minute ein Bündel mit einer Million Reflektoren ins<br />
All geschossen werden. Technisch wäre das laut<br />
Angel in 25 Jahren möglich. Geschätzte Kosten:<br />
100 Milliarden Dollar jährlich. Ähnlich denkt das<br />
US-Forscherteam um Lowell Wood, das mit dem<br />
Vorschlag kam, eine Art riesiges Sonnensegel<br />
zwischen Sonne <strong>und</strong> Erde zu spannen. Berechnungen<br />
zeigen jedoch, dass für eine Reduktion der<br />
Sonnenstrahlung um zwei Prozent ein Sonnenschild<br />
von zirka drei Millionen Quadratkilometern<br />
nötig wäre. Weltallbasierte Methoden sind noch<br />
rein theoretischer Natur <strong>und</strong> die Unsicherheiten<br />
bezüglich Kosten, Effektivität, zeitlicher Umsetzung<br />
<strong>und</strong> Risiken immens, wie auch die Royal<br />
Society in ihrem Bericht vermerkt.<br />
4Die Wolkenmacher<br />
Wolken spannen sich wie Sonnenschirme<br />
über unsere Erdkugel. Sie bestehen aus Millionen<br />
kleinster Wassertropfen, <strong>und</strong> je mehr Tropfen<br />
eine Wolke enthält, desto grösser ist ihre Albedo,<br />
das heisst das Rückstrahlvermögen von Sonnenlicht<br />
ins Weltall. Damit Wasserdampf zu Wol-<br />
ken kondensieren kann, braucht es sogenannte<br />
Kondensationskerne. Das können Sandkörner,<br />
Staub oder Meersalzkristalle sein. Durch Versprühen<br />
von Meerwasser über den Ozeanen in tiefe<br />
Wolkenschichten könnte deshalb das Wolkenwachstum<br />
angeregt <strong>und</strong> die Erdoberfläche zusätzlich<br />
gekühlt werden. Laut Schätzungen des<br />
britischen Physikers John Latham könnte die Erdtemperatur<br />
so selbst bei einer Verdopplung der<br />
heutigen CO2-Konzentration stabil gehalten werden.<br />
Dafür sollen laut Latham 1500 unbemannte<br />
Schiffe mit entsprechender Sprühvorrichtung in<br />
den Ozeanen kreisen. Eine Forschergruppe in San<br />
Francisco präsentierte unter dem Namen «Silver<br />
Lining Project» Pläne für ein solches Schiff. Es soll<br />
Meerwasser in eine Höhe von einem Kilometer<br />
sprühen <strong>und</strong> dafür zehn Tonnen Wasser pro Sek<strong>und</strong>e<br />
ansaugen. Laborbasierte Machbarkeitsstudien<br />
wurden unter anderem von der Bill & Melinda<br />
Gates Fo<strong>und</strong>ation unterstützt. Noch ist aber weitgehend<br />
ungewiss, welche Auswirkungen die<br />
grossflächige Wolkenproduktion auf Windsysteme,<br />
Meeresströmungen, Niederschläge <strong>und</strong> Meeresorganismen<br />
hätte.<br />
5Der Schuss ins Blaue: <strong>Mit</strong> <strong>Schwefelraketen</strong><br />
<strong>gegen</strong> die Erderwärmung<br />
Es war ein klimatologisches Jahrh<strong>und</strong>ertereignis:<br />
Auf den Philippinen spie der Vulkan Pinatubo<br />
1991 innert kürzester Zeit r<strong>und</strong> 17 Millionen Tonnen<br />
Schwefeldioxid in die Atmosphäre <strong>und</strong> umgab<br />
die Erdkugel mit einem grauen Schleier. In der<br />
Stratosphäre, der Atmosphärenschicht zwischen<br />
18 <strong>und</strong> 50 Kilometern über der Erde, bildeten sich<br />
in der Folge sogenannte Aerosole. Das sind<br />
Gasgemische mit fein verteilten Partikeln, die wie<br />
Milliarden von kleinsten Sonnenreflektoren<br />
wirken. Die Abschirmung der Sonnenstrahlung<br />
führte zu einem weltweiten Temperaturrückgang<br />
von einem halben Grad über einen Zeitraum von<br />
zwei Jahren. Wären die Aerosole nicht wieder aus<br />
der Stratosphäre ausgefallen, hätte sich die Erde<br />
wahrscheinlich längerfristig um mehrere Grad<br />
abgekühlt. Deshalb schlug der Chemiker <strong>und</strong> Nobelpreisträger<br />
Paul Crutzen 2006 in einem viel<br />
