Die VIDMARhallen - Rykart Architekten AG
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<strong>Die</strong> <strong>VIDMARhallen</strong><br />
Von der Tresorfabrik zum Kultur- und Gewerbezentrum<br />
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<strong>Die</strong> <strong>VIDMARhallen</strong><br />
Von der Tresorfabrik zum Kultur- und Gewerbezentrum<br />
Herausgegeben von der <strong>Rykart</strong> <strong>Architekten</strong> <strong>AG</strong><br />
anlässlich ihres Umzuges in die <strong>VIDMARhallen</strong><br />
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Impressum<br />
Herausgeberin<br />
<strong>Rykart</strong> <strong>Architekten</strong> <strong>AG</strong>, Liebefeld<br />
Konzept und Redaktion<br />
Veronika Niederhauser, Claude <strong>Rykart</strong>, Olivier Sidler<br />
Interviews<br />
Stefan Furler<br />
Layout<br />
atelierwuethrich.ch, <strong>VIDMARhallen</strong>, Liebefeld<br />
Inhalt<br />
Willkommen zu Hause! 6 Ein Grusswort von Luc Mentha<br />
<strong>Die</strong> Firma Wiedemar 10 Wiedemar. Kassenfabrik und Tresorbau (1862–1929)<br />
14 Das Label „Vidmar“ für zeitgemässe Büromöbel (1930–1939)<br />
16 Moderne Betonbauten für Vidmar (1940–1949)<br />
20 Vidmar international (1950-1959)<br />
22 Hochkonjunktur und Niedergang (1960–1992)<br />
<strong>Die</strong> <strong>VIDMARhallen</strong> 28 Zwischennutzungen als Standortqualität<br />
Druck<br />
Stämpfli Publikationen <strong>AG</strong>, Bern<br />
32 Das neue Leben in den <strong>VIDMARhallen</strong> ist wie ein vielfältiges Biotop<br />
<strong>Die</strong> Zukunft. Ein Gespräch mit Fredy Lienhard<br />
36 <strong>Die</strong> Sanierungsstrategie<br />
Mit bestem Dank an die ALID Finanz <strong>AG</strong><br />
für die finanzielle Unterstützung des vorliegenden Bandes<br />
40 Ich war immer für die Erhaltung der <strong>VIDMARhallen</strong><br />
<strong>Die</strong> Umnutzung. Ein Gespräch mit Walter Nellen<br />
44 Von der Stadt in der Stadt zum Kulturzentrum<br />
Liebefeld, 2013<br />
48 Wie finden wir hier wieder hinaus?<br />
<strong>Die</strong> Realisierung. Ein Gespräch mit Claude <strong>Rykart</strong> und Oliver Sidler<br />
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Willkommen zu Hause!<br />
Ein Grusswort von Luc Mentha<br />
Gemeindepräsident Köniz<br />
Köniz – <strong>VIDMARhallen</strong> – <strong>Rykart</strong> <strong>Architekten</strong>: <strong>Die</strong>se drei Begriffe sind untrennbar<br />
miteinander verbunden.<br />
Als ich vor rund zehn Jahren mein Amt als Gemeindepräsident von Köniz antrat,<br />
präsentierte sich das Areal rund um die <strong>VIDMARhallen</strong> als Industriebrache, die<br />
auf bessere Zeiten wartete. Auf der einen Seite eine ehemalige Kiesgrube –<br />
rostige Autos, Material, Abfall und heruntergekommene Lagergebäude prägten<br />
das Bild. Auf der anderen Seite die unübersichtlichen und teilweise leer stehenden<br />
<strong>VIDMARhallen</strong>, ein ehemaliger Industriekomplex mit unterschiedlichsten<br />
Bautypologien. Wahrlich keine Augenweide, aber bei näherem Betrachten ein<br />
Areal mit grossem Potenzial; ein Areal quasi im Dornröschenschlaf!<br />
<strong>Die</strong> Umbauarbeiten der <strong>VIDMARhallen</strong> waren 2002 durch <strong>Rykart</strong> <strong>Architekten</strong><br />
aufgenommen worden und standen 2004 vor dem Abschluss. Damit war die<br />
Initialzündung für die ganze Arealentwicklung erfolgt. Von da an ging es nur<br />
noch aufwärts. <strong>Die</strong> <strong>VIDMARhallen</strong> wurden dank den gekonnt zurückhaltenden<br />
Eingriffen der <strong>Architekten</strong> und der Weitsicht des Investors zu einem stimmigen<br />
Gebäudekomplex für <strong>Die</strong>nstleistung und Gewerbe sowie für Kultur und Kunstschaffen<br />
umgestaltet. 2005 entschied das Stadttheater Bern, seine zweite Spielstätte<br />
hier einzurichten. Wenig später fand der bekannte Jazzclub Bejazz neben<br />
dem Stadttheater im VIDMAR 2 sein neues Auftrittslokal. Im Restaurant des<br />
ehemaligen Industriekomplexes wurde der Kantinenbetrieb abgelöst durch den<br />
jungen Gastrobetrieb „Le Beizli“. Ich habe diese Entwicklung vom ersten Tag<br />
meines Wirkens mit grosser Freude verfolgt und auch unterstützt. Heute kann<br />
Köniz stolz und dankbar sein auf die „Verwandlung“ der <strong>VIDMARhallen</strong>. <strong>Rykart</strong><br />
<strong>Architekten</strong> haben dazu mit ihrer Arbeit einen wesentlichen Beitrag geleistet.<br />
Neben den <strong>VIDMARhallen</strong> ist auf der ehemaligen Hunzikergrube das gemeindeübergreifende,<br />
moderne neue Wohnquartier Weissenstein/Neumatt entstanden,<br />
das inzwischen zu den beliebtesten Wohnadressen in Köniz und Bern gehört.<br />
Heute präsentiert sich dieser ganze Ortsteil als attraktiver urbaner Wohnort mit<br />
eigenständiger Identität und als weit herum bekannter kultureller Treffpunkt für<br />
städtisch orientierte Menschen. Abrunden und abschliessen werden wir diese<br />
Entwicklung mit dem Bau der Sporthallen Weissenstein, zwei Mehrfachturnhallen<br />
mit Zuschauerbereich, die sowohl dem Spitzensport als auch dem Breitensport<br />
dienen.<br />
<strong>Rykart</strong> <strong>Architekten</strong> haben nicht nur im neuen Quartier Weissenstein/Neumatt<br />
ihre Spuren hinterlassen. Seit 1949 ist Architektur aus dem Hause <strong>Rykart</strong> in<br />
