Swedenborgs alte Kirche neu entdeckt von Thomas Noack ... - Orah.ch
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<strong>Swedenborgs</strong> <strong>alte</strong> <strong>Kir<strong>ch</strong>e</strong> <strong>neu</strong> <strong>entdeckt</strong><br />
<strong>von</strong> <strong>Thomas</strong> <strong>Noack</strong><br />
1. Die <strong>alte</strong> <strong>Kir<strong>ch</strong>e</strong> und die Religionen des <strong>alte</strong>n Orients<br />
Im heutigen Verständnis meint <strong>alte</strong> <strong>Kir<strong>ch</strong>e</strong> entweder ein <strong>alte</strong>s <strong>Kir<strong>ch</strong>e</strong>ngebäude<br />
1 oder einen Abs<strong>ch</strong>nitt der <strong>Kir<strong>ch</strong>e</strong>nges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te, nämli<strong>ch</strong> den zwis<strong>ch</strong>en Ur<strong>ch</strong>ristentum<br />
und Mittel<strong>alte</strong>r. Do<strong>ch</strong> Swedenborg verstand unter der <strong>alte</strong>n <strong>Kir<strong>ch</strong>e</strong><br />
etwas anderes. Er meinte das, was wir heute die Religionen des <strong>alte</strong>n Orients<br />
nennen. 2 Das ergibt si<strong>ch</strong> eindeutig aus der zeitli<strong>ch</strong>en und räumli<strong>ch</strong>en<br />
Einordnung der <strong>alte</strong>n <strong>Kir<strong>ch</strong>e</strong>.<br />
Sie ist die zweite Epo<strong>ch</strong>e in der Zeit<strong>alte</strong>rlehre <strong>Swedenborgs</strong>. Diese Lehre ist<br />
allerdings ni<strong>ch</strong>t vollkommen frei <strong>von</strong> Widersprü<strong>ch</strong>en. Orientiert man si<strong>ch</strong> an<br />
WCR 760 und 764, dann hat man fünf Epo<strong>ch</strong>en zu unters<strong>ch</strong>eiden: die älteste,<br />
die <strong>alte</strong>, die israelitis<strong>ch</strong>e, die <strong>ch</strong>ristli<strong>ch</strong>e und die <strong>neu</strong>e <strong>Kir<strong>ch</strong>e</strong>. Orientiert man<br />
si<strong>ch</strong> hingegen an den drei großen Geri<strong>ch</strong>ten <strong>von</strong> JG 46 und der Beoba<strong>ch</strong>tung,<br />
dass Swedenborg die Religion des <strong>alte</strong>n Israels der <strong>alte</strong>n <strong>Kir<strong>ch</strong>e</strong> zure<strong>ch</strong>nen<br />
kann, dann kommt man auf vier Epo<strong>ch</strong>en: die älteste, die <strong>alte</strong>, die <strong>ch</strong>ristli<strong>ch</strong>e<br />
und die <strong>neu</strong>e <strong>Kir<strong>ch</strong>e</strong>. So oder so bleibt aber klar, dass die <strong>alte</strong> <strong>Kir<strong>ch</strong>e</strong> die<br />
zweite religionsges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong>e Epo<strong>ch</strong>e ist. Sie begann unmittelbar na<strong>ch</strong> der<br />
Sintflut. Der Widerspru<strong>ch</strong> in der Anzahl der Zeit<strong>alte</strong>r erklärt si<strong>ch</strong> daraus, dass<br />
Swedenborg die israelitis<strong>ch</strong>e <strong>Kir<strong>ch</strong>e</strong> einmal als ein Phänomen innerhalb der<br />
<strong>alte</strong>n <strong>Kir<strong>ch</strong>e</strong> ansieht und ein anderes Mal als einen Sonderfall, beides ist<br />
ri<strong>ch</strong>tig.<br />
Von der zeitli<strong>ch</strong>en Einordnung ist die Periodisierung der <strong>alte</strong>n <strong>Kir<strong>ch</strong>e</strong> zu<br />
unters<strong>ch</strong>eiden. Denn die zeitli<strong>ch</strong>e Einordnung bes<strong>ch</strong>reibt das Außenverhältnis,<br />
die Periodisierung hingegen das Innenverhältnis dieser <strong>Kir<strong>ch</strong>e</strong>. Die erste<br />
<strong>alte</strong> <strong>Kir<strong>ch</strong>e</strong> sieht Swedenborg in Noah und seinen Söhnen (HG 1238). Die<br />
1 Zahlrei<strong>ch</strong>e Orte haben in diesem Sinne eine <strong>alte</strong> <strong>Kir<strong>ch</strong>e</strong>. So gibt es beispielsweise die <strong>alte</strong> <strong>Kir<strong>ch</strong>e</strong><br />
<strong>von</strong> Lüskow, <strong>von</strong> Wolkenburg oder <strong>von</strong> Coswig.<br />
2 Obwohl dies ein Beispiel für die Missverständli<strong>ch</strong>keit der Terminologie <strong>Swedenborgs</strong> für den<br />
heutigen Leser ist, wird man Ecclesia antiqua denno<strong>ch</strong> wohl ni<strong>ch</strong>t mit antike oder<br />
altorientalis<strong>ch</strong>e Religion übersetzen können. Denn Swedenborg ma<strong>ch</strong>t einen Unters<strong>ch</strong>ied<br />
zwis<strong>ch</strong>en <strong>Kir<strong>ch</strong>e</strong> und Religion. Im Rahmen seines Dualismus oder seiner Ehe des Guten und<br />
Wahren ordnet er <strong>Kir<strong>ch</strong>e</strong> dem Wahren und Religion dem Guten zu (EL 115, WCR 113).
<strong>Swedenborgs</strong> <strong>alte</strong> <strong>Kir<strong>ch</strong>e</strong> <strong>neu</strong> <strong>entdeckt</strong> 2<br />
zweite <strong>alte</strong> <strong>Kir<strong>ch</strong>e</strong> (HG 1281), au<strong>ch</strong> hebräis<strong>ch</strong>e <strong>Kir<strong>ch</strong>e</strong> genannt, geht auf Eber<br />
(Gen 10,21.24) zurück (HG 3031). Mit dieser <strong>Kir<strong>ch</strong>e</strong> begann der Opferdienst<br />
(HG 2180). Die dritte <strong>alte</strong> <strong>Kir<strong>ch</strong>e</strong> (HG 1282) nahm ihren Anfang mit Abraham<br />
und erhielt ihren Namen <strong>von</strong> Jakob, der in Israel umbenannt wurde, und<br />
später <strong>von</strong> Juda (HG 1327). Gemeint ist die israelitis<strong>ch</strong>e <strong>Kir<strong>ch</strong>e</strong> oder na<strong>ch</strong> der<br />
babylonis<strong>ch</strong>en Gefangens<strong>ch</strong>aft das Judentum. Aus der im Verfall befindli<strong>ch</strong>en<br />
<strong>alte</strong>n <strong>Kir<strong>ch</strong>e</strong> wurde ein ganz äußerli<strong>ch</strong>er Kult geformt, <strong>von</strong> dem Swedenborg<br />
sagt, dass er nur no<strong>ch</strong> »die Vorbildung einer <strong>Kir<strong>ch</strong>e</strong> (Ecclesiae<br />
repraesentativum), aber ni<strong>ch</strong>t mehr eine vorbildende <strong>Kir<strong>ch</strong>e</strong> (Ecclesia<br />
repraesentativa)« war (HG 4844). Wie diese Unters<strong>ch</strong>eidung zu verstehen ist,<br />
