Die ordentliche Einbürgerung - Sursee
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Maturaarbeit im Fach Wirtschaft + Recht, 2011<br />
<strong>Die</strong> <strong>ordentliche</strong> Einbürgerung<br />
Vom reinen Ermessensentscheid<br />
zum Rechtsanspruch<br />
Autorin:<br />
Betreuerin:<br />
Cathy Hutchings, 6D<br />
Ulrike Gerhardt<br />
Holzacherstr. 12 Seemattstr. 30<br />
6210 <strong>Sursee</strong> 6330 Cham
Maturaarbeit<br />
<strong>Die</strong> <strong>ordentliche</strong> Einbürgerung - Vom reinen Ermessensentscheid zum Rechtsanspruch<br />
Inhaltsverzeichnis<br />
Inhaltsverzeichnins .................................................................................................................................... 2<br />
1 Summary ................................................................................................................................................. 4<br />
2 Einleitung ................................................................................................................................................. 5<br />
3 Das Scheizer Bürgerrecht und die <strong>ordentliche</strong> Einbürgerung ................................................................ 6<br />
3.1 Das Schweizer Bürgerrecht ............................................................................................................. 6<br />
3.2 <strong>Die</strong> <strong>ordentliche</strong> Einbürgerung auf Bundesebene ............................................................................ 7<br />
3.3 Der Ablauf der <strong>ordentliche</strong>n Einbürgerung im Kanton Luzern ........................................................ 7<br />
4 <strong>Die</strong> Entwicklung im Bereich der ordetntlichen Einbürgerung auf Bundesebene von 2003 bis heute .... 8<br />
4.1 <strong>Die</strong> zwei Bundesgerichtsentscheide vom 9. Juli 2003 ..................................................................... 8<br />
4.1.1 <strong>Die</strong> Grundrechte und mögliche Konflikte zwischen Grundrechten und politischen<br />
Rechten.................................................................................................................................... 8<br />
4.1.2 <strong>Die</strong> Vorgeschichte zu den Entscheiden des Bundesgerichts vom 9. Juli 2003 ......................11<br />
4.1.3 <strong>Die</strong> wichtigsten Erwägungen des Bundesgerichtes in den beiden Entscheiden ...................12<br />
4.1.4 <strong>Die</strong> Auswirkungen auf die Rechtsnatur und Reaktionen auf die Entscheide ........................14<br />
4.2 <strong>Die</strong> Revision des Bürgerrechtsgesetzes vom 3. Oktober 2003 ......................................................15<br />
4.2.1 Das Zustandekommen und Inhalt der Revision ....................................................................15<br />
4.2.2 <strong>Die</strong> Einführung kostendeckender Gebühren.........................................................................15<br />
4.1.3 <strong>Die</strong> Auswirkungen der Revision.............................................................................................16<br />
4.3 <strong>Die</strong> Volksabstimmung vom 26. September 2004 zum Bürgerrecht der zweiten und<br />
dritten Ausländergeneration ........................................................................................................16<br />
4.3.1 Das Zustandekommen der Abstimmung ...............................................................................16<br />
4.3.2 <strong>Die</strong> Abstimmungsvorlage ......................................................................................................16<br />
4.3.3 <strong>Die</strong> Abstimmungsergebnisse und deren Auswirkungen auf<br />
die <strong>ordentliche</strong> Einbürgerung ................................................................................................17<br />
4.4 <strong>Die</strong> Gegenreaktion zu den Bundesgerichtentscheiden vom Juli 2003 auf kantonaler Ebene<br />
am Beispiel des Kantons Schwyz ...................................................................................................17<br />
4.4.1 Der Bundesgerichtsentscheid vom 12. Mai 2004 zur Übergangsreglung betreffend<br />
die Zulässigkeit von Entscheiden über die Einbürgerung an Gemeindeversammlungen ....18<br />
4.4.2 <strong>Die</strong> Standesinitiative Schwyz „geheime Wahlen und Abstimmungen<br />
an Bezirksgemeinden und Gemeindeversammlungen“ ........................................................18<br />
4.5 <strong>Die</strong> Initiative Pfisterer- eine Kompromisslösung ...........................................................................19<br />
4.5.1 Das Zustandekommen des Gesetzentwurfes ........................................................................19<br />
4.5.2 Der Inhalt der einzelnen Bestimmungen und deren Auswirkungen auf den<br />
Rechtscharakter der <strong>ordentliche</strong>n Einbürgerung ..................................................................19<br />
4.6 <strong>Die</strong> Volksabstimmung vom 1. Juni 2008 über die Initiative „für demokratische<br />
Einbürgerungen“ der SVP ..............................................................................................................21<br />
4.6.1 <strong>Die</strong> Ausgangslage ..................................................................................................................21<br />
2
Maturaarbeit<br />
<strong>Die</strong> <strong>ordentliche</strong> Einbürgerung - Vom reinen Ermessensentscheid zum Rechtsanspruch<br />
4.6.2 Der Inhalt ...............................................................................................................................22<br />
4.6.3 <strong>Die</strong> Abstimmungsresultate ....................................................................................................22<br />
4.6.4 <strong>Die</strong> Folgerungen ....................................................................................................................23<br />
4.7 Der Vorschlag des Bundesrates vom 11. März 2011 zur Totalrevision des Bundesgesetze<br />
über das Schweizer Bürgerrecht ...................................................................................................23<br />
4.7.1 <strong>Die</strong> Ausgangslage ..................................................................................................................23<br />
4.7.2 Der wichtigsten Änderungen ................................................................................................23<br />
5 <strong>Die</strong> Auswirkungen der Veränderungen auf Bundesebene im Zeitraum von 2003 bis heute<br />
auf die Gemeinden im Kanton Luzern-eine Verrechtlicung der <strong>ordentliche</strong>n EInbürgerung ..............25<br />
5.1 Das Verfahren ................................................................................................................................25<br />
5.1.1 Das Verfahren mit Entscheidungskompetenz der Gemeindeversammlung bzw.<br />
des Gemeindeparlaments .....................................................................................................25<br />
5.1.2 Das Verfahren mit vorbereitender oder abschliessender Kompetenz<br />
der Bürgerrechtskommission ...............................................................................................26<br />
5.1.3 Das Verfahren mit abschliessender Kompetenz des Gemeinderats ....................................26<br />
5.2 <strong>Die</strong> Auswirkungen auf die Zuständigkeit und Entscheidungskompetenz .....................................26<br />
5.3 <strong>Die</strong> Auswirkungen auf die Prüfung der Erfüllung der Bedingungen der Gesuchsteller ................27<br />
5.1.1 <strong>Die</strong> Integrationsprüfung ........................................................................................................27<br />
5.1.2 <strong>Die</strong> Sprachprüfung ................................................................................................................28<br />
5.1.3 Das Vorstrafenregister/Betreibungsregister ........................................................................29<br />
5.1.4 Weitere relevante Eignungskriterien ...................................................................................29<br />
5.4 <strong>Die</strong> Auswirkungen auf die Verfahrensdauer .................................................................................30<br />
5.5 <strong>Die</strong> Auswirkungen auf die Gebühren ............................................................................................31<br />
5.6 <strong>Die</strong> Auswirkungen auf die gesetzliche Verankerung des Verfahren in den Gemeinden ..............31<br />
5.7 Der Wunsch nach Vereinheitlichung .............................................................................................32<br />
6 Fazit .......................................................................................................................................................33<br />
7 Reflexion ................................................................................................................................................35<br />
8 Dank .......................................................................................................................................................36<br />
9 Deklaration ............................................................................................................................................36<br />
Anhang .....................................................................................................................................................37<br />
Literaturverzeichnis ............................................................................................................................38<br />
Internetquellen ...................................................................................................................................39<br />
Abbildungsverzeichnis .........................................................................................................................40<br />
Abkürzungsverzeichnis ........................................................................................................................40<br />
Interview mit den Gemeinden ............................................................................................................41<br />
Übersicht über die Verfahren im Kanton Luzern heute ......................................................................47<br />
3
Maturaarbeit<br />
<strong>Die</strong> <strong>ordentliche</strong> Einbürgerung - Vom reinen Ermessensentscheid zum Rechtsanspruch<br />
1 Summary<br />
Ausgegend von den beiden Bundesgerichtsentscheiden vom 9. Juli 2003 wird in der Maturaarbeit die<br />
Entwicklung der <strong>ordentliche</strong>n Einbürgerung auf Bundesebene bis heute aufgezeigt. Auch werden die<br />
Auswirkungen dieser Entwicklung auf die Gemeinden im Kanton Luzern dargelegt.<br />