Köniz präsent. Herausragend ist dabei sicher die 2003 bis 2011 entstandene<br />
Überbauung Dreispitz beim Liebefeld Park, die zusammen mit dem Park wesentlich<br />
dazu beigetragen hat, dass Köniz ein modernes, gepflegtes neues Gesicht<br />
erhalten hat, das 2012 vom Schweizerischen Heimatschutz mit dem Wakkerpreis<br />
ausgezeichnet wurde.<br />
Ich freue mich, dass <strong>Rykart</strong> <strong>Architekten</strong> jetzt nach Köniz zurückgekehrt sind und<br />
ihre Büros in den <strong>VIDMARhallen</strong> bezogen haben. Ich kann dazu mit Blick auf das<br />
Wirken dieses für Köniz bedeutenden <strong>Architekten</strong>teams nur sagen:<br />
Willkommen zu Hause!<br />
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<strong>Die</strong> Firma Wiedemar
Wiedemar. Kassenfabrik und Tresorbau (1862–1929)<br />
Bauphasen 1904–1929<br />
Das 1862 durch Julius Wiedemar gegründete Unternehmen macht sich schnell<br />
einen Namen mit der Herstellung von Kassen und Tresoren. Bis 1904 ist das<br />
Unternehmen an der Aarbergergasse in der Berner Altstadt angesiedelt. <strong>Die</strong><br />
wachsenden Platzbedürfnisse der Firma führen nach der Jahrhundertwende<br />
zum Standortwechsel nach Bern-Liebefeld. Auf dem neuen Firmenareal wird<br />
durch den <strong>Architekten</strong> E. Senften ein eingeschossiger Backsteinbau als erste<br />
Fabrikhalle erstellt. Ein Blick in die neue Maschinenhalle zeugt vom hohen Grad<br />
der Mechanisierung bei der Herstellung der Produkte. Damit ist der Grundstein<br />
für eine rund 100-jährige, prosperierende Entwicklung eines der grösseren<br />
Industrieareale in Bern gelegt.<br />
Maschinenhalle<br />
<strong>Die</strong> Kassenschränke und Tresore der Firma Wiedemar finden wachsenden Absatz<br />
und bewähren sich im Gebrauch. Von 1895 bis 1912 wird das Unternehmen<br />
durch Lina Wiedemar geführt, danach geht die Unternehmensführung an ihre<br />
Söhne Arthur und Richard Wiedemar über. Gleichzeitig wird die Produktpalette<br />
um den Safebau für Banken erweitert.<br />
Bereits um 1918 zeigt sich aufgrund der erfreulichen Geschäftsentwicklung die<br />
Notwendigkeit einer Erweiterung der bestehenden Fabrikhalle. <strong>Die</strong> Aufstockung<br />
des Bestandes und der Anbau einer Malerei werden durch das Berner Baugeschäft<br />
Iseli & Bütikofer projektiert und ausgeführt. Der Erweiterungsbau wird<br />
mit einer klassizistisch gestalteten Stirnfassade versehen, welche die Solidität<br />
der Firma Wiedemar zum Ausdruck bringt und ihr auch baulich ein Gesicht gibt.<br />
1929 erfolgt die Erweiterung der Fabrik nach Südosten und deren Ergänzung um<br />
eine Hauswartwohnung und Garderoben.<br />
Fabrik um 1918<br />
Erste Fabrikhalle 1904<br />
Tresorraum<br />
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Das Label „Vidmar“ für zeitgemässe Büromöbel (1930–1939)<br />
Bauphasen 1931–1938<br />
<strong>Die</strong> expandierende Firma steht unter der Leitung von Arthur und Richard Wiedemar.<br />
<strong>Die</strong> Aufnahme der Produktion von Büromöbeln führt 1932 zur Neuausrichtung<br />
des Unternehmens. Der Firmenname „Wiedemar“ wird in „Vidmar“<br />
umgestaltet, was durchaus als Programm zu verstehen ist: „Vidmar“ wird zum<br />
Label für zeitgemässe, moderne Büromöbel. In Werbeprospekten präsentiert<br />
das Unternehmen die neue Produktlinie selbstbewusst. Gleichzeitig wird ein<br />
Verkaufsladen an der Neuengasse 24 in Bern eröffnet.<br />
Maschinenhalle<br />
<strong>Die</strong>se Erweiterung des Sortiments erfordert die Errichtung weiterer Fabrikhallen.<br />
1931 wird die neue Zuschneidehalle errichtet und 1938 folgt der Hochbau Nord<br />
für Montage, Lager und Malerei. <strong>Die</strong>ser Bau wird in einer Stahlbeton-Skelettstruktur<br />
mit Sichtbetonfassade erstellt. Bemerkenswert ist dabei der Umstand,<br />
dass die neuen Fabrikbauten formal und technisch dem Geist der Moderne<br />
verpflichtet sind und damit die fortschrittliche Firmenstrategie auch baulich zum<br />
Ausdruck bringen.<br />
Zeichnerbüro<br />
Hochbau Nord<br />
Büromöbel Kollektion „Vidmar“<br />
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Moderne Betonbauten für Vidmar (1940–1949)<br />
Das florierende Unternehmen erweitert in den 1940er-Jahren sein Angebot um<br />
Betriebseinrichtungen und Werkstattmöbel. Ab 1942 wirkt Hans A. Wiedemar<br />
als Patron. Weitere Neubauten folgen – der Architekt Hans F. Sütterle prägt bis<br />
in die 1960er-Jahre mit seinen modernen Sichtbetonbauten von hoher architektonischer<br />
Qualität das Erscheinungsbild des Unternehmens.<br />
Bauphasen 1940–1949<br />
1946 wird die Shedhalle Süd für Montage und Spedition erstellt. <strong>Die</strong>se Halle<br />
bietet mit ihrer Grosszügigkeit und der erstklassigen Belichtungssituation ein<br />
optimales Umfeld für die Montage der anspruchsvollen Produkte der Firma<br />
Vidmar. Ein Jahr später wird der Hochbau Süd für den Safebau und die erweiterte<br />
Produktion von Büromöbeln erstellt.<br />
<strong>Die</strong> Shedhalle Süd<br />
Schalung der Shedhalle<br />
Vogelschau des Vidmar-Areals<br />
Büromöblierungen, Werkzeugschränke.<br />
Tresoranlagen<br />
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Vidmar international (1950–1959)<br />
<strong>Die</strong> bauliche Entwicklung des Areals trägt auch in den 1950er-Jahren die Handschrift<br />
