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JW_S37_Friesische Heimat_20131026 - Jeversches Wochenblatt

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470. Beilage JEVERSCHES WOCHENBLATT 26. Oktober 2013<br />

Ems-Jade-Kanal wird 125 Jahre alt<br />

HISTORIE „Kuhrinne“ dient heute als Freizeitschipper-Eldorado<br />

VON RAINER HINRICHS<br />

Der Kanal bei Hebrighausen/Gödens.<br />

EMS-JADE – Am 5. Juni 1888, also<br />

vor 125 Jahren, wurde der<br />

Ems-Jade-Kanal für den Verkehr<br />

freigegeben. Nachfolgend<br />

soll die Bedeutung dieser<br />

künstlichen Wasserstraße<br />

zwischen Emden und Wilhelmshaven<br />

für den damals<br />

noch jungen Landkreis Wittmund<br />

beleuchtet werden:<br />

Die Planungen für den Bau<br />

eines Kanals quer durch Ostfriesland<br />

lassen sich seit 1630<br />

nach verfolgen: Damals waren<br />

es Emder Kaufleute, die diese<br />

Überlegung anstellten. Durch<br />

den Dreißigjährigen Krieg<br />

und nachfolgende schwere<br />

wirtschaftliche Zeiten, die die<br />

Grafschaft und das spätere<br />

Fürstentum Ostfriesland fortwährend<br />

beutelten, wurde<br />

dieser Plan erst 1797, nun<br />

unter preußischer Herrschaft,<br />

in die Tat umgesetzt: Es entstand<br />

in zweijähriger Bauzeit<br />

eine Erweiterung des Treckfahrtskanals,<br />

einer Wasserverbindung<br />

zwischen Emden<br />

und Aurich. Die Bezeichnung<br />

„Treckfahrt“ deutet dabei die<br />

alte Fortbewegung der Boote<br />

an, die man, auf dem Wasser<br />

liegend, an Land mit Seilen<br />

ziehen, eben „trecken“ musste.<br />

Eine Schiffbarkeit des vormaligen<br />

Tiefs war zunächst<br />

nicht gegeben und wurde erst<br />

durch die Erweiterung zum<br />

Kanal nun hergestellt. Schnell<br />

reifte dann die Idee, diesen<br />

Kanal bis an den Jadebusen zu<br />

vollenden und damit für kleinere<br />

Schiffe die Möglichkeit<br />

zu bieten, zum Teil die „gefährliche“<br />

Nordsee umschiffen<br />

zu können. Aber auch<br />

landentwicklerische Überlegungen<br />

spielten eine Rolle:<br />

Das Gebiet zwischen Aurich,<br />

Wittmund im Norden und<br />

Friedeburg, Remels im Süden<br />

war zu einem großen Teil von<br />

Moorflächen bestimmt. Auch<br />

nach dem Urbarmachungsedikt<br />

1765 von dem Preußenkönig<br />

Friedrich dem Großen<br />

(1712–1786) haben sich in diesem<br />

Bereich nur sehr zögerlich<br />

Ansiedlungen, sogenannte<br />

Kolonate, entwickelt: Wiesedermeer,<br />

gegründet 1739,<br />

und Upschört, gegründet<br />

1800, waren im Bereich des<br />

heutigen Landkreises Wittmund<br />

vorsichtige Versuche, in<br />

die weiten Moorflächen Richtung<br />

Süden vorzudringen. So<br />

wurde der zu bauende Kanal<br />

eindeutig auch als allgemeine<br />

Wirtschaftsförderung angesehen,<br />

um diese „Wüsteneyen“<br />

für die (land-)wirtschaftliche<br />

Nutzung zu erschließen.<br />

Zu Zeiten der napoleonischen<br />

Kontinentalsperre ab<br />

1806 wurde noch einmal ein<br />

Anlauf unternommen, diese<br />

Idee in die Tat umzusetzen,<br />

welches jedoch nicht gelang.<br />

In der Hannoveraner Zeit<br />

(1815–1866) warben insbesondere<br />

der Emder Magistrat<br />

und die Ostfriesische Landschaft,<br />

damals noch als landständische<br />

