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Komplexes Modell methodischen Handelns - puwendt.de

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Alles hat Metho<strong>de</strong><br />

Vorlesung im Sommersemester 2010<br />

12. Juli 2010:<br />

<strong>Komplexes</strong> <strong>Mo<strong>de</strong>ll</strong> <strong>methodischen</strong> <strong>Han<strong>de</strong>lns</strong><br />

Prof. Dr. Peter-Ulrich Wendt<br />

1. Anschluss an die Vorlesung am 7. Juli 2010<br />

Zur Erinnerung:<br />

• Case Management ist eingebettet in (aus Aspekten einer ver<strong>de</strong>ckten<br />

Ökonomisierung heraus) die Soziale Arbeit überwölben<strong>de</strong>n Überlegungen<br />

zu Effektivität und Effizienz, Kun<strong>de</strong>nmo<strong>de</strong>ll und Produktorientierung,<br />

betont dabei aber eine eigenständige fachliche Perspektive, ohne doch<br />

gänzlich für managerielle „Hoffnungen“ (bzw. Zwänge [Oktroys])<br />

unempfänglich zu sein.<br />

• Case Management <strong>de</strong>r Sozialen Arbeit und Fallmanagement <strong>de</strong>r<br />

Beschäftigungsaktivierung nach <strong>de</strong>m BA-Fachkonzept stellen zwei<br />

gegenläufige Entwicklungen und ein Spannungsverhältnis dar: in<br />

Anbetracht seines autoritatives Zuschnitts kann das Fallmanagement nach<br />

<strong>de</strong>m SGB II nicht wirklich als Case Management gelten.<br />

• Case Management integriert eklektisch und fallspezifisch konfiguriert<br />

unterschiedliche Metho<strong>de</strong>n bzw. Instrumente <strong>de</strong>r Sozialen Arbeit.<br />

Prof. Dr. Peter-Ulrich Wendt<br />

1


2.1. Metho<strong>de</strong>nbegriff (12. April 2010)<br />

• „Metho<strong>de</strong> ist <strong>de</strong>r theoretisch geklärte Handlungsplan, <strong>de</strong>r in <strong>de</strong>r<br />

Rückschau erkannte und berechtigte Weg <strong>de</strong>r Praxis, <strong>de</strong>r sich in<br />

gewisser Gesichertheit planend in die Zukunft richtet, wenn auch<br />

immer in Bereitschaft, sich von erneuter Besinnung weiterhin<br />

korrigieren und berichtigen zu lassen“ (Erika Hoffmann)<br />

• Metho<strong>de</strong>n stellen - maximal offen für die Bedingungen und<br />

Rahmungen <strong>de</strong>s Fel<strong>de</strong>s und <strong>de</strong>r in ihm han<strong>de</strong>ln<strong>de</strong>n Akteure -<br />

Unterstützung als Anregung und Vermittlung bei <strong>de</strong>r Alltags- bzw.<br />

Lebensbewältigung <strong>de</strong>r Subjekte zur Verfügung;<br />

• zu differenzieren sind Metho<strong>de</strong>n und <strong>de</strong>n Metho<strong>de</strong>n eigene<br />

Instrumente (bzw.: Instrumente sind Teile von Metho<strong>de</strong>n).<br />

Prof. Dr. Peter-Ulrich Wendt<br />

2.2.1. Methodisches Han<strong>de</strong>ln (19. April 2010)<br />

• Methodisches Han<strong>de</strong>ln in <strong>de</strong>r Sozialen Arbeit ist stets methodisch<br />

strukturiert, d. h. situationsangemessen geplant (und daher situativ<br />

offen), als Prozess zirkulär gestaltet, durch Aushandlung und<br />

Vereinbarung mit <strong>de</strong>n Subjekten geprägt und flexibel angelegt.<br />

• Als methodisches Grundmo<strong>de</strong>ll liegt eine Abfolge aus Analyse<br />

(Bestandsaufnahme), methodischer (Vor-) Klärung (Wahl Metho<strong>de</strong>n<br />

und Instrumente), Aushandlung (Vereinbarungen, ggfs. Anpassung<br />

Metho<strong>de</strong>n/Instrumente), Realisierung (Vollzug <strong>de</strong>s Vereinbarten),<br />

Evaluation (Prüfung Ertrag/Erfolg) und ggfs. Rückspeisung in die<br />

Analyse (und Anpassung <strong>de</strong>r Metho<strong>de</strong>) bzw. Abschluss nahe.<br />