geht aus der folgenden Äußerung hervor: »Eine vorbildende <strong>Kir<strong>ch</strong>e</strong> liegt vor,<br />
wenn ein innerer Gottesdienst im äußeren vorhanden ist; die Vorbildung einer<br />
<strong>Kir<strong>ch</strong>e</strong> hingegen ist gegeben, wenn kein innerer, sondern nur no<strong>ch</strong> ein<br />
äußerer Gottesdienst da ist.« (HG 4288). Do<strong>ch</strong> gerade diese ganz veräußerli<strong>ch</strong>te<br />
Religionsform war dazu ausersehen, die <strong>alte</strong> Weisheit über die<br />
Zeiten hinweg zu bewahren, im Alten Testament.<br />
Die <strong>alte</strong> <strong>Kir<strong>ch</strong>e</strong> erstreckte si<strong>ch</strong> über »Assyrien, Mesopotamien, Syrien,<br />
Äthiopien, Arabien, Lybien, Ägypten, Palästina bis Tyrus und Sidon, Kanaan<br />
diesseits und jenseits des Jordans.« (HG 2385). Unter Kanaan ist das<br />
gesamte Gebiet vom Fluß Ägyptens bis zum Euphrat zu verstehen (HG 4454<br />
mit Hinweis auf Genesis 15,18). Das Gebirge Seir war eine Grenze Kanaans<br />
(HG 4240 mit Hinweis auf Josua 11,16f). Im Wissen um diese Ausdehnung<br />
Kanaans wird es verständli<strong>ch</strong>, wenn Swedenborg an anderer Stelle ausführt,<br />
dass si<strong>ch</strong> Überreste der ältesten oder Urki<strong>ch</strong>e zur Zeit der <strong>alte</strong>n <strong>Kir<strong>ch</strong>e</strong> no<strong>ch</strong><br />
im Lande Kanaan und dort besonders bei den Hethitern und Hewitern<br />
befanden (HG 4447), die somit ebenfalls der <strong>alte</strong>n <strong>Kir<strong>ch</strong>e</strong> zuzure<strong>ch</strong>nen sind.<br />
Die <strong>alte</strong> <strong>Kir<strong>ch</strong>e</strong> erstreckte si<strong>ch</strong> also über das Gebiet des Vorderen Orients.<br />
Aus dieser zeitli<strong>ch</strong>en und räumli<strong>ch</strong>en Einordnung ist nun ersi<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong>, dass<br />
<strong>Swedenborgs</strong> <strong>alte</strong> <strong>Kir<strong>ch</strong>e</strong> na<strong>ch</strong> heutigem Spra<strong>ch</strong>gebrau<strong>ch</strong> eindeutig die Religionen<br />
des <strong>alte</strong>n Vorderen Orients meint.<br />
2. Forts<strong>ch</strong>ritte der Altertumswissens<strong>ch</strong>aften<br />
Als Swedenborg im Jahre 1772 starb, war der <strong>alte</strong> Orient wissens<strong>ch</strong>aftli<strong>ch</strong><br />
no<strong>ch</strong> weitgehend un<strong>entdeckt</strong>. Erst na<strong>ch</strong> seinem Tode entwickelten si<strong>ch</strong> die
<strong>Swedenborgs</strong> <strong>alte</strong> <strong>Kir<strong>ch</strong>e</strong> <strong>neu</strong> <strong>entdeckt</strong> 3<br />
Ägyptologie, die Altorientalistik mit der Assyriologie, der Semitistik und der<br />
Hethitologie, und die vorderasiatis<strong>ch</strong>e Ar<strong>ch</strong>äologie. 1822 glückte Jean-François<br />
Champollion die Entzifferung der Hieroglyphen. Die akkadis<strong>ch</strong>en Keils<strong>ch</strong>rifttexte<br />
sind erst seit etwa 130 Jahren lesbar, und die Ers<strong>ch</strong>ließung der<br />
sumeris<strong>ch</strong>en Texte setzte no<strong>ch</strong> etwas später ein.<br />
Somit befinden wir uns in der folgenden Situation: Swedenborg weiß viel <strong>von</strong><br />
der <strong>alte</strong>n <strong>Kir<strong>ch</strong>e</strong>, aber ni<strong>ch</strong>ts <strong>von</strong> ihren Hinterlassens<strong>ch</strong>aften, die erst na<strong>ch</strong><br />
seinem Tode zugängli<strong>ch</strong> wurden. Seine Anhänger stehen daher vor der Wahl,<br />
entweder die Erkenntnisse ihres Meisters als Museumsstücke zu betra<strong>ch</strong>ten<br />
oder sie weiterzuentwickeln unter Einbeziehung des seither gewonnenen<br />
Wissens. Wir ents<strong>ch</strong>eiden uns für die zweite Mögli<strong>ch</strong>keit und wollen an dieser<br />
Stelle das Gelände abstecken und einige Aussi<strong>ch</strong>ten wagen. 3<br />
3. Die Weisheit der <strong>alte</strong>n <strong>Kir<strong>ch</strong>e</strong><br />
3.1. Allgemeines zum Wesen dieser Weisheit<br />
In den Augen <strong>Swedenborgs</strong> besaßen die Eingeweihten der <strong>alte</strong>n <strong>Kir<strong>ch</strong>e</strong> eine<br />
hohe, uns allerdings fremd gewordene Weisheit. Swedenborg überras<strong>ch</strong>t uns<br />
mit Formulierungen wie »die Weisheit der <strong>alte</strong>n <strong>Kir<strong>ch</strong>e</strong>« (Antiquae Ecclesiae<br />
sapientia, HG 3179) oder »die Weisheit der Alten« (sapientia veterum, HG<br />
605). Vertrauter dürfte uns die Beurteilung des frühen Geistes dur<strong>ch</strong> Barthel<br />
Hrouda sein, der vorderasiatis<strong>ch</strong>e Ar<strong>ch</strong>äologie in Mün<strong>ch</strong>en lehrte. »Zunä<strong>ch</strong>st<br />
hat man offenbar das Heilige, als die Ursa<strong>ch</strong>e aller Wirkungen, mit den vielen<br />
allerwegen erfahrenen dunklen Ers<strong>ch</strong>einungen in Verbindung gebra<strong>ch</strong>t - mit<br />
dem Bau und dem Lauf der Welt, die unermeßli<strong>ch</strong> groß uns einhüllt, die vor<br />
uns da war und na<strong>ch</strong> uns da sein wird und die unserer ni<strong>ch</strong>t bedarf. Da sind<br />
der wunderbare Himmel oben und, so weit das Auge rei<strong>ch</strong>t, die riesige Erde<br />
mit ihrem Unterbau einer geheimnisvollen Tiefe; unermeßli<strong>ch</strong> weit erstreckt<br />
si<strong>ch</strong> ihre vielgestaltige Oberflä<strong>ch</strong>e mit Flüssen, Meer und fru<strong>ch</strong>tbarem Land,<br />
mit Wüsten, Ebenen und Bergen, mit ihrem Pflanzenbewu<strong>ch</strong>s und dem<br />
3 Das Thema hat Swedenborgianer s<strong>ch</strong>on früher interessiert. Einige Hinweise auf deuts<strong>ch</strong>spra<strong>ch</strong>ige<br />
Veröffentli<strong>ch</strong>ungen: C. Th. Odhner, Die Entspre<strong>ch</strong>ungen Ägyptens: Eine Untersu<strong>ch</strong>ung<br />
über die Theologie der <strong>alte</strong>n <strong>Kir<strong>ch</strong>e</strong>, Berlin 2002. Felix Pro<strong>ch</strong>aska, Heidnis<strong>ch</strong>e<br />
Religionen und das <strong>alte</strong> Wort: eine Studie, Züri<strong>ch</strong> 1974. Adolf L. Goerwitz, Die Herkules-Sage;<br />
in: OT 18 (1974) 157-165.