<strong>Die</strong> Bundesgerichtsentscheide veränderten den Rechtscharakter der Einbürgerung massgebend. Das<br />
Bundesgericht erklärte Urnenabstimmungen über Einbürgerungsgesuche als rechtswidrig, da die Begründungspflicht<br />
nicht erfüllt und auch die Privatsphäre der Gesuchsteller nicht ausreichend geschützt<br />
wird. Es erklärte auch, dass die Einbürgerung kein rein politischer Akt ist, sondern vielmehr ein Rechtsanwendungs-<br />
bzw. Verwaltungsakt. Aufgrund der Begründungspflicht wurde das Verfahren verrechtlicht,<br />
da Entscheide über eine Einbürgerung nicht mehr diskriminieren dürfen und zu begründen sind.<br />
<strong>Die</strong> Bundesgerichtentscheide hatten viele Reaktionen zur Folge. Ein Teil der in der Maturaarbeit aufgezeigten<br />
Änderungen unterstützte eine Verrechtlichung und trieb diese noch weiter, sodass beispielsweise<br />
auch ein Beschwerderecht an kantonale Gerichte möglich wurde. Dadurch entsteht für<br />
den Gesuchsteller ein schwacher Rechtsanspruch auf <strong>ordentliche</strong> Einbürgerung.<br />
Jedoch gab es auch Widerstand gegen diese Verrechtlichung , so beispielweise im Kanton Schwyz, der<br />
vor den beiden Bundesgerichtsentscheiden über Einbürgerungen traditionell an der Urne entschieden<br />
hatte. In der Schwyzer Kantonsverfassung wurde mittels einer Initiative sichergestellt, dass Entscheide<br />
an der Gemeindeversammlung immer noch möglich sind. Auch auf Bundesebene wehrte sich insbesondere<br />
die SVP gegen diese Verrechtlichung und wollte, dass die Einbürgerung ein politischer Akt<br />
bleibt. Daher wurde eine Initiative eingereicht, mit der die Einbürgerungsentscheide an der Urne wieder<br />
eingeführt werden sollten. Das Volk lehnte diese Initiative jedoch ab und unterstützte damit die<br />
Bundesgerichtsentscheide vom 9. Juli 2003.<br />
Auch in den Gemeinden im Kanton Luzern ist die Tendenz zur Verrechtlichung zu erkennen. Viele Luzerner<br />
Gemeinden hatten vor den beiden Bundesgerichtsentscheiden den Entscheid über eine Einbürgerung<br />
an der Gemeindeversammlung gefällt. Heute entscheidet in über der Hälfte der Gemeinden<br />
eine Bürgerrechtskomission über Einbürgerungsgesuche. Auch die Überprüfung der Eignung des Gesuchstellers<br />
für eine <strong>ordentliche</strong> Einbürgerung wird genauer vorgenommen und die Gemeinden haben<br />
klarere Kriterien aufgestellt, die der Gesuchsteller erfüllen muss. Daher wird für den Gesuchsteller das<br />
Verfahren transparenter und es entsteht ein gewisser Rechtsanspruch, wenn der Gesuchsteller die<br />
gegebenen Kriterien erfüllt. <strong>Die</strong>se Kriterien werden in den Gemeinden in einer Verordnung festgehalten,<br />
was früher nicht der Fall war. So entsteht auf für die Gemeinden eine grössere Rechtssicherheit.<br />
Insgesamt betrachtet kann man von einer Verrechtlichung des Verfahrens der <strong>ordentliche</strong>n Einbürgerung<br />
sprechen, da die Kriterien, die ein Gesuchsteller erfüllen muss, heute klarer definiert sind. Weil<br />
mit der Verrechtlichung das Verfahren etwas einheitlicher geworden ist und weil die Einbürgerung als<br />
Rechtsanwendungsakt angesehen wird, in dem eine Willkür- und diskriminierungsfreie Begründung<br />
und der Schutz der Privatsphäre der Gesuchsteller gewährleistet sein müssen, entsteht für den Gesuchsteller<br />
ein gewisser Rechtsanspruch. Man kann aber (noch) nicht von einem zwingenden Rechtsanspruch<br />
sprechen, da die Gemeinden auch heute noch einen gewissen Entscheidungsspielraum haben.<br />
4
Maturaarbeit<br />
<strong>Die</strong> <strong>ordentliche</strong> Einbürgerung - Vom reinen Ermessensentscheid zum Rechtsanspruch<br />
2 Einleitung<br />
<strong>Die</strong> Fragen, die sich rund um das Thema Einbürgerung stellen, haben mich schon immer interessiert,<br />
zumal sich mein Vater vor einiger Zeit eingebürgert hat. Auch habe ich die Auseinandersetzung in den<br />
Medien verfolgt. <strong>Die</strong> Maturaarbeit ist ein geeigneter Anlass, sich mit dem Thema genauer zu befassen.<br />
Wie der Titel der Arbeit sagt, behandelt meine Arbeit die Frage, ob die <strong>ordentliche</strong> Einbürgerung im<br />
Zeitraum vom 2003 bis heute eine Veränderung vom reinen Ermessensentscheid hin zu einem Rechtsanspruch<br />
erfahren hat. Es ist zu fragen, wie sich das Verfahren und der Rechtscharakter der <strong>ordentliche</strong>n<br />
Einbürgerung verändert haben. Hauptsächlich wird untersucht, ob man aus diesen Veränderungen<br />
auf eine Verrechtlichung schliessen kann und ob dadurch ein Rechtsanspruch auf Einbürgerung<br />
entsteht. Wie es zur Frage nach einer Verrechtlichung kommen konnte, wird im Folgenden kurz aufgezeigt.<br />
<strong>Die</strong> Erteilung des Gemeindebürgerrechts an einen Ausländer, die immer Voraussetzung für die Erteilung<br />
des Kantons- und auch des Schweizerbürgerrechts ist 1 , wird seit langem als eine der wichtigsten<br />
Zuständigkeiten der Gemeindeversammlung betrachtet. <strong>Die</strong> Vorstellung, dass sich in der Gemeindeversammlung<br />
die Gesamtheit der Stimmbürger versammelt, um dort über die Anträge von Ausländern<br />
um Aufnahme ins Gemeindebürgerrecht ausführlich für jeden einzelnen Kandidaten zu diskutieren<br />
und dann abzustimmen, ist in der Vorstellung vieler Schweizer ein wichtiges Element der direkten<br />
Demokratie. <strong>Die</strong>se "urdemokratische" Vorstellung über den Prozess der Aufnahme von Ausländern ins<br />
Bürgerrecht spiegelte sich denn auch lange Zeit in der juristischen Literatur. Es bestand Einigkeit darüber,<br />
dass die "Einbürgerung unter allen Umständen einen politischen Akt darstellt, welcher aufgrund<br />
der Staatssouveränität vollzogen wird. Gemeinden und Kantone sollen absolut frei sein, einen Gesuchsteller<br />
ins Bürgerrecht aufzunehmen oder nicht". 2 <strong>Die</strong>se "Doktrin des politischen Aktes" hatte<br />
praktische Auswirkungen vor allem darin, dass nach einhelliger Meinung kein Anspruch auf (<strong>ordentliche</strong>)<br />
Einbürgerung bestand 3 und dass die Erteilung des Bürgerrechts im freien Ermessen der zuständigen<br />
Behörde stand. 4 Der Weiterzug ablehnender Bürgerrechtsentscheide an ein Gericht war dementsprechend<br />
aussichtslos. Abgesehen davon, dass in vielen Kantone gar keine Weiterzugsmöglichkeit an<br />
ein Gericht bestand, war auch ein Gang ans Bundesgericht regelmässig zum Scheitern verurteilt, weil<br />
das Bundesgericht auf entsprechende Beschwerden gar nicht eintrat, d.h. es ablehnte, diese überhaupt<br />
zu behandeln. 5 <strong>Die</strong>s hat sich mit zwei Urteilen, die das Bundesgericht am 9. Juli 2003 gefällt hat,<br />
entscheidend geändert. In den beiden genannten Urteilen ist das Bundesgericht erstmals auf Beschwerden<br />
abgelehnter Bürgerrechtsbewerber (teilweise) eingetreten und hat diese sogar gutgeheissen.<br />
<strong>Die</strong> beiden Urteile wurden sowohl in der Bevölkerung als auch in Juristenkreisen als eigentlicher<br />
"Paukenschlag" empfunden und haben sehr unterschiedliche Aufnahme gefunden: Während die Urteile<br />
zum Teil geradezu enthusiastisch begrüsst wurden, sahen viele Vertreter traditioneller Kreise darin<br />
eine Bedrohung "urschweizerischer" Grundwerte.<br />
Ausgehend von einer Erläuterung der Rechtsgrundlagen werden im Hauptteil der Maturaarbeit die<br />
beiden erwähnten Urteile des Bundesgerichts vom 9. Juli 2003 und die darauffolgenden Reaktionen,<br />
sowohl in der Rechtsprechung des Bundesgerichts wie auch in der Gesetzgebung, erläutert und die<br />
Tendenz zu Verrechtlichung der Einbürgerung aufgezeigt.<br />
Anschliessend wird am Beispiel des Kantons Luzern dargelegt, welche Auswirkungen die Änderungen<br />
auf Bundesebene für die Gemeinden hatten. Untersucht werden hauptsächlich Faktoren, bei denen es<br />
Veränderungen gegeben hat, die den Spielraum bezüglich der Verfahrensart und der Überprüfung des<br />
Gesuchs auf Eignung des Gesuchstellers betreffen.<br />
Der Einfachheit halber wird in der Arbeit nur jeweils die männliche Form genannt, es sind jedoch immer<br />
beide Geschlechter gemeint.<br />
1 Vgl. zu dieser sogenannten Dreistufigkeit des Schweizer Bürgerrechts Kapitel 3.1<br />
2 Werner Baumann, S. 558.<br />
3 vgl. statt vieler Fleiner/Giacometti, S. 190; Etienne Grisel, in: Kommentar aBV, N 57 zu Art. 44 aBV.<br />
4 vgl. wiederum Fleiner/Giacometti, S. 190; Etienne Grisel, in: Kommentar aBV, N 57 zu Art. 44 aBV.<br />
5 vgl. zur Begründung dieser Rechtsprechung Kapitel 4.1.1 und 4.1.2<br />
5
Maturaarbeit<br />
<strong>Die</strong> <strong>ordentliche</strong> Einbürgerung - Vom reinen Ermessensentscheid zum Rechtsanspruch<br />
3 Das Schweizer Bürgerrecht und die <strong>ordentliche</strong> Einbürgerung<br />
Um die Fragen zu verstehen, die sich im Rahmen der These einer Verrechtlichung der <strong>ordentliche</strong>n<br />
Einbürgerung stellen, werden im folgenden Kapitel grundsätzliche Aspekte rund um das Schweizer<br />
Bürgerrecht aufgezeigt. Ergänzend werden wichtige Aspekte, die sich auf die <strong>ordentliche</strong> Einbürgerung<br />
beziehen, kurz dargelegt. Zusätzlich wird der genaue Verlauf einer Einbürgerung, von der Einreichung<br />
des Gesuchs bis zum definitiven Erwerbs des Schweizer Bürgerrechts, am Beispiel des Kantons Luzern<br />
beschrieben.<br />
3.1 Das Schweizer Bürgerrecht<br />
Beim Erwerb des Schweizer Bürgerrechts wird in der Schweiz vom Grundsatz des ius sanguinis ausgegangen,<br />
also von der Abstammung oder anders ausgedrückt der Blutsverwandtschaft. 6 Man kann das<br />
Schweizer Bürgerrecht so von Gesetzes wegen, d.h. durch die Abstammung oder Adoption, erlangen.<br />
Neben diesem Erwerb kann das Bürgerrecht auch durch Einbürgerung erlangt werden. Es gibt drei<br />
unterschiedliche Einbürgerungsarten: Liegen keine speziellen Voraussetzungen vor, muss der Bewerber<br />
ein Gesuch um <strong>ordentliche</strong> Einbürgerung stellen. Daneben gibt es die Wiedereinbürgerung, also<br />
die Einbürgerung von Bürgern, die das Schweizerbürgerecht bereits besassen, und die erleichterte<br />
Einbürgerung, die hauptsächlich für Ehegatten von Schweizern oder Schweizerinnen gilt. 7 Thema der<br />
vorliegenden Arbeit ist allein die <strong>ordentliche</strong> Einbürgerung.<br />
Eine Eigenart des Schweizer Bürgerrechts besteht darin, dass es in das Gemeindebürgerrecht, das Kantonsbürgerrecht<br />
und in das Schweizer Bürgerrecht zerfällt: Jeder Schweizer gehört drei Gemeinwesen<br />
an: der Gemeinde, dem Kanton und dem Bund. <strong>Die</strong> drei Bürgerrechte sind untrennbar miteinander<br />
verbunden 8 , d.h. der Erwerb des Schweizer Bürgerrechts ist nur zusammen mit dem Erwerb des Gemeinde-<br />
und Kantonsbürgerrechts möglich. Das Verfahren zur Erlangung des Schweizerbürgerrechts<br />
ist in den Kantonen unterschiedlich geregelt. Gemeinsam ist all diesen Regelungen, dass zunächst das<br />
Gemeindebürgerrecht zugesichert oder erteilt werden muss. Anschliessend holt die jeweils zuständige<br />
kantonale Behörde die Bundesbewilligung ein. <strong>Die</strong>se stellt eine blosse Rahmenbewilligung dar, welche<br />