• Eingebettet ist dieses Grundmo<strong>de</strong>ll in geeignete Verfahren und<br />

Techniken <strong>de</strong>r Kontaktanbahnung und (sofern möglich) <strong>de</strong>s<br />

Abschlusses.<br />

Prof. Dr. Peter-Ulrich Wendt<br />

2


2.2.2. Methodisches Grundmo<strong>de</strong>ll<br />

methodische<br />

Klärung<br />

Aushandlung<br />

Kontakt<br />

Analyse<br />

Abschluss<br />

Realisierung<br />

Evaluation<br />

Prof. Dr. Peter-Ulrich Wendt<br />

2.3. Empowerment (3. Mai 2010)<br />

methodische<br />

Klärung<br />

Aushandlung<br />

Kontakt<br />

Analyse<br />

Abschluss<br />

Empowerment spielt in<br />

allen Phasen <strong>methodischen</strong><br />

<strong>Han<strong>de</strong>lns</strong> eine zentrale Rolle<br />

Realisierung<br />

Evaluation<br />

Prof. Dr. Peter-Ulrich Wendt<br />

3


2.4. Einzelfallarbeit (10. Mai 2010)<br />

• Die im Anschluss an <strong>de</strong>n US-amerikanischen Metho<strong>de</strong>ndiskurs und<br />

die durch <strong>de</strong>n Nationalsozialismus abgebrochene <strong>de</strong>utsche<br />

Metho<strong>de</strong>ndiskussion entwickelte „klassische“ Einzelhilfe ist in<br />

Deutschland im Zuge <strong>de</strong>r Metho<strong>de</strong>nkritik <strong>de</strong>r 1960er/70er Jahren<br />

„generalüberholt“ wor<strong>de</strong>n.<br />

• Einzelfallarbeit heute stellt - partizipativ - auf lebensweltliche<br />

Bezüge, Kompetenzen und Quellen ab.<br />

• Eingeschlossen ist empowerment-orientiertes Han<strong>de</strong>ln, das<br />

(verborgene, „verschüttete“, vergessene) Ressourcen in <strong>de</strong>r<br />

Lebenswelt erschließt und protektive Faktoren als personale bzw.<br />

soziale Kompetenzen (in <strong>de</strong>r Lebenswelt) stimuliert.<br />

Prof. Dr. Peter-Ulrich Wendt<br />

2.5. Soziale Beratung (17. Mai 2010)<br />

• Soziale Beratung ist keine Form <strong>de</strong>r Therapie; auf Ebene <strong>de</strong>r<br />

Beratungsbeziehung können gleichwohl Aspekte <strong>de</strong>r nicht-direktiven<br />

(therapeutisch-orientierten) Beratung eine zentrale Rolle spielen.<br />

• Soziale Beratung fin<strong>de</strong>t vor allem als Lebensberatung (und nur im<br />

<strong>de</strong>finierten/limitierten Ausnahmefall als Rechtsberatung) statt.<br />

• Zentral ist die Selbstklärung durch das Subjekt; Einschätzungen <strong>de</strong>s<br />

Beraters/<strong>de</strong>r Beraterin sind methodisches Hilfsmittel und in <strong>de</strong>r<br />

Problembewältigung nur nachrangig.<br />

• Unterschiedliche Instrumente (gesprächstrukturierend, inspirierend)<br />

kommen situationsangemessen und situationsreflexiv zum Einsatz.<br />

• Die Kompetenz <strong>de</strong>s/<strong>de</strong>r Sozialen zur situativen Selbstreflexion und<br />

Selbststeuerung bestimmt <strong>de</strong>n Verlauf und <strong>de</strong>r Ertrag <strong>de</strong>r Beratung<br />

(mit).<br />

Prof. Dr. Peter-Ulrich Wendt<br />

4


2.6. Hilfeplanung (31. Mai 2010)<br />

• Hilfeplanung ist als Teil <strong>de</strong>s Prozesses zur Bewältigung einer<br />

komplexen Situation o<strong>de</strong>r eines Problems in <strong>de</strong>r alltäglichen<br />

Lebensbewältigung zu verstehen.<br />

• Anamnestische und diagnostische Prozeduren sind integrale<br />

Bestandteile eines strukturierten Hilfeplanungsprozesses.<br />

• Hilfeplanung als methodisches Instrument dient auch <strong>de</strong>r<br />

I<strong>de</strong>ntifikation entwicklungsfähiger (personaler bzw. sozialer<br />

