Programm “Die Schöpfung” (pdf) - BadnerHalle Rastatt
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EINFÜHRUNG<br />
Joseph Haydn – Die Schöpfung<br />
„Wir glauben nicht zu irren, wenn wir einen Hauptgrund<br />
dieses allgemeinen Interesses an jenem Werke, außer<br />
seinem reinen Kunstwerth, darin finden, daß es ... das<br />
Hohe und Tiefe der Tonkunst so glücklich mit dem Populären<br />
und Gefälligen verbindet.“<br />
(Verlagsanzeige Breitkopf & Härtel, 1801)<br />
Mit dem außerordentlichen Erfolg seiner zweiten Reise<br />
nach London in den Jahren 1794/95 schien Joseph<br />
Haydn den Höhepunkt seiner künstlerischen Laufbahn<br />
erreicht zu haben: Er galt nunmehr als der bedeutendste<br />
Komponist Europas und holte zu einem<br />
Spätwerk aus, das keine Summe des bis dahin Geschaffenen,<br />
sondern einen weiteren Anfang darstellt<br />
und neue Wege beschreitet, mehr noch: ein ganz<br />
neues Verständnis von Musik als Kunst zu begründen<br />
versuchte. Zwar fiel in diese Zeit auch die Komposition<br />
der späten Klaviertrios und Streichquartette,<br />
doch waren die so etwas wie letzte Ausläufer eines<br />
kompositorischen Interesses, das sich in den letzten<br />
Lebensjahren anderen Zielen zuwandte.<br />
Die Kunst des Instrumentalkomponisten Haydn, musikalische<br />
Gedanken auf vielfältigste und stets in sich<br />
stimmige Weise kompositorisch zu gestalten, kennzeichnet<br />
auch die späten Vokalwerke – sechs Messen,<br />
zwei Oratorien, ihnen vorangestellt die Oratorienfassung<br />
der Sieben letzten Worte – sie steht hier aber<br />
im Dienst einer Auseinandersetzung mit Texten und<br />
Inhalten, die sich in ganz anderer Weise als die wortlosen<br />
Symphonien, Quartette und Sonaten an ihr Publikum<br />
wenden und zu ihm „sprechen“.<br />
Ein Oratorium zu schreiben, war für Haydn zunächst<br />
einmal nichts Ungewöhnliches. Schon 1775 hatte er<br />
mit Il ritorno di Tobia ein eigenes Oratorium in Wien<br />
zur Aufführung gebracht. Der italienische Titel verrät<br />
bereits, dass dieses Werk einer ganz anderen Oratorientradition<br />
angehört als Haydns oratorische Spätwerke,<br />
denn Il ritorno di Tobia steht unverkennbar der<br />
italienischen Opera seria nahe, deren musikalische<br />
Dramaturgie für diesen Oratorientypus ebenso charakteristisch<br />
ist wie die Vorliebe für vokale Virtuosität.<br />
Sofern sie zu einem bevorzugten Kreis zählten, konnten<br />
Wiener Musikliebhaber allerdings in den Konzerten,<br />
die eine Vereinigung kunstsinniger Aristokraten,<br />
die „Assoziierten Kavaliere“, veranstalteten, auch eine<br />
andere Form des Oratoriums kennenlernen. Seit<br />
1786 wurden in vergleichsweise kleinem Rahmen<br />
dem Zeitgeschmack angepasste Oratorien Händels<br />
aufgeführt, von denen vier (nach neuesten Funden<br />
wahrscheinlich sogar fünf) ihr neues Klanggewand<br />
von Mozart erhielten. Entscheidend für Haydn war<br />
indessen der tiefe Eindruck einiger Londoner Händel-<br />
Aufführungen, an denen mehrere hundert Sänger<br />
und Instrumentalisten beteiligt waren und die insbesondere<br />
die pathetischen und majestätischen Züge<br />
