Pulsierende Sterne - Institut für Theoretische Astrophysik
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<strong>Pulsierende</strong> <strong>Sterne</strong><br />
und andere Veränderliche<br />
H.-P. Gail<br />
<strong>Institut</strong> für <strong>Theoretische</strong> <strong>Astrophysik</strong>, Universität Heidelberg<br />
Vorlesung im SS 2012
Plan der Vorlesung<br />
• Veränderliche <strong>Sterne</strong>: Das Beobachtungsmaterial<br />
• Theorie der Pulsation<br />
• Modellrechnungen zur Pulsation<br />
• Atmosphären pulsierender <strong>Sterne</strong><br />
• Hüllen langperiodischer Veränderlicher<br />
• Pulsation und Massenverlust<br />
• Das η Car Problem<br />
• Helioseismologie<br />
Seite: 0.1
Veränderliche <strong>Sterne</strong> im HR-Diagramm<br />
Abbildung 1.1: Hertzsprung-Russell Diagramm mit den Positionen von veränderlichen <strong>Sterne</strong>n, deren<br />
Leuchtkraft und Effektivtemperatur gut bekannt ist, sowie Entwicklungswege von <strong>Sterne</strong>n unterschiedlicher<br />
Masse.<br />
Seite: 1.1
Lichtkurve eines veränderlichen Sterns<br />
Abbildung 1.2: Lichtkurve von Mira Ceti für den Zeitraum vom Jahr<br />
1596 bis zum Jahr 2000. Eine durchgehende Lichtkurve existiert ab dem<br />
Jahr 1850.<br />
Seite: 1.2
1 Veränderliche <strong>Sterne</strong><br />
Bei den meisten <strong>Sterne</strong>n sind deren Zustandsgrößen, speziell ihre Helligkeit,<br />
über sehr lange Zeiträume unveränderlich. Nur ein Teil aller<br />
<strong>Sterne</strong> zeigen teils regelmäßige, teils unregelmäßige Schwankungen ihrer<br />
Helligkeit über Zeiträume, die von raschen Änderungen innerhalb<br />
sehr kurzer Zeiträume bis zu Variationen, die sich erst nach jahrzehnteoder<br />
jahrhundertelanger Beobachtung nachweisen lassen, reichen. Unter<br />
Helligkeit wird dabei diejenige im visuellen Spektralbereich verstanden.<br />
In früheren Jahrhunderten war das ohnehin die einzige mögliche Beobachtungsgröße.<br />
Heutzutage sind auch in anderen Spektralbereichen<br />
Beobachtungen möglich, aber mit wenigen Ausnahmen macht sich eine<br />
Veränderlichkeit auch immer im optischen Bereich bemerkbar, und zur<br />
Klassifikation der Phänomene wird deswegen fast nur dieser Spektralbereich<br />
verwendet.<br />
Seite: 1.3
Veränderliche <strong>Sterne</strong><br />
Das Ausmaß der Helligkeitsänderungen bei einem Stern kann sehr<br />
unterschiedlich sein: Von drastischen Helligkeitsvariationen über viele<br />
Größenklassen, bis zu minimalsten Veränderungen. Wenn nur Helligkeitsänderungen<br />
von mindestens 0.1 Größenklassen berücksichtigt werden,<br />
die in früheren Jahrhunderten der unteren Grenze der damals sicher<br />
bestimmbaren Helligkeitsänderung entsprach, dann sind nur wenige<br />
<strong>Sterne</strong> Veränderliche. Von den mit bloßem Auge sichtbaren <strong>Sterne</strong>n<br />
erweisen sich in diesem Sinne nur ca. 3% als Veränderliche.<br />
Bei der heute erreichbaren Genauigkeit von Intensitätsmessungen (besser<br />
als 10 −3 Größenklassen) zeigt praktisch jeder Stern in irgendeiner<br />
Form eine gewisse Variabilität auf geringem Niveau. Diese geringen<br />
Helligkeitsschwankungen hängen aber meistens mit instationären<br />
Vorgängen in den Oberflächenschichten oder der Umgebung des Sterns<br />
zusammen, und nicht mit Vorgängen im ganzen Stern. Für diese Art<br />
Phänomene interessiert man sich in anderen Bereichen der Astronomie;<br />
sie sind aber nicht das, was man eigentlich unter Veränderlichkeit eines<br />
Sterns verstehen möchte.<br />
Seite: 1.4
Veränderliche <strong>Sterne</strong><br />
Der Begriff der Veränderlichkeit eines Sterns ist deswegen nur schwer<br />