Ressourcen).<br />

• Verpflichtend ist die Beteiligung <strong>de</strong>r Subjekte, unterschiedlich<br />

allerdings <strong>de</strong>r Grad ihrer Einbindung und Selbst-Expertenschaft.<br />

Prof. Dr. Peter-Ulrich Wendt<br />

2.7. Soziale Gruppenarbeit (7. Juni 2010)<br />

• Soziale Gruppenarbeit als Metho<strong>de</strong> <strong>de</strong>r Sozialen Arbeit fußt auf<br />

Erkenntnisse <strong>de</strong>r Kleingruppenforschung und <strong>de</strong>r Gruppendynamik.<br />

• Sie schließt an die Erfahrung von Menschen unmittelbar an, dass in<br />

Gruppen Ergebnisse schneller, wirkungsvoller und auch von<br />

höherer Qualität erreicht wer<strong>de</strong>n können.<br />

• Soziale nutzen die Gruppe als „Ort“ pädagogischer Inszenierungen,<br />

gemeinsame Lernerfahrungen zu ermöglichen, in<strong>de</strong>m (ggfs.<br />

problematische) soziale Situationen aufgegriffen, thematisiert und<br />

bearbeitet wer<strong>de</strong>n und das Subjekt aus <strong>de</strong>r Gruppe heraus angeregt<br />

erhält, diese Situationen künftig (besser) bewältigen zu können.<br />

• Der/Die Soziale fungiert hierbei als Initiator/in, Motivator/in,<br />

Mo<strong>de</strong>rator/in und auch „Hilfs-Ich“, aber auch als Kontrolleur/in.<br />

Prof. Dr. Peter-Ulrich Wendt<br />

5


2.8. Gemeinwesenarbeit/GWA (14. Juni 2010)<br />

• GWA als „klassische“ Metho<strong>de</strong> <strong>de</strong>r Sozialen Arbeit ist erst relativ<br />

spät (in <strong>de</strong>n späten 1960er Jahren) in <strong>de</strong>r Sozialen Arbeit<br />

Deutschlands „angekommen“.<br />

• Sie integriert in sich unterschiedliche methodische Ansätze und<br />

Instrumente.<br />

• GWA realisiert sich aktuell zunehmend mehr als stadtteilbezogenes<br />

Quartiersmanagement mit aktivieren<strong>de</strong>m Vollzugsanspruch.<br />

• Sozialen kommt hierbei die Funktion zu, als intermediäre Akteure<br />

zwischen <strong>de</strong>n „Welten“ (1. <strong>de</strong>r Lebenswelt <strong>de</strong>r Subjekte und 2. <strong>de</strong>n<br />

Aktivierungserwartungen <strong>de</strong>r staatlichen Politik) und ihren<br />

kontroversen Ansprüchen und Erwartungen (z. B. in Bezug auf <strong>de</strong>n<br />

generellen Anspruch und die Reichweite <strong>de</strong>r For<strong>de</strong>rung nach<br />

stärkerer Eigenverantwortung <strong>de</strong>r Individuen) zu vermitteln.<br />

Prof. Dr. Peter-Ulrich Wendt<br />

2.9. Netzwerkarbeit (21. Juni 2010)<br />

• Netzwerke stellen im Kontext Sozialer Arbeit vor allem Ressourcen<br />

sozialer Unterstützung - emotional, kognitiv, interaktiv - zur<br />

Verfügung.<br />

• Natürliche wie künstliche Netzwerke entwickeln sich dynamisch. Ihr<br />

„Status“ wie ihre Verän<strong>de</strong>rungen sind netzwerkanalytisch zu<br />

betrachten.<br />

• Sozialen kommt die Aufgabe zu, <strong>de</strong>n Subjekten bei <strong>de</strong>r Nutzung<br />

(bzw. Akquise, Entwicklung, Stabilisierung, Reaktivierung) <strong>de</strong>r in<br />

Netzwerken eingelegten Ressourcen Unterstützung zu geben (Netzwerkarbeit<br />

1. Ordnung).<br />

• Ihr intermediärer Zugang verlangt von <strong>de</strong>n Sozialen die eigener (1.<br />

organisationsbezogener und 2. persönlicher) Netzwerke, um selbst<br />

Netzwerkarbeit leisten zu können (Netzwerkarbeit 2. Ordnung).<br />

Prof. Dr. Peter-Ulrich Wendt<br />

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2.10. Sozialmanagement (28. Juni 2010)<br />

