Jesus Christus: Neutestamentliche Basistexte Von ... - Orah.ch
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12 Thomas Noack<br />
verhängnisvoller, weil er die Personidee in die Präexistenz verlagert hat. Do<strong>ch</strong> das<br />
Präexistente des (irdis<strong>ch</strong>en) Sohnes ist ni<strong>ch</strong>t der (ewige) Sohn, sondern der Logos.<br />
Zur Begründung dieser Interpretation ist zunä<strong>ch</strong>st auf die einfa<strong>ch</strong>e und glei<strong>ch</strong>wohl<br />
grundlegende Tatsa<strong>ch</strong>e hinzuweisen, dass »Sohn« im Prolog ni<strong>ch</strong>t vorkommt. Es heißt<br />
eben ni<strong>ch</strong>t: »Im Anfang war der Sohn, und der Sohn war bei Gott und (ein) Gott war der<br />
Sohn.« Ledigli<strong>ch</strong> in Joh 1,18 lesen einige Hands<strong>ch</strong>riften »Sohn«, besser bezeugt ist jedo<strong>ch</strong><br />
die s<strong>ch</strong>wierigere Lesart (lectio difficilior) »Gott«. Die Variante »Sohn« ist glei<strong>ch</strong>wohl<br />
interessant, zeigt sie do<strong>ch</strong>, dass dieser Begriff seit dem 5. Jahrhundert 23 und somit na<strong>ch</strong><br />
den trinitaris<strong>ch</strong>en Konzilen von Nizäa 325 und Konstantinopel 381 in den Prolog hineinges<strong>ch</strong>aut<br />
wurde. Der Sohn glänzt also in der Präexistenz dur<strong>ch</strong> Abwesenheit. Stattdessen<br />
ist dort vom Logos die Rede, der wiederum im Evangelium wie vers<strong>ch</strong>wunden<br />
ist, weil nämli<strong>ch</strong> der Logos na<strong>ch</strong> seiner Fleis<strong>ch</strong>werdung <strong>Jesus</strong> <strong>Christus</strong> genannt wird<br />
(siehe s<strong>ch</strong>on im Prolog 1,17).<br />
Zweitens ist auf die Verwendung von »einziggeboren« bzw. »einzigerzeugt« 24 (monogenes)<br />
zu a<strong>ch</strong>ten. Im Prolog begegnet dieses Wort zweimal, nämli<strong>ch</strong> in den Versen 14 und<br />
18; und im Evangelium ebenfalls zweimal, und zwar in Joh 3,16.18. Die Zusammens<strong>ch</strong>au<br />
dieser Stellen führt zu einem interessanten S<strong>ch</strong>luß. Der »Einziggeborene vom<br />
Vater« (Joh 1,14) meint den Logos na<strong>ch</strong> dem Ereignis seiner Fleis<strong>ch</strong>werdung. Das folgt<br />
aus der parallelen Struktur: »seine Herrli<strong>ch</strong>keit« (doxa autou) ist parallel zu »eine Herrli<strong>ch</strong>keit<br />
wie (die) eines Einziggeborenen vom Vater« (doxa hos monogenous para patros);<br />
»autos« ist hier auf den fleis<strong>ch</strong>gewordenen Logos zu beziehen, dessen Herrli<strong>ch</strong>keit<br />
gesehen werden kann. Der einzige von Gott Geborene meint also den Fleis<strong>ch</strong>gewordenen.<br />
Au<strong>ch</strong> der »einziggeborene Gott« (Joh 1,18) meint die fleis<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>e Daseinsgestalt<br />
des Logos. Denn erstens steht diese Formulierung dem unsi<strong>ch</strong>tbaren Gott<br />
(»niemand hat Gott je gesehen«) gegenüber, meint also offensi<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong> den si<strong>ch</strong>tbaren,<br />
fleis<strong>ch</strong>gewordenen Gott. Und zweitens ist Vers 18 au<strong>ch</strong> als Übers<strong>ch</strong>rift zum ans<strong>ch</strong>ließenden<br />
Evangelium zu verstehen, so dass der »einziggeborene Gott« nur der irdis<strong>ch</strong>e<br />
<strong>Jesus</strong> sein kann. Dessen Logoshaftigkeit wird dur<strong>ch</strong> das S<strong>ch</strong>lußwort des Prologs (»darstellen«<br />
oder »verkündigen«) no<strong>ch</strong> einmal unterstri<strong>ch</strong>en, denn sein Wirken soll als Exegese<br />
des unsi<strong>ch</strong>tbaren Gottes verstanden werden. Wi<strong>ch</strong>tig im Sinne unserer Argumentation<br />
ist also, dass »einziggeboren« im Prolog zwar mit deutli<strong>ch</strong>em Bezug zum Logos<br />
auftau<strong>ch</strong>t, aber ni<strong>ch</strong>t dessen Hervorgehen aus Gott vor aller Zeit meint, sondern dessen<br />
Fleis<strong>ch</strong>werdung. Der »Einziggeborene« signalisiert den Fleis<strong>ch</strong>gewordenen. Außerhalb<br />
des Prologs begegnet »einziggeboren« im Johannesevangelium nur no<strong>ch</strong> in Joh 3,16.18,<br />
dort in den Wendungen »der einziggeborene Sohn« (Joh 3,16; vgl. au<strong>ch</strong> 1Joh 4,9) und<br />
»der einziggeborene Sohn Gottes« (Joh 3,18). Diese Wendungen tau<strong>ch</strong>en in der ersten<br />
längeren Rede Jesu auf; und - was no<strong>ch</strong> wi<strong>ch</strong>tiger ist - »einziggeboren« tau<strong>ch</strong>t gerade<br />
dort das erste und letzte Mal im Evangelium auf, wo der »Sohn Gottes« das erste Mal im<br />
23<br />
Früheste Bezeugung im Codex Alexandrinus aus dem 5. Jhd. (siehe Nestle-Aland).<br />
24<br />
I<strong>ch</strong> wähle diese Übersetzung und ni<strong>ch</strong>t »eingeboren«, um mi<strong>ch</strong> von der Vorstellung eines präexistenten<br />
und inkarnierten Sohnes zu distanzieren.