Leben im Mittelalter - C.C. Buchner
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<strong>Leben</strong> <strong>im</strong> <strong>Mittelalter</strong><br />
Ein Dorf <strong>im</strong> 11. Jh.<br />
Wandbild von Fanny Hartmann, um 1990.<br />
Das Bild berücksichtigt Ausgrabungsbefunde aus<br />
Holzhe<strong>im</strong> bei Fritzlar (Nordhessen).<br />
Es zeigt, wie ein Dorf <strong>im</strong> späten 11. Jh. ausgesehen<br />
haben kann.<br />
10
Hochmut<br />
kommt vor dem Fall<br />
„Und damit Gott befohlen, blinder Ritter!“, rief<br />
der alte Meier Helmbrecht ungehalten. „Verlasst<br />
auf der Stelle meinen Hof, sonst lasse ich Euch<br />
von meinem Großknecht hinausprügeln!“ „Seid<br />
doch barmherzig mit mir!“, flehte da der zerlumpte<br />
Blinde an der Hoftüre. „Ich bin doch Euer<br />
Sohn …“ „Ich habe keinen Sohn mehr“, entgegnete<br />
der alte Mann bitter. „Mein Sohn wollte kein<br />
Bauer sein wie ich und meine Vorväter. Er wollte<br />
sich nicht die Hände bei ehrlicher Arbeit schmutzig<br />
machen. Sein Erbteil hat er verschleudert, um<br />
sich wie ein adliger Herr herauszuputzen. Und<br />
als alles verprasst war, hat er die armen Bauern<br />
in den Dörfern der Umgebung in Angst und<br />
Schrecken versetzt und ausgeplündert wie ein<br />
gemeiner Ritter. Ich will mit ihm nichts mehr zu<br />
tun haben.“ Der alte Helmbrecht spuckte aus<br />
und wollte schon die Tür hinter sich schließen.<br />
Doch als er den Sohn mit bittender und kleinlauter<br />
St<strong>im</strong>me weitersprechen hörte, zögerte er.<br />
„Aber Vater, habe ich nicht schwer für meinen<br />
Leichtsinn gebüßt? Die Gerichte haben ihr Urteil<br />
gesprochen. Mir wurden die Augen ausgestochen,<br />
eine Hand und ein Fuß zur Strafe abgeschlagen.<br />
Nun irre ich an der Hand eines Kindes<br />
umher, he<strong>im</strong>atlos, verachtet und hungrig.“ Dem<br />
alten Helmbrecht krampfte sich das Herz zusammen,<br />
als er seinen Sohn so flehen hörte. War<br />
das sein hochmütiger Junge?<br />
Es fiel ihm wieder ein, dass er vor wenigen Tagen<br />
schweißgebadet aufgewacht war. Er hatte geträumt,<br />
er sehe seinen Sohn an einem Baum<br />
hängen, die Füße zwei Meter über dem Boden,<br />
und über seinem Kopf einen Raben und eine Krähe.<br />
– Aber er konnte nicht anders: „Das hätte sich<br />
mein Herr Sohn früher überlegen sollen. Er hat<br />
es ja besser gewusst, als ich ihn gewarnt und auf<br />
Knien gebeten habe, doch das zu bleiben, wozu<br />
er geboren wurde, und sich nicht gegen seinen<br />
gottgewollten Stand aufzulehnen. Mein Helmbrecht<br />
war nicht nur leichtsinnig, er hat gegen<br />
Gott und die Welt gesündigt und dafür die<br />
gerechte Strafe erhalten: Hochmut kommt vor<br />
dem Fall. – Und jetzt verschwindet, sonst …“<br />
Dieter Brückner<br />
Geschichte erzählt<br />
11
Einblick –<br />
Orientierung gewinnen<br />
Die Erzählung vom Meier Helmbrecht und seinem Sohn stammt<br />
von Wernher dem Gärtner, der <strong>im</strong> 13. Jh. lebte. Der von ihm dargestellte<br />
