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Begleittext - Institut für Gegenwartskunst

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Zürcher Hochschule der Künste<br />

<strong>Institut</strong> für Gegenwartskünste<br />

<strong>Institut</strong> für Theorie<br />

Hafnerstrasse 39, Postfach, CH-8031 Zürich<br />

Von Underground zu Independent – Aktuelle Filme aus China<br />

Der Geist des chinesischen Kinofilms anhand dreier Beispiele<br />

Drei ausgewählte Filme stehen für drei Entwicklungsphasen der chinesischen Gesellschaft:<br />

Summer Palace erzählt eine Geschichte aus der Zeit der StudentInnenrevolten 1989; Blinder<br />

Schacht ist ein Film nach der wahren Geschichte eines Grubenunglücks; Still Life beschreibt<br />

anhand des Drei-Schluchten-Staudamms den Verlust des Raumes und die Suche nach Neuem<br />

im Verlorenen. Diese drei Filme, die eine Chronologie bilden, thematisieren menschliche<br />

Extremsituationen: Summer Palace beruht auf Erinnerungen und Reflexionen des Regisseurs;<br />

Blinder Schacht zeichnet die Realität in chinesischen Kohleminen; Still Life beschreibt noch<br />

unmittelbarer die Veränderungen der Lebensbedingungen der Menschen. Alle drei Filme<br />

spielen in der Zeit nach den wirtschaftlichen Öffnungen Chinas seit 1978 und beschäftigen sich<br />

mit Wertvorstellungen, wobei Jia Zhangkes Still Life anhand subjektiver Erinnerungen an<br />

geschwundene Gebäude ein unfassbares Gefühl des Verlusts beschreibt, während Summer<br />

Palace und Blinder Schacht sehr realistisch Schmerz und Mitleid vermitteln.<br />

Die Wahl dieser Filme hat meiner Meinung nach mit dem unabhängigen Geist, für den<br />

sie stehen, zu tun. Die Regisseure haben sich nicht um des Ruhmes willen auf womöglich<br />

kommerziell lukrativere Filmsparten verlegt, denn ihnen geht es darum, jene Wirklichkeit zu<br />

zeigen, die von dieser wirtschaftlichen Prosperität verdeckt wird und sich daher unserer<br />

Wahrnehmung entzieht. Dadurch wird auch die Kehrseite des Filmbusiness deutlich: Da sie<br />

diese Wirklichkeit beschreiben, befinden sich die FilmemacherInnen nach wie vor in einer<br />

äusserst schwierigen Lage; sie können ihre Filme in China nicht zeigen, sind von Arbeitsverbot<br />

bedroht, riskieren Sanktionen.<br />

Mit der sechsten Generation von FilmemacherInnen steht der chinesische Film am<br />

Wendepunkt vom ‹Untergrund› zur ‹Unabhängigkeit›. Aufgrund des Wandels in System und<br />

Gesellschaft verliert der ‹Untergrund› langsam an Terrain; ein Teil der FilmemacherInnen<br />

beginnt sich vom Untergrund-Status zu verabschieden. Ihre Arbeiten haben kein Problem mehr<br />

mit der Zensur und gliedern sich ins Verleihsystem ein. Eine andere Gruppe von<br />

RegisseurInnen hingegen will die Unabhängigkeit wahren und weiterhin diese andere<br />

Wirklichkeit Chinas beschreiben. Beide Gruppen existieren nebeneinander im gleichen<br />

gesellschaftlichen Umfeld. Diese Unabhängigkeit entwickelt sich gerade zu einer Art<br />

individuellen Narrativs, dem zwar die frühere Allgemeingültigkeit fehlt, wodurch es aber noch<br />

mehr zum Nachdenken anregt. Li Zhenhua<br />

Copyright © 2009 by <strong>Institut</strong> für Gegenwartskünste, www.ifcar.ch Seite 1 von 4