<strong>Swedenborgs</strong> <strong>alte</strong> <strong>Kir<strong>ch</strong>e</strong> <strong>neu</strong> <strong>entdeckt</strong> 4<br />
ganzen Gewimmel der Tiere; da sind die ewigen und unfehlbaren Bahnen der<br />
Sterne; da ist das unerwartete Niederströmen des Regens, das Toben der<br />
Winde, der Stürme; da sind das geheimnisvolle Sprießen der Pflanzen und<br />
das genauso unfaßbare Wa<strong>ch</strong>sen der Tiere - und all die tausend weiteren<br />
Rätsel, die si<strong>ch</strong> <strong>von</strong> überallher einstellten und dem frühen Geist ganz<br />
unlösbar vorkommen mußten, da er no<strong>ch</strong> lange ohne wirkli<strong>ch</strong><br />
>wissens<strong>ch</strong>aftli<strong>ch</strong>e< Fähigkeiten bleiben sollte. Wollte man darauf best- und<br />
s<strong>ch</strong>nellstmögli<strong>ch</strong> antworten, was lag näher, als si<strong>ch</strong> der unsi<strong>ch</strong>tbaren<br />
höheren Ma<strong>ch</strong>t anzuvertrauen, deren wahre Existenz si<strong>ch</strong> den Herzen und<br />
Köpfen dunkel aufdrängt? So sind alle diese Phänomene dem Eingreifen des<br />
Übernatürli<strong>ch</strong>en zuges<strong>ch</strong>rieben worden, das in numinose Einheiten aufgeteilt<br />
wurde: nämli<strong>ch</strong> in >Gottheiten
<strong>Swedenborgs</strong> <strong>alte</strong> <strong>Kir<strong>ch</strong>e</strong> <strong>neu</strong> <strong>entdeckt</strong> 5<br />
3.2 Die Götterwelt<br />
Im <strong>alte</strong>n Orient gab es viele Götter, 5 do<strong>ch</strong> Swedenborg versi<strong>ch</strong>ert uns, dass<br />
am Anfang die Verehrung eines Gottes stand. Mit dieser Ansi<strong>ch</strong>t steht er ni<strong>ch</strong>t<br />
allein da, au<strong>ch</strong> na<strong>ch</strong> Hermann Junker, ehemals Ägyptologe in Wien, »war<br />
s<strong>ch</strong>on in der ältesten, erkennbaren Phase der ägyptis<strong>ch</strong>en Religion der<br />
Glaube an einen hö<strong>ch</strong>sten Gott, den S<strong>ch</strong>öpfer und Erh<strong>alte</strong>r der Welt,<br />
vorhanden« 6 . Die vers<strong>ch</strong>iedenen »Gottheiten könnte man eher als Aspekte<br />
und Emanationen des Einen bezei<strong>ch</strong>nen.« 7 So sieht es au<strong>ch</strong> Swedenborg:<br />
»Die Alten bezei<strong>ch</strong>neten den einen Gott mit vers<strong>ch</strong>iedenen Namen je na<strong>ch</strong><br />
den vers<strong>ch</strong>iedenen <strong>von</strong> ihm (ausgehenden Wirkungen).« (HG 5628). »Bei den<br />
Alten war es übli<strong>ch</strong>, dem Namen Jehovah etwas hinzuzufügen und auf diese<br />
Weise einer seiner Wohltaten oder Eigens<strong>ch</strong>aften zu gedenken.« (HG 2724).<br />
Die Vielzahl der Namen deutete demna<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t auf viele Götter, sondern auf<br />
viele göttli<strong>ch</strong>e Eigens<strong>ch</strong>aften. Als jedo<strong>ch</strong> das geistige Verständnis dieser<br />
Namen in Vergessenheit geriet, entstand die Vielgötterei. Swedenborg spri<strong>ch</strong>t<br />
diesen Verfall der Urweisheit mehrfa<strong>ch</strong> an: »Na<strong>ch</strong>dem die (<strong>alte</strong>) <strong>Kir<strong>ch</strong>e</strong> vom<br />
Guten und Wahren abgekommen war, und somit au<strong>ch</strong> <strong>von</strong> jener Weisheit,<br />
begann man so viele Gottheiten zu verehren als es Benennungen des einen<br />
Gottes gab.« (HG 3667, vgl. au<strong>ch</strong> HG 2724). Die Mens<strong>ch</strong>heit ist demna<strong>ch</strong> vom<br />
Mono- zum Polytheismus fortges<strong>ch</strong>ritten. Diese Si<strong>ch</strong>tweise <strong>Swedenborgs</strong><br />
setzt einen hohen Anfangszustand voraus und betra<strong>ch</strong>tet die ans<strong>ch</strong>ließende<br />
Entwicklung als einen Verfall. Sie passt freili<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t zum Forts<strong>ch</strong>rittsglauben<br />
des <strong>neu</strong>zeitli<strong>ch</strong>en Mens<strong>ch</strong>en, der lieber mit einem primitiven Urzustand<br />
re<strong>ch</strong>net, aus dem si<strong>ch</strong> die Mens<strong>ch</strong>heit erst allmähli<strong>ch</strong> zu den uns bekannten<br />
5 »Wir kennen die Namen <strong>von</strong> Hunderten <strong>von</strong> sumeris<strong>ch</strong>en Gottheiten dur<strong>ch</strong> Listen, die in<br />
S<strong>ch</strong>ulen zusammengestellt wurden, dur<strong>ch</strong> Opferlisten und dur<strong>ch</strong> Personennamen, in denen<br />
Götternamen enth<strong>alte</strong>n sind (>theophore NamenGroße Götterliste
<strong>Swedenborgs</strong> <strong>alte</strong> <strong>Kir<strong>ch</strong>e</strong> <strong>neu</strong> <strong>entdeckt</strong> 6<br />
vermeintli<strong>ch</strong>en Höhen aufges<strong>ch</strong>wungen hat. Na<strong>ch</strong> Swedenborg aber ges<strong>ch</strong>ah<br />
s<strong>ch</strong>on am Anfang das mä<strong>ch</strong>tige Erwa<strong>ch</strong>en des Geistes, der na<strong>ch</strong> und na<strong>ch</strong> in<br />
die Finsternis der sinnli<strong>ch</strong> erfahrbaren Welt eintau<strong>ch</strong>te, dort erlos<strong>ch</strong> und in<br />
Vergessenheit geriet. Swedenborg geht also <strong>von</strong> einem anderen Paradigma<br />
aus. Am Anfang bra<strong>ch</strong> das Li<strong>ch</strong>t des Geistes als Uroffenbarung in die Mens<strong>ch</strong>enwelt<br />
ein und ma<strong>ch</strong>te aus dem Erdling Adam den Adam Kadmon oder<br />
den homo sapiens. Adam Kadmon meint den <strong>von</strong> Osten oder vom Aufgang<br />
des Geistes her kommenden Mens<strong>ch</strong>en, und homo sapiens den weisen<br />
Mens<strong>ch</strong>en. Do<strong>ch</strong> das Feuer der Elohim, der göttli<strong>ch</strong>en Kräfte im Mens<strong>ch</strong>en, erlos<strong>ch</strong><br />
im Chaoswasser der Welt. Als Zei<strong>ch</strong>en dieses traurigen Forts<strong>ch</strong>ritts<br />
sehen wir den S<strong>ch</strong>erbenhaufen des Polytheismus.<br />
Die Götter des <strong>alte</strong>n Orients stellen na<strong>ch</strong> Swedenborg Eigens<strong>ch</strong>aften<br />
(attributa) des einen Gottes dar (vgl. HG 6003). Do<strong>ch</strong> unser Wissen über<br />
diese Götter lehrt uns einen anderen Bezug. Denn allem Ans<strong>ch</strong>ein na<strong>ch</strong><br />
verkörpern sie Aspekte der Natur. Nehmen wir zum Beispiel die wi<strong>ch</strong>tigsten<br />
sumeris<strong>ch</strong>en Gottheiten. An verkörpert den Himmel, Enlil die Atmosphäre und<br />
besonders den Wind, Enki das Wasser, Nanna den Mond, Utu die Sonne und<br />
Inanna die Venus, den Morgen- und den Abendstern. Aus swedenborgs<strong>ch</strong>er<br />
Si<strong>ch</strong>t ist dieser Widerspru<strong>ch</strong> jedo<strong>ch</strong> lei<strong>ch</strong>t aufzulösen, denn »die ganze Natur<br />
ist eine darstellende (oder vorbildende) Bühne des Rei<strong>ch</strong>es des Herrn.« (HG<br />
3942). Sie ist ein »theatrum repraesentativum«, denn die Urweisen der Erde<br />
erkannten in diesem S<strong>ch</strong>auspiel der Natur das Göttli<strong>ch</strong>e. »Sie nahmen in den<br />
einzelnen Gegenständen der Sinne etwas Göttli<strong>ch</strong>es und Himmlis<strong>ch</strong>es wahr.<br />
Wenn sie beispielsweise einen hohen Berg sahen, dann nahmen sie darin<br />
ni<strong>ch</strong>t das Vorstellungsbild eines Berges wahr, sondern der Höhe, und<br />
aufgrund der Höhe ers<strong>ch</strong>auten sie den Himmel und den Herrn … und wenn<br />
sie den Morgen sahen, dann da<strong>ch</strong>ten si<strong>ch</strong> dabei ni<strong>ch</strong>t bloß an den Morgen<br />
eines Tages, sondern an das Himmlis<strong>ch</strong>e, das dem Morgen und der<br />
Morgenröte in den Gemütern glei<strong>ch</strong>t …« (HG 920). Der Urmens<strong>ch</strong> sah in der<br />
Natur no<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t blinde Kräfte, sondern göttli<strong>ch</strong>e Mä<strong>ch</strong>te, so dass er dur<strong>ch</strong> die<br />
Natur das Wesen der Gottheit erfors<strong>ch</strong>en konnte. Sehr s<strong>ch</strong>ön hat diesen<br />
