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Transdisziplinäre Ansätze bei den Frühen Hilfen - Fachhochschule ...

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Psychotherapie im Dialog 1• 2013<br />

Multi- vs. Interdisziplinarität Bislang<br />

beschränkt sich die soziale Infrastruktur<br />

überwiegend auf eine Multidisziplinarität,<br />

in der die Klienten je nach spezifischer Fragestellung<br />

durch die verschie<strong>den</strong>en Institutionsformen<br />

gereicht wer<strong>den</strong> – mit hohen<br />

Hemmschwellen und vielen Vertrauensverlusten<br />

gegenüber <strong>den</strong> sich ständig verändern<strong>den</strong><br />

Ansprechpartnern.<br />

▶▶<br />

Wir haben <strong>den</strong> Anspruch, diese vielfältigen<br />

Systeme interdisziplinär so zu vernetzen,<br />

dass ein abgestimmtes Gesamtkonzept<br />

für die Klienten spürbar wird.<br />

▶▶<br />

Dazu gibt es vielfältige Netzwerk-Ar<strong>bei</strong>tskreise<br />

in <strong>den</strong> Sozialräumen.<br />

▶▶<br />

Fallbezogene Abstimmungen zwischen<br />

<strong>den</strong> Systemen sind jedoch gar nicht oder<br />

nicht flächendeckend umgesetzt (auch<br />

nicht in der Jugendhilfe). Sie scheitern<br />

u. a. an weitgehend fehlen<strong>den</strong> Finanzierungsgrundlagen<br />

– solange der Fokus<br />

der Leistungsträger auf der unmittelbaren<br />

Ar<strong>bei</strong>t am Klienten liegt und nur<br />

dies als die eigentliche Ar<strong>bei</strong>t empfun<strong>den</strong><br />

wird, fühlt sich niemand für die Finanzierung<br />

zuständig.<br />

Interdisziplinäre Kooperation wird auch<br />

durch fachliche wie standespolitische Abgrenzung<br />

der Berufsgruppen voneinander<br />

erschwert. Man stellt die Kompetenz anderer<br />

Fachpersonen infrage, und die verschie<strong>den</strong>en<br />

Systeme sehen sich oft als potenzielle<br />

Konkurrenten – aber nicht als gewinnbringende<br />

Partner.<br />

Folgen fehlender Vernetzung Für die<br />

<strong>Frühen</strong> <strong>Hilfen</strong> bedeutet das, dass z. B. die<br />

(niedergelassenen) Kinderärzte zwar eine<br />

tragende Rolle innehaben, in ihrem (kassenärztlichen)<br />

System jedoch weitgehend für<br />

sich bleiben. Ihre Diagnostik beruht auf <strong>den</strong><br />

Erkenntnissen in ihren Praxisräumen, und<br />

<strong>bei</strong> bestehen<strong>den</strong> „Auffälligkeiten“ wird systemimmanent<br />

