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Transdisziplinäre Ansätze bei den Frühen Hilfen - Fachhochschule ...

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Psychotherapie im Dialog 1• 2013<br />

aktueller öffentlicher Diskussion – durch<br />

neue Formen sukzessive erweitert wer<strong>den</strong>:<br />

▶▶<br />

▶▶<br />

Auf <strong>den</strong> Notruf der Rütli-Schule in Berlin-Neukölln<br />

reagierte die Politik zunächst<br />

mit „der Schaffung von neuen<br />

Stellen für Schulsozialar<strong>bei</strong>ter“,<br />

nach dem „Fall Kevin“ wur<strong>den</strong> neue<br />

Kinderschutzzentren genehmigt, ein<br />

neues System von Familienhebammen<br />

etabliert oder andere „neue“ <strong>Hilfen</strong> aufgebaut.<br />

Die stetig wachsende Anbieter-Vielfalt muss<br />

dann wieder regional vernetzt wer<strong>den</strong>. Wir<br />

geben viel Geld aus für umfangreiche Hilfesysteme<br />

im Bereich „frühkindlicher <strong>Hilfen</strong>“ –<br />

und zwar für die Systeme selbst wie für sog.<br />

(strukturelle) Vernetzungsgespräche.<br />

Auch die Bedeutung der vorschulischen<br />

Förderung steigt – ein Punkt, <strong>den</strong> die Wirtschaftsverbände<br />

als einen der ersten herausstellten:<br />

„Vorschulische Einrichtungen<br />

haben die Aufgabe, die motorischen, affektiven,<br />

sozialen und insbesondere auch die<br />

kognitiven Fähigkeiten zu fördern. Frühkindliche<br />

Bildung muss sicherstellen, dass<br />

das kindliche Gehirn im ersten „Lernfenster“<br />

zu seiner neuronalen Vernetzung reichhaltige<br />

Anregungen für das logische Denken, die<br />

Sprachkompetenz, das Gedächtnistraining<br />

und die Entwicklung eigener Lernstrategien<br />

erhält“ (Vereinigung der Bayerischen Wirtschaft<br />

2003).<br />

Wachsender Handlungsbedarf<br />

Immer mehr „entwicklungsgestörte“<br />

Kinder Der Druck, noch mehr zu tun,<br />

steigt stetig. Die Zahl „entwicklungsgestörter“<br />

Kinder ist dramatisch gestiegen, ebenso<br />

die Zahl der Kinder mit sog. „Sonderpädagogischem<br />

Förderbedarf“ in Schulen. Auch aus<br />

wissenschaftlicher Sicht wird der Druck auf<br />

die <strong>Frühen</strong> <strong>Hilfen</strong> erhöht: Wir können heute<br />

mithilfe bildgebender Verfahren in der neurobiologischen<br />

Forschung sehr gut verfolgen,<br />

wie sich Hirnstrukturen entwickeln in Abhängigkeit<br />

von äußeren Entwicklungsanregungen:<br />

Gerade in <strong>den</strong> ersten Lebensjahren<br />

wer<strong>den</strong> hier wesentliche Weichen für die<br />

Synapsenbildung gestellt (Hüther 2007)<br />

und damit für die Entwicklungspotenziale<br />

der Kinder und letztendlich für das, was wir<br />

später Intelligenz nennen.<br />

<strong>Hilfen</strong> zur Erziehung Auch der Bedarf<br />

nach „<strong>Hilfen</strong> zur Erziehung“ gemäß dem<br />

Kinder- und Jugendhilfegesetz (SGB VIII)<br />

steigt entsprechend:<br />

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Das häufigste Angebot ist die „Erziehungsberatung“,<br />

die größten Steigerungsraten liegen jedoch<br />

<strong>bei</strong> der „Sozialpädagogischen Familienhilfe“<br />

(laut Statistischem Bundesamt<br />

> 200 %).<br />

Ebenfalls rasant stiegen die Herausnahmen<br />

von Kindern aus ihren Familien.<br />

Fachpersonen der Jugendämter und ihre<br />

politischen Vorgesetzten stehen angesichts<br />

spektakulärer Vernachlässigungs- und Misshandlungsfälle<br />

unter enormem Druck. Gerade<br />

<strong>bei</strong> knappen Personalressourcen und<br />

überforderten Fachpersonen entsteht schneller<br />

Handlungsbedarf: Während eine ressourcenorientierte<br />

Ar<strong>bei</strong>t zur Stützung der Familie<br />

sehr aufwendig und unsicher ist, kann<br />

durch eine Herausnahme schnell eine Intervention<br />

belegt wer<strong>den</strong>, die <strong>den</strong> Verdacht der<br />

unterlassenen Hilfeleistung ausräumt.<br />

Medizinische Rehabilitationsträger<br />

Auch <strong>bei</strong> <strong>den</strong> Reha-Trägern besteht schneller<br />