von Händels Musik unterstrichen.<br />
Von seinen Englandreisen brachte Haydn nicht nur<br />
große Begeisterung für Händel, sondern auch das<br />
Textbuch eines unbekannten Verfassers zu einem<br />
Oratorium mit, das den biblischen Schöpfungsbericht<br />
mit Partien aus John Miltons Epos Paradise lost<br />
(„Das verlorene Paradies“) verknüpft. Das ideale Sujet<br />
mitsamt geeignetem Libretto für ein schon lange<br />
geplantes Oratorium, das in den Konzerten der „Assoziizierten<br />
Kavaliere“ aufgeführt werden sollte, war<br />
gefunden. Doch um das Vorhaben verwirklichen zu<br />
können, musste der Text erst einmal ins Deutsche<br />
übersetzt werden. Baron Gottfried van Swieten, Präfekt<br />
der Hofbibliothek und einer der entschiedensten<br />
Anhänger Händels in Wien, übernahm diese Aufgabe.<br />
Haydn begann die Arbeit an der Schöpfung wahrscheinlich<br />
im Herbst 1796, der größere Teil des Werks<br />
ist im folgenden Jahr entstanden. In großer Zahl entstandene<br />
Skizzen zeigen, wie Haydn vor allem um die<br />
definitive Gestaltung der instrumentalen Einleitung,<br />
der vielbewunderten „Vorstellung des Chaos“ gerungen<br />
hat. Die Skizzen zeigen aber auch, dass Haydn<br />
erst in mehreren Arbeitsschritten zu jenem Stil fand,<br />
der die Schöpfung auszeichnet und von den Zeitgenossen<br />
fast übereinstimmend als neu und großartig<br />
empfunden wurde. Die Sopranarie „Auf starkem<br />
Fittige schwinget sich der Adler stolz“ etwa enthielt<br />
ursprünglich viel ausgedehntere Koloraturpassagen<br />
und virtuose Elemente als die endgültige Fassung.<br />
Die Konzentration auf das Wesentliche, die Bevorzugung<br />
des Schlichten vor dem äußerlich Glanzvollen<br />
ist eine Grundtendenz des Werks, in der die Doktrin<br />
des französischen Klassizismus, dass die Kunst durch<br />
die Kunst verborgen werden sollte, eine fast schon<br />
romantisch zu nennende Neuinterpretation erfährt.<br />
Gerade durch vermeintliche Einfachheit, die aber<br />
stets das Ergebnis gestalterischen Kalküls ist, erzielt<br />
Haydn die größten Wirkungen. Die Mittel, die er beispielsweise<br />
zur Darstellung der Lichtwerdung einsetzt,<br />
sind denkbar schlicht: An die Stelle eines kleinen<br />
Ensembles (zunächst Chor und gedämpftes Streichorchester,<br />
dann nur noch der in Oktaven singende<br />
Chor) tritt das Tutti des großbesetzten Orchesters<br />
und das lange vorherrschende Pianissimo wird durch<br />
ein plötzlich hervorbrechendes Fortissimo abgelöst.<br />
Das „chiaroscuro“, das Spiel mit hellen und dunklen<br />
Klangfarben, gehörte zwar schon lange zu den Prinzipien,<br />
die Musik mit der bildenden Kunst teilte, nie<br />
zuvor war der Gegensatz dynamisch-klanglicher Valeurs<br />
aber so dramatisch herausgestellt worden wie<br />
bei dem Ausruf „und es ward Licht“. Die Erschütterung,<br />
die Haydn mit vermeintlich einfachsten Mitteln<br />
zu erzielen vermochte (und heute noch vermag),<br />
wurde von den Zeitgenossen mit jenen Eindrücken<br />
verglichen, die ein Betrachter angesichts majestätischer<br />
Gebirgszüge oder großartiger Ozeane empfängt,<br />