des <strong>Architekten</strong> Hans F. Sütterle: 1951 wird die neue Zuschneidehalle zur<br />
Bearbeitung von Stabeisen und Profilen erstellt. Zwei Jahre später erfolgt die<br />
Aufstockung des Bürobaus. Zeitgleich wird als markantes Volumen der Hochbau<br />
Süd-Ost für die Produktion von Betriebseinrichtungen errichtet. 1958 folgt die<br />
Shedhalle Nord für den Gehäusebau.<br />
Bauphasen 1950–1959<br />
<strong>Die</strong> Produktpalette wird laufend ausgebaut und verfeinert. <strong>Die</strong> Firma expandiert<br />
über die Landesgrenzen hinaus. Mittlerweile finden ihre Produkte weltweiten<br />
Absatz: Lizenznehmer in den USA und in Österreich stellen unter dem Namen<br />
„Vidmar“ Möbel und Schubladenschränke her. In aufwendigen Werbeprospekten<br />
werden die Produkte professionell inszeniert.<br />
Tresorbau, Werbeprospekt<br />
Hochbau Süd-Ost<br />
Büromöbel-Kollektion,<br />
Werbeprospekt<br />
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Hochkonjunktur und Niedergang (1960–1992)<br />
In der Hochkonjunktur arbeiten bis zu 420 Angestellte auf dem Vidmar-Areal.<br />
<strong>Die</strong> Produktion läuft im 3-Schicht-Betrieb rund um die Uhr. Im Rahmen von<br />
Erweiterungen und Neubauten schafft sich die Firma modernste Betriebseinrichtungen.<br />
Als Firmenarchitekt zeichnet weiterhin Hans F. Sütterle.<br />
Bauphasen 1960–1966<br />
1960 wird das Wohlfahrtsgebäude mit Garderoben und einer Kantine für die<br />
Direktion und das Personal erstellt. 1963–1965 folgen Erweiterungen der Produktionsanlagen:<br />
die Erweiterung des Hochbaus Süd-Ost (Produktion Betriebseinrichtungen),<br />
der Neubau der Halle für die Malerei- und Spritzanlage und die<br />
Errichtung der Kassenbauhalle zur Montage von Panzertüren und Tresoren.<br />
Mitte der 1960er-Jahre ist der Höhepunkt der Produktion und damit die grösste<br />
Ausdehnung des Fabrikareals erreicht.<br />
Ab 1978 führen Hans und Daniel Wiedemar die Firma. Strukturelle Veränderungen<br />
im Wirtschaftssektor und der konjunkturelle Einbruch Mitte der 1970er-<br />
Jahre zollen ihren Tribut. Der beginnende Rückgang des Umsatzes kann nicht<br />
aufgehalten werden und führt 1989 zum Verkauf der Firma an die Lista <strong>AG</strong> Erlen,<br />
welche weiterhin Büromöbel produziert. Aufgrund der Marktveränderungen<br />
muss 1992 die Produktion an diesem Standort vollständig eingestellt werden.<br />
Das Vidmar-Areal wird in der Folge an verschiedene Gewerbetreibende und<br />
Künstler vermietet und entwickelt sich so bis zur Jahrtausendwende zu einem<br />
vielfältigen und kreativen Mikrokosmos.<br />
Rollbandanlage in Japan<br />
Messestand in Chicago<br />
Ausstattung Schalterhalle<br />
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<strong>Die</strong> <strong>VIDMARhallen</strong>
Zwischennutzungen als Standortqualität<br />
Nach der Einstellung der Produktion vermietet die neue Besitzerin Lista ab 1992<br />
die frei gewordenen Räumlichkeiten an verschiedenste Kreise von Interessenten,<br />
zuerst in provisorischer Absicht, später zunehmend rentabel. Im potenziellen<br />
Abbruchobjekt nistet sich so eine vielfältige Nutzerschaft ein, die die Räume mit<br />
individuellen baulichen Eingriffen an ihre Bedürfnisse anpasst. Im Jahr 2000 sind<br />
rund 140 Mieter auf dem Areal anzutreffen, neben verschiedenen Handwerkern<br />
etwa auch ein Paketservice, ein Schulmittelversand, diverse Künstlerateliers,<br />
Läden für Designmöbel oder Lebensmittel, eine Tanzwerkstatt und eine Theaterprojektbühne<br />
...<br />
Bevor der Studienauftrag zur baulichen Entwicklung des Areals erteilt wird,<br />
stehen seitens der Bauherrschaft Überlegungen zum Totalabbruch und zum Bau<br />
von Büroneubauten im Vordergrund. Angesichts der Qualität des Baubestandes<br />
halten die <strong>Architekten</strong> nach Alternativen Ausschau. Doch es ist nicht nur der<br />
Komplex hervorragender Sichtbetonbauten, welcher zum Projekt führt: <strong>Die</strong> stark<br />
durchmischte Nutzerschaft hat längst eine spontane und attraktive Atmosphäre<br />
geschaffen. <strong>Die</strong> beabsichtigte Zwischennutzung hat sich damit klammheimlich<br />
zu einer Standortqualität gemausert!<br />
Der entscheidende Schritt ist jedoch der Entschluss der Bauherrschaft, sich<br />
auf den ungewöhnlichen Vorschlag der etappenweisen Sanierung einzulassen.<br />
Aufwendige Vorabklärungen erbringen den Nachweis, dass das ungewöhnliche<br />
Vorhaben gelingen kann. Zur Umsetzung wird ein langer Zeithorizont, eine<br />
prozesshafte, rollende Planung, die Unterteilung der Massnahmen in zahlreiche<br />
kleine Etappen sowie zusätzlicher Aufwand für die Immobilienbewirtschaftung<br />
während der Bauarbeiten in Kauf genommen.<br />
Nutzungsstruktur um 2000 Zustand 2000<br />
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Das neue Leben in den <strong>VIDMARhallen</strong> ist wie ein vielfältiges Biotop<br />
<strong>Die</strong> Zukunft.<br />
Wie kommt es, dass Sie als Ostschweizer Industrieller in Köniz im<br />
Ein Gespräch mit Fredy Lienhard Immobiliensektor tätig sind?<br />
<strong>Die</strong> Vidmar <strong>AG</strong> war früher einmal die Nummer 1 auf dem Gebiet, auf dem wir<br />
mit der Lista <strong>AG</strong> ebenfalls tätig waren, also in der Herstellung und dem Vertrieb<br />
von Büro-, Betriebs- und Lagereinrichtung. Im Zuge unserer Expansion übernahmen<br />