bei Vorliegen der gesetzlichen Voraussetzungen 9 ohne weiteres erteilt wird. Erst wenn die Zusicherung<br />
der Gemeinde und die Bundesbewilligung vorliegen, kann die Aufnahme ins Kantonsbürgerrecht erfolgen.<br />
<strong>Die</strong>ser Entscheid obliegt je nach Kanton entweder einer Verwaltungsbehörde 10 oder dem Kantonsparlament.<br />
11 Erst mit dem Entscheid über die Erteilung des Kantonsbürgerrechts verfügt der Bürgerrechtsbewerber<br />
über das volle "dreiteilige" Schweizerbürgerrecht.<br />
Mit dem Erwerb des Bürgerrechtes erhält der Gesuchsteller Rechte, aber auch Pflichten, die er erfüllen<br />
muss. Zu den wichtigsten Rechten gehören die Niederlassungsfreiheit, das Verbot, aus der Schweiz<br />
ausgewiesen zu werden, und das Stimm- und Wahlrecht. Zu den Pflichten gehört beispielsweise die<br />
Militärpflicht der Männer.<br />
Auch Ausländer haben Rechte, wenn auch nicht die mit der Rechtsstellung als Schweizerbürger verbundenen<br />
besonderen Rechte. Dabei sind im Rahmen der Fragestellung der Arbeit namentlich die<br />
Grundrechte gemäss der Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April<br />
1999 (SR 101.0; BV) wie z.B. Menschenwürde, Rechtsgleichheit, Recht auf Ehe und Familie, Glaubensund<br />
Gewissensfreiheit etc. zu nennen, die nicht nur den Schweizern, sondern grundsätzlich auch allen<br />
Ausländern zustehen, die in der Schweiz leben. Im Zusammenhang mit der Einbürgerung von besonderer<br />
Bedeutung sind dabei das Diskriminierungsverbot gemäss Art 8 Abs. 2 BV und die allgemeinen<br />
Garantien für Verfahren vor Behörden und Gerichten gemäss Art. 29 BV.<br />
6 Häfelin/Haller/Keller, S. 384.<br />
7 Häfelin /Haller /Keller, S. 385.<br />
8 Art. 37 Abs. 1 BV: "Schweizerbürgerin oder Schweizerbürger ist, wer das Bürgerrecht der Gemeinde und das Bürgerrecht<br />
des Kantons besitzt".<br />
9 Vgl. dazu Art. 14 f. BüG sowie unten 3.2.<br />
10 So im Kanton Luzern; vgl. unten 3.3.<br />
11 So etwa im Kanton Aargau und im Kanton Basel-Landschaft.<br />
6
Maturaarbeit<br />
<strong>Die</strong> <strong>ordentliche</strong> Einbürgerung - Vom reinen Ermessensentscheid zum Rechtsanspruch<br />
3.2 <strong>Die</strong> <strong>ordentliche</strong> Einbürgerung auf Bundesebene<br />
Auf Bundesebene sind im Bundesgesetz vom 29. September 1952 über Erwerb und Verlust des<br />
Schweizer Bürgerrechts (SR 141.0; BüG) für die <strong>ordentliche</strong> Einbürgerung einige Mindestvorschriften<br />
festgehalten. Dazu gehört die „Eignung“ nach Art. 14 BüG. Der Gesuchsteller muss in die schweizerischen<br />
Verhältnisse eingegliedert sein, mit den schweizerischen Lebensgewohnheiten, Sitten und Gebräuchen<br />
vertraut sein, die schweizerische Rechtsordnung beachten und er darf die innere oder äussere<br />
Sicherheit der Schweiz nicht gefährden. 12 Zu dieser Eingliederung werden in der Praxis überall<br />
auch die Kenntnisse einer Landessprache, in der Regel der Sprache des Wohnsitzes, gezählt, da zur<br />
Integration gewisse Kenntnisse einer Landessprache notwendig sind.<br />
Des Weiteren muss ein Ausländer eine bestimmte Zeit in der Schweiz gelebt haben, bevor er ein Gesuch<br />
stellen kann. <strong>Die</strong>ses Wohnsitzerfordernis ist in Art. 15 BüG geregelt. Das Wichtigste für die <strong>ordentliche</strong><br />
Einbürgerung ist, dass der Gesuchsteller während insgesamt zwölf Jahren in der Schweiz<br />
gewohnt haben muss, wovon drei in den letzten fünf Jahren vor Einreichung des Gesuches; die Jahre<br />
zwischen dem vollendeten zehnten und zwanzigsten Lebensjahr werden doppelt gezählt. 13<br />
Neben diesen Bedingungen auf Bundesebene kann jeder Kanton noch eigene Bedingungen aufstellen,<br />
wie das der Kanton Luzern zum Beispiel in § 12a des Bürgerrechtsgesetzes des Kantons Luzern vom 21.<br />
November 1994 (BüG-LU; SRL 2) getan hat. Danach muss der Bürgerrechtsbewerber, um überhaupt<br />
ein Gesuch stellen zu können, in den fünf Jahren vor dem Einreichen des Gesuchs mindesten drei Jahre<br />
in der Einbürgerungsgemeinde gewohnt haben.<br />
3.3 Der Ablauf der <strong>ordentliche</strong>n Einbürgerung im Kanton Luzern<br />
Da das Verfahren von Kanton zu Kanton unterschiedlich ist, wird der Verfahrensablauf am Beispiel des<br />
Kantons Luzern aufgezeigt.<br />
Ein Ausländer muss sein Gesuch mit allen Unterlagen auf der Wohnsitzgemeinde einreichen. Der Gemeinderat<br />
14 prüft dann, ob die Anforderungen der Gemeinde, des Kantons und des Bundes erfüllt<br />
sind. Erachtet der Gemeinderat die Anforderungen als erfüllt, erstellt er einen Einbürgerungsbericht 15<br />
und beantragt der Gemeindeversammlung, in grösseren Gemeinden dem Gemeindeparlament oder<br />
einer durch die Gemeinde geschaffenen Einbürgerungskommission 16 , dem Bewerber das Gemeindebürgerrecht<br />
zuzusichern. Erachtet der Gemeinderat die Voraussetzungen als nicht erfüllt, wird dem<br />
Bewerber in der Regel nahe gelegt, sein Gesuch zurückzuziehen. Besteht der Bewerber auf der Behandlung,<br />
stellt der Gemeinderat dem zuständigen Gemeindeorgan (Gemeindeversammlung, Gemeindeparlament<br />
oder Einbürgerungskommission) Antrag auf Ablehnung des Einbürgerungsgesuchs.<br />
Erteilt die Wohnsitzgemeinde das Gemeindebürgerrecht, werden die Unterlagen dem Justiz- und Sicherheitsdepartement<br />
mit allen Gesuchsunterlagen zugestellt. 17 Das innerhalb des Justiz- und Sicherheitsdepartements<br />
für die Behandlung von Bürgerrechtsangelegenheiten zuständige Amt für Gemeinden<br />
prüft das Gesuch nochmals. Fällt der Entscheid zur Erteilung des Kantonsbürgerrechts positiv aus,<br />
beantragt das Amt für Gemeinden die Erteilung der eidgenössischen Einbürgerungsbewilligung beim<br />
dafür zuständigen Bundesamt für Migration. Liegt auch die Bundesbewilligung vor, erteilt das Amt für<br />
Gemeinden das Kantonsbürgerrecht. Der Gesuchsteller erhält im Kanton Luzern also zuerst das Gemeindebürgerrecht,<br />
dann das Bundesbürgerrecht und schliesslich das Kantonsbürgerrecht. 18<br />
12 Art. 14 lit. a – d BüG.<br />
13 Art. 15 Abs. 1 und 2 BüG.<br />
14 Vgl. § 1 der Verordnung vom 9. Mai 1995 zum Bürgerrechtsgesetz (VO-BüG-LU). <strong>Die</strong> Bestimmung steht unter dem Vorbehalt,<br />
dass die Gemeinde dies nicht anders regelt. Vgl. dazu hinten 5.1.<br />
15 Vgl. § 3 Abs. 1 BüG-LU.<br />
16 Vgl. § 30 Abs. 1 lit. a sowie Abs. 2 BüG-LU. <strong>Die</strong> Möglichkeit, die Zuständigkeit zur Einbürgerung an eine Einbürgerungskommission<br />
zu übertragen, wurde neu mit der Revision des Gesetzes vom 28. April 2008 (in Kraft seit 1. August 2008 geschaffen.)<br />
Siehe dazu Kapitel 5.1.<br />
17 Vgl. § 4 Abs. 3 BüG-LU.<br />
18 Vgl. § 10 BüG-LU.<br />
7
Maturaarbeit<br />
<strong>Die</strong> <strong>ordentliche</strong> Einbürgerung - Vom reinen Ermessensentscheid zum Rechtsanspruch<br />
4 <strong>Die</strong> Entwicklung im Bereich der <strong>ordentliche</strong>n Einbürgerung auf Bundesebene<br />
von 2003 bis heute<br />
Im anschliessenden Kapitel wird die Entwicklung im Bereich der <strong>ordentliche</strong>n Einbürgerung aufgezeigt.<br />
Da sich mit und seit den beiden Bundesgerichtsentscheiden vom 9. Juli 2003 19 vieles verändert hat,<br />
wird ab diesen zwei Entscheiden die Entwicklung dargelegt. <strong>Die</strong> erläuterten Veränderungen beziehen<br />
sich hauptsächlich auf die Bundesebene. Dabei werden Bemühungen der Legislative sowie der Exekutive<br />
aufgezeigt und erklärt, welche Auswirkungen diese Entwicklungen auf den Rechtscharakter der<br />
<strong>ordentliche</strong>n Einbürgerung hatten.<br />
4.1 <strong>Die</strong> zwei Bundesgerichtsentscheide vom 9. Juli 2003<br />
Da sich seit den beiden Bundesgerichtsentscheiden vom 9. Juli 2003 vieles geändert hat, werden diese<br />
im Folgenden erläutert und es wird erklärt, wieso diese für die Weiterentwicklung im Bereich des<br />
Schweizer Bürgerrechtes enorm bedeutungsvoll waren. In den beiden Entscheiden ging es hauptsächlich<br />
um die Frage, ob es verfassungsrechtlich zulässig ist, über Einbürgerungsgesuche an der Urne abstimmen<br />
zu lassen. Das Bundesgericht prüfte, ob die Grundrechte der Bürgerrechtsbewerber bei dem<br />
Entscheid an der Urne verletzt werden, aber auch, wie der Anspruch der Stimmbürger auf Wahrnehmung<br />
ihrer politischen Rechte mit den Rechten der Bürgerrechtsbewerber vereinbart werden kann.<br />
<strong>Die</strong> beiden Bundesgerichtsentscheide waren zwar sehr zentral und hatten auch grosse Auswirkungen,<br />
jedoch war die Veränderung, die durch sie angestossen wurde, eine langsame. <strong>Die</strong> beiden Entscheide<br />
vom Juli 2003 stellten keinen Bruch in der Praxis des Bundesgerichtes dar, sondern eine folgerichtige<br />
Weiterentwicklung. Deshalb wird auch kurz die Vorgeschichte erläutert.<br />
In den beiden Entscheiden vom 9. Juli 2003 spielen einige in der Bundesverfassung verankerte Grundrechte<br />
eine zentrale Rolle. Von besonderer Bedeutung ist auch der Konflikt dieser Grundrechte mit<br />
politischen Rechten der Stimmbürger. Zunächst werden daher die betroffenen Grundrechte erläutert.<br />
Anschliessend wird darauf eingegangen, inwiefern diese Grundrechte in Konflikt mit politischen Rechten<br />
geraten können (unten 4.1.1). An diese Ausführungen schliesst sich eine kurze Vorgeschichte zu<br />
den beiden Entscheiden (unten 4.1.2), bevor diese selbst dann erläutert werden (4.1.3).<br />
4.1.1 <strong>Die</strong> Grundrechte und mögliche Konflikte zwischen Grundrechten und politischen Rechten<br />
a) Diskriminierungsverbot (Art. 8 Abs. 2 BV)<br />
Gemäss Art. 8 Abs. 2 BV darf niemand diskriminiert werden, namentlich nicht wegen der Herkunft, der<br />
Rasse, des Geschlechts, des Alters, der Sprache, der sozialen Stellung, der Lebensform, der religiösen,<br />
weltanschaulichen oder politischen Überzeugung oder wegen einer körperlichen, geistigen oder psychischen<br />
Behinderung.<br />
Um das Grundrecht des Diskriminierungsverbots zu verstehen, muss man sich zuerst darüber im Klaren<br />
sein, was man überhaupt unter Diskriminierung versteht und wann sie vorliegt.<br />
Eine Diskriminierung liegt vor, wenn eine Person in einer vergleichbaren Situation ungleich behandelt<br />
wird und dadurch für die betroffene Person eine Benachteiligung entsteht 20 oder aber wenn eine Person<br />
ungleich behandelt wird auf Grund einer Zugehörigkeit zu einer Gruppe, die historisch und in der<br />
gegenwärtigen Wirklichkeit oft ausgegrenzt oder minderwertig behandelt wird. 21<br />
Der Schutz vor Diskriminierung ist in der Schweiz in der Bundesverfassung als Grundrecht verankert<br />
und gilt daher nicht nur für Schweizer Bürger, sondern auch für Ausländer in einem Einbürgerungsverfahren.<br />
In Art. 8 Abs. 2 BV werden verschiedene Kriterien aufgelistet, weswegen nicht diskriminiert<br />
werden darf, nämlich: Herkunft, Rasse, Geschlecht, Alter, Sprache, soziale Stellung, Lebensform, religiöse,<br />
weltanschauliche oder politische Überzeugung sowie eine körperliche, geistige oder psychische<br />
19 BGE 129 I 217 (Einbürgerungsentscheide Emmen) und BGE 129 I 232 (SVP-Volksinitiative Zürich).<br />
