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Mr. Flow und die Suche nach dem guten Leben - Institut für ...

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Aus: PSYCHOLOGIE HEUTE. März 2005<br />

Mihaly Csikszentmihalyi (Scanfehler möglich)<br />

Annette Schäfer<br />

<strong>Mr</strong>. <strong>Flow</strong> <strong>und</strong> <strong>die</strong> <strong>Suche</strong> <strong>nach</strong> <strong>dem</strong> <strong>guten</strong> <strong>Leben</strong><br />

Im <strong>Flow</strong> sein. Wer <strong>die</strong> Bücher des Psychologen Mihaly Csikszentmihalyi<br />

kennt, weiß, wovon <strong>die</strong> Rede ist. Das <strong>Flow</strong>Konzept begeistert inzwischen<br />

weltweit eine große Leserschaft, verspricht es doch, das »Geheimnis des<br />

Glücks« zu lüften. Hinter <strong>dem</strong> Erfolg verbirgt sich eine lebenslange <strong>Suche</strong><br />

<strong>nach</strong> <strong>dem</strong>, was wirklich Freude macht. Eine <strong>Suche</strong>, <strong>die</strong> im Kopf eines<br />

ratlosen Jungen begann.<br />

Ganz ruhig erzählt er <strong>die</strong> Episode. Es ist Oktober 1944. Mit seinen Eltern<br />

steht er am Budapester Bahnhof, um <strong>die</strong> im Krieg versinkende Stadt<br />

Richtung Venedig zu verlassen. Auf <strong>dem</strong> Bahnsteig kann man bereits<br />

Kanonendonner hören. Fre<strong>und</strong>e <strong>und</strong> Verwandte sind gekommen, um<br />

Abschied zu nehmen. Der l0-Jährige hört der Unterhaltung der Erwachsenen<br />

zu: Warum sie ausgerechnet im Oktober <strong>nach</strong> Venedig führen? Das sei doch<br />

eine ganz schlechte Jahreszeit: feuchtes Klima, Moskitos, kein gutes Kulturprogramm.<br />

Der Zug, der Mihaly <strong>und</strong> seine Eltern <strong>nach</strong> Italien bringt, ist der<br />

letzte, der Budapest verlasst. Die kämpfenden Parteien zerstören alle<br />

Brücken; Stalins Truppen besetzen <strong>die</strong> Donaumetropole. »Drei Wochen <strong>nach</strong><br />

unserer Abreise waren <strong>die</strong> meisten Menschen, <strong>die</strong> uns zum Bahnhof<br />

brachten, tot. «<br />

R<strong>und</strong> 180 Menschen lauschen gebannt <strong>dem</strong> Vortrag des heute 70-jährigen<br />

Psychologen, der von seiner kindlichen Verwirrung <strong>und</strong> Verzweiflung in den


letzten Monaten des Zweiten Weltkrieges erzählt. Wie <strong>die</strong> meisten<br />

Erwachsenen, <strong>die</strong> er sah, einfach ihren Alltagsdingen <strong>nach</strong>gingen, wahrend<br />

überall Gebäude zusammenfielen, Züge in Flammen standen <strong>und</strong> Nachbarn<br />

auf Nimmerwiedersehen verschwanden. »Ich konnte einfach nicht verstehen,<br />

wie <strong>die</strong> hochgebildeten, an sich vernünftigen Menschen um mich herum, <strong>die</strong><br />

ich respektierte <strong>und</strong> liebte nicht verstanden, was geschah, wie blind sie<br />

waren <strong>und</strong> - trotz Hunger, Unsicherheit, Tod <strong>und</strong> Leid – einfach so taten, als<br />

wäre alles ganz normal. Da beschloss ich, herauszufinden, was es mit <strong>dem</strong><br />

<strong>Leben</strong> wirklich auf sich hat <strong>und</strong> wie man besser leben kann.«<br />