• Sozialmanagement als relativ neuer Bereich in <strong>de</strong>n Metho<strong>de</strong>n <strong>de</strong>r<br />

Sozialen Arbeit nimmt in erster Linie nicht <strong>de</strong>n Fall o<strong>de</strong>r das Feld in<br />

<strong>de</strong>n Blick, son<strong>de</strong>rn die Prozesse, die bei <strong>de</strong>r Bearbeitung eines Falles<br />

o<strong>de</strong>r im Handlungsvollzug im Feld eine Rolle spielen.<br />

• Mit <strong>de</strong>n Instrumenten <strong>de</strong>s Sozialmanagements wer<strong>de</strong>n Prozesse und<br />

Organisationen in Bezug auf gegebene Optimierungspotenziale<br />

überprüft, um so zu einer höheren Effizienz <strong>de</strong>s Mitteleinsatzes und<br />

einer höheren Effektivität in Bezug auf <strong>de</strong>n Grad <strong>de</strong>r Erreichung<br />

bzw. Realisierung gesetzter Ziele beizutragen.<br />

• Relativ neu ist <strong>de</strong>r Versuch, auf Grundlage einer sog. Evi<strong>de</strong>nzbasierung<br />

im Verweis auf gelungene Prozesse bzw. <strong>de</strong>r<br />

Dokumentation gelungenen Instrumenteeinsatzes faktisch zur<br />

Standardisierung sozialen <strong>Han<strong>de</strong>lns</strong> beizutragen.<br />

Prof. Dr. Peter-Ulrich Wendt<br />

2.11. Case-/Fallmanagement (5. Juli 2010)<br />

• Case Management (CM) integriert eklektisch und fallspezifisch<br />

konfiguriert unterschiedliche Metho<strong>de</strong>n und (v. a.) Instrumente <strong>de</strong>r<br />

Sozialen Arbeit.<br />

• CM ist eingebettet in die Soziale Arbeit überwölben<strong>de</strong>n<br />

(ökonomistischen) Überlegungen zu Effektivität und Effizienz,<br />

Kun<strong>de</strong>nmo<strong>de</strong>ll und Produktorientierung, betont dabei aber eine<br />

eigenständige fachliche Perspektive, ohne doch gänzlich für<br />

managerielle „Hoffnungen“ unempfänglich zu sein.<br />

• CM <strong>de</strong>r Sozialen Arbeit und Fallmanagement im Rahmen <strong>de</strong>r<br />

Beschäftigungsaktivierung nach <strong>de</strong>m BA-Fachkonzept (FM) stellen<br />

zwei gegenläufige Entwicklungen und ein Spannungsverhältnis dar:<br />

in Anbetracht seines autoritativen Zuschnitts kann das FM nicht als<br />

Case Management, son<strong>de</strong>rn bloß als Fallverwaltung gelten.<br />

Prof. Dr. Peter-Ulrich Wendt<br />

7


3.1. Metho<strong>de</strong>n als Kunst 1.1<br />

Einige Statements aus <strong>de</strong>r Praxis:<br />

• Sozialberater: „das kann man nicht lernen, das ist Erfahrung“<br />

• Jugendarbeiter: „dass man sowohl mit Nähe als auch mit Distanz<br />

umgehen kann, aber auch gleichzeitig rüberbringen muss, dass man<br />

nicht nur mit <strong>de</strong>n Jugendlichen arbeitet, (son<strong>de</strong>rn auch) mit<br />

Erwachsenen, dass man in <strong>de</strong>r Lage ist, Vertrauen aufzubauen“<br />

• ASD-Mitarbeiterin: „das ist halt heute so, und morgen schon wie<strong>de</strong>r<br />

so an<strong>de</strong>rs“<br />

• Jugendarbeiter: „Ehrlichkeit, dass man nicht verlogen sein darf, dass<br />

man ganz klar rüberbringen muss, dass man selbst kein<br />

Jugendlicher mehr ist. (…) Das ist etwas sehr Wichtiges, dass man<br />

ein bisschen echt rüberkommt und nicht als <strong>de</strong>r Sozialarbeiter o<strong>de</strong>r<br />