Streit zählt zu den zahlreichen literarischen Texten, die<br />
wir aus dem „<strong>Mittelalter</strong>“ kennen. Wir haben so viele Bilder, Texte<br />
und Überreste aus der Zeit zwischen 500 und 1500, dass der<br />
Historiker Horst Fuhrmann meint: „Überall ist <strong>Mittelalter</strong>.“<br />
Die Ansichten über diese Epoche gehen allerdings auseinander.<br />
Die einen sprechen vom „finsteren <strong>Mittelalter</strong>“ und betonen Unfreiheit,<br />
Gewalt, Schmutz und Seuchen. Andere sehen vor allem<br />
die geis tigen und kulturellen Leistungen. Wieder andere sind<br />
von der Epoche fasziniert. Sie probieren mittelalterliche Kleidung,<br />
Instrumente, Spiele und Speisen aus und lesen Kr<strong>im</strong>is und<br />
Romane, deren Handlung <strong>im</strong> <strong>Mittelalter</strong> spielt. Auch Filme und<br />
Computerspiele über das <strong>Mittelalter</strong> sind beliebt. Jung und alt<br />
strömen zu <strong>Mittelalter</strong>märkten, Gauklerfesten und Ritterspielen.<br />
Alte Städte, Kirchen, Klöster und Burgen locken <strong>im</strong>mer mehr<br />
Touristen an.<br />
Dieses Kapitel stellt dir <strong>Leben</strong>sbereiche des <strong>Mittelalter</strong>s vor. Die<br />
Autoren gehen auf folgende Fragen ein:<br />
• Wie sah die gesellschaftliche Ordnung aus? Wie wurde sie<br />
gerechtfertigt?<br />
• Wie lebten die Menschen auf dem Lande? Wie sah ihr Alltag<br />
aus? Welche Pflichten und Rechte hatten sie?<br />
• Was machte der Adel? Wozu gab es Burgen?<br />
• Wie haben Nonnen und Mönche <strong>im</strong> Kloster gelebt und<br />
gearbeitet? Wieso waren Klöster so wichtig für die europäische<br />
Kultur?<br />
• Warum entstanden neue Städte, was hatten die Einwohner<br />
davon, in einer Stadt zu leben?<br />
Vielleicht möchtest du auch wissen, warum damals die Menschen<br />
nach ihrer Herkunft, ihrem Geschlecht oder ihrer Religion<br />
als ungleich angesehen wurden und weshalb der Glaube ihr<br />
<strong>Leben</strong> so stark beeinflusst hat.<br />
Am Ende des Kapitels kannst du dir ein eigenes Bild über das<br />
<strong>Leben</strong> <strong>im</strong> <strong>Mittelalter</strong> machen und feststellen, ob in den rund tausend<br />
Jahren alles gleich geblieben ist oder ob sich etwas wesentlich<br />
verändert hat. Du wirst dann selbst beurteilen können, was<br />
<strong>im</strong> <strong>Mittelalter</strong> finster und was faszinierend war.<br />
1 <strong>Mittelalter</strong>liches Bauernhaus.<br />
Fotopostkarte von 1996.<br />
Dieses Fachwerkhaus mit Wandfüllungen<br />
aus Flechtwerk und Lehm wurde um 1367<br />
gebaut und hat eine Grundfläche von<br />
etwa 15 x 13 m. Es zählt zu den ältes ten in<br />
Deutschland. Heute steht es <strong>im</strong> Fränkischen<br />
Freilandmuseum in Bad Windshe<strong>im</strong>.<br />
Vieh- und Pferdestall waren <strong>im</strong><br />
Wohnhaus untergebracht. Vor dem Haus<br />
sind ein geflochtener Zaun und ein Ziehbrunnen<br />
