Pfarrstelle-Umbr.qxp 1 - Husum-Stadtgeschichte
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Hans Beyer<br />
<strong>Husum</strong>er Magistrat empfahl 1791<br />
Einsparung der 3. <strong>Pfarrstelle</strong><br />
Aus dem Beitrag „Nordfriesland und Eiderstedt im Kampf gegen die „Aufklärung“<br />
von Prof. Dr. Hans Beyer, Flensburg. In: Jahrbuch des Nordfriesischen Vereins<br />
für Heimatkunde und Heimatliebe. Jg. 1956, Bd. 31<br />
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Wie tief die weltanschaulichen Gegensätze zwischen den führenden bürgerlichen<br />
Kreisen und den Handwerkern gingen, zeigen die Kämpfe um die dritte<br />
<strong>Pfarrstelle</strong> in <strong>Husum</strong>. Als im Herbst 1791 durch den Tod von Pastor Sternhagen<br />
das sog. Diakonat frei wird, überlegt man sich im Magistrat, ob man nicht<br />
von den drei <strong>Pfarrstelle</strong>n eine einsparen könne. Man wird sich jedoch nicht einig<br />
und läßt nach einer auffällig langen Verzögerung im Herbst 1793 die Wahl<br />
eines Nachfolgers durchführen. Kurz hintereinander sterben Propst Meyer und<br />
Archidiakon Ingwersen, so daß der neue Diakon zu Weihnachten 1793 gezwungen<br />
wird, die Dienstgeschäfte der drei Pastorate wahrzunehmen.<br />
Diese ungewöhnliche Situation benutzt der Magistrat dazu, seinen alten<br />
Plan zu verwirklichen. Es würden zuviel Gottesdienste gefeiert. Viele Predigten<br />
seien „höchst sparsam“ besucht. Schetelig, der neue Diaconus, könne<br />
den vielen Verpflichtungen nicht nachkommen, deshalb müsse man die Zahl<br />
der Predigten einschränken. Am Sonntag genügten Hauptgottesdienst und<br />
Vesper, dazu komme dann noch am Sonnabend die Bußpredigt. Der treibende<br />
Mann bei diesen Veränderungen ist der 2. (juristische) Bürgermeister und<br />
2<br />
Sankt Marien, nach einem Holzschnitt um 1780.<br />
Ansicht der Rathausfront<br />
aus dem<br />
Jahre 1768, wahrscheinlich<br />
von Johannes<br />
Laß für<br />
den dänischen Historiker<br />
Langebek<br />
gezeichnet. Foto:<br />
Reichsarchiv Kopenhagen.<br />
Stadtsekretär Feddersen. Unmittelbar nach der Wahl Scheteligs regt er an, der<br />
neue Diakon möge mit den Frühpredigten gar nicht erst beginnen. Die meisten<br />
Magistratsmitglieder stimmen ihm zu. Abweichender Meinung ist nur der<br />
langjährige Bürgermeister Josias Jebsen, ein gebürtiger Flensburger. Da er<br />
sich selten durchsetzte, hielt er es für tunlich, seine abweichende Meinung in<br />
einem Vermerk niederzulegen: „Ob aber die Früh-Predigt gänzlich eingestellt<br />
werden soll, verdient wohl mehrere Überlegung und muß auch dieserwegen<br />
die ganze Gemeine vorgefohdert werden“.<br />
Die Mehrheit des Magistrats war jedoch auch in diesem Punkte anderer<br />
Meinung. Als sich die Deputierten mit ihren Bedenken nach Gottorp wenden,<br />
unterstreicht der Magistrat in einem Bericht an die Deutsche Kanzlei (17. 1.<br />
1794), daß das Deputiertenkollegium nicht zuständig sei. Die Patronatsrechte<br />
lägen beim Magistrat. Die Deutsche Kanzlei entscheidet im Sinne von Feddersen.<br />
Welcher Art waren die Bedenken der Deputierten? Sie richten sich zunächst<br />
dagegen, daß der Magistrat ohne Befragen der Gemeinde die kirchliche Ordnung<br />
ändere. Gewiß stehe ihm bei Vakanzen das Präsentationsrecht zu. Dies<br />