<strong>de</strong>r, <strong>de</strong>r von <strong>de</strong>r Gemein<strong>de</strong> kommt, <strong>de</strong>r kontrolliert, son<strong>de</strong>rn da<br />

muss sich mehr entwickeln“<br />

Prof. Dr. Peter-Ulrich Wendt<br />

3.1. Metho<strong>de</strong>n als Kunst 1.2<br />

• Jugendarbeiterin „Wie ich mit <strong>de</strong>n Jugendlichen umgehe, das ist<br />

je<strong>de</strong>s Mal verschie<strong>de</strong>n, man weiß auch nicht, in welche Situation<br />

man kommt, aber mitunter unterdrückt man schon seine eigenen<br />

Bedürfnisse o<strong>de</strong>r das, was einen quält, und schauspielert es an<strong>de</strong>rs<br />

raus, und auf einmal hören sie dann doch alle zu. Es ist manchmal<br />

ein leises Gespräch, manchmal wird es ganz laut, aber die<br />

Flexibilität muss da sein“<br />

• Berufsberaterin: „Mir brauch‘ man nichts vorzumachen, ich seh‘ das<br />

sofort“<br />

• Schulsozialarbeiterin: „heute ist es notwendig, Vereinbarungen<br />

(schriftlich; PUW) zu schließen, früher ging das noch auf Grundlage<br />

persönlicher Absprachen“<br />

• Stu<strong>de</strong>nt 2. Semester: „Sozialarbeiter müssen gute Schauspieler sein“<br />

Prof. Dr. Peter-Ulrich Wendt<br />

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3.1. Metho<strong>de</strong>n als Kunst 1.2<br />

Wie hängt das zusammen?<br />

O<strong>de</strong>r: Wenn <strong>de</strong>r Wald vor lauter Bäumen …:<br />

• „Wenn Sie direkt vor einem Baum stehen, ist es ziemlich dunkel,<br />

ziemlich unscharf konturiert, es zeigt sich kein Weg am Hin<strong>de</strong>rnis<br />

vorbei.<br />

• Gehen Sie einen Schritt zurück, sehen Sie etwas an<strong>de</strong>res – einen<br />

Baum, viele Bäume, vielleicht sogar einen Weg zwischen <strong>de</strong>n<br />

Bäumen.<br />

• Gehen Sie noch drei Schritte zurück, erklimmen Sie einen Baum,<br />

dann sehen Sie noch etwas ganz an<strong>de</strong>res – vielleicht <strong>de</strong>n Wald,<br />

<strong>de</strong>n Wal<strong>de</strong>srand, Ackerland, ein Haus …<br />

• Je<strong>de</strong>r Blick ist an<strong>de</strong>rs, nicht besser o<strong>de</strong>r schlechter, richtig o<strong>de</strong>r<br />

falsch, son<strong>de</strong>rn ganz einfach an<strong>de</strong>rs“ (Hargens 2000: 9f)<br />

Prof. Dr. Peter-Ulrich Wendt<br />

3.2. Drei Typen von Professionalität<br />

B. K. Müller sieht drei Typen von Professionalität:<br />

• geschlossener Typ: „es wird eine bestimmte Betrachtungsweise<br />

kultiviert und mit <strong>methodischen</strong> Instrumentatrien versehen, die<br />

zugleich als Ausblendfilter für an<strong>de</strong>re Sichtweisen funktionieren“<br />

• autistischer Typ: „Er nimmt die jeweils existieren<strong>de</strong>n Praktiken eines<br />

Berufsfel<strong>de</strong>s zum Maß aller Dinge, wehrt je<strong>de</strong> Kritik als vom ‚grünen<br />

Tisch‘ kommend, als nicht praktikabel, als überfor<strong>de</strong>rnd etc. ab.<br />

Umgekehrt wird dann je<strong>de</strong>s Mißlingen zum Beweis für die ganz<br />

beson<strong>de</strong>rs großen fachlichen Anfor<strong>de</strong>rungen und die extrem<br />

schwierigen Klienten“<br />

• offener Typ: „<strong>de</strong>r versucht, die Einengung jenes ‚geschlossenen‘<br />

Typus zu vermei<strong>de</strong>n, ohne dabei in ein … ‚von allem ein bißchen‘<br />

zu verfallen“ (Müller 1997: 147f)<br />

Prof. Dr. Peter-Ulrich Wendt<br />

9


3.3. (Offene) Methodische Professionalität 1<br />

• Burkhard K. Müller entwickelt eine Kunstlehre <strong>de</strong>s Fallverstehens:<br />