zu sehen. Mit der langen Stange<br />
holte man den Wassere<strong>im</strong>er nach oben.<br />
2 Spielzeugburg.<br />
Modell von 2010.<br />
Lissabon<br />
Dublin<br />
I r l a n d<br />
Léon<br />
KGR. LÉON<br />
KGR. NA<br />
Córdoba<br />
Toledo<br />
OMAIJADEN-<br />
KALIFAT<br />
VON CÓRDOBA<br />
Almeria<br />
7./8. Jh.: Die Grundherrschaft entwickelt sich<br />
8.-13. Jh.: Neue Techniken, Anbaumethoden und Landesausbau steigern<br />
die Erträge in der Landwirtschaft; die Bevölkerung in Europa wächst<br />
ab 12. Jh.: Könige,<br />
Fürsten und Bischöfe<br />
gründen Städte<br />
ab 10./11. Jh.: Adlige Herren errichten Burgen;<br />
<strong>im</strong> 12. Jh. entsteht eine höfische Kultur des Rittertums<br />
300<br />
400<br />
500<br />
600 700 800 900 1000 1100 1200<br />
4. Jh.: Das Byzantische Reich entsteht<br />
um 500: Das Weströmische Reich zerfällt, das Reich der Franken entsteht<br />
7./8. Jh.: Die Musl<strong>im</strong>e dehnen ihre Macht auf Nordafrika und Spanien aus<br />
12 Einblick
KGR.<br />
SCHOTT-<br />
LAND<br />
Durham<br />
York<br />
Gft.<br />
KGR<br />
NORWEGEN<br />
Aarhus<br />
KGR<br />
DÄNEMARK<br />
Ribe<br />
Odense<br />
Haithabu/Schleswig<br />
KGR<br />
SCHWEDEN<br />
Mark der Wollin<br />
Hamburg Billunger<br />
KGR.<br />
Bremen<br />
Nordmark<br />
ENGLAND<br />
Friesland<br />
Posen Gnesen<br />
London<br />
Hzm.<br />
Dorchester<br />
Magdeburg<br />
H Z M .<br />
Sachsen<br />
Canterbury<br />
Mark Lausitz P O L E N<br />
Quedlinburg<br />
Mark<br />
Breslau<br />
Köln<br />
Aachen Franken<br />
Meißen<br />
Krakau<br />
Niederlothringen<br />
Rouen<br />
Frankfurt<br />
Prag<br />
Przemysl<br />
Re<strong>im</strong>s<br />
Hzm.<br />
Bamberg<br />
Trier Mainz<br />
Hzm.<br />
Mähren<br />
Gft. Normandie Paris Verdun<br />
Worms<br />
Böhmen<br />
Bretagne Le Mans<br />
Straßburg<br />
Regensburg<br />
Oberlothr.<br />
Hzm.<br />
Hzm.<br />
Nantes Orléans<br />
Schwaben<br />
Bayern<br />
Gran<br />
Augsburg<br />
Raab<br />
Reichenau<br />
Salzburg<br />
K G R .<br />
Besançon<br />
Poitiers<br />
Veszprém U N G A R N<br />
St. Gallen<br />
Hzm.<br />
Veszprém<br />
Lausanne<br />
Kärnten<br />
L<strong>im</strong>oges<br />
Hzm.<br />
Genf<br />
Aquilea<br />
Mailand Verona<br />
Bordeaux<br />
Guyenne<br />
Ivrea<br />
Belgrad<br />
Pavia<br />
Venedig<br />
Gft.<br />
KROATIEN<br />
Hzm.<br />
Lombardei<br />
Toulouse<br />
Reggio<br />
Gascogne<br />
Navarra Toulouse<br />
Nîmes<br />
Genua<br />
Ravenna<br />
Arles Spalato<br />
Aix<br />
Pisa<br />
(Split)<br />
VARRA<br />
KGR.ARAGON<br />
Marseille<br />
Spoleto<br />
GFT. BARCELONA<br />
Korsika<br />
Rom<br />
Neapel<br />
Brindisi<br />
Birka<br />
Gotland<br />
Pskow<br />
(Pleskau)<br />
Saloniki<br />
Polozk<br />
Turow<br />
Smolensk<br />
K I E W E R<br />
R E I C H<br />
Preslav<br />
Tschernigow<br />
Kiew<br />
Philipopel<br />
Konstantinopel<br />
{<br />
Reich<br />
der<br />
Ottonen<br />
Kr<strong>im</strong><br />
Cherson<br />