eindeutig festzulegen. Man interessiert sich für solche Phänomene, die<br />
mit bestimmten physikalischen Ursachen in Zusammenhang gebracht<br />
werden können, die den Stern als ganzes betreffen. Das hat im Laufe der<br />
Zeit zur Abgrenzung einer Reihe von Gruppen geführt, die durch spezielle<br />
Eigenschaften ihrer Veränderlichkeit charakterisiert werden, und<br />
deren Helligkeitsvariationen mit Veränderungen der Zustandsgrößen der<br />
<strong>Sterne</strong> in Zusammenhang stehen. Die Mitglieder dieser Gruppen sind es,<br />
die als veränderliche <strong>Sterne</strong> aufgefaßt werden. Der Begriff der Veränderlichkeit<br />
wird im Grunde genommen also nur durch eine Aufzählung der<br />
Gruppen und ihrer Eigenschaften, die zu den veränderlichen <strong>Sterne</strong>n<br />
gezählt werden, definiert. Neue Gruppen könnten sich jederzeit bei Untersuchungen<br />
von Helligkeitsvariationen von <strong>Sterne</strong>n herauskristallisieren.<br />
Seite: 1.5
Veränderliche <strong>Sterne</strong><br />
Bei den Objekten, die zu den veränderlichen <strong>Sterne</strong>n gezählt werden,<br />
sind einige grundsätzlich verschiedene Hauptgruppen zu unterscheiden.<br />
Bei einer großen Gruppe veränderlicher <strong>Sterne</strong> pulsieren die <strong>Sterne</strong> und<br />
modulieren ihre Oberflächenhelligkeit im Rhythmus der Pulsation. Bei<br />
diesen Pulsationsveränderlichen liegt die Ursache ihrer Veränderlichkeit<br />
in Besonderheiten ihres inneren Aufbaus begründet. Diese Veränderlichen<br />
sind eine der Hauptgruppen aller veränderlichen <strong>Sterne</strong>, und speziell<br />
die verschiedenen Typen pulsierender <strong>Sterne</strong>, die Ursache ihrer<br />
Variabilität und deren Eigenschaften, werden hier betrachtet.<br />
Bei einer kleinen, aber auffälligen, Gruppe beobachtet man ein plötzliches<br />
Aufleuchten und ein nachfolgendes langsames Abklingen der Helligkeit<br />
eines Sterns. Ein solcher Ausbruch wird fast immer nur einmal<br />
beobachtet. Die Ursachen der Variabilität dieser als eruptive Veränderliche<br />
bezeichneten Objekte sind meistens explosive Vorgänge in Einzelsternen<br />
(z.B. Supernovae) oder in Doppelsternsystemen (z.B. Novae).<br />
Diese Art der Helligkeitsänderungen beruht ebenfalls auf inneren Eigenschaften<br />
der <strong>Sterne</strong> und der Art ihrer Entwicklung.<br />
Seite: 1.6
Veränderliche <strong>Sterne</strong><br />
Bei einer anderen großen Gruppe ist die Ursache einer Helligkeitsschwankung<br />
die Tatsache, daß das untersuchte Objekt ein Doppelsternsystem<br />
ist. In einem Teil der Fälle ist dessen Bahnebene relativ zur<br />
Sichtlinie nur wenig geneigt, sodaß es von Zeit zu Zeit zu einer gegenseitigen<br />
Bedeckung beider <strong>Sterne</strong> kommt. Die <strong>Sterne</strong> selbst sind in<br />
diesem Fall also gar nicht veränderlich; die Veränderlichkeit der empfangenen<br />
Lichtmenge bei diesen sog. Bedeckungsveränderlichen wird nur<br />
durch eine Abschattung bewirkt. Es hat in der Vergangenheit relativ<br />
lange gedauert, bis man gelernt hat, die wechselseitige Bedeckung zweier<br />
<strong>Sterne</strong> von der Pulsation eines Einzelsterns zu unterscheiden.<br />
Seite: 1.7
Veränderliche <strong>Sterne</strong><br />
In einem Teil der Fällen kommt es in einem Doppelsternsystem durch<br />
Wechselwirkung der Komponenten (z.B. durch Massentransfer) aber<br />
auch zu einer echten zeitlich veränderlichen Emission. Mehrere unterschiedliche<br />
Gruppen veränderlicher <strong>Sterne</strong> verdankt ihre Existenz der<br />
Wechselwirkung der <strong>Sterne</strong> in engen Doppelsternsystemen.<br />