Vertretung der ostfriesischen<br />

Bevölkerung, bei<br />

den führenden Kräften in<br />

Hannover für den Bau des Kanals,<br />

der allerdings auf wenig<br />

Widerhall stieß.<br />

Dies änderte sich erst, als<br />

Preußen in den 1850er Jahren<br />

einige Flächen am Jadebusen<br />

erwarb, die später den Kriegshafen<br />

Wilhelmshaven bilden<br />

sollten. Als Ostfriesland dann<br />

wieder preußische Provinz<br />

wurde, begannen Überlegungen<br />

die Oberhand zu gewinnen,<br />

dass die Versorgung dieser<br />

neuen Ansiedlung, sowohl<br />

was die militärischen Anlagen<br />

als auch für die Zivilbevölkerung<br />

anging, auf dem Landweg<br />

Ostfrieslands zu sichern<br />

und insbesondere den damals<br />

wichtigen Hafen Emden über<br />

eine geschütztere Landverbindung<br />

statt auf dem Seeweg<br />

erreichen zu können.<br />

BILD: RAINER HINRICHS<br />

1873 heißt es dazu in<br />

einem preußischen Erlass:<br />

„Nachdem der Herr Finanzminister,<br />

der Herr Minister für<br />

die landwirtschaftlichen Angelegenheiten<br />

und der Chef<br />

der Kaiserlichen Admiralität<br />

ihre Zustimmung zu der Herstellung<br />

einer Kanalverbindung<br />

zwischen der Ems und<br />

der Jade zu erkennen gegeben<br />

haben, beauftrage ich die Königliche<br />

Landdrostei (gemeint<br />

ist: Aurich), mit den Vorarbeiten<br />

für die Kanallinie Aurich–<br />

Upschört–Wilhelmshaven …<br />

unversäumt vorzugehen.“ Elf<br />

Millionen Reichsmark waren<br />

für den Bau vorgesehen; für<br />

den Grunderwerb sah man<br />

zunächst eine unentgeltliche<br />

Überlassung vor. Da dies auf<br />

den Widerstand der betroffenen<br />

Grundstückseigentümer<br />

stieß, haben sich insbesondere<br />

die beteiligten Kommunen<br />

daran gesetzt, Mittel für den<br />

Grunderwerb zu beschaffen<br />

Warmer Gilbhart bringt fürwahr, stets einen kalten Januar.<br />

ALTE BAUERNREGEL


und damit die betroffenen<br />

Anrainer zu entschädigen:<br />

insgesamt 235 000 Reichsmark<br />

kamen auf diese Weise<br />

zusammen (1876).<br />

Die Planungen schritten<br />

voran, im Frühjahr 1880 begann<br />

die Tiefbaufirma Feuerloh<br />

aus Stettin mit schwerem<br />

Gerät und etwa 700 Arbeitern<br />

aus Pommern mit den Erdarbeiten<br />

von Aurich nach Upschört.<br />

Später waren hier 6000<br />

bis 7000 Arbeiter beschäftigt,<br />

die überwiegend mit Schubkarren<br />

und Spaten auf circa 50<br />

Meter Breite und bis zu acht<br />

Meter Tiefe bis September<br />

1882 einen Erdaushub von etwa<br />

2,5 Millionen Kubikmetern<br />

bewältigten. Der Akkordlohn<br />

betrug drei bis vier Reichsmark<br />

täglich, die Unterkunft<br />

erfolgte in teilweise schäbigen<br />

Baracken, Streiks waren ebenfalls<br />

fast an der Tagesordnung.<br />

Die Bauaufsicht bei den<br />

Kanalarbeiten hatte Wilhelm<br />

Eberhard aus Hessisch-Oldendorf<br />

inne, später erster<br />

Strommeister für den Abschnitt<br />

Upschört–Mariensiel.<br />

Die Bauleitung wurde seitens<br />

der preußischen Seite von den<br />

Auricher Beamten Tolle und<br />

später Baurat Schelten wahrgenommen,<br />

seitens der<br />

Reichsverwaltung war dies ein<br />

Regierungsbaumeister Richard<br />

Stosch (* um 1850), später<br />

