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G estalten um Maria: Josef<br />
Predigttext zu Mt 1,16.18-25<br />
Pfarrer Karl Sendker<br />
„Sage mir, mit wem du umgehst, und ich<br />
will dir sagen, wer du bist.“ So heißt es bei<br />
uns im Volksmund. Dahinter steht die Erfahrung,<br />
dass das Wesen und der Charakter<br />
eines Menschen geprägt werden durch den<br />
Umgang, den er hat.<br />
Wir wollen einmal versuchen, über den<br />
Umgang, den die Gottesmutter Maria gehabt<br />
hat, uns ihr zu nähern. Wir wollen die<br />
Menschen um sie herum betrachten. Denn<br />
das gilt ja auch für die Gottesmutter: „Sage<br />
mir, mit wem du umgehst, und ich will dir<br />
sagen, wer du bist.“ Vielleicht lernen wir<br />
etwas über Maria auch von den Personen,<br />
mit denen sie Umgang gehabt hat.<br />
Heute: Josef<br />
Von Josef heißt es: Er war mit Maria verlobt.<br />
Nun muss man wissen, dass damals<br />
die Partnerwahl viel stärker von den Eltern<br />
bestimmt war als heute. Aber dennoch:<br />
Wenn Maria und wenn ihre Eltern sich ausgerechnet<br />
diesen Mann als Verlobten bzw.<br />
als Bräutigam ausgesucht haben, dann deutet<br />
das doch an, dass zwischen Maria und<br />
Josef eine geistige Verwandtschaft oder<br />
eine Seelenverwandtschaft da sein musste;<br />
dass sie einander entsprachen. Sonst hätten<br />
sie doch nicht diesen Mann als Bräutigam<br />
auserwählt.<br />
Maria war mit Josef verlobt. Noch etwas<br />
muss man wissen: Damals war die Verlobung<br />
etwas anderes als heute. Die Verlobung<br />
bedeutete damals ungefähr das, was<br />
bei uns heute die standesamtliche Hochzeit<br />
ist. Wenn ein Paar verlobt war, dann waren<br />
die beiden eigentlich nach dem Gesetz<br />
schon verheiratet. Nur der zweite Schritt<br />
der Hochzeit (wir würden vielleicht sagen<br />
die kirchliche Trauung), wenn der Bräutigam<br />
in einer feierlichen Zeremonie die<br />
Braut in sein Haus holte, die hatte noch<br />
nicht stattgefunden. Aber als Verlobte waren<br />
die beiden bereits rechtskräftig miteinander<br />
verbunden.<br />
Das hatte aber zur Folge: Wenn eine junge<br />
Frau oder ein junges Mädchen während der<br />
Verlobungszeit von einem anderen Mann<br />
schwanger wurde, dann galt das bereits als<br />
Die heilige Familie auf dem Weg nach Nazareth.<br />
Ehebruch. Und darauf stand in Israel die<br />
Todesstrafe durch Steinigung. Vielleicht<br />
kann man sich dann vorstellen, in welcher<br />
Not Josef als Verlobter gewesen ist, als es<br />
sich auf einmal zeigte, dass Maria schwanger<br />
war. Dabei wusste Josef ganz genau:<br />
Von mir ist sie nicht schwanger.<br />
Um diese Not vielleicht noch ein klein wenig<br />
drastischer auszumalen: Stellen Sie sich<br />
einmal vor, hier in unserem Dorf würde ein<br />
sechzehnjähriges Mädchen schwanger, und<br />
dann kommt die daher und behauptet auch<br />
noch: „Ich habe nicht mit einem Jungen geschlafen;<br />
das Kind ist vom heiligen Geist.“<br />
Stellen Sie sich einmal vor, was dann hier<br />
im Dorf los wäre. Und dann ist die auch<br />
noch aus einer gut katholischen Familie.<br />
Und außerdem weiß jeder, dass sie mit ihrem<br />
Freund schon über ein Jahr zusammen<br />
ist. Was meinen Sie, was dann hier im Dorf<br />
los wäre!<br />
Aber so ähnlich war damals die Situation.<br />
Außer Maria wusste ja keiner, was da von<br />
Gott her geschehen war. Und selbst wenn<br />
sie es gewusst hätten, meinen Sie, die hätten<br />
das verstanden? Die hätten wohl alle<br />
„den Vogel gezeigt“. Das würden wir ja<br />
auch tun, wenn das hier im Dorf so passiert<br />
wäre.<br />
Wie reagiert Josef in dieser notvollen und<br />
peinlichen Situation? Drei Kennzeichen des<br />
Josef wollen wir uns vor Augen führen.<br />
Das erste Kennzeichen ist eine ganz tiefe,<br />
warme Menschlichkeit. Man hätte ja<br />
denken können, dass Josef jetzt empört<br />
reagiert, dass er stocksauer ist auf seine<br />
Verlobte. Er hätte sich auch auf das Recht<br />
berufen können; dann wäre Maria gesteinigt<br />
worden. Aber nichts von alledem. Ihm<br />
ist nur eines wichtig: Maria soll nicht bloßgestellt<br />
werden. Wie kann ich verhindern,<br />
dass meine Verlobte bloßgestellt wird?<br />
Über den Ärger, den er dabei hat, kein<br />
Wort. Nur der Gedanke: Maria darf nicht<br />
bloßgestellt werden.<br />
Mariologisches | 1-2013 5