Transdisziplinäre Ansätze bei den Frühen Hilfen - Fachhochschule ...
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Über <strong>den</strong> Tellerrand<br />
Psychotherapie im Dialog 1• 2013<br />
Vorgesehen hierfür war ein gemeinsamer<br />
„Topf“ für die Finanzierung der Komplexleistung<br />
– ein gemeinsamer Anspruch, der nie<br />
umgesetzt wurde.<br />
Integration vs. Inklusion<br />
Geltungsbereich Es ist schon schwer,<br />
die 3 klassischen Leistungsträger zu einem<br />
gemeinsamen Konzept zu bewegen – <strong>den</strong>noch<br />
erweiterte der Gesetzgeber <strong>den</strong> Kreis<br />
der Leistungsträger für eine Komplexleistung<br />
zusätzlich um die Schulträger (§ 56<br />
Abs. 2, SGB IX). Damit berührt der Anspruch<br />
„Inklusion“ – nach der Unterschrift Deutschlands<br />
unter die UN-Behindertenrechtskonvention<br />
seit 2009 geltender Rechtsanspruch<br />
– auch formal das Feld der <strong>Frühen</strong> <strong>Hilfen</strong>.<br />
Begriffliche Unschärfe Bis heute wird<br />
selbst in der Fachwelt zwischen Integration<br />
und Inklusion so beliebig gewechselt, dass<br />
der falsche Rückschluss gezogen wer<strong>den</strong><br />
könnte, <strong>bei</strong>de Begriffe seien Synonyme. Dies<br />
führt zu einer inflationären Verwendung<br />
von Inklusion als neuem Modewort, das Integration<br />
zu ersetzen droht.<br />
Integration Hier besteht in Deutschland<br />
– gegenüber dem europäischen Ausland –<br />
tatsächlich Nachholbedarf:<br />
▶▶<br />
Im europäischen Durchschnitt besuchen<br />
ca. 80 % aller Kinder mit Behinderungen<br />
Regelschulen,<br />
▶▶<br />
in Deutschland sind es nur 19 %.<br />
Der Deutsche Bildungsbericht (BMBF 2010,<br />
S. 6) weist für Deutschland auch <strong>den</strong> höchsten<br />
Anteil an Schülerinnen und Schülern an<br />
Förderschulen aus.<br />
Integrationsfähigkeit herstellen<br />
Integration<br />
setzt eine Additionspädagogik mit<br />
2 Gruppen voraus:<br />
▶▶<br />
▶▶<br />
Zum einen die „Normalen“, der Mittelpunkt<br />
der Gesellschaft.<br />
Und dann die Anderen, die draußen stehen<br />
– Migranten, Behinderte oder welche<br />
Minderheit auch immer.<br />
Weil die Mehrheit jedoch tolerant ist, wollen<br />
wir die Außenstehen<strong>den</strong> <strong>bei</strong> uns aufnehmen<br />
– integrieren. Das hat Auswirkungen<br />
auf die professionelle Ausrichtung: Der Fokus<br />
wird darauf gelegt, die „Integrationsfähigen“<br />
möglichst fit zu machen, damit die<br />
Unterschiede möglichst gering wer<strong>den</strong> – ob<br />
durch Sprachkurse, Therapien oder sonstige<br />
<strong>Hilfen</strong>. Hier hat Deutschland (in seinen<br />
ausdifferenzierten und gut ausgestatteten<br />
Sondereinrichtungen) enorme Erfolge vorzuweisen.<br />
Inklusion Die 2-Gruppen-Sichtweise<br />
ist <strong>bei</strong> Inklusion aufgehoben: Es geht nicht<br />
mehr um die Einbeziehung einer Minorität<br />
in die Majorität – die Zielsetzung liegt<br />
im natürlichen Miteinander verschie<strong>den</strong>er<br />
Mehr- und Minderheiten.<br />
▶▶<br />
▶▶<br />
Eine Gesellschaft ist nicht normal, wenn<br />
sie nicht heterogen ist.<br />
Auch Menschen mit (körperlichen, geistigen<br />
oder sog. psychischen) „Behinderungen“<br />
gehören von Anfang an dazu,<br />