in Stade, geadelt 1911, andere<br />

schreiben die Bauleitung<br />

sogar dem Admiral Albrecht<br />

von Stosch (1818–1896) selbst<br />

als Chef der Kaiserlichen Admiralität<br />

zu; dieses Amt hat er<br />

jedoch nur bis 1883 wahrgenommen.<br />

Für diese Region waren<br />

diese Arbeiten in wirtschaftlicher<br />

Hinsicht ein Segen:<br />

Gaststätten wurden gegründet,<br />

beispielsweise die<br />

heute noch bestehende Gastwirtschaft<br />

„Zum Ems-Jade-<br />

Kanal“ in Upschört, direkt am<br />

Kanal. Viel Geld wurde durch<br />

die Arbeiter hier gleich wieder<br />

„versoffen“, Schlägereien waren<br />

an der Tagesordnung. In<br />

Friedeburg wurde ein Feldlazarett<br />

eingerichtet, das Dr. Ricklef<br />

Strömer, ein Bauernsohn<br />

aus Etzel, betrieb. Bei der Wieseder<br />

Schleuse wurde zudem<br />

Heilwasser entdeckt, welches<br />

er bei Blutarmut, Bleichsucht<br />

und Schwächezuständen einsetzte.<br />

Später errichtete er<br />

hier eine kleine Anlaufstelle,<br />

die im Volksmund „Doktors<br />

Pütt“ genannt wurde. Reich<br />

geworden ist Dr. Strömer mit<br />

diesem Heilwasser nicht.<br />

Aber auch die umliegende<br />

Bevölkerung nahm reichlich<br />

Anteil an den Bauarbeiten:<br />

Ganze Gesellschaften, insbesondere<br />

aus dem Auricher<br />

und dem Vareler Raum, kamen<br />

hierher in die „Sommer-<br />

Der Kanal auf einer Ostfrieslandkarte um 1930.<br />

frische“ oder im Winter zum<br />

Schlittschuhlaufen.<br />

Die zweite Streckenabnahme<br />

von Upschört bis zur Oldenburgischen<br />

Grenze bei<br />

Sande erfolgte Anfang 1883,<br />

die Schleuse in Upschört<br />

konnte wegen baulicher Mängel<br />

jedoch erst Ende März<br />

1885 abgenommen werden.<br />

In den Marschgebieten östlich<br />

von Reepsholt erfolgte der Kanalbau<br />

dabei als Aufschüttung<br />

inmitten der freien Landschaft.<br />

Ende 1887 konnte der gesamte<br />

72,3 Kilometer lange<br />

Kanal von Emden bis Wilhelmshaven<br />

befahren werden;<br />

am 5. Juni 1888, im sogenannten<br />

Dreikaiserjahr, zehn<br />

Tage vor dem Tod Kaiser<br />

Friedrichs III. (1831–1888)<br />

wurde die Wasserstraße an<br />

der Nesserlander Seeschleuse<br />

in Emden freigegeben. Eingeladen<br />

war auch Reichskanzler<br />

Otto von Bismarck (1815-<br />

1898), der jedoch mit der Bemerkung<br />

abgelehnt haben<br />

soll: „Wegen dieser Kuhrinne<br />

fahre ich doch nicht in das unwirtliche<br />

Ostfriesland!“<br />

Schon im ersten Jahr befuhren<br />

über 1000 Lastkähne<br />

den Kanal und brachten neue<br />

Aktivität in die bisher unerschlossenen<br />

Moorgebiete.<br />

So konnte man daran gehen,<br />

auch neue Ansiedlungen zu<br />

schaffen. Für den Bereich<br />

südlich von Wiesedermeer ist<br />

dort insbesondere Marcardsmoor<br />

zu nennen:<br />

Nach der Einweihung des<br />

Kanals begann die preußische<br />

Zentralmoorkommission<br />

unter deren Vorsitzenden<br />

Eduard von Marcard<br />

(1826–1892), dem damaligen<br />

Unterstaatssekretär im preußischen<br />

Landwirtschaftsministerium,<br />

der Ostfriesland<br />

aus seiner Zeit in der Landdrostei<br />

Aurich kannte, mit der<br />

Kultivierung eines rund 2100<br />

Hektar großen Gebietes nördlich<br />

und südlich des Kanals.<br />