wir 1989 die Vidmar <strong>AG</strong>, um sie unter dem gleichen Namen weiterzuführen.<br />
Lediglich den „Banken-Sektor“ – die Vidmar <strong>AG</strong> stellte ja auch Tresoren her –<br />
wollten wir abstossen, weil wir von diesem Geschäft nichts verstanden. Es ging<br />
uns um Synergien in angestammten Geschäftsbereichen und um die Weiterführung<br />
der Produktion in den Vidmar-Gebäuden.<br />
Doch diese Firma gibt es schon länger nicht mehr …<br />
Bei der Übernahme war schnelles Handeln nötig und wir haben für diese Eile einen<br />
hohen Preis bezahlt. Wir sahen erst etwas später, dass die Firma längst ein<br />
Patient auf der Intensivstation war, sie war marode und nicht überlebensfähig.<br />
Dazu kam die Branchenrezession zu Beginn der 1990er-Jahre: Es gab Überkapazitäten,<br />
die auch der Lista <strong>AG</strong> zu schaffen machten, weshalb wir Herstellung und<br />
Vertrieb von Vidmar-Produkten einstellen mussten. Das war für mich persönlich<br />
schlimm, denn ich hatte mich bei der Übernahme vor die Mitarbeiter der Vidmar <strong>AG</strong><br />
gestellt und ihnen eine positive Zukunft in Aussicht gestellt. Arbeitsplätze zu<br />
schaffen und zu sichern, betrachte ich von je her als eine der wichtigsten Aufgaben<br />
eines Unternehmers. Das kann aber nur gelingen, wenn ein Unternehmen<br />
auch einen Profit erwirtschaftet, damit Löhne bezahlt und Investitionen getätigt<br />
werden können. Daran war mit der Vidmar <strong>AG</strong> einfach nicht mehr zu denken.<br />
Immerhin konnten wir die Aktivitäten geordnet redimensionieren und auslaufen<br />
lassen, was für die damals Mitarbeitenden vielleicht etwas weniger schlimm war,<br />
als von einem Tag auf den anderen auf der Strasse zu stehen.<br />
Warum haben Sie dann die Immobilie in Köniz nicht verkauft?<br />
Der Verkauf der Liegenschaft war tatsächlich eine Option, die wir geprüft haben.<br />
Allerdings hatten wir begonnen, die im Gleichschritt mit der Verkleinerung der<br />
Vidmar-Produktion frei werdenden Flächen an Kleingewerbler, <strong>Die</strong>nstleister und<br />
Künstler zu vermieten. Daraus ergab sich eine viel sinnvollere Option, nämlich<br />
die <strong>VIDMARhallen</strong> zu behalten und definitiv in der eingeschlagenen Richtung<br />
zu nutzen, um in diesen Gebäuden wieder, wie früher, Arbeitsplätze zu haben.<br />
Doch ich wusste natürlich, dass Umbau und Sanierung einer Liegenschaft dieser<br />
Grössenordnung ein Riesenprojekt würde.<br />
Weshalb haben Sie sich trotzdem für die Sanierung entschieden?<br />
Das war im Jahr 2000 und es waren primär zwei Faktoren ausschlaggebend:<br />
Einerseits gefiel mir der Mix an Mietern, die bereits in den <strong>VIDMARhallen</strong> ansässig<br />
geworden waren, sehr gut. Andererseits hatte ich zu diesem Zeitpunkt in der<br />
Person von Urs Brüschweiler einen internen professionellen Immobilienmanager,<br />
der sich um unsere Liegenschaften kümmerte. Ohne ihn hätte ich den Umbau<br />
nicht gemacht, mit ihm konnte ich es wagen. Aber wir wussten natürlich um<br />
das nicht unbeträchtliche Risiko, das wir mit diesem Entscheid eingingen. Ein<br />
weiterer Faktor war natürlich auch Lage und Potenzial der <strong>VIDMARhallen</strong> am<br />
Stadtrand von Bern: gut vom öffentlichen wie vom privaten Verkehr erschlossen<br />
und die Möglichkeit, die Liegenschaft bei positiver Nachfrage durch Aufstockungen<br />
sogar noch auszubauen.<br />
Wie verlief die Umsetzung Ihrer Pläne mit den <strong>VIDMARhallen</strong>?<br />
Zunächst konnten wir auf die Flexibilität der bereits bestehenden Mieterschaft<br />
zählen, die bereit war, für den Umbau in den Gebäuden umzuziehen. Wir hatten<br />
im Totalunternehmer Walter Nellen einen versierten Spezialisten zur Seite, der<br />
auch sehr erfolgreich vermietet hat, eine Aufgabe, die von der H. P. Burkhalter<br />
+ Partner <strong>AG</strong> als unserer Verwalterin gleichermassen erfolgreich weitergeführt<br />
wurde und wird. Dann hatten wir das Glück, in den Herren Claude <strong>Rykart</strong> und<br />
Oliver Sidler <strong>Architekten</strong> zu finden, die es vorzüglich verstanden, sehr sorgfältig<br />
mit der bestehenden alten Bausubstanz umzugehen und notwendiges Modernes<br />
mit erhaltenswertem Alten harmonisch zu verbinden. Schliesslich hatten<br />
wir Urs Brüschweiler, der das ganze Projekt überwacht und gesteuert hat. Da<br />
war ein sehr gutes Team am Werk, das diese Herausforderung hervorragend<br />
gemeistert hat.<br />
Womit aus dem Projekt <strong>VIDMARhallen</strong> eine Erfolgsgeschichte wurde …<br />
Es hat sich zumindest gezeigt, dass das Konzept mit vielen verschiedenen kleinen<br />
Unternehmen, <strong>Die</strong>nstleistern und Künstlern als Mieter umgesetzt werden<br />
konnte. Heute sind die Hallen vermietet, auch das zusätzliche Volumen, das<br />
durch die aktuelle, letzte Aufstocketappe geschaffen wird, ist bereits belegt.<br />
Es freut mich besonders, dass diese Räume von der <strong>Rykart</strong> <strong>Architekten</strong> <strong>AG</strong><br />
bezogen werden, der offenbar gefällt, was sie gebaut hat! So gesehen darf man<br />
von einem Erfolg sprechen. Aber bei allen Projekten braucht es immer auch ein<br />
bisschen Glück. Das hatten wir, als sich das Stadttheater Bern entschloss, das<br />
Konzerttheater Bern in den <strong>VIDMARhallen</strong> zu etablieren, auch dass BeJazz bei<br />
