Dr. Vogt, Hannelore (Stadtbibliothek Köln) - Die IFLA in Deutschland

Bericht für Bibliothek & Information International über die
78. IFLA Generalkonferenz (World Library and Information Congress)
Helsinki, Finnland, 11. - 17.08.2012
Dr. Hannelore Vogt, Stadtbibliothek Köln
Mitglied des Standing Committee Public Libraries (1. Amtszeit 2009-2013)
Die Qualität der Konferenz war aus meiner Sicht gut, ebenso das Niveau der Vorträge;
auch für öffentliche Bibliotheken gab es genug Anknüpfungspunkte. Die Atmosphäre
war ungezwungen und locker, die Organisation war sehr gut.
Für mich begann die Konferenz mit der Sitzung des Standing Committees Public
Libraries (SCPL). Hier wurde zunächst besprochen, warum die Service Guidelines für
Public Libraries und auch die für Fahrbibliotheken nicht in deutscher Sprache vorliegen
– die Print-Version der ersten Auflage wurde nicht genug verkauft, eine Übersetzung
der Neuauflage ist für den Verlag unrentabel. Beide Publikationen gibt es jedoch
auf der IFLA-Website in englischer Sprache. http://www.ifla.org/publications/iflaprofessional-reports-123
http://www.ifla.org/publications/ifla-publications-series-147
Das SCPL wird bei der IFLA 2013 zusammen mit dem Metropolitan Libraries
Commttee und dem Committee on Copyright and Other Legal Matters (CLM) einen
6-stündigen Veranstaltungsblock zum Thema E-Books durchführen. Dabei sollen
rechtliche Aspekte beleuchtet, aber auch Best Practice Beispiele vorgestellt werden –
idealerweise in einem World Cafe.
Bibliotheksbesuche
Besonders interessant waren die Besuche in den beiden Sonderbibliotheken der
Stadtbibliothek Helsinki, beide liegen zentral in der Innenstadt in der Nähe des
Bahnhofs und der Haupteinkaufsstrassen.
Bibliothek 10 / Library 10
Die Auskunftstheke hat einen Eins-zu-eins-Ansatz, bei dem der/die NutzerIn neben
einem/r MitarbeiterIn sitzt und sie am selben Computer gemeinsam recherchieren.
NutzerInnen können somit eine Einführung in systematische Suchmethoden erhal-
1

ten. NutzerInnen können in die Bibliothek kommen, um ihre eigene Musik, Texte und
Videos zu spielen, aufzunehmen oder zu überarbeiten. Sie können Videokassetten in
DVDs und Schallplatten und Kassetten in mp3 umwandeln. Kinder können in einem
Karaoke-Stuhl singen und ihre Aufnahme auf einer CD mitnehmen. 80% aller Veranstaltungen
werden von den NutzerInnen selbst organisiert und produziert; Library 10
stellt die Mittel (Raum, Materialien und Hilfe) zur Verfügung.
Library 10 umfasst ungefähr 9000 Bücher, 7000 Noten, 42.000 Tonaufnahmen und
170 Zeitungen und Zeitschriften. Sie wird von etwa 540.000 Menschen pro Jahr besucht
– das sind mehr als 1600 NutzerInnen jeden Tag – die insgesamt 493.000
Ausleihen tätigen. Alle Materialien können an Selbstverbuchungsautomaten entliehen
und an Rückgabeautomaten zurückgegeben werden, was die Ausgaben der
EndnutzerInnen gering hält. http://www.helmet.fi/library10
Meetingpoint / Urban Office:
Das Urban Office der Stadtbibliothek Helsinki ist ein moderner Arbeits- und Besprechungsraum,
der umsonst genutzt werden kann und allen offensteht. Die Bibliothek
ist eine der vier Einrichtungen, die 2012 eine Lobende Erwähnung der Präsidentin
des Amerikanischen Bibliotheksverbandes (ALA) für Innovative Internationale Bibliotheksprojekte
erhalten haben. Die Planerin des Office beschreibt Ihre Ideen: “Wir haben
viele UnternehmerInnen, Freischaffende und Menschen, die in der Kreativwirtschaft
arbeiten, nicht die üblichen NutzerInnen von Gewerbeparks oder Business
Hotels. Wir entwickeln ständig neue bibliothekarische Dienstleistungen und versuchen
Dienstleistungspakete zu schnüren, bei denen neue Dienste auf schon existierenden
aufbauen und diese ergänzen. Der Urban Office Service wird in die Richtung
weiterentwickelt, die KundInnen mehr einzubinden und als nächsten Dienst werden
3D-Druckmöglichkeiten für die, die zum Beispiel Prototypen drucken möchten, angeboten
werden.“
Der Meeting Point ist Teil der Library 10 (einige Meter entfernt). Es ist ein städtisches
Büro, das insbesondere für die Nutzung durch kleinere Firmen konzipiert ist.
Sie können dort einen Raum reservieren, um ein Arbeitstreffen abzuhalten, es gibt
technische Ausstattung wie Computer, Scanner, USB-Karten-Lesegeräte, DVD, CD-
RW, USB, ZIP-Laufwerke, Büromaterial. Der Meeting Point wird von 300 NutzerInnen
pro Tag besucht, und jede/r erhält persönliche Unterstützung. www.urbanoffice.fi
2

