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Menschen werden Spieler - Burgtheater

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Ich bin der Überzeugung, dass jedes Leben, das man überhaupt Leben nennen kann, in der<br />

Anstrengung besteht, seine Träume zu verwirklichen. Je anspruchsvoller diese Träume sind,<br />

desto schwerer ist ihre Verwirklichung.<br />

Es gehört zu den Bedingungen unserer Existenz als <strong>Menschen</strong>, dass wir Träume haben. Ein<br />

verwirklichter Traum ist aber kein Traum mehr. Wer keine Träume mehr hat, ist so gut wie tot.<br />

Deshalb müssen unsere Träume immer größer sein als das, was uns erreichbar ist. Denn unser<br />

einziger Gewinn liegt im Scheitern bei der Verwirklichung unserer Träume. Jeder, dessen<br />

Träume hochfliegend genug sind, ist zum Scheitern verurteilt und sollte dies als Bedingung<br />

ansehen dafür, dass er überhaupt am Leben ist. Wenn er auch nur einen Augenblick denkt, er<br />

habe gesiegt oder er sei am Ziel, ist es auch schon zu Ende mit ihm.“<br />

Diese hier von Eugene O’Neill entwickelte Vorstellung vom „American Dream“, deren Pointe in<br />

der immer anzustrebenden aber nie endgültig gelingenden bzw. notwendig scheiternden<br />

Realisierung des Traums bestand, ist mir um einiges sympathischer als das einerseits<br />

geheimdienstliche und andererseits der Sache nach planwirtschaftliche und totalitäre Modell,<br />

das heute, gestützt auf möglichst vollständige Datensammlungen über jeden einzelnen<br />

<strong>Menschen</strong>, das Scheitern und die Tragödie verhindern soll, indem man Risiken im<br />

Geschäftsleben und überhaupt im Leben abzuschaffen trachtet. Mich erinnern diese neuen,<br />

durch Algorithmen gestützten Wahrheitsfindungen, an eine falsch verstandene Idee des<br />

Kommunismus, an die Vorstellung, Glück und gutes sicheres Leben berechnen und objektiv<br />

planen zu können, an ein totalitäres Gesellschaftsmodell, das den <strong>Menschen</strong> vorgibt, wie sie zu<br />

leben haben. Langsam beginne ich zu glauben, was der aus Sankt Petersburg stammende<br />

Philosoph Boris Groys nach dem Niedergang der Sowjetunion prophezeite: Die Sieger nehmen<br />

die Kultur der Besiegten an, nicht umgekehrt.<br />

Abschottung der Grenzen in Europa und Amerika, Verhinderung von Freizügigkeit an diesen<br />

Grenzen, flächendeckende Ausspähung und Überwachung, rechtsfreie Räume,<br />

milliardenschwere geheime Sicherheitsdienste und Wirtschaftsstrategien, in denen nicht mehr<br />

Waren im freien Markt nach Kunden suchen, sondern der Kunde selbst zum Produkt wird, all<br />

diese Vorkommnisse schienen vor der Wende ausschließlich Merkmale östlicher Diktaturen zu<br />

sein. Nun <strong>werden</strong> diese Merkmale im Westen mit Hilfe der digitalen Möglichkeiten kopiert und<br />

perfektioniert, und wir sollen wie früher die Genossen im Osten einfach vertrauen, dass die<br />

Regierung und die Konzerne bei diesen Aktivitäten nur das Beste für ihre Wähler und Kunden<br />

wollen, wie diktatorisch und demokratieverachtend das im Einzelnen auch aussieht.<br />

War es früher der Marxismus-Leninismus, der als wissenschaftliche Grundlage für die<br />

vermeintliche Massenbeglückung galt, scheint es jetzt im Westen die von John Nash<br />

begründete Spieltheorie zu sein, eine mathematische Entscheidungstheorie, von deren<br />

Anwendung heute in den USA weitgehend das politische und wirtschaftliche Handeln abhängig<br />

sein soll (vgl. z. B. Frank Schirrmacher „Ego – Das Spiel des Lebens“).<br />

Die Spieltheorie soll, wenn man eine vollständige Übersicht über alle Fakten hat, immer die<br />

optimalen Strategien und Entscheidungen bei allen möglichen Fragestellungen voraussagen<br />

können, und zwar unter Berücksichtigung der Entscheidungssituation aller an dem Vorgang<br />

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