3·2013 - Österreichisches Bibliothekswerk
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impulse<br />
© © brutapesquisa<br />
Die Schönste im Lande<br />
: mediale Varianten einer alles verschlingenden Stiefmutter<br />
von Heidi Lexe<br />
In der Mutter, so hält C. G. Jung in seinem<br />
Werk über Archetypen fest, verdichtet<br />
sich die „magische Autorität des Weiblichen“.<br />
In dieser magischen Autorität wiederum<br />
können sich die guten ebenso wie die<br />
bösen Kräfte bündeln. Die Mutterliebe steht<br />
dann einer Beziehung gegenüber, die das<br />
Kind „zum seelischen und psychischen Verderben<br />
beider“ an die Mutter bindet.<br />
Dieser bedrohliche Charakter der Mutter<br />
verdichtet sich im Märchen in der Figur der<br />
Hexe - aber auch in der Figur der bösen Stiefmutter.<br />
Beide sind gekennzeichnet durch das<br />
Moment des Verschlingens, das im Kontrast<br />
zum Moment des Gebärens steht. Während<br />
jedoch die Hexe aus „Hänsel und Gretel“<br />
recht offensichtlich ihren Ofen anwirft, geht<br />
die Stiefmutter in „Sneewittchen“ , Nummer<br />
53 der „Kinder- und Hausmärchen“, diffiziler<br />
vor: Heimlich soll der Jäger das schöne Kind<br />
in den Wald bringen, es dort ermorden und<br />
der Stiefmutter als Beweis Lunge und Leber<br />
des Mädchens vorsetzen. In den allermeisten<br />
textlichen Bearbeitungen wird daraus das<br />
Herz von Schneewittchen.<br />
Die Illustratorin Momo Takano lässt in ihrer<br />
im deutschsprachigen Raum 2012 erschienenen<br />
Bilderbuchversion einen kleinen<br />
Koch einen durchaus ansprechend filetierten<br />
Braten servieren, den die - im Vergleich<br />
zur kulinarischen Szenerie überdimensionierte<br />
- Stiefmutter wohlwollend entgegennimmt.<br />
Natürlich ohne zu wissen, dass das<br />
zarte Stück vom Reh stammt. Im Vergleich<br />
zu der ein wenig an Alice im Wunderland<br />
erinnernden Variante des Schneewittchens<br />
gestaltet die in Japan geborene Illustratorin<br />
die Stiefmutter als reichlich depressiv<br />
wirkendes Wesen, deren Körperlichkeit immer<br />
in falschen Dimensionen zu verlaufen<br />
scheint und deren nonnenartiger Schleier<br />
in einen gewaltigen Fischkörper übergeht.<br />
Jedes „verschlingende und umschlingende<br />
Tier, wie großer Fisch und Schlange“ verweist<br />
– folgt man an dieser Stelle wieder C.<br />
G. Jung – auf den Charakter der Stiefmutter.<br />
bn 2013 / 3<br />
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