März/April 2013 - Wedemark Journal und Kulturjournal190
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KULTURELLES<br />
Vom Schlachten der heiligen Kuh<br />
Der Ökonom Tim Jackson wendet sich in „Wohlstand ohne Wachstum“ gegen den vermeintlichen Zwang zu<br />
grenzenlosem Wirtschaftswachstum<br />
Von Susanne Heimburger<br />
Ökonomen lösen gerne Optimierungsprobleme<br />
- sie maximieren<br />
Gewinne oder Output<br />
oder minimieren Kosten unter<br />
gegebenen restriktiven Bedingungen.<br />
Schade nur, dass sie<br />
dabei gerne die bedeutendste<br />
Restriktion, nämlich die Endlichkeit<br />
unserer Welt insgesamt,<br />
gerne in den Hintergr<strong>und</strong> drängen.<br />
Wirtschaftswachstum heißt<br />
die heilige Kuh unserer Tage,<br />
<strong>und</strong> Politiker werden nicht müde<br />
zu betonen, dass ohne kontinuierliches<br />
Wachstum die ökonomische<br />
<strong>und</strong> soziale Katastrophe<br />
drohe. Wenn eine Ökonomie<br />
wächst, verbraucht sie aber<br />
auch mehr Ressourcen; gleichzeitig<br />
nimmt die Weltbevölkerung<br />
zu. Man merkt sehr schnell<br />
- hier läuft etwas gehörig schief.<br />
Und dennoch trauen sich nur<br />
wenige, offiziell diese heilige<br />
Kuh zu schlachten. „Wachstum<br />
in Frage zu stellen, gilt als Akt<br />
von Wahnsinnigen, Idealisten<br />
<strong>und</strong> Revolutionären“ - so Tim<br />
Jackson selbst. Dennoch tut er<br />
genau das in seinem Buch<br />
„Wohlstand ohne Wachstum“.<br />
Nun ist Jackson durchaus geistig<br />
zurechnungsfähig, <strong>und</strong> auch in<br />
seinem Lebenslauf deutet nichts<br />
darauf hin, dass man es hier mit<br />
einem weltfremden Öko-Radikalen<br />
zu tun hat. Der Ökonom<br />
<strong>und</strong> ehemalige Umweltberater<br />
der britischen Regierung ist derzeit<br />
Professor für nachhaltige<br />
Entwicklung an der University of<br />
Surrey. Man kann also davon<br />
ausgehen, dass er weiß, wovon<br />
er spricht.<br />
Bei Jackson geht es um ökologische<br />
Nachhaltigkeit ebenso wie<br />
um soziale Gerechtigkeit <strong>und</strong><br />
gutes Leben im Allgemeinen.<br />
Das klingt zunächst nach schönem<br />
Wunschdenken <strong>und</strong> Träumen<br />
von einer besseren<br />
Menschheit. Dennoch möchte<br />
er seine Vorstellung einer neuen<br />
Wirtschaftsordnung nicht als<br />
Utopie verstanden wissen, sondern<br />
demontiert - im Gegenteil<br />
- den aktuell unter Ökonomen<br />
weit verbreiteten Irrglauben, effizientere<br />
Technologien könnten<br />
die negativen ökologischen<br />
Auswirkungen einer wachsenden<br />
Wirtschaftstätigkeit auffangen.<br />
„Absolute Entkopplung“,<br />
also ein Rückgang der Umweltbelastung<br />
bei gleichzeitig ungebremstem<br />
Wirtschaftswachstum,<br />
ist laut Jackson schlicht <strong>und</strong> ergreifend<br />
nicht möglich. Um das<br />
zu beweisen, packt er das mathematische<br />
Werkzeug der Wirtschaftswissenschaftler<br />
aus <strong>und</strong><br />
führt ihnen mit harten Zahlen<br />
ihre eigene Betriebsblindheit vor<br />
Augen.<br />
Ganz ehemaliger Regierungsberater,<br />
präsentiert Jackson am<br />
Ende des Buches dann ein<br />
12-Punkte-Programm, das den<br />
Wandel herbeiführen soll. Wesentlicher<br />
Kern ist dabei auch<br />
die Entwicklung eines neuen<br />
Wohlstandsbegriffs, der sich<br />
nicht ausschließlich aus ökonomischen<br />
Größen errechnet. Das<br />
Bruttoinlandsprodukt ist in<br />
Jacksons Augen zwar dazu<br />
geeignet, die wirtschaftliche<br />
Aktivität eines Landes zu messen,<br />
aber kein Indikator für echten<br />
Wohlstand. Diesen definiert<br />
Jackson als „die Fähigkeit des<br />
Menschen zu gedeihen - <strong>und</strong><br />
zwar innerhalb der ökologischen<br />
Grenzen eines endlichen Planeten“.<br />
Dass dies nur auf der<br />
Basis eines gewissen materiellen<br />
Wohlstands möglich ist, versteht<br />
