Teil I „Raum“, „Region“ <strong>und</strong> „Zeit“: Kategorien <strong>und</strong> Forschungsfel<strong>der</strong> <strong>der</strong> <strong>Geographie</strong> 1 Räumliche Maßstäbe <strong>und</strong> Glie<strong>der</strong>ungen – von global bis lokal 2 Raum <strong>und</strong> Zeit
Eine Katastrophe <strong>und</strong> ihre geographische Relevanz Am 2. Weihnachtstag des Jahres 2004 ereignete sich in Süd- <strong>und</strong> Südostasien eine <strong>der</strong> größten Naturkatastrophen <strong>der</strong> Neuzeit: Ein unterirdisches Seebeben vor Sumatra löste eine Riesenwelle, einen Tsunami aus, welcher innerhalb weniger St<strong>und</strong>en die Küstenregionen von Sri Lanka <strong>und</strong> Südindien, den Norden <strong>der</strong> Insel Sumatra, die Ferienparadiese auf <strong>der</strong> thailändischen Insel Phuket ebenso wie auf den Malediven überflutete. Über 200 000 Menschen verloren ihr Leben, sehr viele mehr wurden obdachlos <strong>und</strong> verloren ihre Existenz, manche Küstenregionen werden für längere Zeit nahezu unbewohnbar sein. Ins Bewusstsein <strong>der</strong> europäischen Öffentlichkeit drang die Katastrophe – an<strong>der</strong>s als im Falle <strong>der</strong> Hunger- <strong>und</strong> Aids-Epidemien in Afrika – sehr rasch auch deshalb, weil Tausende von europäischen Urlaubern direkt davon betroffen waren <strong>und</strong> auch weil nicht wenige Menschen in Europa die überfluteten Ferienregionen aus eigener Anschauung kannten. Das räumlich Ferne wird dann emotional nah, wenn man im Fernsehen das „eigene“ Ferienziel mit all seinen Zerstörungen sieht. Die große Hilfsbereitschaft <strong>der</strong> Menschen in Europa <strong>und</strong> Nordamerika, die zahllosen Spendenaktionen, hatten auch damit zu tun, dass es sich hier nicht um Folgen eines Bürgerkriegs o<strong>der</strong> einer „menschgemachten“ Katastrophe (wie bei <strong>der</strong> Aids-Epidemie) handelte, son<strong>der</strong>n um eine Naturkatastrophe, <strong>der</strong> die Menschen sozusagen „schuldlos“ ausgesetzt waren. Vielen wurde bewusst, auf welcher „geschützten“ Insel wir in Europa leben, selten behelligt von Wirbelstürmen, Flutkatastrophen, Vulkanausbrüchen <strong>und</strong> sonstigen natural Hazards. Menschen gerade in den tropischen Lebensräumen <strong>der</strong> Erde leben unter einem hohen „risk assessment“ durch Natureinflüsse <strong>und</strong> Krankheiten. Ihre häufig prekäre ökonomische Situation am Rand des Existenzminimums macht sie zusätzlich in hohem Maße „verw<strong>und</strong>bar“ gegenüber solchen Katastrophen. Die rasch einsetzende internationale Katastrophenhilfe war unverzichtbar, weil manche <strong>der</strong> betroffenen Staaten auch nur schwer in <strong>der</strong> Lage gewesen wären, diese aus eigener Kraft zu leisten. An<strong>der</strong>e Staaten wie Indien allerdings verwiesen darauf, dass sie durchaus in <strong>der</strong> Lage seien, <strong>der</strong> Katastrophe aus eigener Kraft Herr zu werden <strong>und</strong> verschleierten – relativ erfolgreich – vor <strong>der</strong> Weltöffentlichkeit die große Zahl an Opfern auf den abgelegenen Inselgruppen <strong>der</strong> Andamanen <strong>und</strong> Nikobaren. Indonesien wie<strong>der</strong>um war nicht begeistert vom in Aussicht gestellten Schuldenmoratorium, würde es doch die eben erst gewonnene Reputation des südostasiatischen Staates auf den internationalen Finanzmärkten gefährden. Einige <strong>der</strong> am schlimmsten betroffenen Regionen waren in den ersten Tagen nach <strong>der</strong> Katastrophe nur schwer erreichbar, nicht zuletzt, weil es sich um „Rebellengebiete“ handelte, welche um Unabhängigkeit von <strong>der</strong> jeweiligen Zentralregierung kämpfen. Die tamilischen Gebiete auf Sri Lanka gehören ebenso dazu wie die Provinz Aceh auf Sumatra. Immerhin ruhten wenigstens in den ersten Wochen nach <strong>der</strong> Katastrophe die Waffen, <strong>und</strong> die indonesische Regierung ließ – nach einigem Zögern – die ausländischen Hilfsorganisationen in die Region. Allerdings saßen die meisten Organisationen dann in <strong>der</strong> Stadt Banda Aceh fest. In die Katastrophengebiete an <strong>der</strong> Westküste zu gelangen, erwies sich als außerordentlich schwierig. Nur die vom amerikanischen Flugzeugträger USS Abraham Lincoln startenden Hubschrauber konnten Lebensmittelpakete abwerfen; dabei waren 13 000 US-Soldaten im Einsatz. Befremdend wirkte, dass die indonesische Führung ausländischen Truppen <strong>und</strong> Hilfskräften eine Frist von drei Monaten setzte <strong>und</strong> durch bewaffnete Militärs zunehmend <strong>der</strong>en Bewegungsfreiheit einschränkte. In diesem Augenblick höchster Not, so