Die Urbarmachung des Moores<br />

übernahmen Siedler zusammen<br />

mit Strafgefangenen,<br />

wobei diese mit einer neuen<br />

Methode, der sogenannten<br />

„Deutschen Hochmoorkultur“,<br />

unter Einsatz von künstlichen<br />

und organischen Düngemitteln<br />

arbeitete. Sie trieben<br />

Entwässerungsgräben in<br />

einem rechten Winkel zum in<br />

Ost-West-Richtung verlaufenden<br />

Kanal ins Moor. 1890 wurden<br />

fünf Siedlerhäuser in<br />

Marcardsmoor gezählt, bis<br />

1900 folgten noch einmal 29.<br />

Für den Straßenbau waren<br />

die umliegenden Gemeinden<br />

zuständig, was diese aber gerne<br />

taten, da sie von dem zunehmenden<br />

Warenverkehr<br />

sehr profitierten: So konnte<br />

Torf verkehrsgünstig vertrieben<br />

werden; jedoch auch der<br />

Bezug von Waren, auch von<br />

weiter auswärts, wurde jetzt<br />

wesentlich einfacher, da nun<br />

Straßen und ein Wasserweg<br />

zur Verfügung standen. Für<br />

die Straße von Wiesedermeer<br />

(damalige Gaststätte Kleyhauer)<br />

zum Kanal bei der neuen<br />

Ansiedlung Marcardsmoor<br />

bewilligte die Gemeinde Wiesedermeer<br />

im Juli 1890 den<br />

Bau. Getragen wurden die<br />

Baukosten aus Gemeindemitteln<br />

und dem Kreiskommunalverband.<br />

Bei der Namensgebung<br />

1892 sollte auch von Marcard<br />

selbst anwesend sein, der jedoch<br />

wegen einer Erkrankung<br />

fernbleiben musste und wenig<br />

später starb. In seiner Begründung<br />

zur Namensgebung<br />

führte der damalige Oberpräsident<br />

der Provinz Hannover<br />

Rudolf von Bennigsen<br />

(1824–1902) aus, dass man<br />

zeigen wolle, „welchem Mann<br />

man für die stetig fortschrei-<br />

REPRO: RAINER HINRICHS<br />

tende Kultivierung und Kolonisierung<br />

zu besonderem<br />

Dank verpflichtet sei“.<br />

Die Gemeindeaufgaben als<br />

Standesbeamter, Schulrechnungsführer<br />

und Gutsvorsteher<br />

des anfangs gemeindefreien<br />

Gebietes nahm der aus Oldenburg<br />

stammende „Moorvogt“<br />

genannte Heinrich<br />

Helms (1861–1946) wahr.<br />

Von Marcardsmoor aus begann<br />

im Jahre 1906 der Bau<br />

des Nordgeorgsfehnkanals,<br />

der die Besiedlung des heutigen<br />

Wiesmoorer Kerngebiets<br />

ermöglichte. 1907 entstand<br />

die Kreuzkirche, anfangs (bis<br />

1926) als Filialkirche der Kirche<br />

in Reepsholt. Nach weiterem<br />

Wachstum wurde der<br />

staatliche Gutsbezirk Marcardsmoor<br />

1924 in eine<br />

selbstständige politische Gemeinde<br />

umgewandelt. Sie gehörte<br />

bis 1951 zum Landkreis<br />

Wittmund und seitdem zum<br />

Landkreis Aurich.<br />

Heute wird der Ems-Jade-<br />

Kanal überwiegend für die<br />

Freizeit-Schifffahrt genutzt.<br />

Quellen und Literatur:<br />

Arbeitskreis 250 Jahre Wiesedermeer,<br />

250 Jahre Wiesedermeer –<br />

Chronik des Ortes, Wiesedermeer<br />

1989, S. 25.<br />

Werner Brune (Hrsg.), Wilhelmshavener<br />

<strong>Heimat</strong>lexikon, Wilhelmshaven<br />

1986, Stichwort „Ems-Jade-Kanal“.<br />

Dorfgemeinschaft Wiesede, „Doktoren-Patent<br />

in neuem Stil“, in: Anzeiger<br />

für Harlingerland vom 17. Juni<br />

2013, www.dorfgemeinschaft-wiesede.de<br />

„EJK 125 – Kanalgeschichten zum<br />

Jubiläum“, hrsg. von Michael Hüttenberger<br />