beachteten wissenschaftlichen Essay vor, den<br />
beim Pinatubo-Ausbruch beobachteten Effekt für<br />
die künstliche Klimakühlung zu nutzen. <strong>Mit</strong> Tausenden<br />
von Ballonen oder Raketen könnte tonnenweise<br />
Schwefel in die Stratosphäre gebracht<br />
werden, so seine Idee, die gleichzeitig Ausdruck<br />
seiner Frustration über die Stagnation der Klimaschutzverhandlungen<br />
war. Die britische Royal<br />
Society kam in einem der meistzitierten Berichte<br />
zu Technologien des Geo-Engineering 2009 zum<br />
Schluss, dass die Aerosolbildung in der Stratosphäre,<br />
ähnlich wie von Crutzen vorgeschlagen,<br />
punkto Wirkung, Kosten, Risiken <strong>und</strong> einer raschen<br />
Umsetzung am meisten Erfolg verspricht.<br />
Doch neben gr<strong>und</strong>sätzlichen ethischen<br />
Bedenken <strong>gegen</strong>über dem Schwefelbeschuss der<br />
Stratosphäre ist die Wirkung umstritten: Chemie-<br />
Klima-Modellierungen haben gezeigt, dass der<br />
Pinatubo-Ausbruch nur bedingt als Modell taugt.<br />
Führt man der Stratosphäre nämlich über Monate<br />
oder Jahre Schwefel zu — mit Raketen, Ballonen<br />
oder Flugzeugen — koagulieren die einzelnen<br />
Partikel zu grösseren Aerosolen, bis diese in tiefere<br />
Atmosphäreschichten fallen, wo ihre Wirkung<br />
verpufft. Anstelle der von Crutzen geschätzten zwei<br />
Megatonnen Schwefeldioxid pro Jahr wäre für<br />
eine wirkungsvolle Kühlung r<strong>und</strong> die zehnfache<br />
Menge nötig. Das würde mit grosser Wahrscheinlichkeit<br />
zu schwerwiegenden Verschiebungen<br />
im Klimasystem führen. In Studien wurden ausbleibende<br />
lokale Niederschläge <strong>und</strong> verminderte<br />
Wassermengen in Flüssen als Folgen des Pinatubo-Ausbruchs<br />
nachgewiesen — meist mit starken<br />
regionalen Unterschieden.<br />
Magazin <strong>Greenpeace</strong><br />
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Magazin <strong>Greenpeace</strong><br />
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Interview<br />
© Eric Conway<br />
«Geo-Engineering<br />
würde unsere<br />
Beziehung zur<br />
Natur komplett<br />
v erändern»<br />
Geo-Engineering ist kein neues Phänomen.<br />
Seit über h<strong>und</strong>ert Jahren versuchen<br />
Meteorologen <strong>und</strong> Ingenieure, Wetter <strong>und</strong><br />
Klima zu kontrollieren.Meist war die Wettermanipulation<br />
an militärische Interessen<br />
gekoppelt, belegt der Wissenschaftshistoriker<br />
James Fleming im <strong>Greenpeace</strong>-<br />
Interview.<br />
<strong>Greenpeace</strong>: Herr Fleming, im einflussreichen<br />
Bericht der Royal Society* bezeichneten Wissenschaftler<br />
Geo-Engineering als Plan B für den<br />
Klimawandel. Was halten Sie davon?<br />
James Fleming: Ich habe schon damals vor<br />
einem Ausschuss des US-Kongresses gesagt: Es<br />
gibt keinen Plan B. Das Einzige, was es derzeit<br />
gibt, ist ein Haufen Hoffnungen, technische Spielereien<br />
<strong>und</strong> Technologien, darunter Sulfatkanonen<br />
<strong>und</strong> Weltallspiegel. Ich <strong>und</strong> Klimawissenschaftler<br />
wie Alan Robock sind aber überzeugt:<br />
Solche Vorschläge sind nicht realisierbar.<br />
Trotzdem wurden sie im Bericht thematisiert <strong>und</strong><br />
in den Geo-Engineering-Katalog aufgenommen.<br />
Der «Royal Society»-Report ist fehlerhaft; ich<br />
habe diesem Fakt in meinem Buch über die<br />
Geschichte der Klimamanipulation einen ganzen<br />
Abschnitt eingeräumt. Die Autoren waren viel<br />
zu optimistisch, was die Möglichkeiten einzelner<br />