Recht schließe jedoch die Befugnis, über die Predigten etwas zu bestimmen,<br />
nicht ein. Die Predigt sei ein wesentlicher Teil der Liturgie. Und über die Liturgie<br />
habe kein Patron etwas zu bestimmen. „Welche beträchtliche Nachteile<br />
muß nicht die Gemeinde durch diese nagelneue, von dem Magistrat ihr so<br />
ganz über den Kopf genommene, anstößige Einrichtung, außer der Krän-<br />
3
4<br />
Sankt Marien um 1650 von Südosten nach einem Modell im Nissenhaus.<br />
kung ihrer Gerechtsame und Besitzstörung erleiden! Denn Predigten und öffentliche<br />
Bet- und Erbauungsstunden gehören doch wohl unstreitig zu den unschätzbarsten<br />
Kleinodien, über deren Erhaltung nicht sorgfältig genug gewachet<br />
werden kann; und die das zuverlässigste Wehrmittel wider die Ansteckung<br />
von der Sittenverderbnis abgeben.“ Die Supplik, der der Advokat<br />
Prall die letzte Form gegeben hatte, unterläßt es nicht, den Stadtsekretär Feddersen<br />
persönlich anzugreifen. Bürgermeister Jebsen sei bereit gewesen, mit<br />
dem Deputierten über die ganze Frage zu verhandeln. Feddersen habe das verhindert.<br />
Bedenken müsse man auch, daß <strong>Husum</strong> zur Zeit 2 Vakanzen habe.<br />
Beide Witwen genössen ein volles Gnadenjahr, müßten jedoch für die Predigten<br />
sorgen. Verwandtschaftliche Beziehungen zu Feddersen hätten bisher bewirkt,<br />
daß diese Verpflichtung nicht erfüllt werde.<br />
Der Magistrat weiß, daß er von der Gottorper Verwaltung gedeckt wird. Er<br />
beschließt, den erst vor einem halben Jahr gewählten Diakon Schetelig, dessen<br />
„Kantzel-Vortrag bey seinen annoch jungen Jahren unverbesserlich“ sei, ohne<br />
besondere Wahl zum Archidiaconus zu machen. Das gelingt. Obwohl der Magistrat<br />
am 17. 1. 1794 erklärt hatte, daß die Veränderungen in der kirchlichen<br />
Ordnung vorübergehend erforderlich seien, geht er jetzt dazu über, eine endgültige<br />
Ordnung dadurch festzulegen, daß die 3. <strong>Pfarrstelle</strong> nicht mehr besetzt<br />
wird. Der zu erwartenden Beschwerde der Deputierten hatte er bereits durch<br />
den Hinweis vorgebaut, es handle sich um aufrührerisch gesinnte Leute: „Ein<br />
solches Verfahren muß zwar bey dem Handwerksburschen übersehen werden,<br />
aber für Officialen gegen ihre Obrigkeit ist es unerträglich“. So hiees<br />
in dem Bericht vom 17. 1. bei der Charakterisierung der Beschwerde der<br />
Deputierten.<br />
Die beabsichtigte Einsparung der 3. <strong>Pfarrstelle</strong> wird damit begründet, daß es<br />
in <strong>Husum</strong> zuviel Predigten gäbe. „Es ist die erste Pflicht eines Christen, Andacht<br />
zu üben und zu beten, aber auch die Schuldigkeit des Menschen, zu arbeiten.“<br />
Wichtiger als dies etwas lahm wirkende Argument ist der Hinweis<br />
darauf, daß die Würde des Predigers in den letzten Jahrzehnten sehr gelitten<br />
habe. Das hänge mit der schlechten Bezahlung zusammen. Eine anständige<br />
Bezahlung, wie sie einem öffentlichen Beamten gebühre, sei in <strong>Husum</strong> jedoch<br />
nur dann möglich, wenn die 3. <strong>Pfarrstelle</strong> eingespart werde.<br />
Mit Rücksicht auf die Stimmung der Bevölkerung hielt es der Magistrat für<br />
erforderlich, alle Wahlberechtigten zu einer Versammlung einzuladen. Der<br />
Magistrat setzte sich beredt und geschlossen für die Aufhebung der 3. <strong>Pfarrstelle</strong><br />