und Carl-Heinz Dirks, Mettcker<br />

Wittmund 2013.<br />

Emder Zeitung vom 05. Juni 2013:<br />

Von der „Kuhrinne“ zur „Lebensader“<br />

Genealogie Stosch,<br />

www.wikipedia.de,<br />

www.forum.ahnenforschung.net<br />

Christa Herzog, Upschört – Der Weg<br />

vom wüsten Heydfeld zu einer<br />

ordentlichen Colonie, Aurich 2000,<br />

S. 153 ff. (Kapitel 3.10)<br />

Rainer Köpsell, Serie zum Ems-Jade-<br />

Kanal, Teil 1 in Anzeiger für Harlingerland<br />

vom 01. Juni 2013<br />

Helmut Sanders, Eduard von Marcard<br />

in: Biographisches Lexikon für<br />

Ostfriesland (5 Bände), Band 4,<br />

S. 294 f., Aurich 2007.<br />

Helmut Sanders, Marcardsmoor in:<br />

Historische Ortsdatenbank der Ostfriesischen<br />

Landschaft.<br />

Gerhard Sauer, „Pommern und der<br />

Ems-Jade-Kanal“, Leserbrief in: Ostfriesische<br />

Nachrichten vom 30. Mai<br />

2013, Berichterstattung vom 25.<br />

Mai 2013 (125. Geburtstag – und<br />

keiner feiert?).<br />

Verzeichnis der im preußischen<br />

Staate und bei Behörden des<br />

deutschen Reiches angestellten<br />

Baubeamten vom 20. Dezember<br />

1905, S. 190


Blitzeinschlag vernichtete eine der<br />

schönsten Mühlen im Jeverland<br />

HISTORIE Am 11. August 1963 brannte die Waddewarder Mühle ab<br />

VON DIETMAR RECK<br />

WADDEWARDEN –Rund 100 Jahre<br />

war die Waddewarder<br />

Mühle alt, als ein Blitzeinschlag<br />

das historische Bauwerk<br />

am Sonntag, 11. August<br />

1963, vernichtete. In der Mittagszeit<br />

überquerte eine im<br />

Wetterbericht angekündigte<br />

Unwetterfront das Jeverland<br />

und gegen 12 Uhr schlug ein<br />

glühender Lichtball auf die<br />

Mühlenkappe auf. Vermutlich<br />

war es ein Kugelblitz, so berichten<br />

Zeugen später, der<br />

über das trockene Reetdach<br />

abrollte und das leicht brennbare<br />

Material in wenigen Sekunden<br />

in Brand setzte.<br />

Mit dumpfem Gepolter und<br />

aufsteigendem Funkenflug<br />

stürzte eine dreiviertel Stunde<br />

später das Balkenwerk des<br />

hölzernen Mühlenrumpfes<br />

ein, beschreibt Hugo Rase†als<br />

WOCHENBLATT-Journalist das<br />

Brandunglück, über das er am<br />

Montag, 12. August 1963, im<br />

Jeverschen <strong>Wochenblatt</strong> berichtete.<br />

Glücklicherweise fiel<br />

der hohe hölzerne Mühlenkorpus<br />

auf die östliche Seite<br />

des Müllerhauses auf eine<br />

Freifläche, sodass das gegenüberliegende<br />

Müllerwohnhaus<br />

nicht beschädigt wurde.<br />

Der 84-jährige Rolf Arjes,<br />

der die Mühle 1907 erwarb,<br />

und Sohn Hinrich mussten<br />

zusehen, wie ein Lebenswerk<br />

in wenigen Minuten vernichtet<br />

wurde. Die Waddewarder<br />

Mühle gehörte zu den letzten<br />

in Betrieb befindlichen Windmühlen<br />

im Jeverland. Davor<br />

stand bereits eine Mühle zwischen<br />

Waddewarden und Sillenstede<br />

(„Alte Mühlenstätte“<br />

genannt), die abgebrochen<br />

und danach am jetzigen<br />

Standort als Galerieholländer<br />

wieder aufgebaut wurde.<br />

WOCHENBLATT-Filmer Jürgen<br />

Eden als Mühlennachbar<br />

und Feuerwehrmann Helmer<br />

Gerdes (Ortsbrandmeister in<br />

Waddewarden von 1972 bis<br />

1992) hatten das Gewitter herannahen<br />

sehen und die Situation<br />

nicht als so bedrohlich<br />