20 Rainer J. Schweizer, in: Kommentar BV, Art. 8 N 46.<br />
21 BGE 129 I 217 E. 2.1 S. 223.<br />
8
Maturaarbeit<br />
<strong>Die</strong> <strong>ordentliche</strong> Einbürgerung - Vom reinen Ermessensentscheid zum Rechtsanspruch<br />
Behinderung. 22 <strong>Die</strong>se Liste ist, wie in der Verwendung des Wortes „namentlich“ zum Ausdruck kommt,<br />
nicht abschliessend, sondern offen. Wenn jemand aufgrund eines Merkmals, das nicht in der Liste<br />
enthalten ist, diskriminiert wird, ist das auch unzulässig. Es muss aber nicht notwendigerweise eine<br />
Diskriminierung vorliegen, wenn eine Differenzierung auf Grund eines der genannten Kriterien oder<br />
eines anderen Kriteriums vorgenommen wird. Solche Ungleichbehandlungen vor dem Gesetz unterliegen<br />
jedoch einer besonderen qualifizierten Begründungspflicht. 23 Man kann daher Diskriminierung<br />
auch als eine starke Benachteiligung einer Person ohne eine sachliche und rechtfertigende Begründung<br />
definieren. 24<br />
Unzulässige Diskriminierungen sind auch in der Form der sogenannten indirekten Diskriminierung<br />
denkbar und verfassungsrechtlich unzulässig. Eine indirekte Diskriminierung zeichnet sich dadurch aus,<br />
dass auf den ersten Blick gar keine Diskriminierung vorliegt, indem eine Bestimmung neutral gefasst<br />
wird, sodass es so aussieht, als ob sie für alle gleich wirken würde. <strong>Die</strong> Bestimmung wirkt sich aber<br />
praktisch nur für bestimmte Menschen aus und wirkt auf diese Weise - trotz des neutralen Wortlauts,<br />
der an kein besonderes Merkmal eines Menschen anknüpft - diskriminierend. 25<br />
Gegen Diskriminierungen durch kommunale oder kantonale Behörden, wie sie beim Einbürgerungsverfahren<br />
vorkommen können, kann Beschwerde an das Bundesgericht eingereicht werden. 26<br />
b) Anspruch auf rechtliches Gehör (Art. 29 Abs. 2 BV)<br />
Nach Art. 29 Abs. 2 BV hat jeder Anspruch auf rechtliches Gehör. Das bedeutet, dass jeder, der in einem<br />
gerichtlichen Verfahren ist, das Recht hat, sich ausreichend zu informieren bzw. ausreichend über<br />
den Gegenstand und den Verlauf des Verfahrens orientiert zu werden. Zum Anspruch auf rechtliches<br />
Gehör gehört - wie schon der Name sagt - insbesondere aber auch das Recht, sich vor einem Entscheid<br />
zur Sache äussern und Anträge zum Verfahren und zur Sache stellen zu können. Zum Anspruch auf<br />
rechtliches Gehör zählt auch das Recht auf Einsicht in die Verfahrensakten. 27<br />
Das Bundesgericht hat in seiner Rechtsprechung ausserdem wiederholt festgehalten, dass aus dem<br />
Anspruch auf rechtliches Gehör auch die Begründungspflicht hervorgeht. 28 Erst durch eine Begründung<br />
wird ein behördlicher oder gerichtlicher Entscheid für den Bürger nachvollziehbar. Ausserdem ist<br />
die Begründung sehr wichtig, wenn man einen Entscheid anfechten will. Erst die Begründung macht es<br />
möglich, sich in einer Beschwerde mit dem Entscheid auseinanderzusetzen, indem man versucht zu<br />
zeigen, warum er falsch ist. 29<br />
c) Willkürverbot ( Art. 9 BV)<br />
„Jede Person hat Anspruch darauf, von den staatlichen Organen ohne Willkür und nach Treu und<br />
Glauben behandelt zu werden“ (Art. 9 BV).<br />
Nach dem Bundesgericht ist ein Entscheid dann willkürlich, wenn er "grob unrichtig ist", sich „nicht auf<br />
ernsthafte, sachliche Gründe stützen lässt oder sinn- und zwecklos ist“. 30 Ein Entscheid ist nicht schon<br />
dann willkürlich, wenn die Begründung willkürlich ist. Nach der bundesgerichtlichen Rechtsprechung<br />
ist ein Entscheid vielmehr erst dann willkürlich, wenn er im Ergebnis unhaltbar ist. 31 Das Bundesgericht<br />
22 Art 8 Abs. 2 BV.<br />
23 Rainer J. Schweizer, in: Kommentar BV, Art. 8 N 44.<br />
24 vgl. BGE 129 I 217 E. 2.1 S. 224.<br />
25 Rainer J. Schweizer, in: Kommentar BV, Art. 8 N 46. Als Beispiel kann etwa die Ungleichbehandlung von Teilzeitbeschäftigten<br />
gegenüber Vollzeitbeschäftigten genannt werden. Da auch heute noch überwiegend Frauen eine Teilzeitbeschäftigung<br />
ausüben, wirkt sich eine unterschiedliche Behandlung von Voll- und Teilzeitbeschäftigten vor allem zu Lasten der Frauen<br />
aus, obwohl das verwendete Kriterium (Teilzeitbeschäftigung) an sich neutral ist.<br />
26 BGE 129 I 217 E. 1.1 S. 220.<br />
27 Gerold Steinmann, in: Kommentar BV, Art. 29 N 24 f.<br />
28 BGE 129 I 232 E. 3.2 S. 236 f.; Gerold Steinman, in: Kommentar BV, Art. 29 N 27.<br />
29 Gerold Steinmann, in: Kommentar BV, Art. 29 N 27.<br />
30 Christoph Rohner, in: Kommentar BV, Art. 9 N 4 mit Hinweisen auf die bundesgerichtliche Rechtsprechung.<br />
31 Christoph Rohner, in: Kommentar BV Art. 9 N 5.<br />
9
Maturaarbeit<br />
<strong>Die</strong> <strong>ordentliche</strong> Einbürgerung - Vom reinen Ermessensentscheid zum Rechtsanspruch<br />
überprüft auf Beschwerde hin daher nicht nur, ob die Begründung, mit welcher entschieden wurde,<br />
willkürlich ist. Selbst wenn dies der Fall ist, der Entscheid aber willkürfrei begründet werden kann,<br />
hebt das Bundesgericht den Entscheid nicht auf, sondern lässt ihn bestehen. Zu einer Aufhebung<br />
kommt es nur, wenn sich die willkürliche Begründung nicht durch eine willkürfreie Begründung ersetzen<br />
lässt, der angefochtene Entscheid somit im Ergebnis willkürlich ist.<br />
Den Schutz vor Willkür kann man als „Auffanggrundrecht“ bezeichnen, das dann greift, wenn ein<br />
rechtliches Interesse nicht mit einem spezifischen Grundrecht abgedeckt wird. 32 Da Art. 9 BV grundsätzlich<br />
alle Sachgebiete abdeckt, ist das Willkürverbot daher „nicht sachhaltig“ sondern „rechts- und<br />
gerechtigkeitshaltig“. 33<br />
Beim Willkürverbot besteht in verfahrensrechtlicher Hinsicht mit Bezug auf die Geltendmachung einer<br />
Verletzung dieses Grundrechts vor Bundesgericht eine – für die Betroffenen schwerwiegende – verfahrensrechtliche<br />
Besonderheit: Anders als bei anderen Grundrechten, deren Verletzung immer beim<br />
Bundesgericht mit Beschwerde gerügt werden kann, kann nach der bundesgerichtlichen Rechtsprechung<br />
eine Verletzung des Willkürverbots nicht allein gerügt werden. Damit das Bundesgericht eine<br />
entsprechende Rüge bzw. Beschwerde behandelt, muss das Gesetz, dessen willkürliche Anwendung<br />
gerügt wird, dem Bürger einen Rechtsanspruch einräumen, d. h. den Schutz seiner Interessen bezwecken.<br />
Mit anderen Worten: Besteht kein Anspruch auf Gewährung eines bestimmten Rechts, kann der<br />
Bürger sich nicht beim Bundesgericht darüber beschweren, wenn ihm eine Behörde das betreffende<br />
Recht mit einer willkürlichen Begründung verweigert. Besteht hingegen ein Rechtsanspruch und wurde<br />
das Gesetz willkürlich angewendet, kann man sich dagegen mit Beschwerde ans Bundesgericht zur<br />
34, 35<br />
Wehr setzen.<br />
Das Bundesgericht wurde bezüglich dieser Einschränkung des Beschwerderechts oft von verschiedenen<br />
Seiten kritisiert. Dabei wurde vorgebracht, es sollte möglich sein, stets eine Verletzung des Willkürverbots<br />
gelten zu machen, d. h. auch dann, wenn der Bürger keinen spezifischen Rechtsanspruch<br />
hat, sonst würden Wortlaut und Grundrechtscharakter von Art. 9 BV verkannt. 36 Am 20. März 2007 hat<br />
das Plenum des Bundesgerichts, d.h. die Vollversammlung aller Bundesrichter darüber beraten, ob die<br />
restriktive Rechtsprechung geändert werden soll. Eine Änderung der Rechtsprechung wurde mit 20 zu<br />
19 Stimmen abgelehnt, sodass das Bundesgericht auch heute noch an seiner restriktiven Praxis in Bezug<br />
auf die Geltendmachung von Verletzungen des Willkürverbots festhält. 37<br />
d) Konflikt zwischen den politischen Rechten der Stimmbürger und den Grundrechten der Gesuchsteller<br />
Wenn die Stimmberechtigten den Entscheid über eine Einbürgerung an der Urne treffen, kann ein<br />
Konflikt zwischen den politischen Rechten der Abstimmenden und den Grundrechten der Gesuchsteller<br />
entstehen. Nach Art. 34 BV haben die Stimmberechtigten das Recht auf freie Willensbildung und<br />
die unverfälschte Stimmabgabe, die durch die Gewährleistung der politischen Rechte gegeben sind. 38<br />
<strong>Die</strong> politischen Rechte gewährleisten damit, wenn es um Abstimmungen über Einbürgerungsgesuche<br />
geht, dass jeder nach seinem freien Willen über das Gesuch abstimmt. Dementsprechend muss auch<br />
niemand Rechenschaft darüber ablegen, welche Gründe und Motive ihn zu seiner Entscheidung geführt<br />
haben. Auf der anderen Seite haben aber die Personen, die sich einbürgern lassen wollen, Anspruch<br />
darauf, dass ihre Grundrechte beim Entscheid über ihr Einbürgerungsgesuch geachtet werden,<br />
32 Christoph Rohner, in: Kommentar BV Art. 9 N 15.<br />
33 Christoph Rohner, in: Kommentar BV, Art. 9 N 13.<br />
34 BGE 129 I 217 E. 1.3 S. 221.<br />
35 Felix Uhlmann bezeichnete das Willkürverbot als eine „Verweisnorm auf die geltende Rechtsordnung“ (vgl. Uhlmann, Rz<br />
531 ff.).<br />
36 Christoph Rohner, in: Kommentar BV, Art. 9 N 25.<br />
37 BGE 133 I 185; vgl. dazu Christoph Rohner, in: Kommentar BV, Art. 9 N 29.<br />
38 „<strong>Die</strong> politischen Rechte sind gewährleistet. <strong>Die</strong> Garantie der politischen Rechte schützt die freie Willensbildung und die<br />
unverfälschte Stimmabgabe“ (Art. 34 Abs. 1 und 2 BV).<br />
10
Maturaarbeit<br />
<strong>Die</strong> <strong>ordentliche</strong> Einbürgerung - Vom reinen Ermessensentscheid zum Rechtsanspruch<br />
namentlich der Anspruch auf Schutz vor Diskriminierung sowie der Anspruch auf rechtliches Gehör<br />
und die damit verbundene Begründungspflicht. 39<br />
e) Konflikt zwischen politischem Recht der Stimmbürger bzw. der Informationspflicht und dem<br />
Recht auf Privatsphäre der Gesuchsteller<br />
<strong>Die</strong> Stimmbürger haben das Recht auf freie Willensbildung und die unverfälschte Stimmabgabe und<br />
müssen daher im Vorfeld Zugang zu Informationen haben, um ihre eigene Meinung zu bilden. In kleinen<br />
Gemeinden, wo man sich gegenseitig kennt, kann man sich persönlich ein Bild von den Gesuchstellern<br />
machen, doch in grossen Gemeinden müsste die Behörde ein detailliertes Persönlichkeitsprofil<br />
abgeben 40 , damit sich jeder Stimmbürger ein Bild über den Bürgerrechtsbewerber machen<br />
kann.<br />
<strong>Die</strong>s würde jedoch die Privatsphäre der betroffenen Gesuchsteller verletzen. Nach Art. 13 BV hat jede<br />
Person Anspruch auf Achtung ihres Privat- und Familienlebens, ihrer Wohnung sowie ihres Brief-Postund<br />
Fernmeldeverkehrs und Anspruch auf Schutz vor Missbrauch ihrer persönlichen Daten. 41<br />
Man könnte also nur Daten veröffentlichen, die diese Privatsphäre nicht verletzen. Das würde aber<br />
wiederum für die Menschen, die abstimmen, nicht genügen, um sich ein konkretes Bild von der Person<br />
zu machen, und die Gefahr, dass sie willkürlich oder diskriminierend entscheiden, wäre sehr gross. 42<br />
4.1.2 <strong>Die</strong> Vorgeschichte zu den Entscheiden des Bundesgerichts vom 9. Juli 2003<br />
Früher wurde der Entscheid über die Einbürgerung eines Bürgerrechtsbewerbers grundsätzlich als<br />