Bei wieder einer anderen Gruppe ist die Helligkeit ungleichmäßig über<br />
die Oberfläche verteilt und die <strong>Sterne</strong> rotieren, präsentieren dem Beobachter<br />
also wechselnd helle Teile der Oberfläche. In diesem Fall ist der<br />
Stern eigentlich nicht veränderlich. Seine Variabilität ist auch hier ein<br />
rein geometrisch bedingt.<br />
Seite: 1.8
1.1 Historisches<br />
Am 13. August 1596 wurde von David Fabricius bemerkt, daß die Helligkeit<br />
eines Sterns im Sternbild Walfisch (Cetus) kontinuierlich abnahm.<br />
Im Oktober des Jahres verschwand er dann völlig. Tatsächlich<br />
ist der Stern im Maximum von 2ter Größenklasse, im Minimum von<br />
9ter Größenklasse und damit mit bloßem Auge nicht mehr sichtbar.<br />
Deswegen bezeichnet Fabricius den Stern in Schriften als res mira“.<br />
”<br />
Die regelmäßige Veränderlichkeit wurde durch Johann Ph. Holwarda<br />
1638 bemerkt und eine Periode von etwa 11 Monaten bestimmt. Der<br />
Stern wird nach Johannes Hevelius allgemein als Mira“, die Wundersame,<br />
bezeichnet. Dies war die erste Entdeckung eines Sterns, der sich<br />
”<br />
später als Pulsationsveränderlicher erwies.<br />
Seite: 1.9
Lichtkurve eines veränderlichen Sterns<br />
Abbildung 1.1: Lichtkurve von Mira Ceti für den Zeitraum vom Jahr 1596 bis zum<br />
Jahr 2000. Eine durchgehende Lichtkurve existiert ab dem Jahr 1850.<br />
Seite: 1.10
Historisches<br />
Bei Algol wurde eine Veränderlichkeit im Jahr 1669 durch Montanari<br />
festgestellt und 1789 durch Goodricke die Periode bestimmt. Es ist<br />
möglich das die Helligkeitsschwankungen schon in der Antike bemerkt<br />
wurden. Auch der Name, der aus dem Arabischen stammt und soviel<br />
wie Dämon“ bedeutet, scheint darauf hinzudeuten. Dies war die erste<br />
”<br />
Entdeckung eines Sterns, der sich als Bedeckungsveränderlicher erwies.<br />
Seite: 1.11
Historisches<br />
Tabelle 1.1: Die im Jahre 1844 bekannten Veränderlichen, mit ihren<br />
heutigen Bezeichnungen, Variablentypen und Perioden.<br />
Stern Entdecker Jahr Typ Periode<br />
[d]<br />
o Ceti (Mira) Fabricius 1639 Mira 331.2<br />
β Persei (Algol) Montanari 1669 Algol 2.867 Doppelstern<br />
χ Cygni G. Kirch 1687 Mira 408. 1<br />
R Hydrae Maraldi 1704 Mira 388.9<br />
R Leonis Koch 1782 Mira 309.9<br />
η Aquilae Pigott 1784 δ Cep 7.177<br />
β Lyrae Goodricke 1784 β Lyr 12.91<br />
δ Cephei Goodricke 1784 δ Cep 5.366<br />
α Herculis W. Herschel 1795 SRc irr. 3-fach<br />
R Coronae Borealis Pigott 1795 R CrB irr<br />
R Scuti Pigott 1795 RV Tauri 146.5<br />
R Virginis Harding 1809 Mira 145.6<br />
R Aquarii Harding 1810 Mira 390.0<br />
ɛ Aurigae Fritsch 1821 Algol 9984 Doppelstern<br />
R Serpentis Harding 1826 Mira 182.1<br />
S Sepentis Harding 1828 Mira 356.4<br />
R Cancri Schwerd 1829 Mira 371.8<br />
α Orionis J. Herschel 1836 SRc 361.6<br />
Nach Hoffmeister (1970)<br />
Seite: 1.12
Historisches<br />
Die Entdeckung weiterer Veränderlicher kam nur schleppend in Gang.<br />
Bis zum Jahr 1844 waren erst 18 veränderliche Objekte bekannt, die in<br />
Tabelle 1 aufgelistet sind. Dies ist eine korrigierte Auflistung der von<br />
Fr. Argelander 1844 in einem Artikel genannten Veränderlichen (2 heute<br />
als nicht variabel eingestufte <strong>Sterne</strong> gestrichen, zwei von Fr. Argelander<br />
übersehene Entdeckungen ergänzt). In diesem Artikel beschrieb er, was<br />
damals über stellare Variabilität bekannt war und gab detailliert eine<br />
Methode zur Beobachtung von Variabilität an, die auch von Amateuren<br />
mit einfachen Hilfsmitteln angewendet werden kann.<br />
Seite: 1.13
Historisches<br />