Zusammenhang der S<strong>ch</strong>reibkne<strong>ch</strong>t Gottes, Jakob Lorber, bes<strong>ch</strong>rieben: »Aber<br />
später fingen diese vom Gottesgeiste belehrten Ureinwohner (Ägyptens) an,<br />
über das Wesen der Gottheit tiefer na<strong>ch</strong>zudenken, und das um so tiefer, je
<strong>Swedenborgs</strong> <strong>alte</strong> <strong>Kir<strong>ch</strong>e</strong> <strong>neu</strong> <strong>entdeckt</strong> 7<br />
mehr sie mit den Kräften der Natur si<strong>ch</strong> vertraut ma<strong>ch</strong>ten. Eine jede sol<strong>ch</strong>e<br />
<strong>von</strong> ihnen erkannte Kraft wurde als eine eigentümli<strong>ch</strong>e Eigens<strong>ch</strong>aft der einen<br />
Urkraft in der Gottheit dargestellt.« (GEJ 10,192,4f). Daher kann man die<br />
altorientalis<strong>ch</strong>en Götter gewiss bestimmten Ers<strong>ch</strong>einungen in der Natur<br />
zuordnen, aber mit dieser dürftigen Erkenntnis hält si<strong>ch</strong> unser Geist nur in der<br />
Vorhalle der <strong>alte</strong>n Weisheit auf. Im Allerheiligsten ers<strong>ch</strong>aute man damals<br />
dur<strong>ch</strong> alle Bilder hindur<strong>ch</strong> den einen, wahren Gott.<br />
Swedenborg deutet kaum eine der Göttergest<strong>alte</strong>n des Vorderen Orients. Er<br />
hält zwar mit der Wissens<strong>ch</strong>aft der Entspre<strong>ch</strong>ungen den S<strong>ch</strong>lüssel zu ihrem<br />
Verständnis in seiner Hand, aber er kennt no<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t ihre zahlrei<strong>ch</strong>en Namen<br />
und das heute zugängli<strong>ch</strong>e, rei<strong>ch</strong>haltige Material. Von den im Alten Testament<br />
erwähnten Göttern deutet er nur Dagon (1. Samuel 5; Ri<strong>ch</strong>ter 16,23) und<br />
Beelzebul (2. Könige 1,2.16). Zu Dagon s<strong>ch</strong>reibt er: »Dieser war oben wie ein<br />
Mens<strong>ch</strong> und unten wie ein Fis<strong>ch</strong>. Dieses Bild hatte man erfunden, weil der<br />
Mens<strong>ch</strong> das Verständnis und ein Fis<strong>ch</strong> das (bloße) Wissen bedeutet, die eins<br />
ausma<strong>ch</strong>en.« (LS 23; siehe au<strong>ch</strong> OE 817 und LG 52). 8 Und zu Beelzebul<br />
s<strong>ch</strong>reibt er: »Unter Beelzebul, dem Gott (der Philisterstadt) Ekron (2. Kön 1,2),<br />
versteht man den Gott alles Fals<strong>ch</strong>en, denn Beelzebul bedeutet übersetzt Herr<br />
der Fliegen, und Fliegen bedeuten das Fals<strong>ch</strong>e des sinnli<strong>ch</strong>en Mens<strong>ch</strong>en,<br />
somit Fals<strong>ch</strong>es jegli<strong>ch</strong>er Art.« (OE 740; siehe au<strong>ch</strong> WCR 630). 9 Andere im<br />
Alten Testament erwähnte Gottheiten erwähnt er zwar hin und wieder, aber zu<br />
ihrem Wesen erfahren wir so gut wie ni<strong>ch</strong>ts. Das gilt für As<strong>ch</strong>era, Astarte,<br />
Baal, Kemos<strong>ch</strong>, Milkom und Molo<strong>ch</strong>. 10 Glei<strong>ch</strong>wohl kann man aus <strong>Swedenborgs</strong><br />
S<strong>ch</strong>riften man<strong>ch</strong>erlei nützli<strong>ch</strong>e Hinweise entnehmen, beispielswei-<br />
8 Bei dieser Deutung s<strong>ch</strong>eint Swedenborg allerdings <strong>von</strong> fals<strong>ch</strong>en Voraussetzungen auszugehen.<br />
Den gegenwärtigen Kenntnisstand fasst H. Ringgren so zusammen: »… man hat nur an<br />
Hand der Etymologie seines Namens auf einen Zusammenhang mit dem Getreide, das<br />
hebräis<strong>ch</strong> dagan heißt, s<strong>ch</strong>ließen können … Dagegen dürfte der Name mit dag >Fis<strong>ch</strong>< ni<strong>ch</strong>ts<br />
zu tun haben - ein Gott mit einem Fis<strong>ch</strong>s<strong>ch</strong>wanz ist jedo<strong>ch</strong> auf Münzen aus Arados, einer<br />
Küstenstadt im nördli<strong>ch</strong>en Phönizien, abgebildet.« (a.a.O., 208).<br />
9 Baal-Sebub (2. Könige 1,2-16) bedeutet »Fliegen-Baal« oder »Herr der Fliegen«. Dabei »wird<br />
es si<strong>ch</strong> um eine hebr. Verballhornung <strong>von</strong> Baal-Zebul (>Baal, der Erhabene
<strong>Swedenborgs</strong> <strong>alte</strong> <strong>Kir<strong>ch</strong>e</strong> <strong>neu</strong> <strong>entdeckt</strong> 8<br />
se kann man in seinen Deutungen der Tiere einen S<strong>ch</strong>lüssel zum Verständnis<br />
der tiergestaltigen Gottheiten sehen.<br />
Im Folgenden versu<strong>ch</strong>en wir eine geistige Deutung der vier s<strong>ch</strong>öpferis<strong>ch</strong>en<br />
Gottheiten der sumeris<strong>ch</strong>en Religion, das heißt des Himmelsgottes An, der<br />
Erd- oder Muttergöttin, die vers<strong>ch</strong>iedene Namen hatte, des Luftgottes Enlil und<br />
des Wassergottes Enki. 11 Diese kosmis<strong>ch</strong>e Vierheit begegnet uns au<strong>ch</strong> in der<br />
babylonis<strong>ch</strong>en und assyris<strong>ch</strong>en Religion, dort als Anu, Enlil, Ea (= Enki) und<br />
die Muttergottheit. Und vermutli<strong>ch</strong> sind die vier Elemente des grie<strong>ch</strong>is<strong>ch</strong>en<br />
Denkers Empedokles, Feuer (= Himmel), Luft, Wasser und Erde, nur eine<br />
»entmythologisierte« Variante der genannten vier Gottheiten (= Prinzipien) aus<br />
Mesopotamien. 12<br />
Ein Wort zur geistigen Deutung. Sie su<strong>ch</strong>t das Gemeinte der Bilder und<br />
spra<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>en Zei<strong>ch</strong>en im mens<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>en Geist. Damit unters<strong>ch</strong>eidet sie si<strong>ch</strong><br />
<strong>von</strong> der historis<strong>ch</strong>en Deutung. Denn die su<strong>ch</strong>t es draußen in der<br />
Vergangenheit der objektiven Welt. Eine fundierte geistige Deutung sollte die<br />
Ergebnisse der historis<strong>ch</strong>en Fors<strong>ch</strong>ung aufnehmen. Unters<strong>ch</strong>eidung<br />
bedeutet also ni<strong>ch</strong>t S<strong>ch</strong>eidung. Der Geist brau<strong>ch</strong>t au<strong>ch</strong> für seine, die geistige<br />
Deutung die Objekte da draußen, au<strong>ch</strong> wenn sie ihm immer nur als<br />
Projektionsflä<strong>ch</strong>e seiner eigenen S<strong>ch</strong>öpfungen dienen können. Au<strong>ch</strong> die<br />
historis<strong>ch</strong>e Deutung bildet gegenwärtige Fragestellungen auf vergangene Ereignisse<br />
ab und kann daher das Ideal absoluter Objektivität nie errei<strong>ch</strong>en. Die<br />
geistige Deutung ist also keine objektive Deutung. Sie ist au<strong>ch</strong> keine<br />
eindeutige Deutung, denn jeder Geist sieht die Dinge etwas anders. Das Ziel<br />
der geistigen Deutung besteht darin, im eigenen Geisteserleben Strukturen zu<br />
finden, die den äußeren Strukturen beispielsweise eines Textes entspre<strong>ch</strong>en.<br />
11 Die im Folgenden verarbeiteten Informationen über die vier s<strong>ch</strong>öpferis<strong>ch</strong>en Gottheiten der<br />
sumeris<strong>ch</strong>en Religion sind dem Bu<strong>ch</strong> <strong>von</strong> Helmer Ringgren entnommen: Die Religionen des Alten<br />
Orients, 1979, 68-71. Von den vier s<strong>ch</strong>öpferis<strong>ch</strong>en sind die drei astralen Gottheiten zu<br />
unters<strong>ch</strong>eiden: Nanna (Mond), Utu (Sonne) und Inanna (Venus).<br />
12 Die Grie<strong>ch</strong>en wurden <strong>von</strong> der mesopotamis<strong>ch</strong>en Kultur beeinflusst W<strong>alte</strong>r Burkert s<strong>ch</strong>reibt: »Das<br />
>grie<strong>ch</strong>is<strong>ch</strong>e Wunder< ist ni<strong>ch</strong>t nur das Ergebnis einer einzigartigen Begabung, es wird ebenso<br />
dem s<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>ten Faktum verdankt, daß die Grie<strong>ch</strong>en die östli<strong>ch</strong>sten der Westli<strong>ch</strong>en sind: sie<br />
konnten damals an allen Forts<strong>ch</strong>ritten partizipieren.« (Die orientalisierende Epo<strong>ch</strong>e in der<br />
grie<strong>ch</strong>is<strong>ch</strong>en Religion und Literatur, 1984, 117f).