politischer Akt 43 angesehen, den die Stimmbürger - wie den Entscheid über irgendein anderes politisches<br />
Geschäft 44 - fällen. Immerhin sahen einige Autoren, dass es dabei nicht um einen Beschluss über<br />
ein Gesetz (das grundsätzlich für eine unbegrenzte Menge von Personen und Fällen gilt) ging, sondern<br />
um einen Entscheid in einem Einzelfall. 45 Man war sich aber einig, dass die Bürger nach freiem Ermessen<br />
über Einbürgerungsgesuche entscheiden können. <strong>Die</strong>ser Auffassung der Einbürgerung als politischem<br />
Akt entsprach es, dass man davon ausging, ablehnende Entscheide über Einbürgerungsgesuche<br />
könnten nicht vor Gericht angefochten werden.<br />
1988 präzisierte das Bundesgericht seine Praxis zum Willkürverbot. In einem Entscheid, der mit Einbürgerungen<br />
nichts zu tun hatte 46 , stellte das Bundesgericht fest: Wer keinen Rechtsanspruch in der<br />
Sache hat, kann sich nicht über eine willkürliche Behandlung beschweren. Insofern wurde nichts geändert.<br />
Aber: Wenn jemand - auch wenn er keinen Anspruch hat - an einem Verfahren teilnimmt, dann<br />
kann er sich zum einen darüber beschweren, dass Verfahrensrechte, die ihm zustehen - so insbesondere<br />
der Anspruch auf rechtliches Gehör - verletzt worden seien. Ausserdem kann er zwar keine Verletzung<br />
des Willkürverbots geltend machen, er kann aber geltend machen, andere Grundrechte, die<br />
ihm zustehen - so insbesondere das Diskriminierungsverbot oder auch der Anspruch auf Achtung der<br />
Privatsphäre - seien im Verfahren verletzt worden.<br />
Damit waren eigentlich zwei Dinge klar: Der Entscheid über die Einbürgerung ist zwar ein politischer<br />
Entscheid, aber doch (auch) ein Verwaltungsakt, mit dem über eine Einzelperson entschieden wird. Ob<br />
ein solcher Entscheid bei einem Gericht angefochten werden kann, war damit noch nicht sicher. Falls<br />
39 BGE 129 I 217 E. 2.2.1 und 2.2.2 S. 225.<br />
40 BGE 129 I 232 E. 4.3.2 S. 246.<br />
41 : „Jede Person hat Anspruch auf Achtung ihres Privat- und Familienlebens, ihrer Wohnung sowie ihres Brief-, Post- und<br />
Fernmeldeverkehrs. Jede Person hat Anspruch auf Schutz vor Missbrauch ihrer persönlichen Daten“ (Art. 13 Abs. 1 und 2<br />
BV).<br />
42 BGE 129 I 232 E. 4.4.1 S. 247.<br />
43 so ausdrücklich noch Baumann, S. 558.<br />
44 z.B. Entscheid über den Neubau eines Schulhauses, Entscheid über den Kredit für den Bau einer neuen Strasse, Entscheid<br />
über ein Feuerwehrreglement, ein neues Baureglement etc.<br />
45 So nennen Fleiner/Giacometti, S. 190, und Grisel, N 57 zu Art. 44 aBV, den Entscheid ausdrücklich einen Verwaltungsakt.<br />
46 Konkret ging es um die Beschränkung von Aufenthaltsbewilligungen von Tänzerinnen<br />
im Sexgewerbe (vgl. BGE 114 Ia 307).<br />
11
Maturaarbeit<br />
<strong>Die</strong> <strong>ordentliche</strong> Einbürgerung - Vom reinen Ermessensentscheid zum Rechtsanspruch<br />
das möglich sein sollte, könnte ein abgewiesener Bürgerrechtsbewerber zwar nicht geltend machen,<br />
er sei willkürlich behandelt worden (weil er ja keinen Rechtsanspruch auf Einbürgerung hat). Er könnte<br />
aber geltend machen, sein Verfahrens(grund)recht auf rechtliches Gehör sei verletzt worden. Ausserdem<br />
könnte er sich auch darüber beschweren, er sei diskriminiert worden und/oder sein Recht auf<br />
Privatsphäre sei verletzt worden.<br />
4.1.3 <strong>Die</strong> wichtigsten Erwägungen des Bundesgerichtes in den beiden Entscheiden<br />
a) Bundesgerichtsentscheid zur SVP Zürich Initiative (BGE 129 I 232)<br />
Am 5. Oktober 1999 reichte die SVP der Stadt Zürich ihre Volksinitiative „Einbürgerung vors Volk!“ ein.<br />
Damit wollte sie erreichen, dass in Zukunft über alle Einbürgerungsgesuche in der Stadt Zürich eine<br />
Volksabstimmung durchgeführt werden muss. 47 Der Gemeinderat von Zürich erklärte die Initiative am<br />
17. Januar 2001 für ungültig. Daraufhin erhob die SVP der Stadt Zürich Beschwerde an den Bezirksrat<br />
Zürich. <strong>Die</strong> Beschwerde hatte Erfolg. Der Bezirksrat wies den Stadtrat und den Gemeinderat an, die<br />
Initiative vor das Volk zu bringen. Gegen diesen Entscheid erhob der Gemeinderat Beschwerde an den<br />
Regierungsrat des Kantons Zürich. <strong>Die</strong>ser hiess die Beschwerde am 13. November 2002 gut, woraufhin<br />
die SVP der Stadt Zürich gegen diesen Beschluss Stimmrechtsbeschwerde an das Bundesgericht einreichte<br />
und forderte, dass die Initiative vors Volk komme. 48<br />
Das Bundesgericht führte in seinem Entscheid zunächst aus, dass man früher der Ansicht gewesen sei,<br />
die Einbürgerung sei ein rein politischer Akt und es bestehe auch kein Rechtsanspruch auf Einbürgerung,<br />
somit auch kein Recht auf eine Begründung. 49 Heute sei man jedoch vermehrt der Ansicht, dass<br />
bei der Einbürgerung ein Anspruch auf eine Begründung bestehe, wenn der Entscheid negativ ausfalle.<br />
Jedoch sei nicht klar, wie diese Begründung auszusehen habe. Einige fänden, man könne eine Begründung<br />
nachträglich durch eine Behörde abgeben. Andere wiederum seien der Ansicht, dass bei der<br />
Urnenentscheidung über eine Einbürgerung generell eine Begründung nicht möglich sei und daher<br />
Urnenentscheide nicht zulässig seien. Das Bundesgericht gelangte zum Schluss, dass die Einbürgerung<br />
heute kein Entscheid mehr in einem rechtsfreien Raum ist. Auch wenn kein Anspruch auf Einbürgerung<br />
besteht, wird doch in solchen Verfahren über den rechtlichen Status von Einzelpersonen entschieden.<br />
Es handelt sich somit um ein Verfahren, bei dem die Einzelperson, die ein Gesuch gestellt<br />
hat, auch hinreichend geschützt sein muss. Das Persönlichkeitsrecht, unter anderem im Bereich der<br />
persönlichen Daten, aber auch der Schutz vor Diskriminierung und Willkür müssen aufrecht erhalten<br />
werden. Für das Bundesgericht ist die Einbürgerung ein Akt der Rechtsanwendung. Ein ablehnender<br />
Entscheid ist anfechtbar und es gelten die allgemeinen Verfahrensgarantien nach Art. 29 BV und die<br />
übrigen Grundrechte. 50<br />
Da der Entscheidungsfreiraum in den Gemeinden relativ gross ist, ist das Bundesgericht der Ansicht,<br />
dass die Ansprüche an Begründungen relativ hoch sein müssen, damit die abgelehnte Person die Entscheidung<br />
nachvollziehen und auch sachgemäss anfechten kann. 51<br />
Eine Begründung ist also notwendig. <strong>Die</strong> Frage ist nun, wie diese gegeben werden kann und ob dies<br />
bei Urnenabstimmungen möglich ist.<br />
1. Eine Möglichkeit besteht darin, dass die Begründung nach der Urnenabstimmung von einem<br />
separaten Organ, wie z.B. einem Büro oder einer <strong>Die</strong>nststelle gegeben wird. <strong>Die</strong>se stützt sich<br />
auf Informationen vor dem allgemeinen Entscheid, wie eine Diskussion oder Flugblätter oder<br />
Leserbriefe. In einer so grossen Gemeinde wie Zürich ist eine öffentliche Diskussion unmöglich.<br />
Auch die Leserbriefe oder dergleichen können nicht ausreichen, da sie nicht die Meinung<br />
von alle Stimmenden vertreten, vor allem weil es ganz unterschiedliche Gründe für die Ableh-<br />
47 Für <strong>ordentliche</strong> Einbürgerungen ist in der Stadt Zürich der Gemeinderat, das Stadtparlament, zuständig. <strong>Die</strong> SVP wollte also<br />
eine Verschiebung vom Parlament zu einer Urnenabstimmung, an der alle Stimmberechtigten teilnehmen.<br />
48 BGE 129 I 232 S. 233 f.<br />
49 Besonders deutlich die vom Bundesgericht angeführte Meinung von Burckhardt, S. 218.<br />
50 BGE 129 I 232 E. 3.3 S. 237 f.<br />
51 BGE 129 I 232 E. 3.3. S. 239.<br />
12
Maturaarbeit<br />
<strong>Die</strong> <strong>ordentliche</strong> Einbürgerung - Vom reinen Ermessensentscheid zum Rechtsanspruch<br />
nung geben kann. Aus diesen Gründen müsste das zuständige Organ die Gründe mehr erraten.<br />
An die Stelle der von der Verfassung geforderten Begründung würde damit "ein Begründungssurrogat<br />
treten, das lediglich die möglichen Gründe darlegt", die "mutmasslich zur Ablehnung<br />
des Einbürgerungsgesuchs geführt haben". 52 Eine solche Begründung taugt nicht als sachliche<br />
Begründung gemäss Art. 29 Abs. 2 BV. 53<br />
2. Eine weitere Möglichkeit bestünde darin, eine Diskriminierung zu verunmöglichen, sodass<br />
man auch keine Begründung braucht: Man gibt also in den Abstimmungsunterlagen keine Informationen,<br />
die zu einer diskriminierenden Entscheidung führen können. Daher könnte man<br />
den sozialen Stand, die Herkunft, ja theoretisch sogar den Namen nicht nennen. Doch so<br />
könnte der Stimmbürger sich keine eigene Meinung bilden und nicht richtig abstimmen, was<br />
wieder nur Willkür wäre. 54<br />
Aufgrund dieser Überlegungen gelangte das Bundesgericht zum Ergebnis, dass Begründungen an Urnenabstimmungen<br />
nicht möglich seien. Anders verhält es sich jedoch gemäss dem Bundesgericht bei<br />
Gemeindeversammlungen. Wenn dort vor dem Entscheid eine heftige Diskussion stattfinde, könne<br />
der Gesuchsteller aus den Voten und auch aus dem Antrag des Gemeinderats die Gründe für seine<br />
Abweisung entnehmen. Bei dieser Art von Verfahren sei es somit - im Gegensatz zur Urnenabstimmung<br />
- durchaus möglich, die verfassungsmässigen Garantien einzuhalten.<br />
Aufgrund der Verletzung der Begründungspflicht und dem Konflikt zwischen politischem Recht der<br />
Stimmbürger bzw. der Informationspflicht der Behörden und dem Recht auf Privatsphäre bzw. dem<br />
Schutz der Personendaten der Gesuchsteller erwies sich daher die Volksinitiative der SVP der Stadt<br />
Zürich als rechtswidrig. <strong>Die</strong> direkte Demokratie hat also Grenzen, wenn es um den Schutz der Rechte<br />
Einzelner geht. 55<br />
b) Bundesgerichtentscheid Fall Emmen (BGE 129 I 217)<br />
In der Gemeinde Emmen wurde am 12. März 2000 über 23 Einbürgerungsgesuche an der Urne abgestimmt.<br />
<strong>Die</strong> acht Gesuchsteller aus Italien wurden alle angenommen, die restlichen Gesuchsteller,<br />
hauptsächlich aus dem ehemaligen Jugoslawien, wurden alle abgelehnt. Daraufhin erhoben fünf Gesuchsteller<br />
am 11. April 2000 Gemeindebeschwerde an den Regierungsrat des Kantons Luzerns. <strong>Die</strong>ser<br />
trat auf die Beschwerde nicht ein, weil die Beschwerdefrist von 10 Tagen nicht eingehalten worden<br />
sei. Daraufhin erhoben die Gesuchsteller Beschwerde ans Bundesgericht. <strong>Die</strong>ses gelangte zum Schluss,<br />
die Beschwerde sei fristgemäss. Der Regierungsrat musste die Beschwerde also in der Sache behandeln.<br />
In seinem zweiten Entscheid vom am 19. März 2002 tat er das, wies die Beschwerde aber als<br />
unbegründet ab. Daraufhin erhoben die Gesuchsteller am 23. April 2002 erneut Beschwerde ans Bundesgericht.<br />
56<br />
Das Bundesgericht stellte fest, dass kein Rechtsanspruch auf Einbürgerung besteht. Dementsprechend<br />
trat es auf die Beschwerde nicht ein, soweit die Beschwerdeführer geltend gemacht hatten, die Ablehnung<br />
ihrer Einbürgerungsgesuche sei willkürlich. 57<br />
Das Bundesgericht behandelte die Beschwerde jedoch, soweit die Beschwerdeführer eine Verletzung<br />