Das hat die Beobachtung von Veränderlichen stark beflügelt und die<br />
Anzahl der entdeckten Veränderlichen stieg danach rapide an:<br />
Jahr Katalog Anzahl<br />
1865 Chalmers 113<br />
1916 Müller & Hartwig 1986<br />
1937 Prager 6968<br />
1948 Kukarkin, 1. Aufl. 10 912<br />
1958 Kukarkin, 2. Aufl. 14 708<br />
1970 Kukarkin, 3. Aufl. 20 448<br />
1981 Kukarkin, 4. Aufl. 28 457<br />
2012 GCVS (Samus ++) 40 835<br />
Diese Zahlenangaben beziehen sich auf bestätigte Veränderliche in<br />
der Milchstraße. Zusätzlich gibt es zahlreiche Objekte, die vermutlich<br />
veränderlich sind, bei denen eine Bestätigung dessen aber noch aussteht,<br />
sowie zahlreiche extragalaktische Objekte, vor allem in den Magellanschen<br />
Wolken, die jeweils in separaten Katalogen erfaßt sind.<br />
Seite: 1.14
Historisches<br />
Eine völlig andere Art von Veränderlichkeit stellt das einmalige helle<br />
Aufleuchten eines Sterns dar, der für eine gewisse Zeit sichtbar bleibt<br />
und dann nach allmählicher Helligkeitsabnahme nach einiger Zeit zu<br />
schwach wird, um noch weiter beobachtet werden zu können. Solche<br />
Ereignisse sind bereits aus antiken europäischen Quellen und aus alten<br />
chinesischen und japanischen Quellen überliefert. Es handelt sich dabei<br />
um Novae oder Supernovae. Wegen des plötzlichen Erscheinens des<br />
Sterns an einer Position am Himmel, an der vorher kein Stern beobachtet<br />
wurde, sprach Brahe in der Beschreibung der von ihm entdeckten<br />
Supernova von stella nova“ und diese Bezeichnung (obwohl eigentlich<br />
”<br />
nicht korrekt) wird seit dem für dieses Phänomen verwendet.<br />
Seite: 1.15
Historisches<br />
Die historischen Supernovae sind:<br />
Jahr Entdecker Konstellation Visuell sichtbar<br />
185 China Centaurus 20 Monate<br />
386 China Scorpius 8 Monate<br />
1006 China Lupus 24 Monate<br />
1054 China Taurus 24 Monate<br />
1181 China Cassiopeia 6 Monate<br />
1572 T. Brahe Cassiopeia 18 Monate<br />
1604 J. Kepler Ophiuchus 12 Monate<br />
1667 Flamstedt Cassiopeia —<br />
1987 viele LMC<br />
Es gibt noch weitere mögliche Beobachtungen, aber da sind die historischen<br />
Quellen nicht ganz eindeutig. Von zahlreichen weiteren Supernovae<br />
sind heute die Überreste im Radiobereich und im Röntgenbereich<br />
gefunden. Die meisten galaktischen Supernovae sind wegen der Staubabsorption<br />
optisch nicht sichtbar.<br />
Seite: 1.16
Historisches<br />
Die mit bloßem Auge sichtbaren historischen Novae waren:<br />
Jahr Entdecker Konstellation Visuell sichtbar<br />
1612 Scheiner Leo 4.0 Magn.<br />
1670 Anthelm Vulpecula 2.6 Magn.<br />
1673 Richer Leo 3.0 Magn.<br />
1678 Hevelius Puppis 6.0 Magn.<br />
1783 d’Agelet Sagittarius 6.0 Magn.<br />
1843 — Carina -0.8 Magn.<br />
1848 Hind Ophiuchus 2.0 Magn.<br />
1862 Tebbutt Scorpius 5.0 Magn.<br />
1866 Birmingham Corona Borealis 2.0 Magn.<br />
Seite: 1.17
Historisches<br />
An der Entdeckung von Veränderlichen <strong>Sterne</strong>n hat die Arbeit zahlreicher<br />
Amateurastronomen eine sehr verdienstvolle Rolle gespielt. Die<br />
Langzeitüberwachung von <strong>Sterne</strong>n mit teilweise sehr langen Perioden<br />
kann von der professionellen Astronomie nicht geleistet werden und<br />
bietet Amateuren ein reiches Betätigungsfeld, zumal hierfür nicht unbedingt<br />
große Instrumente erforderlich sind.<br />
Seite: 1.18
1.2 Bezeichnung veränderlicher <strong>Sterne</strong><br />
Zur Orientierung am Nachthimmel werden seit dem Altertum die Sternbilder<br />
oder Konstellationen verwendet. Die Himmelskugel wird in Areale<br />
eingeteilt, in denen jeweils auffällige Sterngruppen, meistens besonders<br />