Mihaly Csikszentmihalyi sitzt auf einer kleinen Bühne im prächtig-barocken<br />

Kolomanisaal von Stift Melk. Sein rotwangiges Gesicht hebt sich kräftig<br />

gegen <strong>die</strong> weißen Haare <strong>und</strong> das schwarzes Outfit aus Jackett, T-Shirt <strong>und</strong><br />

bequemer Hose ab. Er spricht mit langsamer, tiefer Stimme; sein<br />

Amerikanisch hat einen osteuropäischen Akzent. Konzentriert wirkt er <strong>und</strong><br />

präsent. Auf seinem Stuhlleicht <strong>nach</strong> vorn gebeugt, geht sein Blick immer<br />

wieder ins Publikum. Nur ab <strong>und</strong> zu schaut er auf das neben ihm liegende<br />

Blatt Papier.<br />

Extra für <strong>die</strong>ses Wochenende ist der Psychologieprofessor <strong>und</strong> »Erfinder«<br />

des <strong>Flow</strong>konzepts aus <strong>dem</strong> kalifornischen Claremont in <strong>die</strong> österreichische<br />

Wachau gereist. Waldzell Meeting nennt sich <strong>die</strong> ungewöhnliche Konferenz,<br />

bei der elf Persönlichkeiten aus Wissenschaft, Wirtschaft, Kunst <strong>und</strong><br />

Religion über den Sinn im <strong>Leben</strong> sprechen.<br />

Als führenden Glücksforscher <strong>und</strong> amerikanischen Superstar hat<br />

Veranstalter Andreas Salcher den Gast aus Kalifornien angekündigt. In der<br />

Tat wird Mihaly Csikszentmihalyi von vielen Menschen regelrecht verehrt.<br />

Sein Bestseller <strong>Flow</strong>. Das Geheimnis des Glücks wurde in 19 Sprachen<br />

übersetzt. Die Popularität des Psychologen ist auch beim Waldzell Meeting<br />

unübersehbar. Von den Teilnehmern <strong>und</strong> Journalisten sind viele nur<br />

angereist, um ihn sprechen zu hören.<br />

Für sein Referat hat Mihaly Csikszentmihalyi neben <strong>dem</strong> Kriegserlebnis<br />

noch ein zweites Ereignis aus seinem <strong>Leben</strong> ausgewählt, das er <strong>dem</strong><br />

Publikum erzählt. Bei einem Urlaub in der Schweiz besucht er als 15-<br />

Jähriger einen Vortrag an der Universität von Zürich. Es geht um<br />

Archetypen, indische Mandalas <strong>und</strong> <strong>die</strong> Notwendigkeit, ein neues Verständnis<br />

vom <strong>Leben</strong> <strong>und</strong> der Welt zu entwickeln. Der eloquente Dozent, ein<br />

gewisser Carl Jung, beeindruckt Mihaly sehr. Er beginnt Jungs Bücher zu<br />

lesen - <strong>und</strong> nimmt sich schließlich vor, ernsthaft Psychologie zu stu<strong>die</strong>ren.<br />

»Wir müssen herausfinden, was uns wirklich Freude macht <strong>und</strong> uns<br />

zutiefst erfüllt«<br />

Wie der <strong>Leben</strong>sweg verläuft, gibt Csikszentmihalyi den Zuhörern mit auf<br />

den Weg, hänge von vielen Faktoren ab: Die Gene seien wichtig, <strong>die</strong> Kultur,<br />

in der man lebt, <strong>und</strong> <strong>die</strong> Erlebnisse, <strong>die</strong> man so hat. Entscheidend aber sei,<br />

was man daraus mache, wie man sein Potenzial, seine Erfahrungen <strong>und</strong><br />

Möglichkeiten nütze. »Eine der größten Herausforderungen dabei ist,<br />

herauszufinden, was einem wirklich Freude macht <strong>und</strong> einen zutiefst erfüllt.<br />

Das hat auch einen höheren Sinn, denn es bringt <strong>die</strong> Gesellschaft <strong>und</strong> <strong>die</strong><br />