Vorträge
Die beschriebenen Beispiele sind nur eine kleine Auswahl der von mir besuchten
Veranstaltungen. Ich finde sie für öffentliche Bibliotheken besonders empfehlenswert;
alle sind auf der Tagungswebsite mit Manuskript und Präsentation zu finden. Daneben
verweise ich auf weitere relevante und nachahmenswerte Projekte, die teilweise
ebenfalls auf der IFLA Tagungswebsite nachzulesen sind.
Stormy Weather: jurisdiction over privacy and data protection in the cloud
Pat Flaherty, Partner Torys LLP, Toronto Canada (Session 90)
Hier ist besonders die “Cloud Issues Checklist for Libraries and Archives“ zu erwähnen,
die allen Organisationen, die planen künftig ihre Daten in die Cloud zu stellen,
eine Hilfestellung geboten Der oberste Datenschützer Canadas hat diese praxisorientierte
Liste zusammengestellt (auch für Deutschland interessant):
http://www.priv.gc.ca/information/pub/gcl_cc-201206_e.asp#toc11
Information „Lost and Found” – new models for library reference service
Rauha Maarino, Helsinki Public Library (Session 98)
Dis ist der Online-Auskunftsdienst der Stadtbibliothek Helsinki. Dieser startete bereits
2001 mit der Information Gas Station – einer mobilen Auskunftstheke, die einer alten
Tankstelle nachempfunden war. Man wollte den Auskunftsdienst auch außerhalb der
Bibliothek sichtbar machen und stellte die Station an viel besuchten Plätzen in der
Stadt auf. Schon damals wurde die virtuelle Auskunft kreiert, die bis heute weiter
entwickelt und den jetzigen Gegebenheiten angepasst wurde. Ihr Slogan lautet: Ask
anything you want! Der Service wird in finnischer, schwedischer und englischer
Sprache angeboten. Inzwischen sind die Antworten, ganz im Sinne von Web 2.0,
auch offen für die Kommentare anderer Nutzer.
Vorgestellt wurde auch das Programm „Ask anything on radio“. Hierbei handelt es
sich um 10-minütige Radioprogramme, die zweimal wöchentlich im lokalen Radio
ausgestrahlt und von den Bibliotheksmitarbeitern gestaltet werden. Die Sendungen
werden im Stil einer Detektivstory aufgezogen und haben ungewöhnliche Auskunfts-
3

fragen zum Inhalt. Dabei wird auch dargestellt, wie der Bibliothekar sie Information
findet und die Hörer können Kommentare abgeben.
If we build it, will they come? Understanding reference service in the age of texting
Lili Luo, San Jose, Ca. USA
Hier wurde ein SMS-Auskunftsdienst für Teenager vorgestellt. Die Referentin hatte
dazu eine Fokusgruppe zur Akzeptanz des Dienstes durchgeführt und 36 Jugendliche
befragt, was sie von dem Service halten.
1/3 der Befragten würden Dienst nutzen, weil sie Bibliotheken für „verlässlich“ halten
1/3 war indifferent
1/3 würde so einen Dienst nicht nutzen, weil sie ihre Privatsphäre nicht offenlegen
und der Bibliothek ihre Mobilnummer geben wollen.
Der Bekanntheitsgrad des Dienstes war unter den Jugendlichen sehr gering; es tellt
ein Marketingproblem dar, wie man die Jugendlichen darüber informiert. Am besten
wohl über QR-Codes oder ein auffälliges Banner auf der Website.
Eine Antwort wird innerhalb von 3 bis 20 Minuten erwartet – die Bibliothek muss also
ständig präsent sein!
Diese Vorträge lagen im Themenblock „Generation Google needs us: new roles
for the visibilitiy in the digital age for information and reference services” (Session
98). Alle Beiträge sind lesenswert, so gab es Informationen zu Themen wie:
Reference Librarianship on the Fly – mit weiteren Beispielen, wie man den Auskunftsdienst
außerhalb der Bibliothek visualisieren kann; oder Beiträge wie man beispielsweise
durch QR-Codes die digitalen Materialien in der physischen Bibliothek
sichtbar macht.
In einem offenen Forum präsentierte sich die Orestad Bibliothek, eine Zweigstelle
der Stadtbibliothek Kopenhagen, mit einem mittelständischen Publikum. Die Bibliothek
wurde erst vor 1 Monat eröffnet, es handelt sich um eine kombinierte Schul- und
Öffentliche Bibliothek, die sehr modern und chic eingerichtet ist. Sie dient als Kulturzentrum
im Stadtteil und jetzt kommt das besonders Interessante - sie wird nach 18
4