<strong>Swedenborgs</strong> <strong>alte</strong> <strong>Kir<strong>ch</strong>e</strong> <strong>neu</strong> <strong>entdeckt</strong> 9<br />
Nun zu den vier s<strong>ch</strong>öpferis<strong>ch</strong>en Gottheiten der Sumerer. Im Himmelsgott An<br />
und seiner Erd- oder Muttergöttin kann man den inneren und den äußeren<br />
Mens<strong>ch</strong>en sehen. <strong>Swedenborgs</strong> Auslegung <strong>von</strong> Genesis 1,1 in HG 16 lädt<br />
dazu ein. Allerdings gilt diese Deutung nur, wenn man als Bezugsrahmen die<br />
Wiedergeburt des Mens<strong>ch</strong>en wählt, wie Swedenborg dies in HG 6 tut. In<br />
einem anderen Rahmen kommt man zu anderen Deutungen. So können<br />
Himmel und Erde in Bezug auf Gott sein Sein und sein Wesen im Sinne der<br />
WCR bedeuten. Interessanterweise ist An ein untätiger Gott, ein deus otiosus.<br />
Dementspre<strong>ch</strong>end entzieht si<strong>ch</strong> au<strong>ch</strong> das göttli<strong>ch</strong>e Sein anders als sein Wesen<br />
der mens<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>en Erfahrbarkeit und ist somit für den Mens<strong>ch</strong>en wie<br />
etwas Untätiges.<br />
Die Erde als Muttergöttin gebiert die Ideen des Urgrundes. Dieses Wissen hat<br />
den Weg sogar bis in unsere Spra<strong>ch</strong>e gefunden, denn Mutter Natur <strong>von</strong><br />
lateinis<strong>ch</strong> natus, was geboren bedeutet, ist ni<strong>ch</strong>ts anderes als die aus Gott<br />
geborene Gebärerin, die Matrix aller Dinge. Glei<strong>ch</strong>es gilt für das grie<strong>ch</strong>is<strong>ch</strong>e<br />
Wort Physis, <strong>von</strong> dem unsere Physik, die Lehre <strong>von</strong> den (s<strong>ch</strong>einbar)<br />
unbelebten Dingen der Natur, ihren Namen hat. Im S<strong>ch</strong>öpfungsberi<strong>ch</strong>t der<br />
Bibel, wel<strong>ch</strong>e die <strong>alte</strong>n Gottheiten in den Monotheismus eingliedern und zum<br />
Vers<strong>ch</strong>winden bringen will, ist die Erde no<strong>ch</strong> halbwegs deutli<strong>ch</strong> als ehemalige<br />
Muttergöttin erkennbar. Denn während sonst immer Gott aktiv-s<strong>ch</strong>öpferis<strong>ch</strong><br />
ist, ist es in Genesis 1,12 die Erde, dort bringt sie etwas hervor, nämli<strong>ch</strong> die<br />
Pflanzen.<br />
Enlil ist der Gott der Luft und besonders des Windes. Das ar<strong>ch</strong>ais<strong>ch</strong>e Bewusstsein<br />
erlebte im Wind »den Geist oder das Leben« (HG 97). Die<br />
biblis<strong>ch</strong>en Spra<strong>ch</strong>en bestätigen diesen Zusammenhang. Denn das<br />
hebräis<strong>ch</strong>e Rua<strong>ch</strong> und das grie<strong>ch</strong>is<strong>ch</strong>e P<strong>neu</strong>ma bedeuten Wind und Geist.<br />
Glei<strong>ch</strong>es gilt für das lateinis<strong>ch</strong>e Wort Spiritus. Die Naturerfahrung des Windes<br />
entspri<strong>ch</strong>t dem Geisterlebnis der Anwehung dur<strong>ch</strong> das göttli<strong>ch</strong> Wahre. Die<br />
Seele atmet das Wahre des göttli<strong>ch</strong>en Geistes ein (OE 419, EO 343). Enlil ist<br />
der aktive Gott und in vielerlei Hinsi<strong>ch</strong>t der vornehmste im sumeris<strong>ch</strong>en<br />
Pantheon. Der Geist ist die aktiv-s<strong>ch</strong>öpferis<strong>ch</strong>e Kraft par excellence im<br />
Mens<strong>ch</strong>en. Enlil ist der »Göttervater« und der Geist der Ursprung aller<br />
göttli<strong>ch</strong>en Kräfte im Mens<strong>ch</strong>en. Enlil ist der »König Himmels und der Erde«<br />
und das Geistwahre der Herrs<strong>ch</strong>er im Mikrokosmos Mens<strong>ch</strong>. Folgli<strong>ch</strong> erhält
<strong>Swedenborgs</strong> <strong>alte</strong> <strong>Kir<strong>ch</strong>e</strong> <strong>neu</strong> <strong>entdeckt</strong> 10<br />
Enlil das Beiwort »der große Berg«, denn der göttli<strong>ch</strong>e Geist ist die sehr<br />
erhabene Ma<strong>ch</strong>t im Mens<strong>ch</strong>en.<br />
Enlil trennt Himmel und Erde. Glei<strong>ch</strong>es gilt in Ägypten für den Luftgott S<strong>ch</strong>u.<br />
Der Gottesgeist des Wahren s<strong>ch</strong>afft auf diese Weise das Spannungsfeld <strong>von</strong><br />
oben und unten oder <strong>von</strong> Sinn und Sinnli<strong>ch</strong>keit, in dem si<strong>ch</strong> das mens<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>e<br />
Bewusstsein entf<strong>alte</strong>n kann. Au<strong>ch</strong> im biblis<strong>ch</strong>en S<strong>ch</strong>öpfungsberi<strong>ch</strong>t werden<br />
Himmel und Erde ges<strong>ch</strong>ieden. Dort allerdings dur<strong>ch</strong> die raqia. Swedenborg<br />
übersetzte dieses Wort mit Ausbreitung (expansum). Das führt zu der<br />
Vermutung eines Zusammenhanges zwis<strong>ch</strong>en der biblis<strong>ch</strong>en Ausbreitung<br />
und der altorientalis<strong>ch</strong>en Vorstellung der si<strong>ch</strong> ausbreitenden Luft. Im biblis<strong>ch</strong>en<br />
Beri<strong>ch</strong>t s<strong>ch</strong>webt der Geistbraus Gottes vor der S<strong>ch</strong>öpfung (= Wiedergeburt)<br />
no<strong>ch</strong> über den Wassern. Dur<strong>ch</strong> seine Worte und Werke wird er<br />
dann aber au<strong>ch</strong> im S<strong>ch</strong>öpfungsraum si<strong>ch</strong>tbar und füllt ihn aus. 13<br />
Enki ist der Gott des unterirdis<strong>ch</strong>en Süßwasserozeans. Das Wasser Enkis tritt<br />
in den Quellen zutage und verleiht der Erde Fru<strong>ch</strong>tbarkeit. Zuglei<strong>ch</strong> ist Enki der<br />
Gott der Weisheit bis hin zum praktis<strong>ch</strong>en Wissen der Handwerker. Aus<br />
swedenborgs<strong>ch</strong>er Si<strong>ch</strong>t ist dieser Zusammenhang sehr gut na<strong>ch</strong>vollziehbar,<br />
denn das Wasser entspri<strong>ch</strong>t dem Wahren (HG 2702). Allerdings entspra<strong>ch</strong><br />
au<strong>ch</strong> s<strong>ch</strong>on der Wind dem Wahren, jedo<strong>ch</strong> dem Wahren des Geistes. Das<br />
Wasser entspri<strong>ch</strong>t demgegenüber dem Wahren der Seele. 14 So sehen wir<br />
also in Enlil und Enki das Einströmen des Geistes und die Seele.<br />
So kann man in den vier Urmä<strong>ch</strong>ten die geistige Welt oder Gott (Himmel) und<br />
die materielle Welt oder den Körper (Erde) sehen und dazwis<strong>ch</strong>en den<br />
Mens<strong>ch</strong>en als Geist (Luft, Wind oder Atem) und Seele (Wasser).<br />
3.3. Die Mythen<br />
Mythen sind ein wesentli<strong>ch</strong>er Bestandteil der altorientalis<strong>ch</strong>en Religionen. In<br />
der Regel versteht man darunter Götterges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>ten (RGG 2 IV,363). Do<strong>ch</strong><br />
13 Vgl. hierzu die Deutung Jakob Lorber: »Die >Wasser< sind eure s<strong>ch</strong>le<strong>ch</strong>ten Erkenntnisse in<br />
allen Dingen, über denen wohl au<strong>ch</strong> der Gottesgeist s<strong>ch</strong>webt, aber no<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t in ihnen ist.«<br />
(GEJ 1,157,4).<br />
14 Für die Tiefenpsy<strong>ch</strong>ologie ist das dunkle, unergründli<strong>ch</strong>e Wasser ein Symbol des Unbewußten.<br />
In Goethes »Gesang der Geister über dem Wasser« heißt es: »Des Mens<strong>ch</strong>en Seele / Glei<strong>ch</strong>t<br />
dem Wasser: / … / Seele des Mens<strong>ch</strong>en / Wie glei<strong>ch</strong>st du dem Wasser! / S<strong>ch</strong>icksal des<br />
Mens<strong>ch</strong>en, / Wie glei<strong>ch</strong>st du dem Wind!«
<strong>Swedenborgs</strong> <strong>alte</strong> <strong>Kir<strong>ch</strong>e</strong> <strong>neu</strong> <strong>entdeckt</strong> 11<br />
diese Definition trifft ni<strong>ch</strong>t den Kern des Mythos, sondern bes<strong>ch</strong>reibt nur allgemein<br />