helle <strong>Sterne</strong>, zu sog. Sternbildern zusammengefaßt werden. Diese<br />
Gruppen werden mit bestimmten Namen belegt und geben dem betreffenden<br />
Areal am Himmel seinen Namen. Dieses aus der Antike überkommene<br />
Schema dient auch heute noch zu einer raschen Orientierung<br />
am <strong>Sterne</strong>nhimmel.<br />
Seite: 1.19
Bezeichnung veränderlicher <strong>Sterne</strong><br />
Nach einem Beschluß der Internationalen Astronomischen Union von<br />
1930 sollen in der astronomischen Wissenschaft die lateinischen Bezeichnungen<br />
verwendet werden, um Unklarheiten oder Mißverständnisse zu<br />
vermeiden, die durch bei Verwendung unterschiedlicher Bezeichnungen<br />
der Sternbilder in unterschiedlichen Sprachen entstehen können. Am<br />
nördlichen Sternhimmel werden im wesentlichen die Namen verwendet,<br />
die bereits Ptolemäus in seinem Verzeichnis von 150 n. Chr. verwendet<br />
hat. Sie entstammen meist der antiken Mythologie. Die Namen am südliche<br />
Himmel wurden durch die frühen europäischen Seefahrer geprägt<br />
und beziehen sich vielfach auf Begriffe aus der Seefahrt. Die Grenzen<br />
der einzelnen Himmelsareale sind durch Konventionen festgelegt.<br />
Seite: 1.20
Bezeichnung veränderlicher <strong>Sterne</strong><br />
Helle <strong>Sterne</strong> am Himmel oder solche, die in irgendeiner Weise auffällig<br />
sind, werden mit individuellen Namen bezeichnet. Die meisten dieser<br />
Namen sind arabischen, griechischen oder lateinischen Ursprungs. Um<br />
auch weniger auffällige <strong>Sterne</strong> am Himmel eindeutig zu charakterisieren,<br />
führte Johannes Bayer 1603 in seinem Sternverzeichnis folgende<br />
Bezeichnungsweise ein: Die <strong>Sterne</strong> im Feld eines Sternbildes werden mit<br />
kleinen griechischen Buchstaben (α, β, γ, . . . ; falls diese nicht ausreichen,<br />
dann weiter mit kleinen und bei Bedarf mit großen lateinischen<br />
Buchstaben) bezeichnet und dieser dem Genitiv des Namens des Sternbildes<br />
vorangestellt. Beispielsweise wird Sirius, der hellste Stern am<br />
Himmel und im Sternbild Canis Major, nach diesem Schema als α Canis<br />
Majoris bezeichnet, oder, unter Verwendung der Abkürzung für das<br />
Sternbild, kürzer als α CMa bezeichnet. Einige der hellsten <strong>Sterne</strong> mit<br />
ihren Bezeichnungen entsprechend diesem Schema sind in Tabelle 1.2<br />
gelistet. Wenn ein Stern einen individuellen Namen trägt, dann wird<br />
häufig diesem Namen gegenüber der Bayerschen Bezeichnung der Vorzug<br />
gegeben; die Praxis ist hier aber etwas uneinheitlich. Beispielsweise<br />
findet man Mira nur relativ selten unter der Bayer-Bezeichnung o Ceti,<br />
während Beteigeuze meistens mit der Bayer-Bezeichnung α Orionis<br />
benannt wird.<br />
Seite: 1.21
Bezeichnung veränderlicher <strong>Sterne</strong><br />
Tabelle 1.2: Die hellsten <strong>Sterne</strong> und ihre Bezeichnung<br />
Name Bayer Bezeichnung Größenklasse<br />
Sirius α Canis Majoris -0.7<br />
Canopus α Carinea -0.3<br />
— α Centauri -0.3<br />
Arcturus α Bootis -0.1<br />
Wega α Lyrae 0.0<br />
Capella α Aurigae 0.2<br />
Rigel β Orionis 0.2<br />
Prokyon α Canis Minoris 0.4<br />
Achernar α Eridani 0.5<br />
— β Centauri 0.7<br />
Beteigeuze α Orionis 0.7<br />
Atair α Aquilae 0.8<br />
Aldebaran α Tauri 0.8<br />
— α Crucis 0.9<br />
Spica α Virginis 1.0<br />
Antares α Scorpii 1.0<br />
Pollux β Geminorum 1.2<br />
Formalhaut α Piscis Austrini 1.2<br />
Deneb α Cygni 1.3<br />
— β Crucis 1.3<br />
Regulus α Leonis 1.4<br />
— ɛ Canis Majoris 1.5<br />
Castor α Geminorum 1.6<br />
Seite: 1.22