Technologien zur Klimamanipulation anbelangt.<br />
Viele der Annahmen beruhen auf nicht viel mehr<br />
als ein paar Überschlagsrechnungen.<br />
Woher nehmen Sie diese Gewissheit?<br />
Ich sass mit Geoingenieuren in unzähligen<br />
Meetings. Da werden dann Vorschläge gemacht<br />
wie derjenige eines Forschers, mithilfe der Chaostheorie,<br />
eines riesigen Satelliten <strong>und</strong> von Supercomputern<br />
Hurrikane fernzusteuern. Das kommt<br />
der Science-Fiction von Arthur C. Clarke <strong>und</strong> der<br />
Vorstellung einer globalen Wetterbehörde schon<br />
sehr nahe.<br />
Waren die falschen Wissenschaftler am Bericht<br />
der Royal Society beteiligt?<br />
Es ist eigentlich egal, wer den Report verfasst<br />
hat. Es ist schlicht eine dumme Idee, den Planeten<br />
mithilfe von gewaltigen Technologieprojekten<br />
reparieren zu wollen. Solchen Überlegungen<br />
sowie den sozialen <strong>und</strong> politischen Aspekten des<br />
Geo-Engineering wurde im Bericht viel zu wenig<br />
Platz eingeräumt.<br />
*Der «Royal Society»-Bericht<br />
zu Geo-Engineering<br />
Die britische Royal Society zählt zu den ältesten<br />
nationalen Akademien der Naturwissenschaften<br />
<strong>und</strong> fördert exzellente wissenschaftliche Leistungen<br />
im Dienst der Menschheit. 2009 publizierte<br />
sie den Bericht «Geoengineering the Climate»,<br />
in dem sich 23 Physiker, Biologen, Ingenieure,<br />
Klimawissenschaftler <strong>und</strong> Politologen (einige der<br />
Wissenschaftler waren selbst an der Forschung<br />
im Geo-Engineering beteiligt) mit den Chancen<br />
<strong>und</strong> Risiken von unterschiedlichen Methoden<br />
auseinandersetzten. Geprüft wurden Technologien<br />
zur Kohlendioxidentnahme aus der Atmosphäre<br />
(u.a. Ozeandüngung, Aufforstung,<br />
CO2-Abscheidung aus der Luft) <strong>und</strong> solche zur<br />
Abschirmung der Erde vor Sonnenstrahlung<br />
(u.a. Beschuss der Stratosphäre mit Schwefeldioxid,<br />
Reflektoren im Weltall, Vergrösserung<br />
der Albedo in Wüsten <strong>und</strong> Städten). Die Wissenschaftler<br />
stellten fest, dass die meisten untersuchten<br />
Geo-Engineering-Methoden technisch<br />
machbar sind. Gleichzeitig wiesen sie auf grosse<br />
Unsicherheiten bezüglich der Auswirkungen<br />
auf die Umwelt, der Effektivität <strong>und</strong> der Kosten<br />
hin. Der Leiter der Studie, John Shepherd, kam<br />
zum Schluss: «Geo-Engineering <strong>und</strong> seine Konsequenzen<br />
sind vielleicht der Preis, den wir<br />
zu zahlen haben für unser bisheriges Versagen,<br />
<strong>gegen</strong> den Klimawandel vorzugehen.» Geo-<br />
Engineering könnte in Zukunft als Plan B <strong>gegen</strong><br />
den Klimawandel unumgänglich werden, so<br />
Shepherd. Deshalb müssten die unterschiedlichen<br />
Methoden weiter erforscht <strong>und</strong> entwickelt sowie<br />
die Auswirkungen auf die Umwelt <strong>und</strong> politische<br />
Aspekte analysiert werden.<br />
Sie fordern, dass Sozialwissenschaftler stärker<br />
an der Geo-Engineering-Debatte beteiligt<br />
werden. Weshalb?<br />
Weil die Debatte bislang von Technokraten<br />
geführt wurde, die meist mit grossen nationalen<br />
Laboratorien oder mit der NASA verbandelt sind.<br />
Die Diskussion sollte aber viel breiter angelegt<br />
<strong>und</strong> für jedermann offen sein. Sie muss interdisziplinär,<br />
international <strong>und</strong> auch zwischen den Generationen<br />
geführt werden.<br />
Neben der direkten Klima- <strong>und</strong> Wetter ma nipulation<br />
fällt auch die CO2-Abscheidung an<br />