dessen Inhalt. Der Mythos ist vielmehr eine Erzählung 15 , der die <strong>alte</strong><br />
Wissens<strong>ch</strong>aft der Entspre<strong>ch</strong>ungen zu Grunde liegt.<br />
Die Worte Mythos, Mythologiae oder Mythologica su<strong>ch</strong>t man bei Swedenborg<br />
vergebens. Stattdessen verwendet er Fabula und Fabulosa 16 . Und wenn er<br />
damit Mythen meint, dann die der grie<strong>ch</strong>is<strong>ch</strong>en Mythologie, denn die<br />
altorientalis<strong>ch</strong>en kennt er no<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t. Weitere wi<strong>ch</strong>tige Begriffe sind Correspondentia<br />
(die Entspre<strong>ch</strong>ung oder Korrespondenz des Si<strong>ch</strong>tbaren mit dem<br />
Unsi<strong>ch</strong>tbaren und umgekehrt), Significativa (Zei<strong>ch</strong>en als Träger <strong>von</strong><br />
Bedeutungen), Repraesentativa (Gegenstände oder rituelle Handlungen zur<br />
Darstellung des Unsi<strong>ch</strong>tbaren) und historica facta (erfundene Ges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>ten in<br />
einem historis<strong>ch</strong>en Gewand) 17 .<br />
Das lateinis<strong>ch</strong>e Wort fabula hat bei Swedenborg eine doppelte, im Ganzen<br />
aber eher abwertende Bedeutung. Es meint die Fabel im Sinne einer<br />
erdi<strong>ch</strong>teten, sagenhaften Ges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te, einer Erfindung der Phantasie. Diese<br />
Bedeutung ist die vorherrs<strong>ch</strong>ende. Andererseits sind aber au<strong>ch</strong> die (grie<strong>ch</strong>is<strong>ch</strong>en)<br />
Mythen gemeint, die traditionsges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong> mit dem <strong>alte</strong>n Wissen um<br />
die Entspre<strong>ch</strong>ungen zusammenhängen, wennglei<strong>ch</strong> sie s<strong>ch</strong>on damals ni<strong>ch</strong>t<br />
mehr verstanden und bloß für Götterges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>ten geh<strong>alte</strong>n wurden. Die abwertende<br />
Bedeutung kommt deutli<strong>ch</strong> an folgenden Stellen zum Ausdruck. In<br />
HG 2403 spri<strong>ch</strong>t Swedenborg <strong>von</strong> »S<strong>ch</strong>erz, Fabel und albernem Gerede«. In<br />
WCR 160 sagt jemand: »Folgli<strong>ch</strong> ist die Hölle eine Fabel, <strong>von</strong> der Geistli<strong>ch</strong>keit<br />
erfunden, um uns abzus<strong>ch</strong>recken, böse zu leben.« Und in LS 21 heißt es: Die<br />
Wissens<strong>ch</strong>aft der Entspre<strong>ch</strong>ungen wurde in Grie<strong>ch</strong>enland »in Fabelhaftes<br />
(fabulosa) verkehrt, wie man aus den S<strong>ch</strong>riften der ältesten Di<strong>ch</strong>ter dort<br />
erkennen kann.« Andererseits sind aber au<strong>ch</strong> die Mythen gemeint. Dazu die<br />
folgenden Belegstellen. In WCR 112 s<strong>ch</strong>reibt Swedenborg: »… und dann<br />
geriet i<strong>ch</strong> ins Na<strong>ch</strong>sinnen über die Mythen (fabulis) der Weisen des Altertums,<br />
die die Morgenröte mit silbernen Flügeln und Gold im Munde darstellten.« Zu<br />
15 Das grie<strong>ch</strong>is<strong>ch</strong>e Wort Mythos bedeutet Rede, Wort, Erzählung, Ges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te.<br />
16 fabula (HG 1386, 2403, EL 182, 521, WCR 112, 160, 178, 693), fabulosa (HG 4280, LS 20,<br />
21, WCR 202).<br />
17 historica facta (OE 725, HG 1403, 2607, 9942), historicum factum (HG 1315), facta historica<br />
(HG 1020), stilus historicus factus (HG 1140).
<strong>Swedenborgs</strong> <strong>alte</strong> <strong>Kir<strong>ch</strong>e</strong> <strong>neu</strong> <strong>entdeckt</strong> 12<br />
den Erzählungen über Pegasus heißt es: »… das nennt man heute Mythen<br />
(fabulae), aber es waren Entspre<strong>ch</strong>ungen, in denen die frühen Mens<strong>ch</strong>en<br />
geredet haben.« (WCR 693). Und in EL 521 erwähnt Swedenborg »die<br />
sagenhaften Erzählungen (fabulae) <strong>von</strong> Odysseus und Kirke«.<br />
Die altorientalis<strong>ch</strong>en Mythen und Epen kannte Swedenborg no<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t.<br />
Stattdessen spri<strong>ch</strong>t er vom <strong>alte</strong>n Wort und meint damit die heilige S<strong>ch</strong>rift der<br />
<strong>alte</strong>n <strong>Kir<strong>ch</strong>e</strong>, dessen Wurzeln bis in die Zeit der ältesten <strong>Kir<strong>ch</strong>e</strong> zurückrei<strong>ch</strong>en.<br />
Und er sagt uns: »Darüber hinaus hörte i<strong>ch</strong> <strong>von</strong> den Engeln, daß die ersten<br />
Kapitel des ersten Bu<strong>ch</strong>es Mose, die <strong>von</strong> der S<strong>ch</strong>öpfung, <strong>von</strong> Adam und Eva<br />
im Garten Eden und <strong>von</strong> ihren Söhnen und Na<strong>ch</strong>kommen bis zur Sintflut und<br />
s<strong>ch</strong>ließli<strong>ch</strong> <strong>von</strong> Noah und dessen Söhnen handeln, si<strong>ch</strong> ebenfalls bereits in<br />
jenem Alten Wort fanden, also <strong>von</strong> Moses daraus abges<strong>ch</strong>rieben worden<br />
waren.« (WCR 279, vgl. au<strong>ch</strong> LS 103). Wenn man nun die Annahme ma<strong>ch</strong>t,<br />
dass die heute bekannten altorientalis<strong>ch</strong>en Mythen traditionsges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong><br />
ebenfalls mit dem <strong>alte</strong>n Wort zusammenhängen, dann kommt man zu dem<br />
S<strong>ch</strong>luss, dass diese Mythen und die Urges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>ten der Genesis denselben<br />
Ursprung haben. Tatsä<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong> ist das au<strong>ch</strong> die Meinung der gegenwärtigen<br />
Fors<strong>ch</strong>ung. Hartmut Gese hat sogar gezeigt, »wie ni<strong>ch</strong>t nur einzelne Elemente<br />
dieser Vorges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te (= Urges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te der Genesis), sondern die ganze<br />
Abfolge <strong>von</strong> S<strong>ch</strong>öpfung, Urzeit, Sintflut und Neubegründung der<br />
Weltges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te na<strong>ch</strong> der großen Krise s<strong>ch</strong>on in der sumer(is<strong>ch</strong>en)<br />
Ges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>tss<strong>ch</strong>reibung zu finden ist.« 18<br />
Im Folgenden weise i<strong>ch</strong> auf einige altorientalis<strong>ch</strong>e Parallelen zur ersten und<br />
zweiten S<strong>ch</strong>öpfungsges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te, zum Stammbaum <strong>von</strong> Adam bis Noah und zu<br />
den Sintfluterzählungen hin.<br />
Zur S<strong>ch</strong>öpfungsges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te <strong>von</strong> Genesis 1,1 bis 2,4a. Die S<strong>ch</strong>öpfung dur<strong>ch</strong><br />
das Spre<strong>ch</strong>en Gottes ist im »Denkmal memphitis<strong>ch</strong>er Theologie« bezeugt.<br />
Ptah ers<strong>ch</strong>afft die Welt dur<strong>ch</strong> das Wort seines Herzens und seiner Zunge. 19 Im<br />
babylonis<strong>ch</strong>en Welts<strong>ch</strong>öpfungsepos Enuma elis<strong>ch</strong> besiegt Marduk das unge-<br />
18 Walther Zimmerli, Grundriß der alttestamentli<strong>ch</strong>en Theologie, 1989, 147.<br />
19 W<strong>alte</strong>r Beyerlin, Religionsges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong>es Textbu<strong>ch</strong> zum Alten Testament, 1985, 31f. Eine<br />
Zusammenstellung vieler ägyptis<strong>ch</strong>er Stellen zur S<strong>ch</strong>öpfung dur<strong>ch</strong> das Wort findet man bei J.<br />
Zandee, Das S<strong>ch</strong>öpferwort im Alten Ägypten, 1964, 33-66. Auf das Denken im Herzen hat im<br />