Bezeichnung veränderlicher <strong>Sterne</strong><br />
Später wurden dann Sternkataloge erstellt, in denen alle <strong>Sterne</strong> bis zu<br />
einer gewissen Größenklasse möglichst vollständig erfaßt und zusammen<br />
mit genäherten Positionen gelistet wurden. Nach Vorläufern in früheren<br />
Jahrhunderten wurde in der von Argelander und Schönfeld organisierten<br />
sog. Bonner Durchmusterung Mitte des 19. Jahrhunderts der erste<br />
große systematische Katalog des nördlichen <strong>Sterne</strong>nhimmels angelegt,<br />
der später durch argentinische Astronomen mit der sog. Cordoba Durchmusterung<br />
auf den südlichen <strong>Sterne</strong>nhimmel ausgedehnt wurde. Diese<br />
Erstellung von Sternkatalogen wird mit immer verbesserten Methoden<br />
bis heute bis zu immer lichtschwächeren Objekten fortgesetzt. Spezielle<br />
<strong>Sterne</strong> werden in der astronomischen Literatur dann meistens mit ihren<br />
Bezeichnungen in einem der gängigen Katalogen charakterisiert.<br />
Seite: 1.23
Bezeichnung veränderlicher <strong>Sterne</strong><br />
Für veränderliche <strong>Sterne</strong> wurde ein eigenes Bezeichnungssystem eingeführt.<br />
Durch Argelander wurde im Zusammenhang mit der Bonner<br />
Durchmusterung folgendes Schema für die Bezeichnung von Veränderlichen<br />
eingeführt: Da nach dem Bayer-Schema die Buchstaben R bis<br />
Z bei keinem Sternbild verwendet wurden, bezeichnete Argelander die<br />
Variablen in einem Sternbild in der Reihenfolge ihrer Entdeckung mit<br />
großen lateinischen Buchstaben ab R bis Z, die entsprechend dem Bayer-<br />
Schema dem Genitiv des Namens des Sternbildes vorangestellt wurden.<br />
Hiefür gibt es neun Möglichkeiten. Niemand rechnete zu dem Zeitpunkt<br />
der Einführung dieser Bezeichnungsweise mit der Entdeckung von mehr<br />
als neun Veränderlichen in einem einzigen Sternbild.<br />
Seite: 1.24
Bezeichnung veränderlicher <strong>Sterne</strong><br />
Das erwies sich aber schnell als unzutreffend. Das System wurde deswegen<br />
dadurch erweitert, daß man nach Ausschöpfung der ersten neun<br />
Möglichkeiten mit Doppelbuchstaben von RR, RS, . . . bis RZ die Benennung<br />
fortführte. Nachdem auch diese Kombinationen ausgeschöpft<br />
waren, setzte man die Serie mit SS, . . . , SZ, dann TT, . . . , TZ fort, usw.<br />
bis ZZ. Kombinationen, die Vertauschung der Reihenfolge der Buchstaben<br />
entsprechen (z.B. SR), wurden nicht verwendet, um eventuellen<br />
Verwechslungen vorzubeugen. Das ergab 54 weitere Möglichkeiten zur<br />
Bezeichnung von veränderlichen <strong>Sterne</strong>n.<br />
Auch das erwies sich schnell als nicht ausreichend und man begann eine<br />
neue Serie nach dem Schema AA, AB, . . . , AZ, dann BB, BC, . . . , BZ<br />
und so fort bis QQ, . . . , QZ, wobei der Buchstabe J ausgelassen wird,<br />
um Verwechslungen mit I zu vermeiden. Das liefert 271 weitere Möglichkeiten,<br />
sodaß mit dieser Bezeichnungsweise insgesamt 334 Veränderliche<br />
in jedem der 88 Sternbilder bezeichnet werden können.<br />
Seite: 1.25
Bezeichnung veränderlicher <strong>Sterne</strong><br />
Die rasch fortschreitende Beobachtungstechnik ließ die Anzahl der Variablen<br />
in einige Sternbildern schon Ende des 19. Jahrhunderts an die<br />
Grenze der Möglichkeiten dieses Bezeichnungssystems stoßen. Nach einem<br />
Vorschlag von Charles Andrè bezeichnet man die Variablen in einem<br />
Sternbild in der Reihenfolge ihrer Entdeckung einfach mit mit V1,<br />
V2, . . . und setzt dies vor den Genitiv des Namens des Sternbildes.<br />
Dieses System der Bezeichnung ist im Prinzip nicht mehr nach oben<br />
begrenzt. Für die ersten 334 Variablen beließ man es aber bei der bisherigen<br />