Auftauchen aus dem Verborgenen | China Independent Film Festival<br />

Erst die digitale Revolution am Ende des vorigen Jahrhunderts gab dem Einzelnen die<br />

Möglichkeit, unabhängig von <strong>Institut</strong>ionen Filme zu produzieren. In China hatte der Staat<br />

lange Zeit ein Monopol auf die Filmproduktion. Allerdings wendete sich das Blatt sehr<br />

schnell und etwas, das vollkommen unerreichbar erschien, war plötzlich für alle greifbar.<br />

Ab dem Jahr 2001 begann sich der unabhängige chinesische Film von seinem<br />

Untergrunddasein zu emanzipieren, und es entstanden zahlreiche Filme, die sich mit den<br />

Lebensumständen der ärmeren Gesellschaftsschichten beschäftigten und das ‹reale Leben›<br />

zeigten, aber auch experimentelle Filme abseits des Mainstream. Vor diesem Hintergrund<br />

wurde im September 2003 das China Independent Film Festival (CIFF) gegründet. Das<br />

Festival war damals einer der wichtigsten Kanäle für das nicht-offizielle Filmschaffen Chinas<br />

und definierte erstmals ein Konzept und eine Grundstruktur für den ‹unabhängigen Film›.<br />

Wegen der Auswirkungen der Vogelgrippe wurde es von Beijing in den Süden nach Nanjing<br />

verlegt. Bei CIFF1 wurden insgesamt zwanzig Filme gezeigt, die sich vor allem mit<br />

Randsituationen beschäftigten und authentische Botschaften vermittelten. Beim CIFF2 im<br />

Dezember 2004 in Nanjing wurden bereits fast 40 Filme gezeigt, die einen relativ vollständigen<br />

Überblick über das Schaffen unabhängiger Filmschaffender boten. Die beim Festival gezeigten<br />

Filme widmeten sich wie im Jahr zuvor den unteren Gesellschaftsschichten, waren aber<br />

wesentlich experimenteller angelegt. Die Auswahl der Filme war stärker auf das regionale<br />

Schaffen ausgerichtet, vor allem auf die damals äusserst lebendige Hangzhouer<br />

Kurzfilmbewegung. CIFF3 wählte neben einigen damals einflussreichen unabhängigen Filmen,<br />

die auf grosses Echo stiessen, auch einige künstlerisch noch nicht ganz ausgereifte, allerdings<br />

sehr kontroverse Arbeiten aus. Ein weiterer Bereich der Arbeit von CIFF3 bestand in der<br />

Publikation von Texten zum unabhängigen Film. Bei CIFF4 verlieh eine Jury erstmals Preise<br />

und Anerkennungen an herausragende Filme. Die Jury, bestehend aus der<br />

Filmwissenschaftlerin Cui Weiping, dem Regisseur Le You und dem Kameramann Liu<br />

Yonghong, definierte ganz im ‹geistigen Erbe› von CIFF Unabhängigkeit, Offenheit,<br />

Innovativität im Genre und Zukunftsorientiertheit als ihre Auswahlkriterien. Als wichtigste<br />

Neuerung initiierte CIFF5 ein ‹Internationales Forum über Organisation und Verbreitung von<br />

Filmfestivals› und förderte den Austausch zwischen unabhängigen FilmemacherInnen und<br />

Forschungsinstitutionen. Ausserdem ermöglichte CIFF5 den Dialog zwischen chinesischen und<br />

ausländischen <strong>Institut</strong>ionen, die sich für den unabhängigen chinesischen Film interessieren.<br />

Besondere Beachtung von benachteiligten Gesellschaftsgruppen, Betonung der Authentizität,<br />

grosse Experimentierfreude – das sind für CIFF die wesentlichsten Merkmale des<br />

unabhängigen Films in China. Als Sprachrohr gilt CIFF bereits als Barometer<br />

für dessen Entwicklung. (gekürzt) Cao Kai<br />

Copyright © 2009 by <strong>Institut</strong> für Gegenwartskünste, www.ifcar.ch Seite 2 von 4