„klassische“ Metho<strong>de</strong>n, hermeneutischer Zugang und soziologische<br />

wie ethnologische Forschung wer<strong>de</strong>n im Konzept <strong>de</strong>r<br />

„multiperspektivischen Fallarbeit“ verknüpft; er spricht von einem<br />

„offenen Typus sozialpädagogischer Professionalität“, <strong>de</strong>r<br />

professionelle Handlungskompetenz mit forschen<strong>de</strong>r Praxis<br />

verbin<strong>de</strong>t (Müller 1991)<br />

• ihm geht es (im Rückgriff auf Mollenhauer und Uhlendorff) um ein<br />

„Hin und Her“ zwischen zwei „Erkenntniswegen“ als <strong>de</strong>n „‚Wegen‘<br />

zur Besonnenheit praktischen <strong>Han<strong>de</strong>lns</strong>“, d. h. um einen<br />

„‚Blickwechsel‘ zwischen Zuordnen, Begriffe fin<strong>de</strong>n, Klassifizieren<br />

einerseits; und an<strong>de</strong>rerseits <strong>de</strong>r Einstellung, sich aller immer schon<br />

getroffenen Einordnungen zu enthalten“ (Müller 1997: 151)<br />

Prof. Dr. Peter-Ulrich Wendt<br />

3.3. (Offene) Methodische Professionalität 2<br />

Hans Thiersch:<br />

• „Pädagogischer Umgang ist eine Form <strong>de</strong>s Umgangs im Leben.<br />

Trotz aller notwendigen Standards, aller notwendigen Kriterien für<br />

gelingen<strong>de</strong> und misslingen<strong>de</strong> Möglichkeiten, für Ressourcen und<br />

Gefährdungen, ist Pädagogik, wie das Leben überhaupt,<br />

unübersichtlich, unplanbar, zufallsbestimmt“;<br />

• sie unterliegt auch „jenen Fügungen <strong>de</strong>s Lebens, die je<strong>de</strong>nfalls …<br />

nicht technologisch verstan<strong>de</strong>n wer<strong>de</strong>n können, also nicht in einem<br />

or<strong>de</strong>ntlichen Zweck-Mittel Kontext stehen“;<br />

• für Subjekte be<strong>de</strong>utsame Pädagog/inn/en „sind oft faszinierend,<br />

schwierig, unkonventionell, knubbelig, aus ‚krummem Holz<br />

geschnitzt‘, wie sich vielleicht in Abwandlung von Kant formulieren<br />

lässt“ (Thiersch 2009: 159f)<br />

Prof. Dr. Peter-Ulrich Wendt<br />

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3.3. (Offene) Methodische Professionalität 3<br />

Maja Heiner:<br />

• Trotz einer zu erwarten<strong>de</strong>n Ausdifferenzierung <strong>de</strong>r alltagsnahen<br />

Aufgaben Sozialer Arbeit … ist <strong>de</strong>rzeit davon auszugehen, dass<br />

‚Ganzheitlichkeit‘ als Merkmal <strong>de</strong>r Kompetenzdomäne <strong>de</strong>r Sozialen<br />

Arbeit erhalten bleibt.<br />

• Zusammen mit ‚Partizipation‘ bzw. ‚Aushandlungsorientierung‘ wird<br />

Ganzheitlichkeit auch künftig zu <strong>de</strong>n zentralen Prinzipien<br />

professionellen <strong>Han<strong>de</strong>lns</strong> zählen.<br />

• Außer<strong>de</strong>m ist die Profession … an <strong>de</strong>r För<strong>de</strong>rung sozialer<br />

Gerechtigkeit beteiligt. Nicht zuletzt han<strong>de</strong>lt es sich hier um eine<br />

Aufgabe, die in dieser Form nicht auf Laien übertragbar ist.<br />

• ‚Reflexivität‘ als berufsunspezifisches Merkmal run<strong>de</strong>t diesen Katalog<br />

grundlegen<strong>de</strong>r professioneller Fähigkeiten ab“ (Heiner 2007: 533)<br />

