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Gottesdienst am Karfreitag 2013<br />
„M<strong>ein</strong> Herz hält Dir vor D<strong>ein</strong> Wort: Ihr sollt m<strong>ein</strong> Angesicht suchen. Darum suche<br />
ich auch, Herr, D<strong>ein</strong> Angesicht.“ Psalm 27,8<br />
„Und Pilatus spricht zu ihnen: Seht da – der <strong>Mensch</strong>!“ Johannes 19,5<br />
Angesicht – Gesicht.<br />
Manches Gesicht begegnet mir im Laufe m<strong>ein</strong>es Lebens.<br />
Was für Gesichter stehen Ihnen wohl vor Augen? Welche sind für Sie wichtig? Und<br />
<strong>welch</strong>en Ausdruck haben sie?<br />
Ganz am Anfang steht wohl das Gesicht von Mutter und Vater. Es prägt sich <strong>ein</strong>, wie sie<br />
mich anschauten: aufmerksam oder kritisch oder mit <strong>ein</strong>em Lachen.<br />
Manch anderes kam dazu und wurde wichtig: wie <strong>ein</strong> <strong>Mensch</strong> mich ansieht, der mich<br />
liebt und m<strong>ein</strong>e Nähe sucht – es berührt mich. Ein Gesicht, aus dem mir Interesse<br />
entgegenkommt – weckt in mir Vertrauen. In manchem sehe ich auch Ablehnung;<br />
andere begegnen mir gleichgültig: Ihr Blick geht über mich hinweg.<br />
Manche Gesichter haben sich tief <strong>ein</strong>geprägt, sind unvergesslich. Viele habe ich<br />
vergessen.<br />
Ist irgendwo darunter auch das Gesicht Jesu?<br />
Eine eigenartige Frage!<br />
K<strong>ein</strong>e/r von uns hat s<strong>ein</strong> Gesicht gesehen. K<strong>ein</strong>e/r ist ihm begegnet.<br />
Das Turiner Grabtuch – ob es echt ist – und den Abdruck des Gesichtes Jesu zeigt, ist<br />
sehr umstritten..<br />
Wir wüssten es ja schon gern, wie es ausgesehen hat<br />
Niemand von uns weiss, wie er ausgesehen hat und doch sind Bilder in uns! Entstanden<br />
durch Erzählungen, Darstellungen, Musik, Messen, Lieder.<br />
Lieder, die wir gesungen haben in diesem Gottesdienst und noch singen werden, stellen<br />
uns ebenfalls Bilder vor Augen. „O Haupt voll Blut und Wunden, voll Schmerz und voller<br />
Hohn“, „Du edles Angesichte“, vom Augenlicht, vom Mund haben wir gesungen. „Agnus<br />
Dei“ - Lamm Gottes – Wie sieht <strong>ein</strong>er aus, der als Lamm Gottes besungen wird?<br />
Heute am Karfreitag werden in Musik, Liedern und Texten Bilder vor mich hingestellt.<br />
Und es braucht Mut, sie anzuschauen! Die Lieder stellen fast erbarmungslos <strong>ein</strong> Gesicht<br />
vor mich hin, in das sich der Schmerz <strong>ein</strong>gegraben hat.<br />
Nicht immer war es so. Einmal sah es ganz anders aus. Es war <strong>ein</strong> Gesicht, das zu dem<br />
gehörte, von dem Dorothee Sölle sagte, sie könne sich k<strong>ein</strong>en vorstellen, der <strong>ein</strong><br />
erfüllteres Leben gelebt habe, als er.<br />
Er hat das Leben genossen. Engstirnige sagten: <strong>ein</strong> Fresser und Säufer.<br />
Er hat <strong>Mensch</strong>en angeschaut und ist ihnen so begegnet, dass sie sich zutiefst zu Hause<br />
fühlten. Unter s<strong>ein</strong>em Blick fühlten sich <strong>Mensch</strong>en erkannt und erfasst. Zugleich mutete<br />
er ihnen etwas zu und fasst sie nicht mit Samthandschuhen an.<br />
In ihm und mit erlebten sie die Nähe Gottes und nannten ihn darum Gottes Sohn.<br />
Und auf <strong>ein</strong>mal dieses Bild: ans Kreuz genagelt mit <strong>ein</strong>er Dornenkrone: tiefster Schmerz<br />
und Verlassenheit!