der Erdoberfläche unter den Begriff des Geo-<br />
Engineering. Was halten Sie davon?<br />
Wenn man CO2 aus der Luft abscheidet, muss<br />
man es lagern können – <strong>und</strong> zwar für immer.<br />
Da stossen wir auf ähnliche Probleme wie bei der<br />
Lagerung von atomaren Abfällen. Ausserdem lese<br />
ich praktisch täglich irgendwelche Geschichten<br />
über Möglichkeiten, Kohlenstoff aus der Atmosphäre<br />
zu rezyklieren, zum Beispiel als Treibstoff.<br />
Doch Kohlendioxid ist bereits ein stabiles Verbrennungsprodukt<br />
<strong>und</strong> vollständig oxidiert. Deshalb<br />
ist die weitere Nutzung sehr aufwendig.<br />
Was ist mit Versuchen, das Planktonwachstum<br />
im Ozean zugunsten der CO2-Absorption<br />
zu stimulieren?<br />
Dabei wurden Erkenntnisse verallgemeinert,<br />
die in ihrer Gültigkeit sehr limitiert waren. Der<br />
Ozeanograf John Martin nahm eine Flasche, füllte<br />
sie mit Meerwasser <strong>und</strong> gab eine Eisenlösung<br />
hinzu. Die Flasche wurde grün, die Algen waren<br />
glücklich. Danach folgten Experimente auf einem<br />
kleinen Flecken Ozean <strong>und</strong> auf den ersten<br />
positiven Ergebnissen basierte die These, man<br />
könne die atmosphärische CO2-Konzentration<br />
durch Planktonwachstum drastisch verringern.<br />
<strong>Mit</strong>tlerweile weiss man, dass die Algen bei künstlicher<br />
Eisendüngung teils sogar mehr CO2<br />
abgeben, als sie zuvor aufgenommen haben.<br />
Aber heute verfügen Klimawissenschaftler doch<br />
über ausgeklügelte Modelle <strong>und</strong> Supercomputer<br />
für komplexe Simulationen. Lassen sich die<br />
Auswirkungen von Eingriffen ins Klima damit nicht<br />
zumindest ansatzweise simulieren?<br />
Viele Klimaingenieure sind sehr naive<br />
Modellierer. Klimawissenschaftler, die sich seit<br />
Jahrzehnten mit Modellierungen beschäftigen,<br />
betonen, dass wir weder die Technologie für eine<br />
Klimakühlung besitzen noch ein umfassendes<br />
Verständnis dafür, welche unerwünschten Nebenwirkungen<br />
solche Eingriffe auslösen könnten. Die<br />
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Interview<br />
heute verfügbaren Modelle deuten aber bereits die<br />
Gefahr von regionalen Dürren <strong>und</strong> weitreichenden<br />
Veränderungen im globalen Wasserhaushalt an.<br />
Der Chemienobelpreisträger Paul Crutzen löste<br />
2006 mit einem wissenschaftlichen Essay<br />
einen Sturm der Entrüstung aus. Darin schlug er<br />
vor, die Stratosphäre zur Klimakühlung mit<br />
<strong>Schwefelraketen</strong> zu beschiessen. Markiert Crutzens<br />
Publikation den Beginn der aktuellen<br />
Geo-Engineering-Debatte?<br />
Crutzen gehörte sicherlich zu den Ersten,<br />
die die Möglichkeiten der technischen Klimamanipulation<br />
als <strong>Mit</strong>tel <strong>gegen</strong> die globale Erderwärmung<br />
vorschlugen. Doch für mich als Historiker<br />
waren solche Ideen nichts Neues. Ähnliche<br />
Vorschläge kursierten schon viel früher, das letzte<br />
Mal zum Beispiel 1992 in einem Bericht der<br />
National Academy of Sciences.<br />
Zu welchen Zwecken war die Wetter- <strong>und</strong><br />
Klimamanipulation schon vor dem von Menschen<br />
verursachten Klimawandel ein Thema?<br />
Bereits im 19. Jahrh<strong>und</strong>ert versuchten<br />
Amerikaner Regenfälle zu provozieren, indem sie<br />
Sprengkörper, Bomben <strong>und</strong> Wasserstoffballone<br />
in unterschiedlichen Höhen zum Explodieren<br />
brachten. Später versuchten Wissenschaftler Nebel<br />
aufzulösen, um Starts <strong>und</strong> Landungen von<br />