<strong>Mr</strong>. <strong>Flow</strong> <strong>und</strong> <strong>die</strong> <strong>Suche</strong> <strong>nach</strong> <strong>dem</strong> <strong>guten</strong> <strong>Leben</strong> 05 / p. 2


Menschheit als Ganzes weiter. «<br />

Herausfinden, was wirklich Freude macht - wie sehr <strong>die</strong>ses Ziel das gesamte<br />

<strong>Leben</strong> von Mihaly Csikszentmihalyi bestimmt, wird in einem persönlichen<br />

Gespräch abseits vom Tagungsrummel klar. Zwei St<strong>und</strong>en nimmt er sich dafür<br />

Zeit. Und mit jeder seiner Antworten wird offenbar, wie aus einem<br />

verunsicherten Kind ein weltweit anerkannter Psychologe wurde, dessen<br />

Forschung nicht nur zahlreichen Menschen zu einem besseren <strong>Leben</strong><br />

verhilft, sondern ihm selbst auch tiefe Befriedigung bringt.<br />

1934 wird Mihaly als Sohn eines ungarischen Diplomatenpaares in Italien<br />

geboren. Früh erfährt er, was es heißt, fremd zu sein. Wegen seiner roten<br />

Haare <strong>und</strong> des unaussprechlichen Namens wird er von den Schulkameraden<br />

gehänselt, Fre<strong>und</strong>e hat er kaum. Weder in der italienischen noch ungarischen<br />

Kultur fühlt er sich richtig zu Hause. Die viel beschäftigten Eltern pflegen<br />

einen bourgeoisen <strong>Leben</strong>sstil, mehrmals <strong>die</strong> Woche finden Dinnerpartys<br />

statt, für den Nachwuchs sorgt eine Kinderfrau. Nach den unruhigen<br />

Kriegsjahren, <strong>die</strong> <strong>die</strong> Familie teils in Ungarn <strong>und</strong> teils in der Wahlheimat<br />

Italien verbringt, geht es den Csikszentmihalyis wirtschaftlich schlecht. Weil<br />

der Vater seinen Posten als ungarischer Konsul in Italien verliert, eröffnen<br />

<strong>die</strong> Eltern ein Restaurant in Rom. Mihaly muss <strong>die</strong> Schule, in <strong>die</strong> er ohnehin<br />

nur ungern geht, ohne Abschluss verlassen <strong>und</strong> hilft mit diversen Jobs, das<br />

Familienbudget zu füllen.<br />

Seinen Traum, <strong>die</strong> menschliche Psyche zu erk<strong>und</strong>en, um das <strong>Leben</strong> besser zu<br />

verstehen, hat er nicht vergessen. So macht er sich 1956 in <strong>die</strong> Vereinigten<br />

Staaten auf, denn hier kann man - anders als in Europa - Psychologie an der<br />

Universität stu<strong>die</strong>ren. Er landet in Chicago <strong>und</strong> schreibt sich an der<br />

University of Illinois ein. Von elf Uhr abends bis morgens um sieben arbeitet<br />

er in einem Großhotel, wo er Rechnungen für abreisende Gäste erstellt.<br />

Tagsüber sitzt er in Vorlesungen <strong>und</strong> Seminaren. Die fremde <strong>und</strong> bunte<br />

Studentenschaft fasziniert ihn sehr. Von seinen Kursen allerdings ist er<br />

äußerst enttäuscht. Als mechanistische, langweilige <strong>und</strong> kleingeistige Sicht<br />

auf <strong>die</strong> menschliche Psyche empfindet er <strong>die</strong> Psychologie, <strong>die</strong> man hier lehrt.<br />

Kurzerhand sattelt er auf Design um. Zwei Jahre lang befasst er sich mit der<br />

