rundschau - Bürgermeister Zeitung
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Zu einer Zeit, in der Frauen nur<br />
mit Hut und nie allein auf die<br />
Straße gingen, nahmen es die<br />
„Zirkusfrauen“ leicht bekleidet<br />
mit Löwen auf und warfen<br />
Männer durch die Luft.<br />
Tilly Bébé, eine gebürtige<br />
Perchtoldsdorferin, war eine<br />
von ihnen.<br />
straßennamen<br />
im Löwenkäfig<br />
Von Doris Kraus*<br />
Die „Muskelfrauen“ hingegen waren mehr als ganze Kerle. Katharina Brumbach aus Wien<br />
nahm als Sandwina locker drei Männer gleichzeitig auf den Arm. Ihren Ehemann Max lernte<br />
sie kennen, als sie ihn mit einem einzigen Schwung zu Boden schleuderte – Liebe auf den<br />
ersten Wurf sozusagen. Diese Rollenverteilung behielt das Paar bei. Auch später in den USA,<br />
wo sie im Ringling Brothers Barnum and Bailey Circus auftraten, blieb es Sandwinas Markenzeichen,<br />
Max mit einer Hand über den Kopf zu stemmen.<br />
Katharina Brumbach schlug Kapital aus ihren 1,84 Metern Größe und 90 Kilo Körpergewicht.<br />
Doch auch mit Behinderungen geborenen Frauen bot der Zirkus eine Alternative<br />
zum Armenhaus – wenn auch eine nicht unproblematische, rückte es sie doch oft in die<br />
Nähe von Freak-Shows. Diese Zwiespältigkeit prägte das Leben von Antonia Matt-Günther,<br />
die 1878 in Ludesch in Vorarlberg ohne Beine geboren wurde. Dort wurde sie entdeckt<br />
und an einen Schausteller vermittelt. Natürlich bedeutete ihr Leben im Zirkus für<br />
Antonia Matt, dass sie als „Monster“ ausgestellt und bestaunt wurde. Gleichzeitig aber eröffnete<br />
ihr der Zirkus eine Welt, die ihr im „normalen Leben“ wahrscheinlich verschlossen<br />
geblieben wäre. Matt heiratete zweimal, verdiente ganz beachtliche Summen und konnte<br />
ein einigermaßen selbstständiges Leben führen.<br />
Selten, aber doch: Frau Prinzipalin. Selten, aber doch schafften Frauen es sogar an die<br />
Spitze der Fahnenstange – allerdings meistens erst dann, wenn ihre Ehemänner das Zeitliche<br />
gesegnet hatten. In dieser Position nahmen sie dann bereits eine Doppel- und Dreifachbelastung<br />
vorweg, die ihren heutigen berufstätigen Geschlechtsgenossinnen nicht ganz<br />
unbekannt sein dürfte. Die Prinzipalin war für das reibungslose wirtschaftliche Funktionieren<br />
des Unternehmens verantwortlich, hatte vielleicht auch noch eine eigene Nummer zu<br />
absolvieren und fühlte sich oft gleichzeitig für das körperliche und seelische Wohlbefinden<br />
ihrer Untergebenen zuständig.<br />
So viele Möglichkeiten sie Frauen auch bot, vollkommen heil war die Zirkuswelt nicht.<br />
Viele Artistinnen kamen über prekäre, ausbeuterische Arbeitsverhältnisse nicht hinaus; viele<br />
verarmten, weil sie sich verletzten oder weil sie zu alt für Kunststücke wurden. Aber auch<br />
hier herrschte eine Art Gleichberechtigung – erging es doch „Zirkusmännern“ nicht viel<br />
anders.<br />
„Die tollkühnen Frauen“ im Frauenmuseum Hittisau im Bregenzerwald (Vorarlberg) zeichnet<br />
die Lebensgeschichten von Raubtierdompteusen, Muskelfrauen, Gladiatorinnen und<br />
anderen Artistinnen nach (zu sehen bis Ostern 2013).<br />
Kuratiert wurde die Ausstellung von Brigitte Felderer in Zusammenarbeit mit Stefania Pitscheider<br />
Soraperra. Gestaltet hat sie die Malerin und Bildhauerin Raja Schwahn-Reichmann.<br />
Wir bedanken uns beim Frauenmuseum Hittisau für die Überlassung der Fotos.<br />
www.frauenmuseum.at<br />
Tilly Bébé, Löwenbändigerin, Fotografie Hildenbrand Stuttgart.<br />
Zirkusarchiv Winkler.<br />
Mathilde Rupp war die Tochter des Obst- und<br />
Gemüsehändlers Franz Xaver Rupp und Enkelin<br />
des Lehrers und Komponisten Ambros<br />
Rieder. Sie wuchs im alten Schulhaus am<br />
Marktplatz von Perchtoldsdorf auf.<br />
Die 1888 zur Halbwaise gewordene arbeitete<br />
zunächst als Schreibkraft in einer Rechtsanwaltskanzlei,<br />
wechselte dann aus Tierliebe<br />
ihren Beruf und wurde im Wiener Prater-<br />
Vivarium zunächst als Tierpflegerin bei den<br />
Schlangen, bald jedoch bei der Vorführung von<br />
Hyänen beschäftigt. Ab ihrem 18. Lebensjahr<br />
gastierte sie – zunächst mit zwölf Löwen – an<br />
allen Weltstadtvarietés (u.a. im Berliner Wintergarten)<br />
und Zirkussen wie Krembser, Henry<br />
und Hagenbeck (bei dem sie auch mit einer<br />
Gruppe von 14 Eisbären arbeitete).<br />
Auf Grund ihrer Kleinwüchsigkeit erhielt sie<br />
den Spitzname Tilly Bébé. Wo immer sie auftauchte,<br />
überschlug sich die Presse in sensationslüsternen<br />
Berichten. 1908 wurde sogar<br />
ein Tilly Bébé-Film gedreht. Nach langer<br />
Krankheit starb die Artistin vereinsamt, verarmt<br />
und vergessen am 11. April 1932 in Wien.<br />
(Quelle: de.wikipedia.org/wiki/Tilly_Bébé, Zugriff 11.01.2013).<br />
2012 wurde in Perchtoldsdorf im Bereich<br />
Judenwiese-Theresienau eine Gasse nach<br />
Tilly Bébé benannt. Weitere Neubenennungen<br />
in diesem Gebiet und im Bereich der ehemaligen<br />
Essigfabrik finden Sie auf Seite 16.<br />
*Der Beitrag erschien am 27.05.2012 in „Die Presse am Sonntag“.<br />
Wir danken der Redaktion für die Abdruckgenehmigung.<br />
perchtoldsdorfer <strong>rundschau</strong> 02-03.2013 // 05