ihre (rechtliche und administrative)<br />
Kategorisierung wird unsinnig – nicht<br />
jedoch die Feststellung individueller<br />
Hilfe bedarfe.<br />
Im Mittelpunkt des professionellen Fokus<br />
stehen nicht (isolierte) Therapien oder (generalisierte)<br />
Lernziele, sondern Teilhabe,<br />
Wohlbefin<strong>den</strong>, Motivation.<br />
Entsprechend beziehen die (inklusiven)<br />
<strong>Hilfen</strong> die Lebenswelten ein (oder wer<strong>den</strong><br />
damit verknüpft), und der UN-Fokus der<br />
ICD wurde durch die ICF ergänzt – als zentrales<br />
Klassifikations- und Dokumentationsinstrument<br />
der WHO auf Grundlage eines<br />
bio-psychosozialen Modells.<br />
▶▶<br />
Entsprechend müssen auch die (schulischen)<br />
Bildungskonzepte völlig neue<br />
Lernsettings aufbauen.<br />
▶▶<br />
Diese können sich nicht an vorgegebener<br />
Stoffvermittlung als Zielerreichungsgrad<br />
orientieren, sondern achten stärker<br />
auf Lernmotivation und (individuelle<br />
und gruppenorientierte) Lernwege.<br />
Basis erfolgreicher Bildungsar<strong>bei</strong>t<br />
Schulen und Kindertagesstätten leisten<br />
also die Erziehung zu selbstbestimmten,<br />
verantwortungsvollen und stabilen jungen<br />
Persönlichkeiten, die sich ihre Bildung und<br />
deren Inhalte selbständig erschließen können<br />
und wollen.<br />
▶▶<br />
Kinder brauchen hierzu ein stabiles<br />
emotionales Fundament und sichere<br />
Bindungen zu verlässlichen Bezugspersonen.<br />
▶▶<br />
Nur so können sie ein Explorationsverhalten<br />
entwickeln und offen sein für<br />
neue Informationen.<br />
Professionelle Hilfe ist dort am wirksamsten,<br />
wo die Ressourcen für deren Umsetzung<br />
gestärkt wer<strong>den</strong>. Die professionellen<br />
Hilfesysteme müssen geeignet sein, diese<br />
Ansprüche zu erfüllen.<br />
Vernetzung<br />
Verbindung zu <strong>den</strong> Familien Um diese<br />
vielfältigen individuellen Voraussetzungen,<br />
Belastungen und Interessen der Kinder<br />
erkennen zu können, bedarf es einer Vernetzung<br />
der (teil-)stationären mit der familiären<br />
Lebenswelt. Nur dadurch können Lehrer<br />
und Erzieher die Kinder und die sie prägen<strong>den</strong><br />
Einflussfaktoren verstehen lernen. Dies<br />
allein können Kindertagesstätte und Schule<br />
(bislang) nicht stemmen, sie müssen sich<br />
mit Systemen der <strong>Frühen</strong> <strong>Hilfen</strong> verbin<strong>den</strong>.<br />
Effizientere Hilfe Dadurch können aber<br />
auch diese effizienter gestaltet wer<strong>den</strong>. Was<br />
nützt zweimal pro Woche Ergotherapie<br />
oder Physiotherapie, ja selbst Erziehungsberatung<br />
in ambulanten Beratungsräumen,<br />
wenn sich damit die professionellen<br />
Ressourcen erschöpfen und im häuslichen<br />
Umfeld keine Mit-Entwicklung erfolgt?<br />
Gleiches gilt für Schulpädagogik und für<br />
ambulante Therapien, z. B. durch Kinderund<br />
Jugendlichentherapeuten. Auch für<br />
sie ist es von Bedeutung, (diagnostische)<br />
Erkenntnisse aus dem Alltag des Kindes zu<br />
erhalten und mit ihren Interventionen in<br />
Koordination mit dortigen professionellen<br />
Fachpersonen auf diesen einzuwirken.<br />
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