Ästhetik von Gegenständen <strong>und</strong> lernt, wie man formschöne,<br />

funktionstüchtige Objekte konstruiert.«<br />

Nach seinem Examen beginnt er 1962 mit einer Promotionsarbeit. Er<br />

untersucht, wie Künstler Ideen für ihre Werke entwickeln. Dabei beobachtet<br />

er ein merkwürdiges Phänomen: Die Maler an ihren Staffeleien verhalten<br />

sich fast wie in Trance. Sie sind von ihrer Arbeit so gefesselt, dass sie<br />

Hunger, Durst <strong>und</strong> Müdigkeit vergessen. Dabei scheint es <strong>die</strong> Tätigkeit an<br />

sich zu sein, <strong>die</strong> sie treibt, nicht etwa der Wunsch <strong>nach</strong> Anerkennung, Ruhm<br />

oder Geld. Sich ohne handfeste Belohnung einer Tätigkeit begeistert widmen<br />

- keine der gängigen Motivationstheorien, <strong>die</strong> Mihaly kennt, kann <strong>die</strong>ses<br />

Verhalten zufrieden stellend erklären. Auch er selbst hat den Zustand<br />

vollkommenen Eintauchens oft erlebt: beim Bergklettern, Musizieren oder<br />

während einer <strong>guten</strong> Schachpartie. »Sogar in den Kriegsjahren, als mich<br />

tiefe Ängste quälten <strong>und</strong> ich dachte, <strong>die</strong> Welt würde zu Ende gehen, konnte<br />

<strong>Mr</strong>. <strong>Flow</strong> <strong>und</strong> <strong>die</strong> <strong>Suche</strong> <strong>nach</strong> <strong>dem</strong> <strong>guten</strong> <strong>Leben</strong> 05 / p. 3


ich mich st<strong>und</strong>enlang völlig in ein Schachspiel vertiefen.« Dem jungen<br />

Wissenschaftler wird klar, dass es hier einen erforschenswerten Bereich<br />

menschlichen Verhaltens gibt, der ihn vielleicht bei seiner <strong>Suche</strong> <strong>nach</strong> einem<br />

<strong>guten</strong> <strong>Leben</strong> weiterbringt.<br />

Die Idee lässt ihn nicht mehr los. Als er 1970 eine Position als Jungprofessor<br />

an seiner Universität bekommt, wird auch ein ernsthaftes Forschungsprojekt<br />

daraus. Mit Geschick gelingt es ihm, einen Geldgeber für sein Vorhaben zu<br />

finden. Er stellt eine Gruppe begabter Studenten zusammen <strong>und</strong> legt mit der<br />

Arbeit los. Gemeinsam mit seinen Mitarbeitern interviewt er Tänzer,<br />

Bergsteiger, Basketball- <strong>und</strong> Schachspieler, um herauszufinden, was <strong>die</strong>se<br />

Aktivitäten so attraktiv <strong>und</strong> belohnend macht. »Autotelisch« nennt er<br />

Beschäftigungen, <strong>die</strong> Menschen um der Sache selbst willen betreiben <strong>und</strong><br />

<strong>die</strong> vollkommenes Vertiefen erlauben. Später wird daraus der eingängige<br />

Begriff <strong>Flow</strong>. 1972 publiziert Csikszentmihalyi <strong>die</strong>se Forschung unter <strong>dem</strong><br />

Titel Beyond boredom and anxiety (dt.: Jenseits von Angst <strong>und</strong> Langeweile).<br />

Das Buch ist nicht gerade ein Hit. Die Verkaufszahlen sind gering, ebenso<br />

wie <strong>die</strong> Resonanz in der wissenschaftlichen Welt. Ein Anthropologe <strong>und</strong> ein<br />

paar Sportpsychologen interessieren sich dafür, aber niemand aus <strong>dem</strong><br />

psychologisch-aka<strong>dem</strong>ischen Establishment.<br />

Die <strong>Leben</strong>squalität hat unter <strong>dem</strong> Ruhm gelitten. Manche Fans<br />

erwarten persönliche Hilfe<br />

Ohne sich lang über <strong>die</strong> Ignoranz seiner Umwelt zu grämen, stürzt sich<br />

Csikszentmihalyi in das nächste Projekt: Er will <strong>die</strong> Methode seiner<br />