uns in Köniz ist. So konnte auf dem künstlerischen Bereich ein starker Akzent<br />
mit grosser Anziehungskraft gesetzt werden. Mit „Le Beizli“ entstand mitten im<br />
Gebäude und in ursprünglichem Gemäuer ein Restaurant, dessen besonderes<br />
Ambiente wie auch dessen Angebot von Mietern wie Konzert- und Veranstaltungsbesuchern<br />
sehr geschätzt wird.<br />
Und Ihr persönlicher Blick zurück?<br />
Ich bin froh, dass wir damals nicht verkauft, sondern das Risiko der Umnutzung<br />
eingegangen sind. Heute pulsiert vielfältiges Leben in den <strong>VIDMARhallen</strong>, die<br />
eigentlich eine kleine, bunt gemixte Welt für sich sind, eine Art Biotop. Besonders<br />
freut es mich aber, dass es in diesen Gebäuden wieder Arbeitsplätze gibt,<br />
es dürften heute etwa so viele sein, wie es früher hier gab. Wenn die fachgerecht<br />
renovierten und ausgebauten <strong>VIDMARhallen</strong> und das darin umgesetzte<br />
Nutzungskonzept mit dazu beigetragen haben, dass Köniz mit dem Wakkerpreis<br />
ausgezeichnet wurde, ist das natürlich eine besondere Anerkennung für unser<br />
Projekt.<br />
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<strong>Die</strong> Sanierungsstrategie<br />
Interventionen von<br />
<strong>Rykart</strong> <strong>Architekten</strong> 2002–2013<br />
<strong>Die</strong> Problematik des Areals zeigt sich zu Beginn der Planung in einem heterogenen<br />
Neben- und Durcheinander von diversen Nutzungen und einer unübersichtlichen<br />
Erschliessungssituation. <strong>Die</strong> Gebäudehüllen weisen einen gravierenden<br />
Unterhaltsüberhang auf und die Haustechnik ist weitgehend am Ende der<br />
Lebensdauer angelangt. <strong>Die</strong> Brandschutzsituation ist bedenklich. <strong>Die</strong> industrielle<br />
Gebäudestruktur hat sich jedoch als flexibel und resistent genug erwiesen, um<br />
die Um- und Einbauten der Mieternutzung ohne grössere Beeinträchtigungen zu<br />
überstehen.<br />
<strong>Die</strong> architektonischen Eingriffe konzentrieren sich damit auf die Gebäudehülle<br />
und auf die „öffentlichen“, für die Identität des Areals wesentlichen Elemente,<br />
namentlich die Erschliessungsbereiche. Hinzu kommen die bauliche Sanierung<br />
sowie die Einrichtung einer zeitgemässen technischen Infrastruktur. Das Ensemble<br />
wird mit Neubauteilen gezielt ergänzt.<br />
<strong>Die</strong> baulichen Massnahmen umfassen im Einzelnen folgende Schwerpunkte:<br />
Bei der Sanierung der Gebäudehülle wird der Sichtbeton wiederhergestellt,<br />
die Wärmedämmung wird dort gezielt verbessert, wo dies mit vertretbarem<br />
Aufwand und ohne Eingriffe in die Substanz möglich ist. <strong>Die</strong> breiten Korridore<br />
und Zufahrten, welche das Gebäude innen erschliessen, werden von Einbauten<br />
befreit und, wo nötig, ergänzt. In Analogie zu städtische Gassen und Plätzen<br />
erhalten sie eigene Strassennamen. <strong>Die</strong> Vertikalerschliessungen der Warenlifte<br />
und Treppenhäuser heben sich als rote Körper aus dem Gesamtbild hervor. <strong>Die</strong><br />
Übergänge zu den Erschliessungskorridoren werden als Freiräume mit platzartigem<br />
Charakter gestaltet und mit Sanitärcontainern ausgerüstet. <strong>Die</strong> Haustechnik<br />
wird neu erstellt.<br />
Fünf Ergänzungsbauten schöpfen das Arealpotenzial aus. <strong>Die</strong> Erweiterung des<br />
Eingangsgebäudes unterstützt den neuen Hauptzugang und wird zum wichtigen<br />
städtebaulichen Akzent am Kopf der Anlage. Mit der Umgestaltung des Untergeschosses<br />
werden neue Parkplätze für das Areal geschaffen. <strong>Die</strong> umgestaltete<br />
Werkgasse beherbergt gleichzeitig Mieter- und Besucherparkplätze und ermöglicht<br />
das Anliefern von Waren und Gütern.<br />
Alle Neubauten und Einbauten werden mit dem gleichen Katalog von ausgewählten<br />
Baumaterialien realisiert. Es sind einfache Gebrauchsmaterialien mit wenig<br />
Buntfarbenanteil, welche die Farben und Patina der bestehenden Bauteile zur<br />
Geltung lassen kommen. Spuren der industriellen Vergangenheit werden als<br />
Identifikationsobjekte belassen. <strong>Die</strong> notwendigen Eingriffe erfolgen mit gebührender<br />
Zurückhaltung, womit der Kontrast zwischen Alt und Neu oft erst auf den<br />
zweiten Blick erkennbar ist.<br />
Nordost-/Südwest-Fassade<br />
Situation<br />
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Ich war immer für die Erhaltung der <strong>VIDMARhallen</strong><br />
<strong>Die</strong> Umnutzung.<br />
Was geht Ihnen durch den Kopf, wenn Sie heute vor den <strong>VIDMARhallen</strong><br />
Ein Gespräch mit Walter Nellen stehen?<br />
Dass es gut gekommen ist mit dieser Liegenschaft. Dass ein nicht gerade alltägliches<br />
Konzept erfolgreich und gut umgesetzt wurde. Dabei war längst nicht von<br />
Anfang an klar, wie der Besitzer dieses Industrieareal nutzen wollte.<br />
Gab es konkrete Pläne?<br />
In der Krise der 90er-Jahre des letzten Jahrhunderts war man nicht gerade<br />
optimistisch, das galt auch für den Immobilienbereich und seine damals eher<br />
düsteren Zukunftsaussichten, sodass der Besitzer auch erwog, das Vidmar-<br />
Gelände zu verkaufen.<br />
Welche Haltung nahmen Sie damals ein?<br />
Meine Firma war ab 1991 mit der Vermietung und der Verwaltung der <strong>VIDMARhallen</strong><br />