Bezeichnung, weil diese Bezeichnungen der betreffenden veränderlichen<br />
<strong>Sterne</strong> in der Literatur seit Jahrzehnten verwendet wurden und<br />
viele Klassen von Variablen nach der Bezeichnung bestimmter Prototypen<br />
benannt wurden (Z.B. RR Lyrae). Eine Umbenennung hätte nur<br />
Verwirrung gestiftet. Man setzt die Reihe deswegen erst nach QZ mit<br />
der digitalen Bezeichnung V335 fort.<br />
Seite: 1.26
Bezeichnung veränderlicher <strong>Sterne</strong><br />
Die meisten veränderlichen <strong>Sterne</strong>, die in der astronomischen Forschung<br />
immer wieder untersucht werden, haben Bezeichnungen nach der Bayerschen<br />
Bezeichnung der hellsten <strong>Sterne</strong> oder Bezeichnungen nach dem<br />
Schema mit ein oder zwei Buchstaben. Der Grund ist einfach der, daß<br />
die hellsten <strong>Sterne</strong> sich leicht und mit hoher Genauigkeit beobachten lassen<br />
und aus diesem Grund ihre Variabilität bereits frühzeitig erkannt<br />
wurde, als das ältere Schema der Bezeichnung noch nicht ausgeschöpft<br />
war.<br />
Seite: 1.27
1.3 Julianisches Datum<br />
Die Beobachtungen veränderlicher <strong>Sterne</strong> erstrecken sich oft über Jahre,<br />
manchmal Jahrzehnte, und in einigen Fällen über Jahrhunderte. Es<br />
ergibt sich die Notwendigkeit, die einzelnen Beobachtungen auf ein einfaches<br />
einheitliches Zeitmaß zu beziehen. Hierfür eignet sich das von<br />
Joseph Justus Scalinger im Jahr 1581 vorgeschlagene System, das sog.<br />
Julianische Datum. In diesem System werden alle Tage fortlaufend numeriert,<br />
beginnend ab einem willkrlich festgesetzten Tag, der die Nummer<br />
Null erhält. Zeitpunkte innerhalb eines Tages werden als Bruchteile<br />
des Tages angegeben. Als Anfangspunkt ist (relativ willkürlich) das Datum<br />
des 1. Januar 4713 v. Chr. festgesetzt worden. Der este Tag des<br />
Jahres 2000 hatte beispielsweise das Julianische Datum JD 2 451 544.<br />
Seite: 1.28
Julianisches Datum<br />
Julianische Daten werden mit JD (von Julianus dies) und der Nummer<br />
des Tages in der fortlaufenden Zählung bezeichnet. Dann folgt ein<br />
Punkt und darauf der Zeitpunkt innerhalb des Tages in Dezimalbruchteilen.<br />
Der Beginn eines Tages ist auf den mittleren Mittag des Nullmeridians<br />
festgesetzt. Dies wurde ursprünglich eingeführt, damit es nicht<br />
während der Beobachtungszeit europäischer Astronomen (nachts) zu einem<br />
Wechsel des Julianischen Datums kommt.<br />
Wenn Beobachtungszeitpunkte in Julianischen Daten angegeben werden,<br />
dann kann durch Auftragen von Messungen gegen das Julianische<br />
Datum leicht die Variabilität von <strong>Sterne</strong>n untersucht werden und durch<br />
einfache Differenzbildung der zeitliche Abstand zweier Beobachtungen<br />
ermittelt werden. Darin liegt der Vorteil dieser Art der Zeitangaben.<br />
Die Umrechnung von Kalenderdatum und Uhrzeit der Messung in Julianisches<br />
Datum fällt nur einmal bei der Auswertung der Messungen<br />
an. Die Umrechnung geschieht am einfachsten mit Hilfe von Tabellen<br />
oder heute meist mittels Computerprogrammen.<br />
Seite: 1.29
1.4 Lichtkurven<br />
Wenn die beobachtete Helligkeit eines Sterns gegen den Zeitpunkt (in<br />
JD) der Beobachtung aufgetragen wird, dann erhält man die Lichtkurve.<br />
Genauer erhält man eine Folge von Punkten, die, wenn sie genügend<br />
dicht ist, sich, abgesehen von gewissen Streuungen, für das Auge längs<br />
einer Kurve anzuordnen scheinen, oft aber auch völlig regellos angeordnet<br />
erscheinen.<br />
Solche Lichtkurven können äußerst komplex sein. Teils deuten sich sehr<br />
