Programmheft (pdf) - Basel Sinfonietta
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Zu den Werken<br />
Roland Moser: Première étude pour les disparitions<br />
Wie ein grosser Nachklang zu WAL wirkt im Programm des heutigen Konzertabends<br />
Première étude pour les disparitions (vgl. dazu auch den eigenen Text von Roland<br />
Moser). Wer gut hinhört, wird bemerken, dass gleich zu Beginn der Etude neben kurzen<br />
Bruchstücken aus anderen Orchesterwerken von Roland Moser auch WAL zitiert<br />
wird. Dreissig Jahre stehen zwischen den beiden Werken. Während im WAL Klang<br />
a ufgebaut und neue Harmonien erforscht werden und sich ein grosses Werk ausbreitet,<br />
das erst im Abgesang auch das Verschwinden thematisiert, werden bei der Etude<br />
von Anfang an die «disparitions» komponiert. Der Plural bei «disparitions» ist Moser<br />
wichtig, weil er hier unterschiedlichste Formen des Verschwindens, des Abbauens und<br />
Auslöschens übt. Das Werk ist pluralistischer, viele Materialien werden nur kurz aufgenommen<br />
und dann abgebaut.<br />
Anfänglich wechseln die Abschnitte in so rascher Folge, so dass man an einen<br />
Schumann’schen Zyklus erinnert wird: Naturstimmung, Nachtstimmung mit Okarinaruf,<br />
einen Nachtvogel imitierend; gewisse Partien sind frei komponiert, d.h. ausserhalb<br />
eines dirigierten Metrums zu spielen. Allen Gesten ist ein Auslöschungskoeffizient eingeschrieben,<br />
der die meist polyphonen Strukturen von innen heraus auflöst, sie klärt,<br />
indem sie durchsichtig werden, und zugleich a uslöschen lässt. Man ist als Hörer gut<br />
b eraten, bei diesem Orchesterwerk auf das N achklingen und die vielen negativen Melodien<br />
zu hören, die beim Wegnehmen von Klang entstehen. In der Mitte des Werkes<br />
zergliedert sich das Orchester in sechs unterschiedliche Instrumentengruppen. Im<br />
G egensatz zu WAL, wo diese Gruppierungen im Orchester Leben schaffen, löschen sich<br />
bei der Etude die Gruppen gegenseitig aus. Eindrücklich zu hören ist dies bei der Stelle<br />
Meine Première étude pour les disparitions ist kein Abschied, sondern der Anfang<br />
einer auf vier Stücke ausgelegten Werkreihe mit abnehmender Grösse der Besetzung.<br />
(Parallel dazu arbeite ich zurzeit an einem EnsembleZyklus extended<br />
m oments mit offenem Ende.)<br />
Aus Widersprüchen kommen Antriebe zur Komposition. Im Orchesterstück versuchte<br />
ich, auf verschiedenen Ebenen Wege aus der Fülle durch Reduktion<br />
h indurch bis zum Verschwinden zu gehen, also umgekehrt zum häufiger begangenen<br />
Weg, aus einer kleinen Zelle etwas grösseres wachsen zu lassen. In<br />
der Wahrnehmung kann dies vielleicht bisweilen sogar zunehmende Intensität<br />
b ewirken.<br />
Roland Moser