15.01.2014 Aufrufe

Heinrich Hansen - Husum-Stadtgeschichte

Heinrich Hansen - Husum-Stadtgeschichte

Heinrich Hansen - Husum-Stadtgeschichte

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Erfolgreiche ePaper selbst erstellen

Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.

Prof. Dr. Thomas Steensen<br />

<strong>Heinrich</strong> <strong>Hansen</strong><br />

Der „katholische Lutheraner“<br />

Mit freundlicher Erlaubnis der <strong>Husum</strong>-Redaktion<br />

des Schleswig-Holsteinischen Zeitungsverlages.<br />

Aus: „<strong>Husum</strong>er Nachrichten” vom 27. September 2011<br />

1


Thomas Steensen: Der „katholische Lutheraner“ <strong>Heinrich</strong> <strong>Hansen</strong><br />

Thomas Steensen: Der „katholische Lutheraner“ <strong>Heinrich</strong> <strong>Hansen</strong><br />

Der „katholische Lutheraner“<br />

<strong>Heinrich</strong> <strong>Hansen</strong><br />

Prof. Dr. Thomas Steensen<br />

Für viele evangelische Christen in<br />

Deutschland war der Besuch von Papst<br />

Benedikt XVI. eine Enttäuschung: In der<br />

Ökumene und im interreligiösen Dialog<br />

gab es keine echten Fortschritte. Ein<br />

Vorreiter der Ökumene-Bewegung<br />

stammt aus Nordfriesland. Professor<br />

Thomas Steensen stellt ihn in seinem<br />

Beitrag vor.<br />

Wie Luther 400 Jahre zuvor, wollte er<br />

mit 95 Thesen seine Kirche aufrütteln:<br />

Auf der Insel Pellworm verfasste 1917<br />

Pastor <strong>Heinrich</strong> <strong>Hansen</strong> in lateinischer<br />

und deutscher Sprache „Streitsätze wider<br />

die Irrnisse und Wirrnisse unserer<br />

Zeit“. Unter dem Titel „Stimuli et clavi –<br />

Spieße und Nägel“ ließ er seine Thesen<br />

von seiner neuen Wirkungsstätte Kropp<br />

aus auf eigene Kosten drucken – und<br />

erregte viel Aufsehen. Heute ist <strong>Heinrich</strong><br />

<strong>Hansen</strong> (1861–1940) weithin vergessen.<br />

Doch hat er auf zwei Gebieten Spuren<br />

hinterlassen: Er gab als einer der Ersten<br />

im 20. Jahrhundert Impulse für<br />

mehr Gemeinsamkeit zwischen Protestanten<br />

und Katholiken und er bahnte<br />

den Weg für mehr Niederdeutsch in der<br />

Kirche. Geboren wurde der Reformer<br />

vor 150 Jahren, am 13. Oktober 1861, in<br />

dem kleinen nordfriesischen Dorf Klockries.<br />

Im „Biographisch-Bibliographischen Kirchenlexikon“<br />

heißt es über <strong>Heinrich</strong><br />

<strong>Hansen</strong>, er zähle „zu den bedeutendsten<br />

Pionieren sowohl der kirchlichen<br />

Erneuerungsbewegung im deutschen<br />

Pastor <strong>Heinrich</strong> <strong>Hansen</strong>, Pellworm<br />

Protestantismus wie der kirchlichen Einigungsbewegung“.<br />

Diese Wirkung<br />

konnte er entfalten, obwohl er nie in einem<br />

Zentrum, sondern stets an der Peripherie<br />

des Deutschen Reichs tätig war.<br />

Abgesehen von seiner ersten Pfarrstelle<br />

in Reinfeld und einem knappen Jahrzehnt<br />

in Kropp, wirkte er in drei Kirchengemeinden<br />

Nordfrieslands: Lindholm,<br />

Pellworm und Olderup.<br />

Das Reformationsjubiläum 1917 wurde<br />

vielerorts im Zeichen des Ersten<br />

Weltkriegs mit Stolz und nationalem<br />

Pathos gefeiert. <strong>Heinrich</strong> <strong>Hansen</strong> schlug<br />

in seinen 95 Thesen völlig andere Töne<br />

an. Im Unterschied zu vielen seiner<br />

Amtsbrüder war er nicht vom deutschen<br />

Nationalismus infiziert. Schon<br />

am Anfang des Krieges hatte er die<br />

Deutschen vor Selbstgerechtigkeit gewarnt:<br />

„Nur ja nicht aburteilen über die<br />

anderen Völker!“ In der zweiten These<br />

von 1917 sagte er: „Der Protestantismus<br />

hat keinen Grund, Jubiläen zu feiern,<br />

wohl aber, im Sack und in der<br />

Asche Buße zu tun.“ Und in These 4<br />

heißt es: „Die Reformation kann mit Fug<br />

und Recht eine Deformation genannt<br />

werden, weil ihre gutgemeinten Bestrebungen<br />

zum größten Teil missraten<br />

sind.“<br />

Der namhafte Religionswissenschaftler<br />