Nikomedia<br />
Nikaia<br />
Reich der Ottonen oberhalb der Alpen (Ostfranken)<br />
zu diesem Reichsteil gehörende Gebiete<br />
Königreich Italien<br />
Kirchenstaat und vom Papst beanspruchte Gebiete<br />
Reich der französischen Könige (Westfranken)<br />
mit weitgehend unabhängigen Reichsteilen<br />
Königreich Burgund<br />
Byzantinisches Reich<br />
vom Byzantinischen Reich beanspruchte Gebiete<br />
arabisch-islamische Staaten<br />
GFT. Grafschaft HZM. Herzogtum KGR. Königreich<br />
0 200 400<br />
600 km<br />
Ankyra<br />
Tmukarakan<br />
Sinope<br />
Kaisareia<br />
Trapezunt<br />
Sardinien<br />
Sardes<br />
Attaleia<br />
Antiocheia<br />
REICH DER ZIRIDEN<br />
Kairuan<br />
Palermo<br />
Sizilien<br />
Malta<br />
Peloponnes<br />
Kreta<br />
Zypern<br />
Damaskus<br />
FATIMIDEN-<br />
KALIFAT<br />
3 Europas Mitte um 1000.<br />
4 „Freienfelser Ritterspiele.“<br />
Plakat von 2012.<br />
Die Spiele gibt es seit 1992 in Freienfels (Landkreis L<strong>im</strong>burg-Weilburg).<br />
In vielen alten Städten und auf Burgen finden seit den 1980er-Jahren mehr oder<br />
weniger regelmäßig <strong>Mittelalter</strong>märkte und -spektakel statt. Auf ihnen treten<br />
Feuerschlucker, Musiker, Akrobaten und Kunsthandwerker auf, werden mittelalterliche<br />
Schmuckstücke, Kleider sowie Waffen (Schwerter, Bögen etc.) verkauft<br />
und finden Ritterturniere statt. Die Veranstalter und Akteure wollen damit Geld<br />
verdienen. Nicht <strong>im</strong>mer kümmern Sie sich dabei um eine historisch zuverlässige<br />
Darstellung. Es gibt aber auch Vereine und Gruppen, die den mittelalterlichen<br />
Alltag ziemlich genau nachbilden.<br />
15. Jh.: Die „Hanse“ erlebt ihren Höhepunkt<br />
1300 1400 1500 1600<br />
1700<br />
Orientierung gewinnen 13
„Gottes Haus ist dreigeteilt ...“<br />
1 Christus teilt den drei Ständen ihre<br />
Aufgaben zu.<br />
Holzschnitt (20 x 14,5 cm), Heidelberg 1488.<br />
Das Bild zeigt den auf einem Regenbogen,<br />
dem Symbol der Verbindung zwischen<br />
H<strong>im</strong>mel und Erde, thronenden Weltenrichter<br />
Christus. Links von ihm der Papst mit<br />
einem weiteren Geistlichen, rechts der<br />
Kaiser und ein Fürst und in der unteren<br />
Mitte zwei Bauern. Die Beschriftungen<br />
lauten übertragen: „Du bete demütig!“<br />
„Du schütze!“ „Und du arbeite!“<br />
Nicht alle Menschen sind gleich<br />
Im <strong>Mittelalter</strong> gab es noch keine modernen Staaten. Es<br />
kannte weder eine Gesetzgebung <strong>im</strong> heutigen Sinne noch<br />
die Gleichheit vor dem Gesetz. Recht hatte vor allem der,<br />
der dazu in der Lage war, seine Rechtsansprüche durchzusetzen.<br />
Wer Schutz brauchte, wandte sich an den, der ihn<br />
beschützen konnte. Dabei achteten alle Beteiligten für<br />
gewöhnlich auf überlieferte Regeln, nach denen geurteilt<br />
und bestraft werden durfte.<br />
Drei Stände bilden die Gesellschaft<br />
An der Spitze der Gesellschaft standen<br />
Kaiser bzw. Könige und Fürsten. Sie verstanden<br />