Prof. Dr. Peter-Ulrich Wendt<br />

3.3. (Offene) Methodische Professionalität 4<br />

Wilfried Ferchhoff:<br />

• In <strong>de</strong>r „‚helfen<strong>de</strong>n Beziehung‘ von Mensch zu Mensch fin<strong>de</strong>t eine<br />

Abwehr von verbindlichen und generalisierbaren Regeln und<br />

Techniken statt,<br />

• und es wer<strong>de</strong>n neben nicht-methodisierbarer Intuition und Weisheit<br />

persönliche Haltungen, innere Voraussetzungen, Fähigkeiten und<br />

Eigenschaften erwartet,<br />

• die auf innere, echte und authentische persönliche Hingabe,<br />

Einfühlungsvermögen, Akzeptanz etc. zielen“ (Ferchhoff 1993: 710)<br />

Prof. Dr. Peter-Ulrich Wendt<br />

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3.3. (Offene) Methodische Professionalität 5<br />

Carola Flad, Sabine Schnei<strong>de</strong>r und Rainer Treptow<br />

(in ihrer Studie zur Professionalität in <strong>de</strong>r Kin<strong>de</strong>r- und Jugendhilfe):<br />

• „Es ist die Person, die das organisieren<strong>de</strong> Zentrum für die von ihr<br />

erwarteten Reflexions- und Unterstützungsleistungen ist.<br />

• Sie ist es, die <strong>de</strong>n Sinngehalt eines Jugendhilfeauftrags <strong>de</strong>utet, <strong>de</strong>n<br />

Hilfeplan gestaltet, über diese o<strong>de</strong>r jene Vorgehensweise<br />

entschei<strong>de</strong>t. Sie ist es, die das dazu nötige Fachwissen entwe<strong>de</strong>r<br />

abruft o<strong>de</strong>r es selbst herstellt, Wissensbedarf bemerkt und ihn<br />

gegebenenfalls ausgleicht“ (Flad/Schnei<strong>de</strong>r/Treptow 2008: 241)<br />

mit Thomas Harmsen (2009: 256): „Professionalität ist eine<br />

subjektive, handlungsorientierte, reflexive und flexible<br />

Konstruktionsleistung“<br />

Prof. Dr. Peter-Ulrich Wendt<br />

4.1. Professionelle methodische Grundhaltung<br />

zentrale Aspekte dieser Grundhaltung:<br />

Lebensweltorientierung, Empowerment,<br />

Stärken- und Ressourcenorientierung,<br />

Empathie, Authentizität, Takt und Respekt,<br />

wertschätzen<strong>de</strong> Aktivierung und Beteiligung,<br />

Fähigkeit sich einzubringen/abzugrenzen<br />

methodische<br />

Klärung<br />

Aushandlung<br />

Kontakt<br />

Analyse<br />

Abschluss<br />

Realisierung<br />

Evaluation<br />

Prof. Dr. Peter-Ulrich Wendt<br />

12


4.2. Professionelles methodisches Han<strong>de</strong>ln<br />

(engagierten)<br />

Dialog führend<br />

Handlungstheorien<br />

1. und 2. Ordnung<br />

ermittelnd = sammelnd<br />

(Anamnese, Diagnose)<br />

methodische<br />

Klärung<br />

eklektisch,<br />

multiperspektivisch<br />

und fallorientiert<br />

auswählend<br />

„grundberatend“<br />

Aushandlung<br />

Kontakt<br />

Analyse<br />

Abschluss<br />

ins Feld gehend<br />

(in Kontakt kommen)<br />

Realisierung<br />

Prof. Dr. Peter-Ulrich Wendt<br />

vernetzend<br />

kooperierend<br />

intermediär<br />

Evaluation<br />

4.3. Professionelle methodische Kompetenzen 1<br />

Mit Peter Löchterbach:<br />

• berufliches Selbstverständnis (z. B. Ressourcenorientierung,<br />

Empowerment)<br />

• Sach- und Systemkompetenz (z. B. arbeitsfeldspezifisches<br />

Fachwissen, Organisationswissen)<br />

• Metho<strong>de</strong>n- und Verfahrenskompetenz (z. B. Networking,<br />

Assessment, Evaluation)<br />

• Soziale Kompetenz (z. B. Kommunikationskompetenz, [aktive wie<br />

passive] Kritik- und Konfliktfähigkeit)<br />

• Selbstkompetenz (z. B. Kontaktfähigkeit, Authentizität, Belastbarkeit)<br />

(Löchterbach 2002: 218)<br />

Prof. Dr. Peter-Ulrich Wendt<br />

13


4.3. Professionelle methodische Kompetenzen 2<br />

O<strong>de</strong>r mit Franz Stimmer, <strong>de</strong>r von „Beziehungskompetenz“ spricht:<br />