sich von selbst. Und dass viele<br />
Länder diese materielle Basis<br />
noch nicht erreicht haben <strong>und</strong><br />
Wachstum hier durchaus vonnöten<br />
ist, ebenso. Aber ab einem<br />
gewissen Punkt bringt ein Mehr<br />
immer weniger - das wissen<br />
sogar Ökonomen <strong>und</strong> haben<br />
auch einen eigenen Begriff dafür:<br />
den „abnehmenden Grenznutzen“.<br />
Gerichtet ist das Buch aber vorwiegend<br />
an ein ökonomisches<br />
„Laienpublikum“, gibt Jackson<br />
doch nebenbei eine Einführung<br />
in die Makroökonomie <strong>und</strong> weitere<br />
volkswirtschaftliche Gr<strong>und</strong>lagentheorien.<br />
Ob das dem<br />
Verständnis seiner Ausführungen<br />
tatsächlich zuträglich ist, sei<br />
dahingestellt. (Manch einer wird<br />
sich an diesen Stellen vielleicht<br />
sogar gedanklich ausklinken<br />
oder weiterblättern.) Zumindest<br />
aber erweckt es den Eindruck<br />
wissenschaftlicher F<strong>und</strong>ierung<br />
<strong>und</strong> Seriosität. Denn vieles, was<br />
Jackson zu sagen hat, ist jedenfalls<br />
im Kern nichts, was man<br />
sich nicht auch mit ges<strong>und</strong>em<br />
Menschenverstand erschließen<br />
könnte - <strong>und</strong> vielleicht auch<br />
schon getan hat.<br />
Dennoch bedarf es vielleicht<br />
gerade der Stimme eines angesehenen<br />
Ökonomen wie Jackson,<br />
um überzeugend den Ernst<br />
der Lage vor Augen zu führen.<br />
Bezeichnenderweise kam fast<br />
zeitgleich mit der deutschen<br />
Übersetzung von Jacksons<br />
„Wohlstand ohne Wachstum“<br />
der fast gleichnamige Titel des<br />
deutschen Sozialwissenschaftlers<br />
Meinhard Miegel, einst Leiter<br />
des Instituts für Wirtschaft<br />
<strong>und</strong> Gesellschaft in Bonn, auf<br />
den Buchmarkt. Miegels Ausführungen<br />
nehmen eine ähnliche<br />
Stoßrichtung wie jene Jacksons<br />
- ein Zeichen dafür, dass<br />
die Wachstumskritik, lange Zeit<br />
abgetan als die Hirngespinste<br />
angeblich halbinformierter Spinner,<br />
allmählich in seriöses Fahrwasser<br />
gerät.<br />
Tim Jackson: „Wohlstand ohne<br />
Wachstum.“<br />
Leben <strong>und</strong> Wirtschaften in<br />
einer endlichen Welt.<br />
Übersetzt aus dem Englischen<br />
von Eva Leipprand.<br />
oekom Verlag, München 2011.<br />
239 Seiten, 19,95 EUR.<br />
ISBN-13: 9783865812452<br />
Nick-Knatterton-Ausstellung zu Ehren Manfred Schmidt<br />
Eine Ausstellung zu Ehren des<br />
Autors, Zeichners <strong>und</strong> Filmemachers<br />
Manfred Schmidt<br />
(1913-1999) findet im Museum<br />
Wilhelm Busch - Deutsches<br />
Museum für Karikatur<br />
<strong>und</strong> Zeichenkunst in Hannover<br />
statt. Im Mittelpunkt steht<br />
insbesondere Schmidts<br />
berühmteste Schöpfung, der<br />
Meisterdetektiv Nick Knatterton,<br />
der in den 1950-er <strong>und</strong><br />
1960-er Jahren ein Millionenpublikum<br />
begeisterte <strong>und</strong> bis<br />
heute eine Kultfigur des deutschen<br />
Comics ist. Dauer der<br />
Ausstellung bis 21. <strong>April</strong> <strong>2013</strong>.<br />
Trotz seines herausragenden<br />
Erfolgs als Comiczeichner <strong>und</strong><br />
Autor kokettierte der Künstler<br />
stets mit seinem (fehlenden)<br />
Talent, indem er über sich<br />
selbst sagte: „Ich<br />
bin eine Doppelbegabung:<br />
Ich<br />
kann weder<br />
zeichnen noch<br />
schreiben.“ Dass<br />
dem nicht so ist,<br />
bewies er hingegen<br />
über einen<br />
Zeitraum von<br />
über 60 Schaffensjahren<br />
mit<br />
seinen doppelbödigen<br />
<strong>und</strong><br />
detailverliebten<br />
humoristischen<br />
Zeichnungen, Suchbildern,<br />
Comics, Zeichentrickfilmen<br />
<strong>und</strong> Reisereportagen für Presse<br />
<strong>und</strong> Fernsehen. Manfred Schmidt<br />
wäre <strong>2013</strong> 100 Jahre alt geworden.<br />
kulturjournal • • • Seite 13