Handlungsbedarf. Der Schwerpunkt ihrer<br />

<strong>Hilfen</strong> für die „auffälligen“ Kinder ist eindeutig:<br />

Therapie – die vermeintlich logische<br />

Konsequenz von Entwicklungsverzögerung.<br />

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im Bereich Sprache: Logopädie,<br />

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im Bereich Motorik: Physiotherapie,<br />

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im Bereich Wahrnehmung: Ergotherapie.<br />

Etwa jedes dritte Kind in Deutschland zwischen<br />

3 und 6 Jahren erhält eine medizinisch-therapeutische<br />

Maßnahme; ebenfalls<br />

dramatisch steigen „psychische Auffälligkeiten“<br />

<strong>bei</strong> kleinen Kindern und ihr therapeutischer<br />

Behandlungsbedarf.<br />

Wir müssen uns fragen: Was geschieht mit<br />

<strong>den</strong> Kindern in unserer Gesellschaft, dass<br />

sie derart therapiebedürftig wer<strong>den</strong>? Oder:<br />

Was geschieht in einer Gesellschaft, die ihre<br />

Kinder derart pathologisiert?<br />

Zu wenig Frühförderung Die Inanspruchnahme<br />

von medizinisch-therapeutischen<br />

Leistungen liegt <strong>bei</strong> über 30 % – <strong>bei</strong><br />

(pädagogischer) Frühförderung liegt die<br />

Rate hingegen <strong>bei</strong> nur 1,7 % (ISG 2008,<br />

S. 89). Ganz offensichtlich erscheint <strong>den</strong><br />

Rehabilitationsträgern das traditionell familienorientierte<br />

System der mobilen Hausfrühförderung<br />

als nicht effektiv. Da<strong>bei</strong> weist<br />

die internationale Effizienzforschung in diesem<br />

Bereich (Dunst et al. 2005, Dunst/Kassow<br />

2008, Trivette 2007, McWilliam 2000)<br />

aus, dass isolierte therapeutische Maßnahmen<br />

keine signifikanten Ergebnisse zeigen.<br />

Dies ändert sich, wenn die <strong>Hilfen</strong> in der aktuellen<br />

Lebenswelt ansetzen.<br />

▶▶<br />

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Frühe <strong>Hilfen</strong> gehen damit weit über einen<br />

Kinderschutz hinaus. Ihnen geht es<br />

auch um Exploration und Persönlichkeitsentwicklung.<br />

Aus fachlicher Sicht ist aber auch der<br />

beste „Schutz“ für Kinder eine Lebenswelt,<br />

in dem genügend (strukturelle,<br />

personale und soziale) Ressourcen zur<br />

Verfügung stehen (Theunissen & Plaute<br />

1995, zusammenfassend: Sohns 2009),<br />

die ihnen ein entwicklungsförderndes<br />

Gesamtklima ermöglichen.<br />

Gesetzgeberische Aktivität Der Gesetzgeber<br />

hat im letzten Jahrzehnt versucht,<br />

diese Erkenntnisse aufzugreifen und<br />

in konkrete Vorgaben zu überführen. Quer<br />

durch das Rehabilitationsgesetz (SGB IX)<br />

zieht sich der Anspruch an die verschie<strong>den</strong>en<br />

Leistungsträger, sich untereinander zu<br />

einem Konzept abzustimmen. So wird etwa<br />

im Bereich Frühförderung eine Komplexleistung<br />

vorgegeben, <strong>bei</strong> der Leistungen zur<br />

Rehabilitation (§ 30) verbindlich mit <strong>den</strong><br />

Leistungen zur Teilhabe (§ 56) zusammengeführt<br />

wer<strong>den</strong> (sollen). Damit wer<strong>den</strong> die<br />

Krankenkassen verpflichtet, auch <strong>den</strong> (diagnostischen)<br />

Bereich der Frühförderstellen<br />

mitzufinanzieren (BT-DRS. 14/5074, 133).<br />

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