sich als von Gott eingesetzte<br />
Herrscher. Sie regierten nach ihrem<br />
Verständnis eine von Gott gegebene<br />
Ordnung, in der die Päpste die Grundlinien<br />
des römisch-katholischen Glaubens<br />
best<strong>im</strong>mten. Sie allein durften<br />
nicht nur Dienste und Abgaben verlangen,<br />
sondern auch Verehrung und<br />
Gehorsam.<br />
Diese Ordnung des Zusammenlebens<br />
wurde religiös gerechtfertigt – vor allem<br />
dann, wenn sie durch Veränderungen,<br />
Streitigkeiten oder Kriege gefährdet<br />
war. Dazu diente die Lehre von den<br />
drei Ständen („Stand“ kommt von lat.<br />
stare: stehen). Die „Dreiständelehre“ ist<br />
uns in verschiedenen Texten und Bildern überliefert und<br />
weist jedem Teil der Gesellschaft best<strong>im</strong>mte Aufgaben<br />
und Pflichten zu. Danach habe Gott die Gesellschaft in<br />
drei Teile gegliedert: in die vom Papst angeführte Geistlichkeit,<br />
die vom Kaiser angeführten weltlichen Herrscher<br />
(Adel) und das arbeitende Volk. Diese fest gefügte und<br />
harmonische Ordnung dürfe der Mensch nicht verändern.<br />
Wer also als Bauer geboren wurde, sollte es auch für<br />
<strong>im</strong>mer bleiben.<br />
˘ Lesetipp:<br />
Hans-Peter von Peschke, <strong>Mittelalter</strong>, Nürnberg 2010<br />
1. Nenne und beschreibe die dargestellten Stände (Abb. 1).<br />
Wer spricht zu den Gruppen? Welche Aufgaben werden<br />
ihnen zugewiesen? Beachte dabei auch die sprachliche<br />
Form.<br />
2. Arbeite heraus, was die Stände zusammenhalten soll<br />
(Abb. 1).<br />
14 <strong>Leben</strong> <strong>im</strong> <strong>Mittelalter</strong>
5<br />
10<br />
M 1 „Gottes Haus ist dreigeteilt ...“<br />
Bischof Adalbert von Laon schreibt um 1030 dem französischen König:<br />
Im Glauben ist die Christenheit einheitlich, doch gliedert sie sich in drei Stände.<br />
Das weltliche Recht zeigt hingegen eine Teilung in zwei Standesgruppen:<br />
Der Freie und der Knecht haben ja nicht dasselbe Recht. An der Spitze stehen<br />
zwei, der eine ist der König, der andere der Kaiser; durch deren Gebot soll der<br />
Staat gesichert dastehen. [...]<br />
So gliedert sich also das Haus des Herrn, obschon einheitlich dem Glauben<br />
nach, in drei Teile: Die einen beten, die anderen kämpfen, die dritten arbeiten.<br />
Diese drei exis tieren zugleich und sind untrennbar verbunden. Vom Dienst<br />
des einen hängt die Tätigkeit der beiden anderen ab, so unterstützen sie sich<br />
alle wechselseitig. So ist also dieser Verband einheitlich und gleichzeitig dreigeteilt.<br />
Zit. nach: Siegfried Epperlein, Bäuerliches <strong>Leben</strong> <strong>im</strong> <strong>Mittelalter</strong>, Köln 2003, S. 245 (leicht verändert)<br />
M 2 Eine göttliche Ordnung<br />
Hildegard von Bingen (siehe Seite 31) erklärt Mitte des 12. Jh.:<br />
Gott achtet bei jedem Menschen darauf, dass sich der niedere Stand nicht<br />
über den höheren erhebe, wie es einst Satan und der erste Mensch getan, die<br />