Ich kann zumachen. Es braucht Mut, es nicht zu tun! Es ist nicht schön, was da zu sehen<br />
ist!<br />
Ich möchte für <strong>ein</strong>mal nicht zumachen. Ich möchte ihn mir gegenüber s<strong>ein</strong> lassen, ihn<br />
mir nahe kommen lassen. Schmerzende Töne kommen da zu mir. Was machen sie mit<br />
mir? Mit Ihnen?<br />
Mir machen sie bewusst, dass der Schmerz auch in mir ist! Ich muss nicht so tun, als sei<br />
alles so sonnig, bewältigbar, easy. Als sei der Erfolg da, wenn man es nur richtig macht.<br />
Das Gebrochene ist unübersehbar – nicht nur im Leben anderer.<br />
Das Gesicht des Dornengekrönten zeigt k<strong>ein</strong>e schöne Sonntagswelt. Es trägt Spuren von<br />
Gewalt und Brutalität. Spuren – nicht <strong>ein</strong>fach Schicksal – nicht <strong>ein</strong>fach Wille Gottes.<br />
Sie sind zugefügt von <strong>Mensch</strong>en – es sind k<strong>ein</strong>e Unmenschen. Es sind <strong>Mensch</strong>en, die<br />
mitmachen; die an <strong>ein</strong>em anderen auslassen, was sich in ihnen angestaut hat. Sie führen<br />
Befehle aus. An ihm soll <strong>ein</strong> Exempel zur Abschreckung statuiert werden. Es kam ihnen<br />
nicht in den Sinn, aufzustehen und zu sagen: ich mache nicht mit.<br />
Mit diesem Gesicht kommen mir Bilder vor Augen von <strong>Mensch</strong>en, die auch heute noch<br />
Opfer von Gewalt und Grausamkeit werden. <strong>Mensch</strong>en, die der Willkür anderer<br />
ausgeliefert sind. „Waterboarding“, um Geständnisse zu erzwingen. Kinder, die<br />
Übergriffen ausgesetzt sind. <strong>Mensch</strong>en, die ausgegrenzt werden.<br />
Kann ich mich über Gewalt an Jesus empören und gleichzeitig das alles hinnehmen, als<br />
sei es <strong>ein</strong> unabwendbares Schicksal und gehöre halt zum Leben und zur Welt, dass auch<br />
heute <strong>Mensch</strong>en gequält und verachtet werden?!?<br />
Das Gesicht Jesu – sch<strong>ein</strong>t mir – will wachhalten: Nirgends darf und soll das s<strong>ein</strong>!!!<br />
Und ich merke, es ist <strong>ein</strong>fach, das nur draussen und bei anderen zu suchen. Da ist es<br />
auch. Aber nicht nur immer bei den anderen. Das Gesicht mir gegenüber ist mir näher,<br />
als es mir lieb ist! Es führt mir <strong>Mensch</strong>en vor Augen, die Spuren m<strong>ein</strong>er Bosheit tragen,<br />
m<strong>ein</strong>er Verachtung, m<strong>ein</strong>er Willkür, m<strong>ein</strong>er Gleichgültigkeit, m<strong>ein</strong>es Spotts!<br />
Es ist, als ob Christus sie mir entgegenhielte.<br />
Nicht, dass ich nicht etwas klar sagen dürfte! Es heisst auch nicht, dass ich<br />
Unangenehmes nicht aussprechen, nicht streiten darf. Ich kann und soll andere auch<br />
herausfordern!<br />
Und doch: wir werden normalerweise nicht tätlich – nicht körperlich jedenfalls - aber<br />
wo sind m<strong>ein</strong>e giftigen, galligen Worte, m<strong>ein</strong>e spöttischen, verächtlichen Blicke, die den<br />
anderen annageln und aus dem Weg räumen wollen?<br />
Es braucht Mut, das nicht <strong>ein</strong>fach beiseite zu schieben und es braucht Kraft!<br />
Das Gesicht, das mich ansieht, will mich nicht annageln und verurteilen als kl<strong>ein</strong>en,<br />
sündigen, unmöglichen <strong>Mensch</strong>en – auch nicht am Karfreitag!<br />
Für mich wird dieses Gesicht zu <strong>ein</strong>em Gesicht Gottes.<br />
Es trägt die Spuren von Schmerz und Verachtung – es trägt sie!<br />
Und stellt sich mir so in den Weg.<br />
Damit ich nicht in der Todesspur bleibe.<br />
Sondern ihm folge auf der Spur, die vom Kreuz ins Leben führt:<br />
„Seht da unser Gott!“.<br />
„Heilig – Sanctus!“- hören wir jetzt vom Laudate-Chor.<br />
Amen