Uhr ohne Personal betrieben (nur Wachpersonal). Alles ist ausgestattet mit Screens
auf denen Podcasts und Filme (auch in YouTub, empfehlenswert!) zu finden sind.
Hier wird erklärt, wie man ein Buch ausleihen kann, sie ersetzen das Leitsystem, sie
sind an den Stirnseiten der Regale angebracht und geben Auskunft über den jeweiligen
Bestand. Die Filme werden von den Bibliotheksmitarbeitern selbst sehr niederschwellig
hergestellt.
Alles ist mit sicher installierten iPads ausgerüstet und tagsüber haben auch die Auskunftsmitarbeiter
iPads, die sie zur Beantwortung von Fragen mit ans Regal nehmen
können. Ein wirklich interessantes Projekt!
http://bibliotek.kk.dk/biblioteker/orestad/about
www.youth202.org – auf dieser Website kann man Näheres über ein Jugendprojekt
für 12- bis 19-jährige in Washington DC, USA, nachlesen. Man hat festgestellt, dass
es fast nur Informationen von Erwachsenen für Erwachsene gibt. So wurde eine
Gruppe Jugendlicher aus eher sozial schwachen Milieus zusammengestellt. Die Jugendlichen
lernen, wie man auf Twitter Informationen sucht, diese filtert, bearbeitet
und daraus ein eigenes Radioprogramm und eine Website macht – sie stellen für
Jugendliche relevante Alltagsinfo ins Netz. Es sin pro Semester 12 Teenager, die
sich zweimal zwei Stunden pro Woche treffen.
Für ÖBs sind auch alle Vorträge der Session 173 (Metropolitan Libraries) und der
Session 182 (Public Libraries) wirklich lesenswert. Es geht in beiden Blöcken um
neue Medienangebote, die e-library und die Transformation der physischen Bibliothek
in einen modernen multimedialen Lernort. Alle Vorträge sind nachzulesen unter:
http://conference.ifla.org/ifla78/programme-and-proceedings-day/2012-08-15
So ist in Helsinki im Stadtteil Myllypuro eine Medienbibliothek entstanden, in der man
technische Geräte wie E-Reader, Samsung Tablets oder Medien-Laptops ausleihen
oder Schallplatten auf MP3 überspielen kann. Die Bibliothek hat viele digitale Materialien
wie elektronische Zeitungen und E-Books. Sie leiht auch Videokameras aus
und bietet zahlreiche Events an, bei denen das eigene Tun im Vordergrund steht –
beispielsweise ein Laptop-Club, Russian Music Evening, Music Video Shooting
Session 173 (Metropolitan Libraries)
5

Developing new services in a suburban context: Myllypuro Reading Room becomes
a Media Library
KURT HIRN (Myllypuro Media Library, Helsinki, Finland)
Tallinn Central Library's e-book lending and reading environment for e-books in
Estonia
TRIINU SEPPAM (Tallinn Central Library, Estonia)
Podcamp and social media: keeping the public library connected
JUDITH HARE (Halifax Public Library, Halifax, Nova Scotia, Canada) – vergleichbar
mit der Veranstaltungsreihe der Stadtbibliothek Köln geeks@cologne (s. BuB
5/2012)
Veranstaltungen: Podcasting, Augmented Reality, Social Media Sicherheit, Crowd
Funding, Videoherstellung für das Web, örtliche Blogger vorstellen, Twitter Unleased
www.podcamphalifax.ca
Walking the divide between physical and digital library services reaching the Singapore
public
ELAINE NG (National Library Board Singapore, Singapore)
Hier wurden beispielsweise Planungen für Bibliotheken an ungewöhnlichen Orten
wie in Parks oder Schwimmbädern vorgestellt.
Session 182 (Public Libraries)
Ebooks: has a content divide replaced the digital divide?
Keynote speaker: PATRICK LOSINSKI (Columbus Metropolitan Library, Columbus,
Ohio, USA)
A new mobile approach: peer-to-peer loaning using smartphones
HEINI OIKKONEN and TIMO TUOMINEN (Helsinki City Library, Helsinki, Finland);
www.helmet.fi/pocketlibrary
Danish Digital Library powered by "TING" - about Open Source and joined efforts
in public libraries
6