beauftragt. Während über zehn Jahren habe ich mich für die Erhaltung und<br />
Neu nutzung der Liegenschaft eingesetzt. Ich war sehr froh, als sich der Besitzer gegen<br />
den Verkauf der Liegenschaft und für die Sanierung und den Ausbau entschied.<br />
Wie kam es zu diesem Entscheid?<br />
Daran erinnere ich mich, wie wenn es gestern gewesen wäre! Der Besitzer,<br />
Fredy Lienhard, kam im Jahr 2000 nach Köniz, um sich das Vidmar-Gelände genauer<br />
anzusehen. Vom Dach aus betrachtete er die Umgebung, die damals noch<br />
nicht überbaut, aber bereits Bauland war. Während dieser Viertelstunde muss<br />
der Entscheid gefallen sein, denn beim anschliessenden Mittagessen sagte mir<br />
Fredy Lienhard: „Herr Nellen, ich verkaufe nicht. Ich glaube an das Potenzial<br />
dieser Liegenschaft.“<br />
War damit die Zukunft der <strong>VIDMARhallen</strong> klar?<br />
Das war erst einmal der Grundsatzentscheid: Im Jahr 2000 war klar, dass das<br />
Vidmar-Areal im Besitz von Fredy Lienhard bleiben würde und dass es durch Vermietung<br />
wirtschaftlich genutzt werden sollte. Nun stellte sich die Frage nach der<br />
konkreten Umsetzung: Wie sollten die <strong>VIDMARhallen</strong> künftig genutzt werden?<br />
Wir haben drei Architekturbüros gebeten, uns ihre Vorstellungen zu präsentieren<br />
und ich war froh, dass <strong>Rykart</strong> <strong>Architekten</strong> den Zuschlag bekamen. Ihr Konzept<br />
sah die Sanierung und eine optimierte Nutzung der Liegenschaft vor. Daraus<br />
wurde ein komplexes Projekt, denn die <strong>VIDMARhallen</strong> waren ja vermietet, zu<br />
diesem Zeitpunkt hatten wir etwa 140 Mieter in den Gebäuden, ein sehr bunter<br />
Mix war das, um nicht zu sagen „Chrut und Rüebli“!<br />
Wie wurde die Sanierung aufgegleist?<br />
Wir wollten die Gebäude erhalten und ausbauen und gleichzeitig die Mieter<br />
behalten. Obwohl dies ein sehr sportliches Ziel war, ist es uns gelungen. Es hat<br />
funktioniert, weil sich die meisten Mieter bereit erklärten, während der Umbauund<br />
Sanierungsarbeiten ein Mal innerhalb des Gebäudes umzuziehen. Meine<br />
Firma IBP Integrale Bauherren- & Projektbetreuung <strong>AG</strong> bekam den Auftrag als<br />
Totalunternehmerin. Allerdings mit offenem Kostendach, denn bei einem solchen<br />
Projekt taucht immer wieder Unvorhergesehenes auf, das unmöglich vorauszusehen<br />
ist, jedoch stets Zusatzkosten verursacht.<br />
Wie sah das Konzept für die <strong>VIDMARhallen</strong> konkret aus?<br />
Einerseits sollte die bestehende Bausubstanz saniert werden, andererseits ging<br />
es darum, das Potenzial der Liegenschaft optimal zu nutzen. <strong>Die</strong> Gebäude, wie<br />
sie im Jahr 2000 dastanden, konnten nämlich durch Aufstockungen noch substanziell<br />
vergrössert werden. Bei der Vermietung wollten wir den bereits bestehenden<br />
Mix aus Gewerbe, <strong>Die</strong>nstleistung und Künstler beibehalten.<br />
Gab es Rückschläge bei der Umsetzung?<br />
Ja, natürlich, das geht bei einem Projekt dieser Art nicht anders. Zum Beispiel<br />
beim Restaurant, das unserer Meinung nach in dieses Gebäude gehörte. Wir<br />
waren überzeugt, einen idealen Pächter gefunden zu haben, der bereits einen<br />
sehr erfolgreichen Betrieb führte. Später stellte sich heraus, dass es der Pächter<br />
nicht ganz schaffte, sich punkto Angebot und Öffnungszeiten an die Besonderheit<br />
der <strong>VIDMARhallen</strong> anzupassen. Dass die Mieterschaft für einen Restaurateur<br />
ein tolles Potenzial darstellt, bestätigte sich bei der Neuvermietung des<br />
Restaurants aber eindrücklich! Eine ganz ähnliche Situation hatten wir übrigens<br />
auch mit einem Fitness-Center.<br />
Wie beurteilen Sie das Projekt <strong>VIDMARhallen</strong>?<br />
Es war in jeder Beziehung spannend! Das Projektmanagement war fordernd,<br />
denn es musste sich mit den verschiedensten Bereichen befassen, wie es nicht<br />
anders sein kann, wenn eine bestehende ältere Bausubstanz in eine Infrastruktur<br />
umgewandelt werden soll, die modernen Mieteransprüchen genügt. Da kommt<br />
jeden Tag ein neues Problem auf einen zu, das sofort gelöst werden muss.<br />
Dass es gelungen ist, hat mit verschiedenen Faktoren zu tun. Da waren meine<br />
Mitarbeiter, die sich mit Ehrgeiz und Zuversicht an die Arbeit gemacht haben. Da<br />
waren die <strong>Architekten</strong>, die – ebenso wie ich selber – an den Wert der vorhandenen<br />
Bausubstanz glaubten und sie sehr schön erhalten haben. Und nicht zu letzt<br />
war da eine Bauherrschaft, die sich voll und ganz hinter unsere Arbeit gestellt hat<br />
und stets bereit war, Problemlösungen rasch und unkompliziert zu unterstützen.<br />
Schliesslich haben Sie Ihr Vidmar-Mandat weitergegeben. Warum?<br />
Vermietung und Verwaltung ist nicht mein Kerngeschäft. Nach 13 Jahren Tätigkeit<br />
für das Projekt ergab sich 2004 eine ideale Möglichkeit zur Weitergabe des<br />
Mandats. In Hanspeter Burkhalter fand ich einen exzellenten Nachfolger, den ich<br />
aus einer gemeinsamen Zeit als Angestellte im gleichen Betrieb bestens kannte.<br />
Er hat meine Mitarbeiter, die mit den <strong>VIDMARhallen</strong> befasst waren, übernommen.<br />
Dass seine Firma das spannende Vidmar-Konzept kompetent weiterführt,<br />
beweist auch die Tatsache, dass er mittlerweile mit seinen Mitarbeiterinnen und<br />