Summer Palace (Yihe yuan)<br />

China, Frankreich 2006, 140 Minuten, OV/df, 35mm, Farbe.<br />

Regie, Drehbuch: Le You, Drehbuch: Le You, Feng Mei, Ma Yingli,<br />

Kamera: Qing Hua, Schnitt: Le You, Jian Zeng, Musik: Peyman Yazdanian.<br />

Mit: Bai Xueyun, Wang Bo, Lin Cui, Xiao Jun, Long Duan, Tang Caoshi.<br />

China 1989 – das Jahr der StudentInnenunruhen. Die junge Yu Hong zieht aus der Provinz<br />

nach Peking, um ihr Studium zu beginnen. Trotz strenger Kontrolle des kommunistischen<br />

Regimes ist das Studentenleben in der Hauptstadt aufregend und ausschweifend. An der<br />

Universität findet Yu Hong in Zhou Wie ihre erste grosse Liebe und erlebt mit ihm eine<br />

leidenschaftliche Beziehung. Doch bald wird aus sexuellem Verlangen ein gefährliches Spiel<br />

mit Anschuldigungen, Untreue und gegenseitigen Provokationen. Währenddessen spitzen sich<br />

auch die Proteste der chinesischen Demokratiebewegung zu. Le You zeichnet das Porträt<br />

eines Landes und seiner befreiten Jugend am Rande des politischen Umschwungs und wirft<br />

dabei einen ganz neuen Blick auf die chinesische Kultur jener Zeit. Gleichzeitig poetisch und<br />

brutal, emotional und ungeschminkt erzählt Summer Palace von einer leidenschaftlichen Liebe,<br />

deren Schicksal untrennbar mit der Geschichte einer ganzen Generation verknüpft ist.<br />

Blinder Schacht (Mang jing)<br />

Hongkong, China / Deutschland 2003, 92 Min., OV/d, 35mm, Farbe.<br />

Regie: Li Yang Buch: Li Yang nach Liu Qingbangs Roman «Shenmu»,<br />

Kamera: Liu Yonghong, Schnitt: Li Yang, Karl Riedl. Mit: Li Yixiang,<br />

Wang Shuangbao, Wang Baoqiang, Bao Zhenjiang.<br />

Song und Tang arbeiten in einer der vielen, nur unzulänglich gesicherten Kohlenminen im<br />

Norden Chinas. Tangs Bruder Chaolu, der erst vor wenigen Tagen hier eingetroffen ist,<br />

begleitet sie in den Schacht. Tang und Song erschlagen Chaolu und bringen die Mine zum<br />

Einsturz. Sie tun so, als würden sie den Tod Chaolus heftig beklagen, und verlangen vom<br />

Besitzer der Mine eine Entschädigungszahlung. Ansonsten würden sie den Unfall bei den<br />

Behörden melden. Nachdem die beiden das Geld kassiert und an ihre Familien geschickt<br />

haben, machen sie sich auf die Suche nach dem nächsten Verwandten... Doch ihr Vorhaben<br />

nimmt eine unerwartete Wendung.<br />

Still Life (Sanxia haoren)<br />

China 2006, 108 Minuten, OV/d, 35mm, Farbe.<br />

Regie: Jia Zhangke, Drehbuch: Jia Zhangke, Kamera: Lik Waiyu,<br />

Schnitt: Jing Leikong, Musik: Giong Lim. Mit: Zhao Tao, Han Sanming, Li Zhubin, Wang<br />

Hongwei, Xiang Haiyu, Zhou Lin.<br />

Der Bergarbeiter Sanming und die Krankenschwester Guo Shenhong reisen unabhängig<br />

voneinander in die Provinzstadt Fengjie, um ihre verschollenen Ehepartner zu finden. Sanming<br />

sehnt sich nach Missy Ma, die ihn nach der gekauften Heirat vor sechzehn Jahren samt Kind<br />

verliess. Eine Strassennummer und das zugehörige Haus, Sanmings einziger Ausgangspunkt,<br />

liegen unter den Fluten des Drei-Schluchten-Staudamms. Sanming verdingt sich als<br />