19. Jahrhundert Jakob Lorber hingewiesen.
<strong>Swedenborgs</strong> <strong>alte</strong> <strong>Kir<strong>ch</strong>e</strong> <strong>neu</strong> <strong>entdeckt</strong> 13<br />
heuerli<strong>ch</strong>e Meer namens Tiamat. Es begegnet uns in der Bibel als Tehom.<br />
Genesis 1,2 nennt vier Mä<strong>ch</strong>te vor der S<strong>ch</strong>öpfung: das Tohuwabohu, die<br />
Finsternis, das Chaosmeer (Tehom) und den Gotteswind. Damit verglei<strong>ch</strong>bar<br />
sind die vier Urwesen aus der ägyptis<strong>ch</strong>en Stadt Hermopolis. 20 Mehrere<br />
Kosmogonien beri<strong>ch</strong>ten <strong>von</strong> den Trennung <strong>von</strong> Himmel und Erde. So zerteilt<br />
Marduk den Lei<strong>ch</strong>nam <strong>von</strong> Tiamat und bildet aus den Hälften Himmel und<br />
Erde. Der ägyptis<strong>ch</strong>e Luftgott S<strong>ch</strong>u wölbt den Himmel na<strong>ch</strong> oben und trennt<br />
ihn auf diese Weise <strong>von</strong> der Erde. Die engsten Parallelen zur Gottesebenbildli<strong>ch</strong>keit<br />
des Mens<strong>ch</strong>en »gibt es in Ägypten … für den Pharao als auf<br />
Erden lebendes Abbild des Gottes.« 21 Zur Herrs<strong>ch</strong>aft über die Tiere kann man<br />
darauf verweisen, dass si<strong>ch</strong> Könige gern als Sieger über gefährli<strong>ch</strong>e Tiere<br />
darstellen ließen. 22 »Das Motiv, daß Mens<strong>ch</strong>en ursprüngli<strong>ch</strong> <strong>von</strong> Pflanzen<br />
lebten, gibt es au<strong>ch</strong> in Mesopotamien«, und zwar im Gilgames<strong>ch</strong>epos und in<br />
einem sumeris<strong>ch</strong>en Text zur Mens<strong>ch</strong>ens<strong>ch</strong>öpfung. 23<br />
Zur S<strong>ch</strong>öpfungsges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te <strong>von</strong> Genesis 2,4b bis 3,24. Die Mens<strong>ch</strong>ens<strong>ch</strong>öpfung<br />
aus vergängli<strong>ch</strong>em Stoff ist weit verbreitet. Der ägyptis<strong>ch</strong>e Gott<br />
Chnum beispielsweise formt Amenophis‘ III. auf der Töpfers<strong>ch</strong>eibe. 24 Au<strong>ch</strong> zur<br />
Einhau<strong>ch</strong>ung des Lebensatems gibt es ni<strong>ch</strong>t wenige Analogien. So hält die<br />
ägyptis<strong>ch</strong>e »Göttin Hathor das Lebenszei<strong>ch</strong>en an die Nase der <strong>von</strong> Chnum<br />
ers<strong>ch</strong>affenen Mens<strong>ch</strong>en oder bildet Prometheus den Mens<strong>ch</strong>en aus Ton und<br />
belebt ihn dur<strong>ch</strong> den <strong>von</strong> den Göttern entwendeten Funken«. 25 Der Baum des<br />
Lebens meint »eine Lebenspflanze wie im Gilgames<strong>ch</strong>-Epos oder eine Lebensspeise<br />
wie im Adapa-Mythos. - Für Ägypten wäre auf das Grab des Nefer-<br />
20 Othmar Keel s<strong>ch</strong>lägt die folgende Zuordnung vor: »Wie man die vier Chaosgottheiten den vier<br />
Gegebenheiten der Welt vor der S<strong>ch</strong>öpfung in Gen 1,2 zuordnen soll, ist umstritten. Am<br />
wahrs<strong>ch</strong>einli<strong>ch</strong>sten s<strong>ch</strong>eint mir die oft vertretene Glei<strong>ch</strong>ung <strong>von</strong> Nun mit Urflut … <strong>von</strong> Dunkel mit<br />
Dunkel … <strong>von</strong> Lufthau<strong>ch</strong> mit Gotteswind … und - am unsi<strong>ch</strong>ersten - <strong>von</strong> Unendli<strong>ch</strong>keit mit<br />
Tohuwabohu.« (Altägyptis<strong>ch</strong>e und biblis<strong>ch</strong>e Weltbilder, die Anfänge der vorsokratis<strong>ch</strong>en<br />
Philosophie und das Ar<strong>ch</strong>e-Problem in späten biblis<strong>ch</strong>en S<strong>ch</strong>riften, in: Bernd Janowski, Beate<br />
Ego, Das biblis<strong>ch</strong>e Weltbild und seine altorientalis<strong>ch</strong>en Kontexte, 2001, 31).<br />
21 H. Seebass, a.a.O., 80.<br />
22 H. Seebass, a.a.O., 81.<br />
23 H. Seebass, a.a.O., 85.<br />
24 H. Seebass: »Vielmehr ist die Formung z.B. Amenophis‘ III. dur<strong>ch</strong> Chnum auf der<br />
Töpfers<strong>ch</strong>eibe die Verfeinerung eines viel verbreiteteren Motivs der Mens<strong>ch</strong>enformung aus<br />
vergängli<strong>ch</strong>em Stoff, den sowohl Staub wie Acker benennen« (a.a.O., 106).<br />