• „Neben <strong>de</strong>r Sachkompetenz ist in <strong>de</strong>r professionellen sozialpädagogischen<br />

Praxis Beziehungskompetenz zu erwerben und zu för<strong>de</strong>rn.<br />

• Beziehungskompetenz wird hier <strong>de</strong>finiert als ein System sich<br />

wechselseitig beeinflussen<strong>de</strong>r Aspekte, nämlich Sozialkompetenz<br />

(Beziehung herstellen, verständigungsorientiert han<strong>de</strong>ln ...)‚<br />

Metho<strong>de</strong>nkompetenz und Selbstkompetenz (Reflexion auf die<br />

eigenen Motive und Kapazitäten …)“<br />

Beratungsbeziehung im Anschluss an C. Rogers bzw. Tausch/Tausch<br />

(Vorlesung 17. Mai 2010)<br />

Prof. Dr. Peter-Ulrich Wendt<br />

5. Zusammenfassung<br />

Die Metho<strong>de</strong>nanwendung in <strong>de</strong>r Sozialen Arbeit ist<br />

• aus <strong>de</strong>r Perspektive <strong>de</strong>r Verfahrensweise:<br />

prinzipiell methodisch strukturiert, sammelnd und sortierend,<br />

eklektisch und (maximal) flexibel<br />

• aus <strong>de</strong>r Perspektive <strong>de</strong>r Situation, <strong>de</strong>s Problems, <strong>de</strong>s Falls:<br />

immer fallspezifisch und multiperspektivisch<br />

• aus <strong>de</strong>r Perspektive <strong>de</strong>s Subjekts:<br />

grundsätzlich nah und distanziert, respekt- und taktvoll<br />

• aus <strong>de</strong>r Perspektive <strong>de</strong>r/<strong>de</strong>s Sozialen:<br />

geprägt durch eine intermediäre Position<br />

Metho<strong>de</strong>nanwendung ist damit Navigation: ein Sich-Bewegen im<br />

Fluss gelebten Lebens und Kunst, in <strong>de</strong>ssen Wi<strong>de</strong>rsprüchen einen<br />

Weg zu fin<strong>de</strong>n, <strong>de</strong>r Menschen in <strong>de</strong>r Bewältigung ihres Alltag<br />

gerecht wird<br />

Prof. Dr. Peter-Ulrich Wendt<br />

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Literatur<br />

• Fehren, O.: Gemeinwesenarbeit als intermediäre Instanz: emanzipatorisch o<strong>de</strong>r<br />

herrschaftsstabilisierend; in: neue praxis 6/2006: 575 - 595<br />

• Ferchhoff, W.: Was wissen und können Sozialpädagogen? In: Pädagogische<br />

Rundschau, Nr. 6/1993: 705 - 719<br />

• Flad, C., Schnei<strong>de</strong>r, S., und Treptow, R.: Handlungskompetenz in <strong>de</strong>r Jugendhilfe,<br />

Wiesba<strong>de</strong>n 2008<br />

• Hargens, J.: Bitte nicht helfen! Es ist auch schon so schwer genug, Hei<strong>de</strong>lberg<br />

2000<br />

• Harmsen, T.: Konstruktionsprinzipien gelingen<strong>de</strong>r Professionalität in <strong>de</strong>r Sozialen<br />

Arbeit; in: Becker, R., u. a. (Hg.), Professionalität in <strong>de</strong>r Sozialen Arbeit,<br />

Wiesba<strong>de</strong>n 2009: 255 - 264<br />

• Heiner, M.: Soziale Arbeit als Beruf, München und Basel 2007<br />

• Löchterbach, P.: Qualifizierung im Case-Management; in: <strong>de</strong>rs., u. a. (Hg.), Case<br />

Management, Neuwied 2002: 201 - 226<br />

• Müller, B. K.: Sozialpädagogisches Können, 3. Aufl. Freiburg/Brsg. 1997<br />

• Thiersch, H.: Authentizität; in: <strong>de</strong>rs., Schwierige Balance, Weinheim und München<br />

2009: 143 - 160<br />

Prof. Dr. Peter-Ulrich Wendt<br />

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