<strong>Flow</strong>forschung verbessern. Denn <strong>die</strong> Qualität der Daten, <strong>die</strong> sich mithilfe<br />

von Interviews <strong>und</strong> Fragebögen erheben lassen, befriedigt ihn nicht. Die<br />

Angaben, <strong>die</strong> Versuchspersonen in der Rückschau über ihre absorbierenden<br />

Aktivitäten machen, sind ihm zu stereotyp <strong>und</strong> ungenau. Er kommt auf <strong>die</strong><br />

Idee, so genannte Pager für seine Untersuchungen zu nutzen.<br />

Stu<strong>die</strong>nteilnehmer werden mit elektronischen Funkempfängern ausgestattet,<br />

über <strong>die</strong> sie in unregelmäßigen Abständen Signale erhalten. Sobald sie einen<br />

Ton hören, müssen sie in einem Büchlein festhalten, was sie gerade tun <strong>und</strong><br />

wie sie sich dabei fühlen. Die Technik, Experience Sampling Method (ESM)<br />

genannt, stellt sich als genial heraus. Die Informationen, <strong>die</strong> sich damit<br />

erheben lassen, sind detailliert, ergiebig <strong>und</strong> genau. Mihaly ist so fasziniert,<br />

dass er beginnt, jeden Aspekt des täglichen <strong>Leben</strong>s damit zu erforschen. Die<br />

nächsten 20 Jahre verwendet er den größten Teil seiner Zeit <strong>und</strong> Energie<br />

darauf, <strong>die</strong> neue Methode anzuwenden <strong>und</strong> zu verbessern. »Was das Thema<br />

<strong>Flow</strong> angeht, bin ich in <strong>die</strong>ser Zeit etwas vom Weg abgekommen«, räumt er<br />

ein, »doch <strong>die</strong> ausführliche Beschäftigung mit der Pagermethode hat sich<br />

allemal gelohnt. Die Technik ist sehr hilfreich, um das <strong>Leben</strong> von Menschen<br />

wirklich zu verstehen.«<br />

Mihaly Csikszentmihalyi ist schon fast 60, als ihn der große öffentliche<br />

Erfolg ereilt. Nach einem Artikel, der im Magazin Newsweek über seine<br />

Arbeit erscheint, meldet sich 1988 ein Buchagent <strong>und</strong> fragt, ob er nicht ein<br />

populärwissenschaftliches Buch über <strong>Flow</strong> schreiben wolle. Zunächst winkt<br />

der Forscher ab. Er sieht seine Aufgabe im wissenschaftlichen Diskurs mit<br />

<strong>Mr</strong>. <strong>Flow</strong> <strong>und</strong> <strong>die</strong> <strong>Suche</strong> <strong>nach</strong> <strong>dem</strong> <strong>guten</strong> <strong>Leben</strong> 05 / p. 4


Fachkollegen. Doch dann, <strong>nach</strong> intensiver Oberzeugungsarbeit des Agenten,<br />

willigt er ein. Als das Buch 1990 in <strong>die</strong> Läden kommt, findet es zunächst nur<br />

schleppend Absatz. Doch von Jahr zu Jahr gewinnt es immer mehr Fans.<br />

Dazu tragen auch Prominente bei. 1993 hält der Trainer der Dallas Cowboys<br />

das Buch in eine Fernsehkamera <strong>und</strong> erklärt, wie nützlich es für seine Arbeit<br />

sei. Wenig später gewinnt sein Team den Superbowl, das wichtigste<br />

Footballturnier der USA. Ais 1997 in der amerikanischen <strong>und</strong> englischen<br />

Presse <strong>nach</strong>zulesen ist, dass <strong>Flow</strong> zu den Lieblingsbüchern des damaligen<br />

