Zwischen Geist und Geld - Cadmus - European University Institute
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2.2.3. Kunst als Kommunikationsfonn<br />
• Asthetische Vieldeutigkeit steht informatorischer Eindeutigkeit gegenliber 114 :<br />
Die asthetische Form stellt zu viel in Frage, als daB sie geeignet ware, meinungsbildend<br />
zu wirken: . Die Sprache der Meinungen besteht aus denotativen Satzen,<br />
wahrend die Sprache der Kunst expressiv strukturiert ist 115 • Der Unterschied<br />
besteht darin, daB Meinungen geauBert werden, urn etwas zu sag en. Ktinstlerische<br />
Statements dagegen konnen zeigen, was sie nicht sagen: sie wirken expressiv <strong>und</strong><br />
demonstrativ 116 . Besonders im politischen Diskurs wird uns bewu.Bt, daB Meinungen<br />
mit der Generalisierung von Verhaltenserwartungen zu tun haben. Auch im<br />
(nichtpolitischen) Alltag gerat ein Sprecher, der seine Kommunikation betont<br />
ambigue gestaltet, ohne den Kontext als Kunst (odervielleicht als Philosophie) zu<br />
markieren, in Verdacht, ein »Spinner« zu sein.<br />
• Wahrend die asthetische Form Komplexitat in der Alltagskommunikation erhoht,<br />
indem sie generalisierte Erwartungen aufsprengt, dient die wissenschaftliche<br />
Kommunikation dazu, Unsicherheiten im Alltag zu beheben. Komplexitat wird<br />
reduziert, indem Erklarungen angeboten werden, die praktisch funktionieren <strong>und</strong><br />
darum als »wahr« angenommen werden 117 • » Wahrheit« ist keine Kategorie der<br />
Kunst 118 : Eine nach wissenschaftlichen Kriterien »unwahre« Aussage in einem<br />
Gedicht kann aus kiinstlerischer Sicht dennoch stimmig sein 119 . Es ist geradezu<br />
ein Funktionsmerkmal der Kunst, solche » Wahrheiten« immer wieder in Frage zu<br />
stellen, urn damit Raum fur Veranderung zu offnen. In diesem Sinne konnte man<br />
die Funktion der Kunst als komplementar zu derjenigen der Wissenschaft verstehen.<br />
Die Tatsache, daB sich die ktinstlerische Kornmunikation strukturell von der MeinungsauBerung<br />
einerseits <strong>und</strong> der wissenschaftlichen Kornmunikation andererseits<br />
unterscheidet, liefert weitere Argumente fur ihren selbsUindigen Schutz im Rahmen<br />
eines besonderen Gr<strong>und</strong>rechtes der Kunstfreiheit. Auf diesen Punkt werden wir im vierten<br />
Kapitel zurtickkommen.<br />
114<br />
115<br />
116<br />
117<br />
118<br />
119<br />
Vgl. Theodor W. Adorno, 1963, S. 83.<br />
V gl. Zur Unterscheidung von denotativen <strong>und</strong> expressiven Satzen in Anlehnung an Wittgenstein: Jurgen<br />
Habermas, 1981, Bd. 1, S. 426 f.<br />
Auch die von Nelson Goodmann, 1978, S. 18, verwendete Unterscheidung zwischen sagen <strong>und</strong> zeigen<br />
geht auf Wittgenstein zurtick.<br />
Vgl. Niklas Luhmann, 1990a, S. 271 ff., 374 ff.<br />
Soweit Theodor W. Adorno, 1970, S. 198 von der »Wahrheit« des Kunstwerkes spricht, verwendet er den<br />
Be griff in einem iibertragenen Sinne.<br />
Zur relativierten Unterscheidungskraft der Begriffe true/false im Kunstdiskurs vgl. Nelson Goodmann,<br />
1976, s. 51, 68-70.<br />
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