über ihren Stand hinausfliegen wollten. Und, wer steckt all sein Viehzeug zusammen<br />
in einen Stall: Rinder, Esel, Schafe, Böcke? Da käme alles übel durcheinander!<br />
So ist auch darauf zu achten, dass nicht alles Volk in eine Herde<br />
zusammengeworfen werde. Es würde sonst eine böse Sittenverwilderung<br />
einreißen, da man sich <strong>im</strong> gegenseitigen Hasse zerfleischen würde, wenn der<br />
höhere Stand zum niedrigen herabgewürdigt und dieser zum höheren aufsteigen<br />
würde. Gott teilt sein Volk auf Erden in verschiedene Stände, wie die<br />
5<br />
Engel <strong>im</strong> H<strong>im</strong>mel [...]. Und Gott liebt sie alle.<br />
10<br />
Zit. nach: Thomas Martin Buck, <strong>Mittelalter</strong> und Moderne, Schwalbach/Ts. 2008, S. 241<br />
5<br />
10<br />
M 3 Aus einer Kleiderordnung<br />
In der „Kaiserchronik des Pfaffen Konrad“ von 1150 wird ein angebliches Gesetzeswerk<br />
Karls des Großen zitiert, das dieser nach seiner Krönung um 800<br />
erlassen haben soll:<br />
Nun will ich euch sagen, wie ein Bauer sich nach dem Gesetz kleiden sollte:<br />
Seine Kleidung sei schwarz oder grau. Keilförmige Verzierungen des Kittels<br />
darf er nur an der Seite tragen, das ist seinem Stand gemäß. Seine Schuhe<br />
sollen aus Rindsleder sein, das reicht für ihn.* Für das Hemd sollen höchstens<br />
sieben Ellen Stoff** verwendet werden und für die kurze Hose nur Tuch aus<br />
Rupfen***. Wenn er die keilförmigen Verzierungen vorne oder hinten an der<br />
Kleidung trägt, verliert er alle Rechte seines Standes.****<br />
Sechs Tage soll er mit Pflügen und anderer Arbeit verbringen, am Sonntag soll<br />
er in die Kirche gehen, dabei aber nur einen Stecken in der Hand halten. Wird<br />
ein Schwert bei ihm gefunden, soll man ihn gefesselt an den Kirchzaun führen.<br />
Dort soll man ihm den Hut abnehmen und die Haare abschneiden. Wenn<br />
er angegriffen wird, darf er sich nur mit einem Stecken verteidigen.<br />
Günther Franz (Hrsg.), Quellen zur Geschichte des deutschen Bauernstandes <strong>im</strong> <strong>Mittelalter</strong>, Darmstadt, Nr. 51<br />
(übertragen von Dieter Brückner)<br />
* Der Adel trug Schuhe aus weicherem Ziegenleder.<br />
** Elle: Abstand zwischen Ellenbogen und Mittelfingerspitze eines Mannes; etwa 50 bis<br />
60 cm<br />
*** Rupfen: derbes Gewebe aus Jute<br />
**** Jacken mit aufwändigen Einsätzen vorne und hinten durfte nur der Adel tragen.<br />
M 4 Adel, Geistliche (Klerus)<br />
und Bauern.<br />
Malerei aus einer französischen<br />
Handschrift, 14. Jh.<br />
1. Arbeite aus M 1 und M 2 heraus, wie<br />
die Autoren jeweils die Lehre von<br />
den drei Ständen begründen.<br />
2. Diskutiert, was für und was gegen<br />
eine solche gesellschaftliche Ordnung<br />
spricht (M 1 bis M 4).<br />
3. Worin unterscheidet sich die dargestellte<br />
Ständeordnung eurer<br />
Ansicht nach von unserer heutigen<br />
Gesellschaft? Begründet eure<br />
Aussagen.<br />
Mit Material arbeiten<br />
15