Präsidenten Bill Clinton zählt <strong>und</strong> auch in Tony Blairs Sozialreformen<br />

eingeflossen ist, hat es sich längst als Bestseller etabliert.<br />

Heute genießt es Csikszentmihalyi, wissenschaftliche Zusammenhänge<br />

allgemein verständlich darzustellen - <strong>und</strong> hält das sogar für schwieriger, als<br />

für ein Fachpublikum zu schreiben. Was seine enorme Popularität in der<br />

Öffentlichkeit angeht, scheint der Professor allerdings eher gespalten zu sein.<br />

Es sei ein Glück, meint er, dass seine Arbeit kein schneller Erfolg gewesen<br />

sei. Er kenne zahlreiche erfolgreiche Menschen, <strong>die</strong> am Druck, immer<br />

wieder neue, spektakuläre Ideen zu produzieren, <strong>und</strong> den damit verb<strong>und</strong>enen<br />

Zweifeln <strong>und</strong> Frustrationen regelrecht zerbrochen seien.<br />

Davor war er geschützt. Doch seine <strong>Leben</strong>squalität hat unter <strong>dem</strong> Ruhm<br />

gelitten. Weil sie sich in seinen Büchern so gut wiederfinden, glauben<br />

manche seiner Fans, dass er ihnen auch persönlich helfen könne.<br />

Suizidgefährdete, Vergewaltigungsopfer, Eltern, deren Kinder Drogen nehmen<br />

- das Spektrum Hilfesuchender, <strong>die</strong> ihn zu allen Tages- <strong>und</strong> Nachtzeiten<br />

anrufen, ist breit. Oft keine leichte Situation: »Meinen Rat, einen<br />

Psychologen oder Psychiater aufzusuchen, wollen <strong>die</strong> Anrufer meist nicht<br />

hören. Sie bestehen darauf, dass ich ihnen sage, wie sie ihre Probleme lösen<br />

können.« Auch aus <strong>die</strong>sem Gr<strong>und</strong> verbringt er mit seiner Frau Isabella viel<br />

Zeit in der Einsamkeit <strong>und</strong> Anonymität Montanas, wo das Paar ein Haus in<br />

den Bergen besitzt.<br />

Für <strong>die</strong> Rolle als Star ist Csikszentmihalyi offensichtlich nur bedingt<br />

gemacht. In erster Linie ist er leidenschaftlicher Wissenschaftler. Zahlen,<br />

Daten <strong>und</strong> Statistik lassen sein Herz höher schlagen: »Ich kann st<strong>und</strong>enlang<br />

am Computer sitzen <strong>und</strong> Print-outs analysieren. Ich suche <strong>nach</strong> Mustern,<br />

versuche herauszufinden, was sich hinter den Zahlenkolonnen verbirgt. Ich<br />

fühle mich dann wie eine Art Kolumbus, der ein neues Land erforscht. « Als<br />

er über <strong>die</strong> Freuden quantitativer Analyse spricht, sieht sein ansonsten<br />

ernstes, fast melancholisches Gesicht für Momente schelmisch <strong>und</strong><br />

jungenhaft aus.<br />

<strong>Mr</strong>. <strong>Flow</strong> <strong>und</strong> <strong>die</strong> <strong>Suche</strong> <strong>nach</strong> <strong>dem</strong> <strong>guten</strong> <strong>Leben</strong> 05 / p. 5


<strong>Flow</strong> ist für Csikszentmihalyi mehr als ein abstrakter Forschungsgegenstand,<br />

den er bei anderen Menschen untersucht. Er selbst hat sich bei seiner Arbeit<br />

immer davon leiten lassen, was ihm selbst Erfüllung bringt. Das zeigt sich<br />

nicht nur bei seinen Stu<strong>die</strong>n zur Experience Sampling Method, mit der er<br />

H<strong>und</strong>erttausende von Einzelinformationen gesammelt <strong>und</strong> ausgewertet <strong>und</strong><br />

so seine Lust an Zahlen <strong>und</strong> Daten gestillt hat. Weil er sich schon seit der<br />

Kindheit für Kunst <strong>und</strong> kreatives Schaffen interessiert, stellte er auch<br />

umfassende Untersuchungen über <strong>die</strong> menschliche Kreativität an. In seiner<br />

bekanntesten Arbeit zu <strong>die</strong>sem Thema führte er mit r<strong>und</strong> 90 herausragende<br />