Abbrucharbeiter, um seine Suche fortsetzen zu können. Guo Shenhongs Mann kam vor Jahren<br />

Copyright © 2009 by <strong>Institut</strong> für Gegenwartskünste, www.ifcar.ch Seite 3 von 4


als Verkaufsleiter nach Fengjie und hat sich als Geliebter der Bürochefin zum Manager der<br />

Abbruchbehörde hochgedient. Die beiden Paare suchen, verlieren und finden sich vor dem<br />

Hintergrund des mächtigen Baus und des gesellschaftlichen Umbruchs in China.<br />

Ma wujia<br />

China 2006, 95 Minuten, OV/e, Video (DVD), Farbe.<br />

Regie: Zhao Ye, Drehbuch: Zhao Ye nach dem Theaterstück von Wang Song,<br />

Kamera: Zhang Yi, Schnitt: Zhao Ye, Musik: Du Kai. Mit: Li Shixin.<br />

Jia wird zusammen mit seinem kleinen Bruder von der alleinstehenden Mutter aufgezogen. Er<br />

liebt beide so sehr, dass er allen ihren Ansprüchen gerecht zu werden versucht und seine<br />

eigenen Bedürfnisse unterdrückt. Er möchte sich an sportlichen Wettkämpfen beteiligen, um<br />

dem Mädchen, für das er schwärmt, nahe sein zu können. Als ihm die Teilnahme auf Grund<br />

seiner schwachen körperlichen Konstitution versagt bleibt, beginnt er langsam zu rebellieren.<br />

In seinem ersten Langfilm deckt Zhao Ye die Schattenseiten des menschlichen Wesens auf. Er<br />

arbeitet mit langen Einstellungen, die zudem oft aus der Totalen das Geschehen verfolgen,<br />

und verleiht so dem Film enorme Spannung.<br />

Weed (Cao Jie)<br />

China 2006, 99 Minuten, OV/e, Video (DVD), Farbe.<br />

Regie, Drehbuch: Wang Liren, Kamera: Li Xiaofu, Schnitt: Xu Yixu,<br />

Musik: Mai Zi. Mit: Mai Zi, Li Wanjing, Li Li, Xu Haofeng, Wang Xiaohua.<br />

Der mittellose Tagelöhner Mayi versucht, das Herz der jungen Prostituierten Hudie zu erobern,<br />

die vis-à-vis von ihm wohnt. Als der kriminelle Ex-Freund Hudies auftaucht, nimmt die in<br />

Pekings Agglomeration angesiedelte Geschichte einen tragischen Verlauf.<br />

I’m Chinese (Wo shi zhong Guo Ren)<br />

China 2007, 75 Minuten, OV/e, Video (DVD), Farbe.<br />

Regie, Drehbuch, Schnitt: Shen Shaomin, Kamera: Wu Yan.<br />

Während des ersten Weltkrieges sahen sich einige RussInnen an der chinesischen Grenze<br />

gezwungen, über den Fluss Heilongjiang in das Dorf Hongjiang zu flüchten. Diese<br />

Kriegsflüchtlinge – hauptsächlich Frauen, Alte und Gebrechliche – wurden in<br />

den 1960ern, nachdem China und Russland Feinde geworden waren, sehr schlecht behandelt.<br />

Während der ‹Kulturrevolution› wurden viele von ihnen der Spionage bezichtigt. Noch im 21.<br />

Jahrhundert versuchen diese ImmigrantInnen, sich in die chinesische Gesellschaft zu<br />

integrieren. Doch aufgrund von anhaltendem Rassismus sind sie bis heute nicht akzeptiert.<br />

Text: Kino Kunstmuseum Bern, April 2009<br />

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