empfunden. Doch plötzlich<br />

hörten sie einen gewaltigen<br />

Der Mühlenrumpf der abgebrannten Mühle wird als Wohnhaus<br />

genutzt.<br />

BILD: DIETMAR RECK<br />

Die Waddewarder Mühle im Vollbrand. Archivfoto der Feuerwehr<br />

Waddewarden von Jürgen Eden.<br />

REPRO: DIETMAR RECK<br />

Schlag mit einem lauten Knall<br />

bei dem Blitz und Donner<br />

zeitgleich aufeinandertrafen<br />

in unmittelbarer Nähe der<br />

Mühle. Eine Feuersäule mit<br />

einer schwarzen Rauchfahne<br />

und einem weit sichtbaren<br />

Feuerschein stieg auf, der sich<br />

in wenigen Minuten zu einem<br />

Vollbrand entwickelte.<br />

Die Waddewarder Feuerwehr<br />

rückte unter der Leitung<br />

von Gemeindebrandmeister<br />

Karl Drieling † (Waddewarden<br />

war noch eine selbstständige<br />

Gemeinde) schnell aus, doch<br />

sie verfügte nicht über ein<br />

Tanklöschfahrzeug für den<br />

Erstangriff und musste eine<br />

Wasserförderung für das<br />

Löschwasser aus einem nahe<br />

gelegenen Graben aufbauen.<br />

Auch der Einsatz der Wasserführenden<br />

jeverschen Löschfahrzeuge<br />

mit ihrer Mannschaft,<br />

die in kürzester Zeit anrückte,<br />

konnte den Vollbrand<br />

nicht eindämmen. Es gelang<br />

den Einsatzkräften, das Übergreifen<br />

des Feuers mit seiner<br />

starken Wärmeentwicklung<br />

auf das Müllerhaus mit seinen<br />

anliegenden Gebäuden zu verhindern.<br />

Das aus Klinkern gemauerte,<br />

circa zehn Meter hohe<br />

Mauerwerk der Mühle wurde<br />

von der Feuerwehr mit<br />

Wasser gekühlt und blieb<br />

größtenteils erhalten.<br />

Nach dem Brand erneuerte<br />

und restaurierte der Waddewarder<br />

Bauunternehmer Arthur<br />

de Jonge das Mauerwerk,<br />

das besonders an der westlichen<br />

Eingangsseite zur Mühle<br />

stark beschädigt war, und<br />

deckte den Mühlenrumpf neu<br />

ein. Einige Jahre führte Hinrich<br />

Arjes noch das Landhandelsgeschäft.<br />

Die Mühle gehörte<br />

einst der jeverschen<br />

Kaufmannsfamilie Minssen,<br />

die die Mühle 1907 an den<br />

Müller Rolf Arjes verkaufte<br />

und dessen Sohn Hinrich das<br />

Müllerhandwerk bis zum<br />

Brandausbruch ausübte.<br />

Die Familie Deneckes<br />

kaufte 1979 das Mühlengelände<br />

mit seinem Gebäudebestand.<br />

Der leer stehende<br />

Mühlenrumpf wurde zu einer<br />

geschmackvollen Wohnung<br />

umgebaut, und auch das<br />

Müllerhaus ist in dem historischen<br />

Mühlenensemble integriert.<br />

Ein hoher Grüngürtel<br />

umschließt heute das Gelände<br />

und der Gebäudebestand<br />

ist nicht mehr einsehbar als<br />

ein Geschichtszeichen einer<br />

„guten alten Zeit“, die mit der<br />

Mühle ein Wahrzeichen des<br />

Jeverlandes war. Der Galerieholländer<br />

wurde als eine der<br />

schönsten Mühlen im Jeverland<br />

eingeschätzt, die sich<br />

majestätisch 100 Meter vor<br />

der Waddewarder Ortseinfahrt<br />

etwas abseits von der<br />

Landesstraße aus Richtung<br />

Jever erhob.<br />

Der Mühlenrumpf brennt in<br />

voller Ausdehnung. Archivfoto<br />

der Feuerwehr Waddewarden<br />

(Jürgen Eden). REPRO: DIETMAR RECK


Kirchenhistorie einst und jetzt<br />

ACCUM St.-Willehad-Kirche ist die einzige reformierte Kirche im Land Oldenburg<br />