Künstlern <strong>und</strong> Wissenschaftlern (darunter 14 Nobelpreisträger) ausführliche<br />

Interviews. Fünf Jahre lang hat er dazu gebraucht. »Mihaly macht es<br />

unendlich viel Spaß, seine Stu<strong>die</strong>n zu konzipieren <strong>und</strong> durchzuführen«<br />

bestätigt Howard Gardner, Professor an der Harvard-Universitat, der mit<br />

Csikszentmihalyi seit vielen Jahren zusammenarbeitet. »Sein <strong>Leben</strong> ist eine<br />

untrennbare Mischung aus Arbeit <strong>und</strong> Spiel- eben jenes Phänomen, das er in<br />

seinen Büchern so überzeugend beschreibt. Ich kann mir nicht vorstellen,<br />

dass er sich jemals zur Ruhe setzt <strong>und</strong> einfach Pfeife raucht.<br />

Begeisterungsfähigkeit <strong>und</strong> Neugier, aber auch sein breites Wissen über<br />

Wissenschaft, Geschichte <strong>und</strong> Philosophie, <strong>die</strong> Lust, mit neuen,<br />

ungewöhnlichen Ideen zu spielen, <strong>und</strong> sein Mut, <strong>die</strong> großen, wichtigen Fragen<br />

zu stellen, bezeichnen jene, <strong>die</strong> ihn gut kennen, als seine größten<br />

Stärken. »Mihaly ist ein außergewöhnlich origineller Denker, sowohl in<br />

Bezug auf theoretische <strong>und</strong> methodische Fragen als auch was Ereignisse des<br />

täglichen <strong>Leben</strong>s angeht«, ergänzt Gardner. »Er sieht Trends <strong>und</strong> Zusammenhänge,<br />

<strong>die</strong> andere nicht sehen.«<br />

Mit <strong>die</strong>sen Eigenschaften ist er nicht nur auf Wohlwollen <strong>und</strong> Anerkennung<br />

gestoßen. In der wissenschaftlichen Gemeinde sei er viele Jahre als<br />

Außenseiter angesehen worden, meint Howard Gardner: »Seine Interessen<br />

sind einfach zu weit gestreut, seine Methoden zu ungewöhnlich, als dass er<br />

bequem in eines der etablierten psychologischen Lager passen würde. «<br />

Ausgerechnet an seiner Heimatuniversität, der University of Chicago,<br />

brachte ihm sein Querdenkertum eine herbe Niederlage ein. Als<br />

Vorsitzender des Psychologischen <strong>Institut</strong>s, der er von 1985 bis 1988 war,<br />

versuchte er, <strong>die</strong> einseitig naturwissenschaftliche, kognitive Sicht zugunsten<br />

einer umfassenderen, auch evolutionäre <strong>und</strong> wertorientierte Fragen<br />

berücksichtigenden Psychologie zu erweitern. Doch damit biss er bei seinen<br />

Kollegen auf Granit. »Die anderen haben das einfach nicht gewollt«, erinnert<br />

sich Csikszentmihalyi, »da habe ich irgendwann aufgegeben.«<br />

<strong>Mr</strong>. <strong>Flow</strong> <strong>und</strong> <strong>die</strong> <strong>Suche</strong> <strong>nach</strong> <strong>dem</strong> <strong>guten</strong> <strong>Leben</strong> 05 / p. 6


In der Folge fühlte er sich mit seinen Arbeiten <strong>und</strong> Ideen in Chicago mehr<br />

<strong>und</strong> mehr isoliert. Vor sechs Jahren schließlich beschloss er, einen neuen<br />

Anfang zu wagen, <strong>und</strong> zog <strong>nach</strong> Kalifornien um, wo er seit<strong>dem</strong> an der Peter<br />