25 H. Seebass, a.a.O., 106.
<strong>Swedenborgs</strong> <strong>alte</strong> <strong>Kir<strong>ch</strong>e</strong> <strong>neu</strong> <strong>entdeckt</strong> 14<br />
herenptah in Saqqaru … zu verweisen, wo Weinstock und Baum den Wuns<strong>ch</strong><br />
der Verstorbenen na<strong>ch</strong> Erfris<strong>ch</strong>ung und Nahrung symbolisieren.« 26 »Der<br />
Mens<strong>ch</strong> soll ni<strong>ch</strong>t ewig leben - deswegen stiehlt eine S<strong>ch</strong>lange Gilgames<strong>ch</strong><br />
die Lebenspflanze, während er badet; deswegen gibt der Gott Ea dem Adapa<br />
eine fals<strong>ch</strong>e Auskunft zu der ihm <strong>von</strong> den Göttern angebotenen<br />
Lebensspeise, als wäre sie tödli<strong>ch</strong>.« 27 Von paradiesis<strong>ch</strong>en Zuständen im<br />
Lande Tilmun ist im sumeris<strong>ch</strong>en Mythos »Enki und Nin<strong>ch</strong>ursanga« die<br />
Rede. 28 Die Fellbekleidung des ersten Mens<strong>ch</strong>enpaares kann man mit der<br />
<strong>alte</strong>rtümli<strong>ch</strong>en Kleidung sumeris<strong>ch</strong>er Beter verglei<strong>ch</strong>en. 29<br />
Zum Stammbaum in Genesis 5,1-32 und zur Sintflut. Die hohen Lebens<strong>alte</strong>r<br />
der Väter <strong>von</strong> Adam bis Noah sind mit denen der Könige vor der Sintflut in der<br />
sumeris<strong>ch</strong>en Königsliste vergli<strong>ch</strong>en worden. 30 Fluterzählungen sind auf der<br />
ganzen Welt zu finden. Aus Mesopotamien sind drei Fassungen bekannt: die<br />
sumeris<strong>ch</strong>e, die im Atramhasisepos und die auf der 11. Tafel des<br />
Gilgames<strong>ch</strong>epos. Neben erhebli<strong>ch</strong>en Unters<strong>ch</strong>ieden sind große Ähnli<strong>ch</strong>keiten<br />
zu beoba<strong>ch</strong>ten. Utnapis<strong>ch</strong>tim beispielsweise, der Noah des<br />
Gilgames<strong>ch</strong>epos, legte na<strong>ch</strong> der Flut mit seinem S<strong>ch</strong>iff am Berge Nisir an. Er<br />
sandte Vögel zur Erkundung des Wasserstandes aus, erst eine Taube, dann<br />
eine S<strong>ch</strong>walbe und s<strong>ch</strong>ließli<strong>ch</strong> einen Raben. Na<strong>ch</strong> dem Ausstieg aus dem<br />
S<strong>ch</strong>iff bra<strong>ch</strong>te er ein Opfer dar. Ganz ähnli<strong>ch</strong> Noah. Seine Ar<strong>ch</strong>e landete auf<br />
dem Berge Ararat. Er sandte erst einen Raben, dann zweimal eine Taube aus.<br />
Na<strong>ch</strong> dem Ausstieg bra<strong>ch</strong>te au<strong>ch</strong> er ein Opfer dar. 31 In Ägypten ist der Mythos<br />
<strong>von</strong> der Himmelskuh beheimatet, der ebenfalls <strong>von</strong> einer Verni<strong>ch</strong>tung des<br />
Mens<strong>ch</strong>enges<strong>ch</strong>le<strong>ch</strong>tes beri<strong>ch</strong>tet, die hier allerdings dur<strong>ch</strong> die Glut der<br />
Sonne, ni<strong>ch</strong>t dur<strong>ch</strong> eine Übers<strong>ch</strong>wemmung, ges<strong>ch</strong>ieht.<br />
Die grie<strong>ch</strong>is<strong>ch</strong>e und römis<strong>ch</strong>e Mythologie ist ein Ausläufer der <strong>alte</strong>n Weisheit.<br />
Swedenborg deutet einige ihrer Motive im Sinne seiner Wissens<strong>ch</strong>aft der Ent-<br />
26 H. Seebass, a.a.O., 109.<br />
27 H. Seebass, a.a.O., 131.<br />
28 W. Beyerlin, Religionsges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong>es Textbu<strong>ch</strong> zum Alten Testament, 1985, 110f.<br />
29 H. Seebass, a.a.O., 130.<br />
30 Zum Für und Wider der Verglei<strong>ch</strong>barkeit siehe H. Seebass, a.a.O., 182f.<br />
31 Einen ausführli<strong>ch</strong>eren Verglei<strong>ch</strong> mit den mesopotamis<strong>ch</strong>en Fassungen findet man bei H.<br />
Seebass, a.a.O., 231-236.
<strong>Swedenborgs</strong> <strong>alte</strong> <strong>Kir<strong>ch</strong>e</strong> <strong>neu</strong> <strong>entdeckt</strong> 15<br />
spre<strong>ch</strong>ungen. Außerdem erwähnt er in »De Verbo« Ovids Metamorphosen. Im<br />
Folgenden zitiere i<strong>ch</strong> zwei längere Passagen aus den Himmlis<strong>ch</strong>en Geheimnissen,<br />
die im Hinblick auf <strong>Swedenborgs</strong> Deutung <strong>von</strong> Motiven der antiken<br />
Mythologie etwas ergiebiger sind. Weitere Hinweise findet man beispielsweise<br />
in LS 117, WCR 275, OE 405, OE 1118 und HG 7729.<br />
»Den Helikon stellten sie (die Mens<strong>ch</strong>en der grie<strong>ch</strong>is<strong>ch</strong>en Antike) als einen<br />
Berg dar und verstanden darunter den Himmel, den Parnaß weiter unten als<br />
einen Hügel und verstanden darunter das erworbene Wissen. Sie sagten, ein<br />
geflügeltes Pferd, das sie Pegasos nannten, habe dort (am Helikon) eine<br />
Quelle mit seinem Huf entspringen lassen. Die Wissens<strong>ch</strong>aften nannten sie<br />
Jungfrauen usw. Sie wussten nämli<strong>ch</strong> aus den Entspre<strong>ch</strong>ungen und Vorbildungen<br />
das Folgende: Der Berg ist der Himmel und der Hügel der Himmel,<br />
der unten oder bei den Mens<strong>ch</strong>en ist. Das Pferd ist das Vermögen zu<br />
verstehen. Die Flügel, mit denen es flog, sind das Geistige und der Huf das<br />
Natürli<strong>ch</strong>e. Die Quelle ist das Verständnis. Die drei Jungfrauen, die man<br />
Grazien nannte, sind die Neigungen zu Guten, und die Jungfrauen, die man<br />
Helikoniden und Parnassiden nannte, die Neigungen zum Wahren. Ebenso<br />
gaben sie der Sonne Pferde bei, deren Speise sie Ambrosia und deren Trank<br />
sie Nektar nannten, denn sie wußten, dass die Sonne die himmlis<strong>ch</strong>e Liebe,<br />
die Pferde das <strong>von</strong> daher stammende Verständige, die Speisen das<br />
Himmlis<strong>ch</strong>e und die Getränke das Geistige bedeuten.« (HG 4966).<br />
»Von der <strong>alte</strong>n <strong>Kir<strong>ch</strong>e</strong> ist die Bedeutung des Pferdes als Sinnbild des Verständigen<br />
zu den Weisen in der Umgebung und so au<strong>ch</strong> na<strong>ch</strong> Grie<strong>ch</strong>enland gekommen.<br />
Daher die folgenden Motive bei ihnen: Wenn sie die Sonne (Helios)<br />
bes<strong>ch</strong>rieben, wel<strong>ch</strong>e die Liebe bezei<strong>ch</strong>nete, dann setzten sie den Gott ihrer<br />
Weisheit und Einsi<strong>ch</strong>t (Apollon) dorthin 32 und gaben ihm (Helios) einen<br />
Wagen mit vier feurigen Pferden. Wenn sie den Gott des Meeres (Poseidon)<br />
bes<strong>ch</strong>rieben, dann gaben sie ihm ebenfalls Pferde, weil dur<strong>ch</strong> das Meer die<br />
Wissens<strong>ch</strong>aften im allgemeinen bezei<strong>ch</strong>net wurden. Wenn sie die Herkunft<br />
der Wissens<strong>ch</strong>aften aus dem Verständigen bes<strong>ch</strong>rieben, dann erdi<strong>ch</strong>teten<br />
sie ein geflügeltes Pferd (Pegasos), das mit seinem Huf eine Quelle<br />
32 Phoibos (= der Leu<strong>ch</strong>tende) Apollon, der Gott des Li<strong>ch</strong>tes, der Weisheit und Weissagung,<br />
wurde mit dem Sonnengott Helios glei<strong>ch</strong>gesetzt.
<strong>Swedenborgs</strong> <strong>alte</strong> <strong>Kir<strong>ch</strong>e</strong> <strong>neu</strong> <strong>entdeckt</strong> 16<br />
entspringen ließ, an der Jungfrauen saßen, wel<strong>ch</strong>e die Wissens<strong>ch</strong>aften<br />
darstellen sollten. Und das Trojanis<strong>ch</strong>e Pferd bezei<strong>ch</strong>nete ni<strong>ch</strong>ts anderes als<br />
die Kunstfertigkeit ihres Verstandes, Mauern zu zerstören. Wenn heute das<br />
Verständige bes<strong>ch</strong>rieben wird, dann ges<strong>ch</strong>ieht das zwar au<strong>ch</strong> no<strong>ch</strong> na<strong>ch</strong> der<br />
<strong>von</strong> den Alten überlieferten Weise dur<strong>ch</strong> das geflügelte Pferd oder den<br />
Pegasos, und au<strong>ch</strong> die Bildung wird dur<strong>ch</strong> eine Quelle bes<strong>ch</strong>rieben, aber<br />
kaum jemand weiß, dass das Pferd im mystis<strong>ch</strong>en Sinn das Verständnis und<br />
die Quelle das Wahre bedeutet. No<strong>ch</strong> weniger weiß man, dass diese<br />
Bedeutungen <strong>von</strong> der <strong>alte</strong>n <strong>Kir<strong>ch</strong>e</strong> auf die Heiden übergegangen sind.« (HG<br />
2762).<br />
OT 3 (2003) 129-144