des Diskriminierungsverbots geltend gemacht hatten. Ausserdem behandelte es die Beschwerde, soweit<br />
die Beschwerdeführer geltend gemacht hatten, ihr Anspruch auf rechtliches Gehör sei verletzt.<br />
Aus den Erwägungen des Bundesgerichtes:<br />
Bei Urnenabstimmungen ist zwar schwer zu ermitteln, ob eine Diskriminierung vorliegt, weil geheim<br />
abgestimmt wird und weil jeder Stimmbürger andere Gründe hat. 58 In Emmen liegen aber klare Anzei-<br />
52 BGE 129 I 232 E. 3.5 S. 241 f.<br />
53 BGE 129 I 232 E. 3.5 S.241 f.<br />
54 BGE 129 I 232 E. 3.6 S.242 f.<br />
55 BGE 129 I 232 E. 5 S. 248.<br />
56 BGE 129 I 217 S. 218f<br />
57 BGE 129 I 217 E. 1.3 S. 221 f.<br />
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Maturaarbeit<br />
<strong>Die</strong> <strong>ordentliche</strong> Einbürgerung - Vom reinen Ermessensentscheid zum Rechtsanspruch<br />
chen dafür vor, dass die Stimmbürger eine bestimmte Gruppe von Bürgerrechtsbewerbern diskriminierten.<br />
Bereits die pauschale Ablehnung aller Gesuche von Bewerbern aus dem ehemaligen Jugoslawien<br />
ist eine starkes Indiz dafür, dass die Herkunft der Personen für den Entscheid ausschlaggebend<br />
war. <strong>Die</strong>s war die einzige Gemeinsamkeit der Abgelehnten, denn es waren Personen mit unterschiedlichen<br />
Berufen, Einkommen, Alter, Freizeitbeschäftigungen, Zivilstand etc.. 59 Stellt man dem Ergebnis<br />
der Bewerber aus dem ehemaligen Jugoslawien dasjenige der Bewerber aus Italien gegenüber, die alle<br />
eingebürgert wurden, so "lässt das Abstimmungsergebnis keinen anderen Schluss zu, als dass die Herkunft<br />
der Bewerber das ausschlaggebende Kriterium für ihre Einbürgerung oder Nichteinbürgerung<br />
darstellte, und damit an ein nach Art. 8 Abs. 2 BV verpöntes Unterscheidungsmerkmal angeknüpft<br />
wurde". 60<br />
Ausserdem gelangte das Bundesgericht zum Ergebnis, mit der Urnenabstimmung über die Einbürgerungsgesuche<br />
sei auch - systembedingt - das Erfordernis der Begründungspflicht und damit der Anspruch<br />
auf rechtliches Gehör gemäss Art. 29 Abs. 2 BV der Beschwerdeführer verletzt.<br />
Das Bundesgericht hiess die Beschwerde der abgelehnten Gesuchsteller aus diesen Gründen (Verletzung<br />
des Diskriminierungsverbots, Verletzung der Begründungspflicht) gut und erklärte die Urnenabstimmung<br />
als rechtswidrig.<br />
4.1.3 <strong>Die</strong> Auswirkungen auf die Rechtsnatur und Reaktionen auf die Entscheide<br />
In den beiden Bundesgerichtsentscheiden kam das Bundesgericht zum Schluss, dass Urnenabstimmungen<br />
rechtswidrig sind, da man sie nicht begründen kann. Man kann daher auch nicht prüfen, ob<br />
das Willkür- und Diskriminierungsverbot verletzt wurde, da die Abstimmung geheim abläuft und jeder<br />
Abstimmende eine andere Meinung haben könnte. Das Bundesgericht erklärte auch, dass die Einbürgerung<br />
ein Verfahren ist und kein politischer Akt. <strong>Die</strong> Stimmbürger übernehmen eine Verwaltungsfunktion<br />
und müssen somit das geltende Recht vertreten und dazu beitragen, dass die Grundrechte<br />
verwirklicht werden.<br />
<strong>Die</strong> beiden Entscheide waren wichtig, weil das Bundesgericht der direkten Demokratie Grenzen gesetzt<br />
hat, aber auch klar Schranken für die Kantone und Gemeinden bezüglich des Einbürgerungsverfahrens.<br />
Auch hat das Bundesgericht den Rechtscharakter der Einbürgerung klar festgelegt, nämlich<br />
dass die Einbürgerung ein Rechtsanwendungsakt ist.<br />
Durch die Begründungspflicht wird die Einbürgerung verrechtlicht. Willkürliche und diskriminierende<br />
Entscheide sind zwar immer noch möglich, jedoch müssen sie sachgerecht begründet werden, was bei<br />
einem willkürlichen Entscheid schwierig werden könnte. Ausserdem weiss nun der Gesuchsteller, wieso<br />
er abgelehnt worden ist, und kann den Entscheid auch sachlich anfechten.<br />
<strong>Die</strong> beiden Entscheide vom 9. Juli 2003 hatten viele Reaktionen zur Folge, vor allem in den Kantonen,<br />
die Entscheide über die Einbürgerung traditionell an der Urne vornahmen. Es wurden daher von einigen<br />
Kantonen Standesinitiativen eingereicht, die diese Entscheide rückgängig machen wollten. Auch<br />
die SVP reichte erneut eine Initiative für Einbürgerungen an der Urne ein. Auch auf Seiten der Legislative<br />
kam einiges in Gang.<br />
In den anschliessenden Unterkapiteln werden einige der wichtigsten Reaktionen beschrieben und es<br />
wird erklärt, welche weiteren Auswirkungen diese hatten, auch auf den Rechtscharakter der Einbürgerung.<br />
58 BGE 129 I 217 S. 226<br />
59 BGE 129 I 217 E. 2.3.1 S. 227 f.<br />
60 BGE 129 I 217 E. 2.3.1 S. 228.<br />
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Maturaarbeit<br />
<strong>Die</strong> <strong>ordentliche</strong> Einbürgerung - Vom reinen Ermessensentscheid zum Rechtsanspruch<br />
4.2 <strong>Die</strong> Revision des Bürgerrechtsgesetzes vom 3. Oktober 2003<br />
In den folgenden Abschnitten wird erklärt, wie es zur Bürgerrechtsrevision vom 3. Oktober 2003 kam,<br />
was die wichtigsten Änderungen bezüglich der <strong>ordentliche</strong>n Einbürgerung waren und wie sich die<br />
Rechtsnatur der Einbürgerung auf Grund der Revision geändert hat.<br />
4.2.1 Das Zustandekommen und Inhalt der Revision<br />
Ursprünglich war in der Revision des Bürgerrechtsgesetzes ein Beschwerderecht enthalten, das einem<br />
das Recht gibt, Einbürgerungsentscheide anzufechten. Beim Nationalrat und beim Bundesrat war dieses<br />
Recht in beiden Entwürfen enthalten, wobei der Nationalrat bereits einer unabhängigen Initiative<br />
mit gleichem Inhalt im Vorfeld, in der Frühjahression von 2002, zugestimmt hatte. Der Ständerat<br />
klammerte dieses Beschwerderecht jedoch im Sommer 2003 aus der Gesetzesrevision aus.<br />
Im Juli 2003 ergingen nun die zwei Bundesgerichtsentscheide betreffend die Stadt Zürich und die Gemeinde<br />
Emmen. Im Herbst desselben Jahres akzeptierte der Nationalrat die Ausklammerung des Beschwerderechts<br />
durch den Ständerat, obwohl der Rat zuvor einer Initiative mit Beschwerderecht und<br />
der Gesetzesänderung mit Beschwerderecht zugestimmt hatte. Der Nationalrat schloss sich somit dem<br />
Ständerat an. Ein Teil des Nationalrats war wie bisher grundsätzlich gegen ein Beschwerderecht, der<br />
andere Teil war nun nach den Bundesgerichtsentscheiden der Ansicht, dass aufgrund der Bundesgerichtsentscheide<br />
eine gesetzliche Verankerung des Beschwerderechts nicht mehr nötig sei, da das<br />
Bundesgericht betreffend das Beschwerderecht bereits eine gewisse Richtung angegeben hatte. <strong>Die</strong><br />
Mehrheit des Nationalrates sprach sich infolgedessen für den Vorschlag des Ständerates aus. <strong>Die</strong>ser<br />
stimmte danach am 3. Oktober 2003 mit 22 zu 16 Stimmen für die Bürgerrechtsrevision. Der Ständerat<br />
kündigte jedoch eine Initiative an, die Initiative Pfisterer 61 , die das Beschwerderecht regeln sollte. 62<br />
<strong>Die</strong> Revision beinhaltete grundsätzliche Änderungen im Bereich des Bürgerrechtes. <strong>Die</strong> erste Änderung<br />
sollte einerseits eine erleichterte Einbürgerung für junge Ausländer der zweiten Generation ermöglichen<br />
und sah andererseits den automatischen Erwerb des Schweizer Bürgerrechtes mit der Geburt für<br />
Ausländer der dritten Generation vor. Da diese Änderungen einer Verfassungsänderung bedurften,<br />
welche dem obligatorischen Referendum unterliegt 63 , kamen sie am 26. September 2004 vor das<br />
Volk. 64 Eine weitere Änderung betraf die Einführung einheitlicher Gebühren für das Einbürgerungsverfahren.<br />
65 Für diese Änderung brauchte es keine Anpassung der Verfassung und dagegen wurde auch<br />
kein Referendum ergriffen, sodass die entsprechende Bestimmung, nachdem sie in der Schlussabstimmung<br />
der Eidgenössischen Räte (Nationalrat und Ständerat) am 3. Oktober 2003 angenommen<br />
worden war, am 1. Januar 2006 in Kraft trat. 66<br />
4.2.2 <strong>Die</strong> Einführung kostendeckender Gebühren<br />
Für die Fragestellung der Verrechtlichung der <strong>ordentliche</strong>n Einbürgerung ist nur die Veränderung der<br />
Gebühren bedeutsam. Gemäss dem neuen Art. 38 Abs. 1 BüG dürfen die Kantone und Gemeinden nur<br />
noch Gebühren in der Höhe der anfallenden Kosten für das Einbürgerungsverfahren erheben. Somit<br />
müssen die Kosten deckungsgleich mit dem Aufwand sein, den eine Gemeinde oder ein Kanton hat,<br />
um ein Gesuch zu bearbeiten. 67<br />
Zuvor war nichts über die Gebühren im Gesetz festgehalten. Man konnte traditionell nach dem Vermögen<br />
oder dem Einkommen Gebühren erheben. <strong>Die</strong> Regelungen in den Kantonen waren sehr uneinheitlich.<br />
In verschiedenen Kantonen wurden bloss kostendeckende Einbürgerungsgebühren erhoben.<br />
61 <strong>Die</strong> Initiative verdankt ihren Namen dem ehemaligen Bundesrichter und Regierungsrat des Kantons Aargau Thomas Pfisterer,<br />
der damals einer der beiden Ständeräte des Kantons Aargau war.<br />
62 BBl 2005 6943 - 6944.<br />
63 Art. 140 Abs. 1 lit. a BV.<br />
64 Siehe dazu Kapitel 4.3.<br />
65 Siehe dazu gleich anschliessend 4.2.3.<br />
66 Bianchi, S. 403<br />
67 Ehrenzeller, S. 34 - 36<br />
15
Maturaarbeit<br />
<strong>Die</strong> <strong>ordentliche</strong> Einbürgerung - Vom reinen Ermessensentscheid zum Rechtsanspruch<br />
In einigen Kantonen wurden jedoch sogenannte "Einkaufsgebühren" verlangt, die in keinem vernünftigen<br />
Verhältnis zum Aufwand der Behörden standen. 68 Neu wurde in Art. Art. 38 Abs. 1 BüG festgelegt,<br />
dass die Kantone und Gemeinden Gebühren erheben, die die Verfahrenskosten nicht übersteigen.<br />
Und Abs. 2 der Bestimmung hält fest, dass der Bund mittellosen Bewerbern keine Gebühren auferlegt.<br />
69<br />
Es werden somit keine Höchstgebühren festgelegt. Es wird auch nicht vorgeschrieben, wie man die<br />
Gebühren festzulegen hat. <strong>Die</strong> Kantone und Gemeinden dürfen jedoch keine Gebühren verlangen, die<br />
mehr als den durch das Verfahren verursachten Aufwand decken. <strong>Die</strong> Kantone und Gemeinden können<br />
aber tiefere Gebühren als ihr Aufwand erheben oder Reduktionen für Kinder und Familien vorsehen.<br />
<strong>Die</strong> Gebühren dürfen auch pauschal sein, solange sie höchstens so hoch sind wie der Verfahrensaufwand.<br />
Weiterhin gilt nur für den Bund, dass er mittellosen Bewerbern die Gebühr erlässt. <strong>Die</strong><br />
Gemeinden bleiben jedoch frei, in diesem Bereich eine andere Lösung zu finden. 70<br />
4.2.3 <strong>Die</strong> Auswirkungen der Revision<br />
Durch Art. 38 BüG wird das Verfahren in gewisser Hinsicht fairer. Alle Gesuchsteller müssen Gebühren<br />
bezahlen, die dem Aufwand entsprechen, und nicht wie vorher nach dem Vermögen oder Einkommen.<br />
Dadurch könnte auch das Verfahren an sich gerechter werden. An Gesuchstellern, die nur wenig zahlen<br />
können, ist man nicht so interessiert wie an reichen Gesuchstellern. Kann man von reichen Bürgerrechtsbewerbern<br />
aber keine höheren Gebühren mehr verlangen als von wirtschaftlich nicht so gut<br />