Mitarbeitern in den <strong>VIDMARhallen</strong> in Köniz ansässig ist. <strong>Die</strong> weiteren Ausbauund<br />
Entwicklungsschritte der Liegenschaft wurden von da weg vom internen<br />
Immobilienmanagement des Besitzers koordiniert.<br />
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Von der Stadt in der Stadt zum Kulturzentrum<br />
Was andernorts mit der Umnutzung von ehemaligen Industriebauten risiko-, aber<br />
nicht immer erfolgreich angestrebt wird, ist auf dem Vidmar-Areal schon vor der<br />
Sanierung vorhanden: eine bunt zusammengewürfelte Nutzerschaft aus allen<br />
Sektoren – von der Produktion über <strong>Die</strong>nstleistung, Kunst und Kultur bis hin zur<br />
arealeigenen Gastronomie. <strong>Die</strong> Qualitäten dieser „Stadt in der Stadt“ nicht zu<br />
zerstören, ist die Maxime. Den MieterInnen wird angeboten, bereits sanierte<br />
Räume auf dem Areal zu beziehen – ein Angebot, von dem lebhaft Gebrauch<br />
gemacht wird. Alle baulichen Massnahmen werden in enger Zusammenarbeit<br />
mit der Hausverwaltung umgesetzt. Während Bauherrschaft und <strong>Architekten</strong><br />
die Verantwortung für die Gebäudestruktur und die Gebäudehülle übernehmen,<br />
können die NutzerInnen den Endausbau ihrer Räumlichkeiten nach ihren eigenen<br />
Bedürfnissen gestalten.<br />
Bereits beim Abschluss der Arbeiten kann ein Grossteil der Räume wieder der<br />
Nutzung zugeführt werden und mittlerweile bestehen Wartelisten für Mietflächen.<br />
<strong>Die</strong> Zukunft des hervorragenden baulichen Ensembles kann ohne Querfinanzierung<br />
auf wirtschaftlich und gestalterisch tragfähigem Boden gesichert<br />
werden.<br />
Im Herbst 2005 melden die Medien, dass das Stadttheater Bern plane, seine<br />
zweite Spielstätte in die <strong>VIDMARhallen</strong> zu verlegen. Mit dem Einbau eines<br />
mehrseitig bespielbaren, 300 Zuschauer fassenden Theatersaales mit mobilen<br />
Sitzrampen und Bühnen, einer entsprechenden Infrastruktur, einem Backstage-,<br />
Lager- und Sanitär-Bereich, einem Ballettsaal sowie einer kleinen Studiobühne,<br />
welche sowohl für Theateraufführungen wie auch als Konzertlokal für BeJazz<br />
genutzt werden kann, avancieren die <strong>VIDMARhallen</strong> endgültig zu einem der<br />
lebendigsten Kulturtreffpunkte der Region.<br />
Erdgeschoss<br />
1. Obergeschoss<br />
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Wie finden wir hier wieder hinaus?<br />
<strong>Die</strong> Realisierung.<br />
Welches war Ihr Eindruck, als sie die <strong>VIDMARhallen</strong> zum ersten Mal<br />
Ein Gespräch mit Claude <strong>Rykart</strong> besucht haben?<br />
und Oliver Sidler<br />
Oliver Sidler: Meine einzige Frage war: Wie finden wir hier wieder hinaus? Es<br />
war wie auf einem Flohmarkt – viele Teilflächen waren an ein sehr buntes Völklein<br />
unterschiedlicher Couleur vermietet, es war ein faszinierendes Chaos!<br />
Claude <strong>Rykart</strong>: Mir war rasch klar, dass es Strukturen brauchen würde. Und die<br />
haben wir geschaffen: Gassen und Plätze tragen Namen, die Mieterinnen und<br />
Mieter der verschiedensten Branchen verfügen über ihre eigene Infrastruktur<br />
und als Treffpunkt für alle bietet das Vidmar-Restaurant „Le Beizli“ eine gute<br />
Atmosphäre.<br />
Wie sind Sie an den Studienauftrag um die Neunutzung der <strong>VIDMARhallen</strong><br />
herangegangen?<br />
CR: Am Anfang jeder Projektarbeit steht bei uns die Analyse. Wir wollen begreifen,<br />
wie sich eine Situation entwickelt hat und wie wir die Geschichte weiterschreiben<br />
können. Bei den <strong>VIDMARhallen</strong> haben wir rasch herausgefunden,<br />
dass der Ort viele Qualitäten, eine gute Struktur und einen ganz eigenen Charakter<br />
hat, der nicht zuletzt durch die bestehende Mieterschaft geprägt wurde.<br />
OS: Wir wussten, dass Sanierung und Ausbau der <strong>VIDMARhallen</strong> eigentlich<br />
eine Strukturbereinigung werden würde. Unsere Aufgabe war es, die bestehenden<br />
Gebäude mit einer auf die neue Nutzung zugeschnittenen Infrastruktur zu<br />
versehen, dabei wollten wir den Charakter dieser Fabrikliegenschaft insgesamt<br />
erhalten.<br />
Wie sind Sie an die Aufgabe herangegangen?<br />
OS: Wir hatten das Glück, im Areal ein Archiv vorzufinden, in welchem jede<br />
Bauetappe nahezu lückenlos dokumentiert war. Wir konnten studieren, wie alles<br />
entstanden ist …<br />
CR: … und sozusagen geordnet zurückbauen, wo es nötig war, um zur effektiven<br />
Grundsubstanz zu kommen, auf der wir neu aufbauen konnten.<br />
Welches waren Ihre Ziele? CR: <strong>Die</strong> ergaben sich aus den Vorgaben der Bauherrschaft:<br />
In den VIDMAR hallen sollten bezahlbare Mietobjekte für einen<br />
breiten Mieterkreis entstehen. Unsere Aufgabe war es, den Rahmen dafür<br />
bereitzustellen. <strong>Die</strong>nstleister, Gewerbetreibende und Künstler sollten gleichermassen<br />
eine Heimat finden. Weiter ging es darum, das Verdichtungspotenzial<br />
der Liegenschaft auszuloten.<br />
OS: Wir haben die <strong>VIDMARhallen</strong> in unterschiedliche Nutzungsbereiche aufgeteilt<br />
und auf den Ausbaustandard des „Edelrohbaus“ gebracht. Das heisst, es<br />
entstanden Mietobjekte für Gewerbe-, Atelier- und Büronutzung sowie Lagerbereiche,<br />
wobei jede Einheit mit Strom, Wasser und weiteren Medien erschlossen<br />
wurde. Den individuellen Endausbau wollten wir den Mietern überlassen, das<br />