Flugzeugen zu erleichtern. Es folgten Projekte zur<br />
Steuerung von Hurrikanen <strong>und</strong> zum Abwenden<br />
von Dürren, aber auch Versuche, solche bei kriegerischen<br />
Gegnern absichtlich zu erzeugen. Meist<br />
wurde diese Forschung vom Militär finanziert.<br />
Dann war die Wettermanipulation meist an militärische<br />
Interessen geb<strong>und</strong>en?<br />
Ja, zu Beginn des Kalten Kriegs beauftragte<br />
das Pentagon ein Komitee damit, eine Wetterwaffe<br />
zu entwickeln, um die Atmosphäre zu Ungunsten<br />
des Feindes beeinflussen zu können. Das gipfelte<br />
später in der Forderung, ein gewaltiges Programm<br />
zur Wetterkontrolle zu lancieren, vergleichbar mit<br />
dem Manhattan-Projekt, das zur Entwicklung der<br />
ersten Atombombe führte. Im Vietnamkrieg<br />
schoss die US-Armee zudem zwischen 1967 <strong>und</strong><br />
1972 Tausende von Silberiodid-Salven in die<br />
Wolken. Damit wollte sie den Monsunregen verlängern<br />
<strong>und</strong> die gegnerischen Truppen aufhalten.<br />
Wird Geo-Engineering auch heute noch vom<br />
Militär vorangetrieben?<br />
Einige wichtige Geoingenieure wie Lowell<br />
Wood <strong>und</strong> sein einstiger Förderer Edward Teller<br />
sind eng mit dem amerikanischen Militär <strong>und</strong> dem<br />
Raumfahrtprogramm verb<strong>und</strong>en. Ideen wie die<br />
Verwendung von Raumschiffen für die Reflexion<br />
von Sonnenlicht ins Weltall oder der Einsatz von<br />
Kanonen auf Militärschiffen sind sicherlich auf<br />
diese Verbindung zurückzuführen. Deshalb werden<br />
einige dieser Vorhaben auch heute noch vom<br />
Militär oder von der NASA unterstützt. Ich glaube<br />
zwar nicht, dass die USA derzeit ein strategisches<br />
militärisches Interesse an Geo-Engineering<br />
verfolgen. Trotzdem ist es erstaunlich, wie zahlreich<br />
die Ideen sind, die Atmosphäre zu «beschiessen»<br />
<strong>und</strong> unter Einsatz aller uns zur Verfügung<br />
stehenden Technologien «Krieg <strong>gegen</strong> den Klimawandel»<br />
zu führen.<br />
Wie steht es um die kommerziellen Interessen<br />
von heutigen Geoingenieuren?<br />
Noch verdient niemand Geld damit. Aber<br />
Milliardäre wie Bill Gates spenden derzeit Millionen<br />
für Geo-Engineering-Experimente <strong>und</strong><br />
melden bereits erste Patente für Technologien<br />
zur CO2-Reduktion in der Atmosphäre <strong>und</strong> für die<br />
Manipulation von Hurrikanen an. Ähnliches<br />
geschieht derzeit auch in England.<br />
Welches ist Ihre grösste Sorge für den Fall, dass<br />
sich einzelne Staaten oder die internationale<br />
Gemeinschaft zu einem umfassenden Einsatz<br />
von Geo-Engineering entschliessen sollten?<br />
Das würde unsere Beziehung zur Natur komplett<br />
verändern <strong>und</strong> den Argwohn zwischen den<br />
Nationen verstärken. Die Skandinavier würden<br />
plötzlich die Engländer für ihr schlechtes Wetter<br />
verantworltlich machen <strong>und</strong> umgekehrt. Das<br />
Potenzial für zukünftige Konflikte ist enorm.<br />
Das Interview wurde am 4.2.2012 von Samuel<br />
Schlaefli geführt.<br />
James Fleming ist Professor für Wissenschaft,<br />
Technologie <strong>und</strong> Gesellschaft am Colby College<br />
in Maine <strong>und</strong> Autor zahlreicher Bücher, darunter<br />
«Fixing the Sky: The Checkered History of<br />
Weather and Climate Control» (Columbia University<br />
Press, 2010) über die Geschichte der<br />
Wetter- <strong>und</strong> Klimamanipulation.<br />
Magazin <strong>Greenpeace</strong><br />
Nr. 2 — 2013<br />
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