Die St.Willehad-Kirche im Schortenser Stadtteil Accum heute.<br />

BILD: HARTWIG HARMS<br />

„Schöne Bauten: Die Kirche in Accum“, Rudi Lehmann,<br />

1949. REPRO: HARTWIG HARMS<br />

Auf den Spuren von<br />

Rudi Lehmann, dem<br />

„vergessenen Maler<br />

aus Hohenkirchen“.<br />

VON HARTWIG HARMS<br />

SERIE<br />

Jeverland – einst und jetzt<br />

Der brandenburgische Maler<br />

Rudi Lehmann (1908 –<br />

1982) hat<br />

während<br />

seines Wirkens<br />

im Jeverland<br />

in<br />

den Jahren<br />

1945 bis<br />

1951 die<br />

Landschaft<br />

kennen und lieben gelernt.<br />

Neben Arbeiten in Öl<br />

und Aquarell mit friesischen<br />

Motiven hat er in<br />

dieser Zeit viele markante<br />

Objekte des Jeverlandes<br />

in Federzeichnungen<br />

festgehalten.<br />

ACCUM – Nach den Artikeln<br />

über die Pakenser und Sillensteder<br />

Kirche (460./461. Beilage)<br />

führen uns die kirchlichen<br />

Spuren weiter ins südliche Jeverland<br />

nach Accum. In den<br />

sechs Jahren seines Wirkens<br />

in Friesland hat Rudi Lehmann<br />

überwiegend die hiesigen<br />

alten Granitquaderkirchen<br />

gezeichnet. Aus dieser<br />

Sicht bildet die relativ junge<br />

Backsteinkirche in Accum<br />

eine Ausnahme. Vielleicht hat<br />

sie Rudi Lehmann besonders<br />

gefallen, denn er kommentierte<br />

die Zeichnung so: „Die<br />

Kirche in Accum gehört zu<br />

den Sehenswürdigkeiten im<br />

Jeverland.“<br />

Die Accumer Kirchengeschichte<br />

beginnt jedoch bereits<br />

im neunten Jahrhundert.<br />

Die erste Vorgängerkirche auf<br />

der Accumer Kirchwarf war<br />

aus Holz. Sie wurde im 15.<br />

Jahrhundert von den friesischen<br />

Häuptlingen durch<br />

einen steinernen Bau ersetzt,<br />

der außerdem als Festungskirche<br />

diente.<br />

Tido von Knyphausen führte<br />

1555 in seiner Herrschaft,<br />

zu der auch Accum gehörte,<br />

das reformierte Bekenntnis<br />

ein. Das Grabmal von ihm<br />

und seiner Gemahlin befindet<br />

noch heute in der Kirche. Accum<br />

ist seitdem die einzige reformierte<br />

Kirche im lutherischen<br />

Land Oldenburg.<br />

Die große Sturmflut im Jahre<br />

1717 beschädigte den Accumer<br />

Kirchenbau äußerst stark.<br />

Daraufhin wurde 1719 am selben<br />

Ort eine neue Kirche errichtet,<br />

die heutige St.-Willehad-Kirche.<br />

Zum Teil wurde<br />

Baumaterial der alten Kirche<br />

wiederverwendet.<br />

Das Innere der Kirche<br />

überrascht den Besucher<br />

durch seine Schlichtheit, bedingt<br />

durch die reformierte<br />

Glaubensausrichtung. Es fehlen<br />

Bilder, auch ein Altar ist<br />

nicht vorhanden. Dafür gibt<br />

es einen Abendmahlstisch,<br />

um den sich die Gemeinde<br />

versammelt. Auffällig ist lediglich<br />

die beeindruckende Arp-<br />

Schnitger-Orgel von 1705, die<br />

in den Kirchenneubau 1719<br />

übernommen worden ist. Das<br />

Orgelwerk ist zwischenzeitlich<br />

erneuert worden.<br />

Neben der Kirche steht, wie<br />

bei den meisten friesischen<br />

Kirchen, ein separater Glockenturm.<br />

In dem aus der Zeit<br />

der Vorgängerkirchen stammenden<br />

Turm hängen zwei<br />

Glocken, von denen die ältere<br />

aus dem zwölften Jahrhundert<br />

stammt.<br />

Gesamtansicht: Giebelfront<br />

mit Sandsteinportal und Uhrenturm.<br />

BILD: HARTWIG HARMS<br />

Verantwortlich für diese Beilage:<br />

Robert Allmers<br />

Telefon 0 44 61 / 9 44-2 14<br />

Manuskripte senden Sie an:<br />

Redaktion <strong>Friesische</strong> <strong>Heimat</strong>,<br />

Wangerstraße 14, 26441<br />

Jever oder E-Mail: heimat@<br />

jeversches-wochenblatt.de

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