ein. Bei namentlicher Abstimmung ergab sich jedoch eine Mehrheit von<br />
55 % gegen den Vorschlag des Magistrats!<br />
5
Blick in den Chor der alten <strong>Husum</strong>er<br />
Marienkirche um 1510 (Rekonstruktion).<br />
Diese Panne veranlaßte den<br />
Magistrat, eine sorgfältig überlegte<br />
Darstellung nach Gottorp<br />
zu schicken, wo man offenbar etwas<br />
stutzig geworden war. Zu<br />
Beginn des Jahres 1795 wird mitgeteilt,<br />
ohne vorherige obrigkeitliche<br />
Erlaubnis habe eine Versammlung<br />
aller Ämter stattgefunden,<br />
obwohl den Zünften seit<br />
1756 auferlegt war, für jede Versammlung<br />
vorher die Zustimmung<br />
des Magistrats einzuholen.<br />
„Wir müssen itziger Zeit so manches<br />
stillschweigend hingehen<br />
lassen“, so heißt es resigniert —<br />
aber dies sei doch ein „Komplott“.<br />
Die 4 Ämter der Bäcker,<br />
Schuster, Schneider und Schmiede<br />
hätten mit anderen Ämtern<br />
konferiert und in der Frage der<br />
3. <strong>Pfarrstelle</strong> ein Gesuch an den König beschlossen. Es fehlt nicht die verdächtigende<br />
Behauptung, daß die ganze Sache von einem „verarmten und versoffenen<br />
Schuster“ ausgehe. Auf der ohne Genehmigung durchgeführten Versammlung<br />
seien Gegenstände besprochen worden, die nicht vor den Schrangen gehören.<br />
„Übel verdaute französische Vorgänge!“ Königliche Majestät möge das<br />
Allerhöchste Mißfallen aussprechen. Bedenklich sei auch, daß die Supplikanten<br />
von dem „blühenden Zustand“ <strong>Husum</strong>s reden. Auf die besorgte Frage der<br />
Gottorper Beamten, ob man etwa die Beichte abgeschafft habe, wird beruhigend<br />
erklärt, die Pastoren hätten lediglich die „allgemeine Beichte“ in Vorschlag<br />
gebracht, „mit dem bescheidenen Zusatz, daß ein jeder, der privatim<br />
beichten wolle, in seinem Vorhaben durchaus sich nicht stören lassen müsse“.<br />
In einem Ergänzungsbericht unterstreicht der Magistrat am 23. Oktober, bei<br />
der ganzen Aktion handle es sich um „kleine Leute“, die eigentlich nicht mitreden<br />
dürften. Merkwürdig bleibt bei dieser Auskunft freilich, warum unter<br />
der beanstandeten Eingabe die Namen der Älterleute der 4 kombinierten Ämter<br />
und der beiden Deputierten Hans Lorentz Schmidt und Hinrich Sigmund<br />
Rheder stehen?<br />
6<br />
Ausschnitt aus der<br />
ältesten Stadtansicht<br />
<strong>Husum</strong>s von Braun<br />
und Hogenberg,<br />
1585.<br />
Im Jahre 1796 liegt endlich die königliche Zustimmung zur Einsparung der<br />
dritten <strong>Pfarrstelle</strong> vor. Nochmals schickt die kirchlich gesinnte Opposition eine<br />
Gruppe zum Protest vor: die Kirchenvorsteher. Sie regen an, die Stelle des<br />
sog. Gasthauspredigers mit der 3. <strong>Pfarrstelle</strong> an St. Marien zu vereinigen. Der<br />
Magistrat erklärt jedoch, die Kirchenvorsteher seien weiter nichts als Rechnungsführer<br />
und daher unzuständig. Alle Bemühungen bleiben erfolglos. Sie<br />
zeigten jedoch, daß der aufklärerisch eingestellten Magistratsmehrheit ein großer<br />
Teil der Handwerker unter der Führung ihrer Deputierten und Älterleute<br />
gegenübersteht. Diese Handwerker lehnen die Sparmaßnahmen des Magistrats<br />
ab, weil sie eine andere Vorstellung von den Aufgaben der lutherischen Kirche<br />
haben.<br />
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