ROLF HAPEL (Citizens' Services and Libraries, Aarhus Kommune, Aarhus, Denmark)
The library as an online community touch-point
ELAINE NG (National Library Board Singapore, Singapore)
Hier wurde u.a. das Memory Projekt vorgestellt, bei dem Bürger ihre Bilder und
persönlichen Erinnerungen zur Geschichte Singapurs dokumentieren und einstellen
können – so entsteht ein gigantisches Archiv – eine Art Stadtgedächtnis.
Interessante Poster
Juliane Keil, TU Berlin Universitätsbibliothek, stellt ihre Idee “Shhhhhh! This is a Silent
Disco! – An innovative event concept for libraries.” [Shhhhh! Das ist eine Silent
Disco! – Ein innovatives Veranstaltungskonzept für Bibliotheken] vor. Das Konzept ist
sehr einfach, aber innovativ.
Die leise Disco ist ein Veranstaltungsprojekt der TU Berlin. Dort finden Discos mit 2-
3 DJs statt, die Besucher haben Kopfhörer auf, tanzen und können dabei von DJ zu
DJ switchen, alles ist absolut geräuschlos, wer nicht tanzen mag, kann sich ohne
störende laute Musik unterhalten. Das Programm schlug voll ein und bei den Veranstaltungen
kommen etwa 300 Besucher in die Bibliothek. Die Kopfhörer werden über
eine Firma ( www.leise-disco.de) ausgeliehen, die DJs arbeiten ehrenamtlich.
Silent Discos (auch als Headphone Parties bekannt) sind in den letzten Jahren auf
Musikfestivals sehr beliebt geworden und wurden nun von Bibliotheken entdeckt.
In Roskilde (Dänemark) bietet die Stadtbibliothek auf dem Musikfestival ein sehr erfolgreiches
elektronisches Poetry Bingo an.
Sonstige Anregungen
Hard Book Café – die Open-Air-Library in Helsinki
3-D-Drucker – ein Modell, kann man im o.g. „Meetingpoint“ sehen, dies muss von
den Bibliotheksmitarbeitern selbst zusammengebaut werden (Fa. Ultimaker), was
technisch nicht ganz anspruchslos ist. Es gibt jedoch auch bereits fertige Modelle der
7

Firmen PP 3DP oder Cubyfy, die etwa 1.300 € kosten. Man legt Gegenstände ein,
die gescannt werden und man erhält einen Ausdruck davon.
Nutzen für die eigene Tätigkeit, Anregungen, Fazit
Bei dieser Gelegenheit möchte ich mich bei BI International und dem Auswärtigen
Amt / Goethe-Institut für den gewährten Reisekostenzuschuss zur IFLA-Tagung ausdrücklich
bedanken. Es war eine inspirierende Erfahrung, da internationale Konferenzen
eine wichtige fachliche Ergänzung darstellen und die Mitarbeit im Public
Libraries Standing Committee einen vertieften fachlichen Einblick erlaubt. Finnland –
mit seinem weltweit führenden Bibliothekswesen war in diesem Zusammenhang besonders
interessant. Einige der oben beschriebenen Projekte werde ich gemeinsam
mit meinem Team prüfen und in der Stadtbibliothek Köln umsetzen.
8

Persönlicher Zeitplan
Saturday 11 August 2012
PLSC
Caucus: German Speaking Participants
Sunday 12 August
SI
Opening Session
1. SI FAIFE
Who killed the internet?
2. SI Statistics and Evaluation
Crisis? What crisis? The use of statistics and data for libraries at a turning point.
Exhibition Opening and opening party
Monday 13 August 2012
1. SI CLM
Cloud computing: its impact on privacy, jurisdiction, security, lawful access, ownership and permanence
of data
2. SI Information Literacy with E-learning SIG
Information literacy meets E-learning: Let’s talk about interconnections and outcomes
3. IFLA Highlights and News Session
1. Reference and Information Services
Generation Google needs us: new roles for visibility in the digital age for information & reference
services
9

Tuesday 14 August 2012
1. School Libraries and Resource Centers with Public Libraries
Friends or Foes – public and school libraries a force for change for creating smart communities
6. President’s Theme Session – Digital Democracy
4. Knowledge Management
Potential knowledge management in public libraries
4. Information Technology with Education and Training
The influence of new developments of information technology on professional development in
libraries
Wednesday 15 August 2012
2. Library Services to Multicultural Populations
Multicultural Libraries - Inspiring, Surprising and Empowering your Communities
3. Continuing Professional Development and Workplace Learning
Libraries and librarians as forces for transformative change: continuing education the fuel
2. Metropolitan Libraries
Twinning physical learning spaces and new media initiatives - new ways to reach library customers
4. Poster Session -
Public Libraries
What does the e-library mean for the public library users?
10