hat zu den erschwinglichen Mietpreisen beigetragen.<br />
Wie haben Sie sich organisiert?<br />
CR: Wir haben mit Hanspeter Marmet einen hervorragenden Projektleiter und sensiblen<br />
<strong>Architekten</strong> in den eigenen Reihen. Er hat die Zielsetzungen im Einzelnen definiert und<br />
zusammen mit einem internen Team von bis zu fünf Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern<br />
sowie einem Stab aus Fachplanern das anspruchsvolle Projekt erfolgreich umgesetzt.<br />
OS: Dabei sollten Sanierung und Ausbau so realisiert werden, dass die bestehende<br />
Substanz wenn immer möglich nicht verändert, sondern als tragender Teil in die<br />
Pläne integriert werden konnte.<br />
Was bedeutet das konkret?<br />
OS: Ganz einfach: Wir wollten nur dort eingreifen, wo im Laufe der Zeit etwas<br />
Störendes dazukam, im Weg war, oder die Sicherheit beeinträchtigte.<br />
CR: Das bedeutete zum Beispiel, die Fenster in den Künstlerateliers so zu erhalten,<br />
wie sie von der Firma Vidmar geschaffen worden waren. Also die ursprünglichen filigranen<br />
Stahlprofile mit einer Isolierverglasung zu versehen und so ein charakterprägendes<br />
Element zu erhalten. Oder Träger, Böden oder ursprüngliche Fragmente wie etwa<br />
Dächer in Zwischengängen als Zeitzeugen in ihrer ursprünglichen Form zu erhalten.<br />
Zu einem Objekt dieser Grössenordnung gehören Parkplätze für die Mieter …<br />
CR: … da hatten wir das Glück, dass grosse Teile der Anlage unterkellert und als<br />
Lager genutzt waren. Durch die ehemalige Direktionsgarage liess sich diese Etage<br />
erschliessen und als Parking nutzen, sodass die <strong>VIDMARhallen</strong> heute über genügend<br />
Parkplätze für die Mieter, aber auch für die abendlichen Besucher des Stadttheaters<br />
Bern oder des Jazzclubs verfügt.<br />
Warum hat Ihr Konzept für die <strong>VIDMARhallen</strong> dermassen eingeschlagen?<br />
OS: Es gibt in der Region schlicht nichts Vergleichbares. <strong>Die</strong> <strong>VIDMARhallen</strong> befinden<br />
sich an bester Lage an der Stadtgrenze von Bern und sind auch mit dem<br />
öffentlichen Verkehrsmittel gut erreichbar.<br />
CR: Natürlich hat das auch mit dem Entscheid des Stadttheaters Bern zu tun, die<br />
zweite Spielstätte in den <strong>VIDMARhallen</strong> zu etablieren. So haben wir dort nun einen<br />
äusserst attraktiven Mietermix, zu dem eben auch die Kultur zählt.<br />
Sind die <strong>VIDMARhallen</strong> nun fertig gebaut?<br />
CR: Wir haben jetzt 13 Jahre an diesem Projekt gearbeitet. Es handelt sich um einen Prozess,<br />
der eigentlich nie beendet ist. Gerade jetzt planen wir eine weitere Aufstockung, und<br />
es wird immer wieder etwas zu verändern sein, etwa wenn neue Mieter neue Bedürfnisse<br />
haben. <strong>Die</strong> <strong>VIDMARhallen</strong> sind und bleiben natürlich auch eine ausgezeichnete Referenz<br />
für unser Büro – wir haben gezeigt, wie wir mit alter Substanz umgehen wollen und<br />
können. Ohne zu übertreiben darf man sagen, dass die Umnutzung der <strong>VIDMARhallen</strong> zu<br />
einer Erfolgsgeschichte geworden ist. Wir sind stolz darauf, dazu beigetragen zu haben.<br />
OS: Nach den verschiedenen grossen Renovierungs- und Ausbauetappen ist das Erweiterungspotenzial<br />
dieses Areals natürlich irgendwann ausgeschöpft. Wir blicken gerne zurück<br />
auf eine jederzeit interessante und bereichernde Zusammenarbeit mit der Totalunternehmerin,<br />
vielen Unternehmern, sowie einer begeisterungsfähigen Bauherrschaft, die letztlich<br />
diesen gelungenen Umbau einer ehemaligen Fabrikliegenschaft in eine eigene vielfältige<br />
und pulsierende kleine Stadt mit faszinierendem Innenleben ermöglicht hat.<br />
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Literaturverzeichnis<br />
100 Jahre VIDMAR. Jubiläumsschrift zum 100jährigen Bestehen<br />
unseres Unternehmens. Bern, 1962<br />
Gabler, Christiane: Sanierung und Umnutzung der <strong>VIDMARhallen</strong>.<br />
Nutzungsmix statt Monofunktion. In: Bauwelt, 23.2005<br />
Schläppi, Christoph: Vom Sorgenkind zum Kulturtreffpunkt.<br />
Vidmar-Areal Köniz: wegweisend zwischengenutzt.<br />
In: Forum Heimatschutz 2/06<br />
Schnell, <strong>Die</strong>ter: Beispielhaftes Bauen, Umnutzungen.<br />
In: Akzent Baukultur: Köniz. Hrsg: Berner Heimatschutz, 2012<br />
Bildnachweise<br />
Archiv Firma Vidmar (Fotografien in Schwarz-Weiss)<br />
Gerhard Hagen, Bamberg (Architekturfotografien)<br />
Alexander Gempeler, Bern (Fotografien der Ateliers)<br />
Fred Leiser (Fotografie Büro <strong>Rykart</strong>)<br />
<strong>Rykart</strong> <strong>Architekten</strong> <strong>AG</strong> (Pläne)<br />
Dank<br />
Wir bedanken uns herzlich bei allen, die uns bei der Realisierung dieses Bandes<br />
unterstützt haben, im Speziellen bei Fredy Lienhard, Urs Brüschweiler und allen<br />
Vidmar-MieterInnen, welche uns ihre Ateliers geöffnet haben!<br />
<strong>Rykart</strong> <strong>Architekten</strong> <strong>AG</strong>, Liebefeld, im Herbst 2013<br />
<strong>Rykart</strong> <strong>Architekten</strong> <strong>AG</strong><br />
Könizstrasse 161<br />
3097 Liebefeld<br />
www.rykartarchitekten.ch<br />
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© 2013 <strong>Rykart</strong> <strong>Architekten</strong> <strong>AG</strong>, Liebefeld<br />
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