Drucker School of Management das Quality of Life Research Center leitet.<br />

Sein Ziel ist, eine Brücke zwischen Forschung <strong>und</strong> »wahrem <strong>Leben</strong>« zu<br />

schlagen. Zusammen mit seinen Mitarbeitern erforscht er beispielsweise,<br />

unter welchen Bedingungen Arbeit effektiv <strong>und</strong> gleichzeitig erfüllend sein<br />

kann.<br />

Etwa zur gleichen Zeit hat er sich auch an <strong>die</strong> Spitze einer neuen<br />

psychologischen Bewegung gesetzt. Zusammen mit Martin Seligman,<br />

Psychologieprofessor aus Pennsylvania <strong>und</strong> ebenfalls Bestsellerautor,<br />

bemüht er sich, <strong>die</strong> »Positive Psychologie« zu etablieren, einen mittlerweile<br />

boomenden Forschungsbereich, der sich mit allem befasst, was Menschen<br />

zufrieden, stark <strong>und</strong> glücklich macht. »Er ist der Kopf, ich bin <strong>die</strong> Stimme«,<br />

beschreibt Seligman <strong>die</strong> Arbeitsteilung zwischen den beiden. Die<br />

Kooperation liegt Csikszentmihalyi sichtlich am Herzen: »Die ,Positive<br />

Psychologie' kommt meiner Vorstellung näher als irgendetwas sonst, was ich<br />

im Bereich der Psychologie kenne.«<br />

Das neue Ziel: Herausfinden, wann Arbeit sowohl effektiv als auch<br />

erfüllend sein kann<br />

Wie weit also ist er mit seiner <strong>Suche</strong> <strong>nach</strong> einem besseren <strong>Leben</strong><br />

gekommen? Mihaly Csikszentmihalyi überlegt lange, bevor er eine Antwort<br />

gibt: »Manchmal habe ich das Gefühl, ich hatte gar nichts erreicht. Dann<br />

wieder denke ich, was ich im Laufe meines <strong>Leben</strong>s gemacht habe, ist gar<br />

nicht so schlecht.« <strong>Flow</strong>, ESM, Kreativität, Positive Psychologie - auf den<br />

ersten Blick sehe das vielleicht wie ein Zickzackkurs aus. Doch letztlich sei<br />

es bei seinen Projekten immer darum gegangen, herauszufinden, was das<br />

<strong>Leben</strong> lebenswert macht. Und er selbst habe eine Menge Spaß dabei gehabt.<br />

Ob denn der 10-jährige Junge von einst, der sich vornahm, das <strong>Leben</strong> besser<br />

zu verstehen, mit seinem bisherigen <strong>Leben</strong>swerk zufrieden wäre? »Wenn er<br />

nur das reine Ergebnis sähe, wahrscheinlich nicht«, sagt Csikszentmihalyi<br />

<strong>und</strong> schmunzelt, »aber wenn er erführe, wie sich das alles ergeben <strong>und</strong><br />

zugetragen hat, welche Erfahrungen, Erkenntnisse <strong>und</strong> Hindernisse damit<br />

verb<strong>und</strong>en waren, dann, ja dann wäre er wohl zufrieden.«<br />

Mihaly Csikszentmihalyi hat unter anderem folgende Bücher veröffentlicht:<br />

- Das <strong>Flow</strong>-Erlebnis. Klett-Cotta, Stuttgart 2000<br />

- Dem Sinn des <strong>Leben</strong>s eine Zukunft geben. Klett-Cotta 2000<br />

- Lebe gut! dtv, Munchen 2001<br />

- <strong>Flow</strong>. Das Geheimnis des Glücks. Klett-Cotta, Stuttgart 2002 - Kreativität.<br />

Klett-Cotta, Stuttgart 2003<br />

- <strong>Flow</strong> im Beruf. Klett-Cotta, Stuttgart 2004<br />

<strong>Mr</strong>. <strong>Flow</strong> <strong>und</strong> <strong>die</strong> <strong>Suche</strong> <strong>nach</strong> <strong>dem</strong> <strong>guten</strong> <strong>Leben</strong> 05 / p. 7

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