gestellten Bewerbern, dürfte die Tendenz, vor allem reiche Personen einzubürgern, abnehmen.<br />
Man kann in gewisser Weise auch von einer Vereinheitlichung sprechen, obwohl die Gemeinden immer<br />
noch unterschiedliche Gebühren erheben. Da nur noch nach Aufwand Gebühren erhoben werden,<br />
werden die Kosten ähnlicher und innerhalb der Gemeinde hat man nun die gleichen Beträge oder<br />
direkt für jede einzelne Person den effektiven Aufwand. Auch könnten die Entscheide nicht mehr so<br />
diskriminierend und willkürlich ausfallen, da das Vermögen und das Einkommen keine so grosse Rolle<br />
mehr spielen.<br />
4.3 <strong>Die</strong> Volksabstimmung vom 26. September 2004 zum Bürgerrecht der zweiten und dritten<br />
Ausländergeneration<br />
4.3.1 Das Zustandekommen der Abstimmung<br />
In der Schlussabstimmung vom 3. Oktober 2003 stimmten die Eidgenössischen Räte, wie oben schon<br />
erwähnt, drei Änderungen im Bereich des Bürgerrechtes zu, nämlich neben der Änderung betreffend<br />
die Gebühren auch den Änderungen betreffend die Einbürgerung von Angehörigen der zweiten und<br />
dritten Ausländergeneration.<br />
Da diese Änderungen nicht nur einer Revision des Bürgerrechtsgesetzes bedurften, sondern auch Anpassungen<br />
in der Bundesverfassung notwendig machten, kam die Vorlage am 26. September 2004 vor<br />
das Volk.<br />
4.3.2 <strong>Die</strong> Abstimmungsvorlage<br />
a) Erleichterte Einbürgerung junger Ausländerinnen und Ausländer der zweiten Generation<br />
In 14 Kantonen gab es bereits die erleichterte Einbürgerung für junge Ausländer. Bei dieser wurden<br />
jedoch je nach Kanton ganz unterschiedliche Voraussetzungen verlangt. Es sollte nun neu in allen Kantonen<br />
eine einheitliche erleichterte Einbürgerung für junge Ausländer geben. 71 Voraussetzungen für<br />
die erleichterte Einbürgerung waren, dass der Gesuchsteller zwischen 14 und 24 Jahren alt ist, eine<br />
68 Vgl. BBl 2002 1925. So hatte etwa der Grossvater der Autorin im Kanton Luzern im Jahr 1978 für sich und seine Familienmitglieder<br />
(Ehefrau und drei unmündige Kinder) für das Kantons- und Gemeindebürgerrecht insgesamt eine Gebühr von Fr.<br />
20'000 zu bezahlen. Derartige Summen waren lange Zeit, abhängig vom Einkommen und Vermögen der Gesuchsteller,<br />
durchaus üblich.<br />
69 Art 38 BüG<br />
70 Rundschreiben, S. 16 f.<br />
71 Abstimmungsbüchlein, S. 7.<br />
16
Maturaarbeit<br />
<strong>Die</strong> <strong>ordentliche</strong> Einbürgerung - Vom reinen Ermessensentscheid zum Rechtsanspruch<br />
Aufenthalts- oder Niederlassungsbewilligung besitzt, mindesten fünf Jahre der obligatorischen Schulzeit<br />
in der Schweiz absolviert hat, mit den schweizerischen Lebensverhältnissen vertraut ist, eine der<br />
Landessprachen spricht, die schweizerische Rechtsordnung achtet sowie die innere und äussere Sicherheit<br />
der Schweiz nicht gefährdet. 72<br />
b) Bürgerrechtserwerb von Ausländerinnen und Ausländern der dritten Generation<br />
Neu sollten Kinder der dritten Ausländergeneration das Schweizer Bürgerrecht bei der Geburt erhalten.<br />
Voraussetzung dafür war, dass ein Elternteil der zweiten Ausländergeneration angehört. Das bedeutet,<br />
dass dieser Elternteil während mindesten fünf Jahren die obligatorische Schulzeit in der<br />
Schweiz absolviert haben muss. Ausserdem muss die Person zum Zeitpunkt der Geburt eine Aufenthalts-<br />
oder Niederlassungsbewilligung schon seit fünf Jahren besitzen. 73<br />
Gemäss der Vorlage konnten die Eltern, wenn sie diesen automatischen Erwerb des Bürgerrechtes<br />
nicht wollten, darauf verzichten. Wenn das betroffene Kind jedoch Schweizer Bürger werden wollte,<br />
konnte es selbst mit 18 Jahren den Entscheid der Eltern widerrufen und somit das Schweizer Bürgerrecht<br />
erlangen, ohne ein umständliches Verfahren der Einbürgerung durchlaufen zu müssen. 74<br />
4.3.3 <strong>Die</strong> Abstimmungsergebnisse und deren Auswirkungen auf die <strong>ordentliche</strong> Einbürgerung<br />
Das Volk entschied am 26 September 2004 mit 56,8% der Stimmen gegen die Vorlage der erleichterten<br />
Einbürgerung für Ausländerinnen und Ausländer der zweiten Generation. 75 Auch die zweite Vorlage<br />
betreffend den automatischen Bürgerrechtserwerb für Ausländer der dritten Generation wurde<br />
vom Volk abgelehnt, und zwar mit 51,6% der Stimmen. 76<br />
<strong>Die</strong>jenigen Kantone, welche bereits vor der Abstimmung eine erleichtere Einbürgerung für junge Ausländer<br />
hatten, können diese weiterhin beibehalten. Auch für die Kantone, die diese nicht kannten,<br />
ändert sich nun nichts. Ob es eine erleichterte Einbürgerung für junge Ausländer geben soll, bleibt<br />
weiterhin den Kantonen überlassen und es gibt somit auch keine einheitliche Lösung.<br />
Wäre die Vorlage angenommen worden, hätte das eine Verrechtlichung der Einbürgerung zu Folge<br />
gehabt. Wenn man als junger Ausländer genau die vorgegebenen Vorschriften erfüllt hätte, wäre man<br />
erleichtert eingebürgert worden. Somit hätte bei Ausländern der zweiten Generation ein gewisser<br />
Rechtsanspruch bestanden, bei der dritten Generation ein zwingender Rechtsanspruch. Auch wäre die<br />
erleichterte Einbürgerung für Secondos nun in allen Kantonen möglich gewesen und es hätten dafür<br />
überall die gleichen Voraussetzungen gegolten. Daher kann man von einer Vereinheitlichung sprechen,<br />
was auch eine Verrechtlichung bedeutet. <strong>Die</strong> Vorlage wurde indessen, wie bereits geschildert,<br />
abgelehnt.<br />
4.4 <strong>Die</strong> Gegenreaktion zu den Bundesgerichtsentscheiden vom Juli 2003 auf kantonaler<br />
Ebene am Beispiel des Kantons Schwyz<br />
<strong>Die</strong> beiden Bundesgerichtsentscheide vom Juli 2003 wurden in den Kantonen, die bisher ihre Einbürgerungen<br />
traditionell an der Urne oder in Gemeindeversammlungen durchführten, sehr ernst genommen.<br />
Es herrschte grosse Unsicherheit, welches Verfahren man nun befolgen sollte, um nicht<br />
gegen geltendes Recht zu verstossen. Im Kanton Schwyz wurde in 25 von 30 Gemeinden bis zu diesem<br />
Zeitpunkt der Entscheid über eine Einbürgerung an der Urne gefällt, was gemäss den beiden Bundesgerichtsentscheiden<br />
vom 29. Juni 2003 unzulässig ist. Es ergab sich damit für den Kanton Schwyz unmittelbarer<br />
Handlungsbedarf. 77<br />
72 Abstimmungsbüchlein, S. 6.<br />
73 Abstimmungsbüchlein, S. 8.<br />
74 Abstimmungsbüchlein, S. 8.<br />
75 Bericht BFM, S. 2.<br />
76 Bericht BFM, S. 3.<br />
77 BBl 2005 6945.<br />
17
Maturaarbeit<br />
<strong>Die</strong> <strong>ordentliche</strong> Einbürgerung - Vom reinen Ermessensentscheid zum Rechtsanspruch<br />
4.4.1 Der Bundesgerichtsentscheid vom 12. Mai 2004 zur Übergangsreglung betreffend die Zulässigkeit<br />
von Entscheiden über die Einbürgerung an Gemeindeversammlungen 78<br />
Direkt nach den beiden Bundesgerichtsentscheiden vom 29. Juni 2010 empfahl der Vorsteher des Departements<br />
des Inneren des Kantons Schwyz am 10. Juli 2003 den Gemeinden, keine neuen Einbürgerungsgesuche<br />
mehr an den Gemeindeversammlungen zu traktandieren. Am 26. August 2003 erliess<br />
der Regierungsrat des Kantons Schwyz dann eine Verordnung, die vorübergehend sein sollte. Hauptsächlich<br />
hiess es in dieser Verordnung, dass die Gemeindeversammlung in offener Abstimmung über<br />
die Erteilung des Gemeindebürgerrechts zu entscheiden habe. 79<br />
Gegen diese Verordnung wurde Beschwerde ans Bundesgericht eingereicht. <strong>Die</strong> Beschwerdeführer<br />
verlangten die Aufhebung der Verordnung mit der Begründung, der Regierungsrat habe mit dem Erlass<br />
einer Verordnung seine Kompetenzen überschritten. Das Bundesgericht behandelte die Beschwerde<br />
am 12. Mai 2004.<br />
Das Bundesgericht stellte in seinem Urteil zunächst fest, dass es Aufgabe des Regierungsrats des Kantons<br />
Schwyz sei, die Aufsicht über die Verwaltung der Bezirke und Gemeinden auszuüben. Daraus ergebe<br />
sich auch das Recht, Verwaltungsverordnungen zu erlassen. Hier handle es sich aber nicht nur<br />
um eine Verwaltungsverordnung, die in einer blossen Anweisung an die Verwaltung bestehe, sondern<br />
um eine echte Rechtsverordnung. <strong>Die</strong> Kantonsverfassung verleihe dem Regierungsrat nicht ausdrücklich<br />
das Recht zum Erlass einer solchen Verordnung; immerhin habe der Regierungsrat aber auch<br />
schon früher eine solche Kompetenz in Anspruch genommen. 80<br />
Als entscheidend sah das Bundesgericht vor allem an, dass der Regierungsrat aus einer gewissen<br />
Dringlichkeit heraus gehandelt habe. Als erstes hätten weitere Abstimmungen über Einbürgerungen<br />
an der Urne verhindert werden müssen. Ausserdem habe grosse Unsicherheit darüber geherrscht,<br />
welches Verfahren nun angewendet werden dürfe. <strong>Die</strong> Gemeinden dürften aber auch nicht einfach<br />
keine Einbürgerungsentscheide mehr fällen bis zu Revision der mit den Bundesgerichtsentscheiden<br />
vom 29. Juni 2003 rechtswidrig gewordenen Gesetze. Sie seien nämlich nach Art. 29 Abs. 1 BV dazu<br />
verpflichtet, die hängigen Einbürgerungsgesuche in einer gewissen Frist zu bearbeiten. Wenn dies<br />
nicht geschehe, könnten sich die Gesuchsteller wegen Rechtsverweigerung beschweren. 81<br />
Aus diesen Gründen erachtete das Bundesgericht den Regierungsrat als berechtigt, die angefochtene<br />
Verordnung zu erlassen. 82 Es wies daher die Beschwerde zur Hauptsache ab und erklärte, dass ein<br />
Entscheid an Gemeindeversammlungen über Einbürgerungsgesuche grundsätzlich möglich ist, sofern -<br />
im Falle der Abweisung des Gesuchs - ein begründeter Gegenvorschlag aus der Versammlungsmitte<br />
vorgetragen wird. 83<br />
<strong>Die</strong>ser Bundesgerichtsentscheid hatte keine grossen Auswirkungen auf die Weiterentwicklung im Bereich<br />
der Einbürgerung, denn bis heute ist dieser Ablauf des Verfahrens an Gemeindeversammlungen<br />
möglich. Man hat an der Praxis der Gemeindeversammlung festgehalten.<br />
4.4.2 <strong>Die</strong> Standesinitiative Schwyz „geheime Wahlen und Abstimmungen an Bezirksgemeinden und<br />
Gemeindeversammlungen“<br />
<strong>Die</strong> SVP des Kantons Schwyz hatte bereits am 10. November 2003 eine Volksinitiative eingereicht.<br />
<strong>Die</strong>se sah zwar vor, dass über Einbürgerungsgesuche an der Gemeindeversammlung abzustimmen sei.<br />
Im Unterschied zur Verordnung des Regierungsrats sah die Initiative aber die geheime Abstimmung<br />
vor, was der bundesgerichtlichen Rechtsprechung widersprechen dürfte, lässt sich doch so noch weni-<br />
78 BGE 130 I 140; Auer, S. 72.<br />
79 Vgl. Urteil des Bundesgerichts vom 12. Mai 2004 = BGE 130 I 140 S.141.<br />
80 BGE 130 I 140 E. 3.3 S. 144.<br />
81 BGE 130 I 140 E. 4.2 S. 147.<br />
82 Das Gericht hiess die Beschwerde nur in einem Nebenpunkt gut. Vgl. dazu BGE 130 I 140 E. 5.3.2. S. 151.<br />
83 Vgl. § 3 Abs. 2 der angefochtenen Verordnung . Unproblematisch ist es, wenn das Gesuch gestützt auf den Antrag des<br />
Gemeinderats (oder der Einbürgerungskommission angenommen wird). Siehe dazu auch Auer, S. 72 und dort auch die Kritik<br />