„Therapie“ verordnet.<br />

▶▶<br />

Für eine ressourcen- und familienorientiert<br />

wirkende Ar<strong>bei</strong>t im Lebensumfeld<br />

der Kinder bräuchten sie (und<br />

die anderen ambulanten, teilstationären<br />

und stationären Systeme) enge Kooperationspartner,<br />

welche die Diagnostik<br />

durch lebensweltbezogene Erkenntnisse<br />

ergänzen können.<br />

▶▶<br />

Sie brauchen hierzu aber vor Ort Fachpersonen,<br />

von deren Kompetenz sie<br />

überzeugt sind – und die eine solche Abstimmung<br />

gewährleisten können.<br />

Diese Fachpersonen brauchen wiederum<br />

andere Berufsgruppen, die sie für ihre mobile<br />

Ar<strong>bei</strong>t fachlich stärken. Hier<strong>bei</strong> spielen<br />

Ärzte eine wichtige Rolle, insbesondere fallen<br />

aus diesem System bislang Psychologen<br />

und Kinder- und Jugendlichentherapeuten<br />

heraus. Sie in ein sozialraumorientiertes<br />

Gesamtsystem einzubeziehen, könnte dieses<br />

erheblich aufwerten.<br />

Situation in der Praxis Eine solche Kooperation<br />

kann nur durch eine gemeinsame<br />

fallbezogene Ar<strong>bei</strong>t wachsen. Der Gesetzgeber<br />

hat dem (in der Frühförderungsverordnung<br />

gemäß § 32 SGB IX) z. B. dadurch Rechnung<br />

getragen, dass er einen gemeinsamen<br />

Förder- und Behandlungsplan fordert, der<br />

sowohl die Unterschrift der betreuen<strong>den</strong><br />

(Frühförder-)Pädagogen als auch der behandeln<strong>den</strong><br />

Ärzte aufweist.<br />

▶▶<br />

Auch fast 10 Jahre nach Verabschiedung<br />

wird dieses Gesetzes nur partiell in verschie<strong>den</strong>en<br />

Bundesländern umgesetzt.<br />

▶▶<br />

Und dort, wo es geschieht, wird bislang<br />

überwiegend die Vorlage zwischen <strong>den</strong><br />

Einrichtungen hin und hergeschickt,<br />

ohne dass eine gemeinsame Abstimmung<br />

erfolgt.<br />

Auch ohne diese Erschwernisse stellt sich<br />

die Frage, wo eine multidisziplinäre Ar<strong>bei</strong>tsweise<br />

mit interdisziplinärer Abstimmung<br />

an Grenzen stößt. Wenn wir in Deutschland<br />

Fälle dokumentieren, <strong>bei</strong> <strong>den</strong>en weit mehr<br />

als 10 verschie<strong>den</strong>e Fachpersonen dauerhaft<br />

an einem Kind tätig sind, oder wenn in „Inklusionsklassen“<br />

<strong>bei</strong> 6 Kindern 6 verschie<strong>den</strong>e<br />

„Integrationshelfer“ und „Schulbegleiter“<br />

(z. T. als Ein-Euro-Fachkräfte) am Unterricht<br />

teilnehmen, stellt sich die Frage, ob Quantität<br />

fehlende Qualität ersetzen kann.<br />

Transdisziplinarität<br />

Begriffliche Eingrenzung<br />

Verlässliche<br />

(professionelle) Bezugspersonen der <strong>Frühen</strong><br />

<strong>Hilfen</strong>, die vor Ort tätig sind, können<br />

sich nicht nur auf eine Aufgabenstellung<br />

beschränken, für die sie als Experten spezifisch<br />

ausgebildet wur<strong>den</strong>. Sie müssen <strong>bei</strong><br />

jeder Fragestellung abwägen, ob sie hierzu<br />

an andere Institutionen weiter vermitteln,<br />

andere Kollegen hinzuziehen, oder sich<br />

selbst (fachfremd) auf diese Fragestellung<br />

einlassen und damit transdisziplinär ar<strong>bei</strong>ten.<br />

Transdisziplinarität wird dort wirksam,<br />

„wo eine allein fachliche oder disziplinäre<br />

Definition von Problemlagen oder Problemlösungen<br />

nicht möglich ist bzw. über derartige<br />

Definitionen hinausgeführt wird“ (Mittelstrass<br />

2005, 21).<br />

▶▶<br />

Übertragen auf die <strong>Frühen</strong> <strong>Hilfen</strong> bedeutet<br />

diese Weiterentwicklung von<br />

Interdisziplinarität, „dass eine Fachperson<br />

aus <strong>den</strong> originären disziplinären<br />

Begrenzungen hinaustritt, damit eigene<br />

Ar<strong>bei</strong>tsformen entwickelt (gemäß der<br />

zugrunde liegen<strong>den</strong> Problemkonstitution)<br />

und mit diesen auch die involvierten<br />

Disziplinen verändert. D. h. transdisziplinäres<br />

Ar<strong>bei</strong>ten verändert die methodischen<br />

und theoretischen Orientierungen<br />

in verschie<strong>den</strong>en Disziplinen.“ (Sohns<br />

2010, 95).<br />

Nötig – aber nicht ohne Risiken<br />

Transdisziplinarität ist in der Praxis notwendig.<br />

Es können nicht für jede Fragestellung<br />

dafür ausgebildete Fachpersonen<br />

in die Ar<strong>bei</strong>t am Klienten einbezogen wer<strong>den</strong>,<br />

ohne dass die Beziehung der Klienten<br />

zu <strong>den</strong> Professionellen leidet. Erfahrene<br />

Pädagogen, Psychologen oder (Familien-)<br />

Hebammen können sich, wenn sie als Bezugspersonen<br />

für Familien vor Ort tätig sind,<br />

Fragestellungen wie familiären Problemen,<br />

Beziehungsdynamiken, kindlichen Ängsten<br />

oder Sprachauffälligkeiten gar nicht entziehen.<br />

▶▶<br />

Transdisziplinarität ist damit aber gefährlich.<br />

Zum einen, weil sie eine Mentalität<br />

<strong>bei</strong> <strong>den</strong> Leistungsträgern suggeriert:<br />

„Wir brauchen jetzt nur noch eine Fachperson,<br />

die deckt alle Fragestellungen<br />

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