Modellfälle des Erhabenen, wie es in der Ästhetik<br />
des späten 18. Jahrhunderts verstanden wurde.<br />
Der C-Dur-Durchbruch bei „und es ward Licht“ exponiert<br />
nach der Verhaltenheit des Anfangs auf eindringliche<br />
Weise das Prinzip des Kontrastes, das grundlegend<br />
für die Schöpfung ist. Wo immer es möglich<br />
war, hat der Textdichter Gegensatzpaare gebildet, an<br />
denen sich die reiche Phantasie Haydns entzünden<br />
konnte: Sonne und Mond, Mann und Weib, das aufgewühlte<br />
Meer und der sanft plätschernde Bach und<br />
vieles mehr. Diesen Paaren ist gemein, dass sie sich<br />
komplementär zueinander verhalten und sich jeweils<br />
zu einer höheren Einheit verbinden. Die Verknüpfung<br />
des vermeintlich Gegensätzlichen zu einem Ganzen<br />
ist aber auch eine der tragenden Ideen der Musik<br />
Haydns überhaupt, die er in seinen Symphonien und<br />
Kammermusikwerken zu hoher Vollkommenheit entwickelt<br />
hat. Raphaels Arie „Rollend in schäumenden<br />
Wellen“ stellt in ihrem ersten, im pathetischen d-Moll<br />
gehaltenen Teil die Urgewalt des Wassers dar, während<br />
der zweite Teil, nunmehr in D-Dur, sich zur Idylle<br />
wendet. So gegensätzlich sich dieser zweite Teil auch<br />
gibt, so stellt er im Grunde doch nichts anderes als<br />
eine Weiterentwicklung der Musik des ersten Teils<br />
dar – der Gegensatz zwischen unbändiger und sanfter<br />
Natur ist in der Musik sinnlich erfahrbar, zugleich<br />
wird deutlich, dass beide Seiten zusammengehören<br />
und eine Einheit bilden.<br />
Einige zeitgenössische Kritiker nahmen aber Anstoß<br />
an den tonmalerischen Momenten der Schöpfung<br />
und auch spätere Kommentatoren mutmaßten, dass<br />
Haydn sich in dieser Hinsicht zu sehr am Gängelbande<br />
van Swietens bewegt habe. Einen Schlüssel<br />
zur Erklärung der Tonmalereien gibt Haydns Schüler<br />
Ludwig van Beethoven, der Die Schöpfung voller Einsicht<br />
als ein „Lehrgedicht“ bezeichnete, als ein Stück<br />
Unterricht in Musik, wie es zum spätaufklärerischen<br />
Anspruch passt, mit dem vor allem van Swieten, auf<br />
seine Weise, aber auch Haydn sich in diesem Werk ans<br />
Publikum wendet. Die Phänomene der Welt – Regen<br />
und Schnee, Sonne, Mond und Sterne, Blumen und<br />
Tiere – werden zunächst sinnlich wahrnehmbar, man<br />
kann fast sagen: durch das Ohr sichtbar gemacht und<br />
dann mit Worten erläutert. In den zahlreichen orchesterbegleiteten<br />
Rezitativen ergibt das eine bunte<br />
Abfolge kurzer Sätze, die mehr oder weniger unverbunden<br />
nebeneinander stehen. Aus der Oper ist<br />
derlei bekannt und Haydn selbst hat die Technik des<br />
musikalischen Bilderbogens in seinen eigenen Bühnenwerken<br />
bravourös entwickelt. Anders verhält es<br />
sich mit den Arien. Wie in Raphaels Schilderung der<br />
Wasserkräfte sind in den Arien die tonmalerischen<br />
Elemente in einen musikalischen Zusammenhang<br />
eingebunden, der die Hand des genialen Symphonikers<br />
verrät. Und es gehört zur klugen Disposition des<br />
Librettos, dass die Schilderung des Schöpfungswerks<br />
mit ihren vielfältigen Anlässen zur Tonmalerei immer