regelmäßige Helligkeitsvariationen an, teils starke Variationen ohne jedes<br />
Kennzeichen einer Regelmäßigkeit, teils auch wechselnde Phasen<br />
von deutlicher Variabilität mit dazwischen liegenden Phasen ohne jede<br />
erkennbare Veränderlichkeit. Es zeigte sich, nachdem Ende des 19.<br />
Jahrhunderts eine systematische Untersuchung der veränderlichen <strong>Sterne</strong><br />
begonnen hatte, daß <strong>Sterne</strong> mit bestimmten Merkmalen ihrer Lichtkurven<br />
oft gehäuft auftreten. Die veränderlichen <strong>Sterne</strong> wurden dann<br />
nach bestimmten Merkmalen ihrer Lichtkurven zunächst rein phänomenologisch<br />
in unterschiedliche Klassen eingeteilt, die meistens nach<br />
dem ersten bekannt gewordenen Vertreter der Klasse oder nach einem<br />
besonders typischen Vertreter benannt wurden und werden.<br />
Seite: 1.30
Lichtkurven<br />
Wenn die Lichtkurve eine Reihe von Maxima und Minima erkennen<br />
läßt, die sich in annähernd gleichen Zeitabständen wiederholen, dann<br />
spricht man von einem periodischen Veränderlichen. Die Abstände zweier<br />
aufeinander folgender Maxima wird als Periode des veränderlichen<br />
Sterns bezeichnet, der Helligkeitsunterschied zwischen Maximum und<br />
darauf folgendem Minimum als Amplitude der Veränderlichkeit. Die<br />
Lichtkurve muß zwischen Maximum und Minimum und zwischen Minimum<br />
und darauf folgendem Maximum nicht unbedingt monoton verlaufen.<br />
Es kommen recht komplizierte periodische Lichtkurven vor, die<br />
auch Nebenmaxima oder Nebenminima aufweisen.<br />
Damit ein Stern als periodischer Veränderlicher bezeichnet wird, muß<br />
der Abstand aufeinander folgender Maxima (oder Minima) für alle solche<br />
Perioden nicht völlig gleich sein. Abweichungen um bis zu 30% lässt<br />
man noch gelten. Erst wenn die Variation der Periodenlängen diese<br />
Grenze überschreitet, oder wenn in der Lichtkurve sich wiederkehrenden<br />
Maxima und Minima nicht eindeutig identifiziert werden können, oder<br />
wenn das periodische Verhalten zeitweilig unterbrochen und später wieder<br />
fortgesetzt wird, dann spricht man von halbregelmäßigen Veränderlichen.<br />
Seite: 1.31
Lichtkurven<br />
Ist keinerlei irgendwie geartete Wiederholung im Lichtwechsel der <strong>Sterne</strong><br />
zu erkennen, dann spricht man von einem unregelmäßig Veränderlichen.<br />
Eine eindeutige Charakterisierung der Veränderlichkeit als regelmäßig,<br />
halbregelmäßig oder unregelmäßig erfordert, daß die Punktfolge der beobachteten<br />
Lichtkurve die Merkmale der Lichtkurve genügend dicht<br />
überdeckt. Eine Unregelmäßigkeit in der Veränderlichkeit kann beispielsweise<br />
bei einem periodischen Veränderlichen vorgetäuscht werden,<br />
wenn nur wenige Daten vorliegen, die sehr ungleichmäßig über weit auseinanderliegende<br />
Perioden verteilt sind. Eine solchen Daten zugrunde<br />
liegende Periode kann aber mit ausfeilten numerischen Methoden festgestellt<br />
werden.<br />
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Lichtkurven<br />
Wenn die Periodenlängen nicht sehr stark variieren, dann kann man die<br />
Beobachtungen aus verschiedenen Zyklen der Variation zu einer mittleren<br />
Lichtkurve vereinigen, indem man für jede Beobachtung die zeitliche<br />
Differenz zu dem letzten vorausgegangenen Maximum (oder Minimum)<br />
bildet, diese durch die angenommene Periode dividiert, und die Beobachtungsdaten<br />
über dieser sogenannten Phase aufträgt. Diese Phase,<br />
üblicherweise mit φ bezeichnet, variiert nach Definition zwischen null<br />
und eins.<br />
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