Friedrich Heiler (1892–1967) bezeichnete<br />

<strong>Heinrich</strong> <strong>Hansen</strong> als einen „katholischen<br />

Lutheraner“. Eine Wiedervereinigung<br />

der Konfessionen hielt <strong>Hansen</strong><br />

„angesichts der bekannten Haltung der<br />

römischen Kirche“, insbesondere zum<br />

Papsttum, für „eine Unmöglichkeit“. Er<br />

wollte „Versöhnung und Anerkennung,<br />

brüderliches und freundschaftliches<br />

Verhalten gegeneinander“. Für die<br />

evangelische Kirche forderte er „Katholizität“:<br />

So hielt er das Fasten an bestimmten<br />

Tagen durchaus für heilsam.<br />

Die katholische Heiligenverehrung<br />

habe zwar zu Auswüchsen geführt,<br />

doch sei es falsch, auf solche Vorbilder<br />

ganz zu verzichten. Zu den Heiligen<br />

rechnete er, trotz seiner „Fehler und<br />

Schwächen“, auch den Reformator Martin<br />

Luther!<br />

1918 gründete <strong>Hansen</strong> in Berlin die<br />

noch heute bestehende Hochkirchliche<br />

Vereinigung. Sie war im Deutschland<br />

der 1920er Jahre fast der einzige<br />

Ort, an dem ökumenisches Gedankengut<br />

gepflegt wurde. In seinem<br />

Bemühen um Versöhnung der christlichen<br />

Kirchen berief er sich auf einen<br />

Theologen des 17. Jahrhunderts, der<br />

wenige Kilometer von <strong>Hansen</strong>s Geburtsort<br />

entfernt zur Welt gekommen<br />

war: auf Georg Calixt (Callisen), geboren<br />

1586 in Medelby an der heutigen<br />

deutsch-dänischen Grenze. Dem als<br />

Professor in Helmstedt wirkenden bedeutenden<br />

Humanisten widmete <strong>Heinrich</strong><br />

<strong>Hansen</strong> sein – ungedruckt gebliebenes<br />

– Hauptwerk mit dem Titel „Calixtus<br />

redivivus oder Spaltung und Versöhnung“;<br />

„redivivus“ bedeutet „der Wiedererstandene“.<br />

„Es ist ein Abfall von den Grundprinzipien<br />

der Reformation, wenn in vielen<br />

Ländern Deutschlands das Evangelium<br />

in einer fremden Sprache, nämlich in der<br />

hochdeutschen statt der niederdeutschen<br />

gepredigt wird.“ Das erklärte<br />

<strong>Heinrich</strong> <strong>Hansen</strong> 1917 in seiner 56. These.<br />

Schon vorher hatte er sich – zunächst<br />

als einsamer Rufer in der Wüste<br />

– für mehr Niederdeutsch im kirchlichen<br />

Leben eingesetzt. Er entwickelte hierfür<br />

geradezu eine Strategie, schlug bereits<br />

vor, was zum Teil erst Jahrzehnte später<br />

Wirklichkeit wurde.<br />

Es blieb nicht bei der Theorie. So gab er<br />

das erste niederdeutsche Gesangbuch<br />

seit über zwei Jahrhunderten heraus. In<br />

der Alten Kirche auf Pellworm hielt er<br />

1917 den wohl ersten plattdeutschen<br />

Gottesdienst seit fast drei Jahrhunderten.<br />

In seinem Appell „Gegen das Hochdeutschreden“<br />

in den <strong>Husum</strong>er Nachrichten<br />

stellte er 1909 den Grundsatz<br />

auf: „Das Hochdeutsche nur, wo es nötig<br />

ist, sonst aber die Volkssprache, also<br />

friesisch oder, wo diese Sprache erloschen<br />

ist, niederdeutsch.“ <strong>Hansen</strong> war<br />

überzeugt, dass der norddeutschen Bevölkerung<br />

die christliche Botschaft in der<br />

eigenen Sprache näher gebracht wer-<br />

2 3


Thomas Steensen: Der „katholische Lutheraner“ <strong>Heinrich</strong> <strong>Hansen</strong><br />

den könne als durch „die fremde hochdeutsche<br />

Sprache“.<br />

Manches von dem, was <strong>Heinrich</strong> <strong>Hansen</strong><br />

erstrebte, ist heute Wirklichkeit.<br />

Der Verkündigung in niederdeutscher<br />

Sprache wird viel mehr Gewicht gegeben.<br />

Die christlichen Kirchen haben<br />

sich angenähert. Doch würde der<br />

friesische Landpastor wohl auch heute<br />

manche „Nägel und Spieße“ anbringen,<br />

um „Irrnisse und Wirrnisse“<br />

in seiner Kirche beim Namen zu nennen.<br />

Die „Alte Kirche“ auf Pellworm. Der einst 57 Meter hohe Turm ist seit 1611 Ruine und<br />

diente als wichtiges Seezeichen.<br />

4

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!