an dieser Rechtsprechung.<br />
18
Maturaarbeit<br />
<strong>Die</strong> <strong>ordentliche</strong> Einbürgerung - Vom reinen Ermessensentscheid zum Rechtsanspruch<br />
ger feststellen, wer aus welchem Grund wie gestimmt hat; ob ein ablehnender Entscheid dem Begründungserfordernis<br />
von Art. 29 Abs. 2 BV genügt, ist damit sehr unsicher. Am 17. Juni 2007 stimmte<br />
das Schwyzer Wahlvolk der Initiative zu. Durch die Annahme der Initiative wurde die Schwyzer Kantonsverfassung<br />
geändert. <strong>Die</strong> Bundesversammlung gewährleistete die neue Bestimmung im März<br />
2008. Im Ergebnis hat damit der Kanton Schwyz dem Bundesgericht ein Schnippchen geschlagen. 84<br />
4.5 <strong>Die</strong> Initiative Pfisterer – eine Kompromisslösung<br />
Im Zusammenhang mit der <strong>ordentliche</strong>n Einbürgerung nimmt die Initiative Pfisterer eine zentrale Stellung<br />
ein, da sie zu einer wichtigen und langwierigen Auseinandersetzung über den Rechtscharakter<br />
der <strong>ordentliche</strong>n Einbürgerung im National- und Ständerat führte. <strong>Die</strong> Auseinandersetzung mündete<br />
schliesslich in die Annahme richtungsweisender Gesetzesänderungen. In der Fachliteratur werden die<br />
Initiative Pfisterer und die daraus resultierenden Gesetzesänderungen häufig als Kompromisslösung<br />
bezeichnet.<br />
4.5.1 Das Zustandekommen des Gesetzesentwurfes<br />
<strong>Die</strong> Initiative wurde - wie bereits im Kapitel 4.2 erwähnt - am 3. Oktober 2003 bei der Schlussabstimmung<br />
zur Revision der Bürgerrechtsreglung angekündigt. <strong>Die</strong> Initiative wurde auch am 3. Oktober<br />
2003 vom Ständeratsmitglied Thomas Pfisterer eingereicht. <strong>Die</strong> staatspolitische Kommission des Ständerates<br />
und eine extra zur Behandlung der Initiative Pfisterer eingesetzte Subkommission befassten<br />
sich mit der Vorprüfung der Initiative. Nach mehrmaligem Meinungsaustausch zwischen den beiden<br />
Kommissionen und diversen Änderungen verabschiedete die Subkommission den Vorentwurf und gab<br />
diesen an die staatspolitische Kommission des Ständerats weiter, die dem Ständerat den Vorentwurf<br />
zur Annahme empfahl. Am 9. Dezember 2003 gab der Ständerat dann der Initiative Pfisterer mit 25 zu<br />
9 Stimmen Folge. 85<br />
Im Dezember 2003 wurde der Gesetzesentwurf den Gemeinden, dem Kanton, den politische Parteien<br />
und interessierten Organisationen und Verbände vorgestellt. <strong>Die</strong>se nahmen zum Entwurf Stellung. 86<br />
<strong>Die</strong> Vorlage wurde angepasst und am 27. Oktober 2005 als indirekter Gegenentwurf der Volksinitiative<br />
„für demokratische Einbürgerungen“ der SVP verabschiedet. 87 Der überarbeiteten Vorlage der staatspolitischen<br />
Kommission des Ständerats stimmten der Bundesrat und der Ständerat beide im Dezember<br />
2005 zu. <strong>Die</strong> staatspolitische Kommission des Nationalrates beschloss am 27. April 2006, mit der Vorprüfung<br />
der Vorlage bis zum Erhalt der bundesrätlichen Botschaft zur SVP-Initiative abzuwarten. 88<br />
Daher wurde die Initiative Pfisterer erst im Jahr 2007 behandelt. <strong>Die</strong> staatspolitische Kommission des<br />
Nationalrats verwarf am 15./16. Februar 2007 mit 10 zu 9 Stimmen den Vorschlag des Ständerates<br />
knapp. Daraufhin überarbeitete die staatspolitische Kommission des Ständerats nochmals ihren Entwurf,<br />
der dann in dieser Form letztendlich auch vom Ständerat angenommen wurde. In der Schlussabstimmung<br />
von 21. Dezember 2007 nahmen Ständerat sowie Nationalrat den Gesetzesentwurf an. 89<br />
4.5.2 Der Inhalt der einzelnen Bestimmungen und deren Auswirkungen auf den Rechtscharakter der<br />
<strong>ordentliche</strong>n Einbürgerung<br />
<strong>Die</strong> Initiative Pfisterer führte zur Änderung mehrerer Bestimmungen des Bürgerrechtsgesetzes. Im<br />
Folgenden wird der Inhalt der neuen Bestimmungen, die seit 1. Januar 2009 in Kraft sind, im Einzelnen<br />
erklärt.<br />
84 Siehe dazu auch Auer, S. 82.<br />
85 BBl 20056947<br />
86 Bericht BFM, S. 32.<br />
87 Siehe zur SVP- Initiative Kapitel 4.6<br />
88 BBl 2006 8954 - 8955<br />
89 http://www.parlament.ch/d/mm/2007/Seiten/mm_2007-02-19_058_01.aspx<br />
19
Maturaarbeit<br />
<strong>Die</strong> <strong>ordentliche</strong> Einbürgerung - Vom reinen Ermessensentscheid zum Rechtsanspruch<br />
a) Verfahren im Kanton (Art. 15 a Abs. 1 und 2 BüG)<br />
In diesem Artikel wird klar gemacht, dass der Bund kein spezifisches Verfahren vorschreibt, sondern<br />
die Wahl des Verfahrens dem Kanton oder den Gemeinden überlässt. Damit können Legislative sowie<br />
Exekutive für den Entscheid über eine Einbürgerung zuständig sein. 90<br />
Im zweiten Absatz wird die Unsicherheit der Gemeinden geklärt, ob diese weiterhin Einbürgerungsentscheide<br />
an der Gemeindeversammlung fällen dürfen. Es wird klar gesagt, dass Entscheide an der<br />
Gemeindeversammlung möglich sind.<br />
Da die Möglichkeit, Entscheide über eine Einbürgerung an der Gemeindeversammlung zu fällen, weiterhin<br />
besteht, bleibt die Zuständigkeit der Legislative erhalten und somit die Einbürgerung in diesem<br />
Bereich weiterhin teilweise ein politischer Akt.<br />
Ursprünglich sah der Ständerat sogar vor, das Verfahren wieder so einzuführen, wie es vor den beiden<br />
Bundesgerichtsentscheiden war, vor allem sollten die Entscheide an der Urne wieder eingeführt werden.<br />
Doch in der staatspolitischen Kommission des Nationalrats waren einige Mitglieder grundsätzlich<br />
gegen Gemeindeversammlungen und Urnenabstimmungen, andere nur gegen die Urnenabstimmungen.<br />
91 Am Schluss folgten National- und Ständerat dem (Kompromiss-)Vorschlag der<br />
staatspolitischen Kommission des Nationalrats, in dem Gemeindeversammlungen als möglich erachtet<br />
wurden, jedoch keine Urnenabstimmungen.<br />
b) Begründungspflicht (Art. 15 b Abs. 1 und 2 BüG)<br />
<strong>Die</strong>se Bestimmung hält fest, was das Bundesgericht bereits in den beiden Entscheiden im Jahr 2003<br />
erklärt hat. Abgelehnte Einbürgerungsentscheide müssen begründet werden. Ausserdem hat die bundesgerichtliche<br />
Rechtsprechung klar festgelegt, wie abgelehnte Einbürgerungsentscheide an Gemeindeversammlungen<br />
begründet werden müssen. Das Bundesgericht sieht zwei Möglichkeiten zur Begründung:<br />
<strong>Die</strong> erste Möglichkeit besteht darin, dass der Gemeinderat oder die Einbürgerungskommission eine<br />
Empfehlung - für oder gegen die Einbürgerung - abgibt und die Gründe für seine bzw. ihre Empfehlung<br />
nennt. Wenn sich die Stimmbürger nun dem Antrag des Gemeinderats oder der Einbürgerungskommission<br />
- sei es für oder gegen eine Einbürgerung - anschliessen, geht das Bundesgericht davon aus,<br />
dass die Stimmbürger auch mit deren Begründung übereinstimmen. 92<br />
<strong>Die</strong> zweite Möglichkeit besteht darin, dass die Stimmbürger gegen den Antrag stimmen. Wenn der<br />
Antrag positiv ist und die Stimmbürger sich gegen diesen entscheiden, braucht der abgelehnte Entscheid<br />
über die Einbürgerung eine Begründung. Es muss in diesem Fall im Vorfeld der Abstimmung in<br />
der Gemeindeversammlung eine Diskussion stattgefunden haben, der der Gesuchsteller die Gründe<br />
für die Ablehnung entnehmen kann. Auch können einzelne Wortmeldungen eine Begründung ergeben.<br />
Über die einzelnen Wortmeldungen muss abgestimmt werden, denn die Begründung muss von<br />
der Mehrheit der Stimmbürger getragen werden. 93 Im Art. 15b Abs. 2 BüG ist nun diese zweite Möglichkeit<br />
ausdrücklich festgehalten.<br />
<strong>Die</strong> Rechtsprechung des Bundesgerichts definiert ausserdem noch, was man von einer Begründung<br />
verlangen darf, und ergänzt diesen Artikel. Nach dem Bundesgericht muss die Begründung inhaltlich<br />
hinreichend sowie rechtskonform sein. 94<br />
Zwar bestand eine Begründungspflicht bereits nach den beiden Bundesgerichtsentscheiden vom 29.<br />
Juni 2003, nun wurde diese jedoch auch im Gesetz verankert. <strong>Die</strong> Begründungspflicht allein war schon<br />
eine starke Verrechtlichung. <strong>Die</strong> Verankerung im Gesetz stellt einen weiteren Schritt der Verrechtlichung<br />
des Einbürgerungsverfahrens dar. Wenn der abgelehnte Gesuchsteller weiss, weshalb er abgelehnt<br />
wurde, kann er den Entscheid sachlich anfechten oder den Ablehnungsgrund aus dem Weg räumen<br />
(wenn dies möglich ist). Wenn er dies getan hat, hat er in gewisser Weise einen Anspruch auf die<br />
Einbürgerung. Auch die Anfechtung zeigt, dass ein gewisses Recht auf Einbürgerung besteht, wenn der<br />
Gesuchsteller alle Kriterien erfüllt.<br />
90 BBl 2005, 6952.<br />
91 http://www.parlament.ch/d/mm/2007/Seiten/mm_2007-02-19_058_01.aspx<br />
92 Auer, S. 73 f.<br />
93 Auer, S. 74.<br />
94 BBl 2005 6952.<br />
20
Maturaarbeit<br />
<strong>Die</strong> <strong>ordentliche</strong> Einbürgerung - Vom reinen Ermessensentscheid zum Rechtsanspruch<br />
c) Schutz der Privatsphäre (Art. 15 c Abs. 1 - 3 BüG)<br />
In dieser neuen Bestimmung wird festgehalten, dass die Privatsphäre der Gesuchsteller nicht verletzt<br />
werden darf. Daher dürfen nicht alle Daten über den Gesuchsteller bzw. die Gesuchstellerin den<br />
Stimmbürgern unterbereitet werden. <strong>Die</strong>ser Artikel unterstützt damit in gewisser Hinsicht die Meinung<br />
des Bundesgerichtes, dass die Einbürgerung ein Verwaltungsakt ist und somit der Schutz der<br />
Privatsphäre der Gesuchsteller gegenüber den politischen Rechten der Stimmbürger Vorrang hat.<br />
In Absatz 2 der Bestimmung wird definiert, welche Angaben die Stimmberechtigten erhalten dürfen.<br />
Neben der Staatsangehörigkeit und der Wohnsitzdauer dürfen auch „Angaben, die erforderlich sind<br />
zur Beurteilung der Einbürgerungsvoraussetzungen, insbesondere der Integration in die schweizerischen<br />
Verhältnisse“ 95 veröffentlicht werden. Somit steht es dem Kanton und den Gemeinden immer<br />
noch frei, welche Angaben sie machen wollen. Jedoch dürfen sie wirklich nur Angaben machen, die für<br />
eine Entscheidungsfindung der Stimmbürger relevant sind. Angaben zur Höhe des Vermögens oder<br />
des Einkommens gehören damit der Vergangenheit an.<br />
In den Erläuterungen zu den einzelnen Bestimmungen wird im Bericht der staatspolitischen Kommission<br />
des Ständerats vom 27. Oktober 2005 präzisiert, welche Daten veröffentlich werden können. <strong>Die</strong><br />
Veröffentlichung hängt auch vom Adressatenkreis ab. Das heisst für die Gemeinden konkret, je grösser<br />
der Adressatenkreis ist, desto weniger persönliche Daten dürfen die Behörden den Stimmbürgern<br />
unterbreiten, damit der Schutz der Privatsphäre gewährleistet bleibt.<br />
Dadurch dass der Schutz der Privatsphäre bei Einbürgerungen neu im Bürgerrechtsgesetz verankert<br />
ist, zeigt der Gesetzgeber, dass die Einbürgerung als ein Rechtsanwendungsakt zu verstehen ist und<br />
somit der Schutz der Privatsphäre der Gesuchsteller den politischen Rechten der Stimmbürger vorgeht.<br />
96<br />
d) Beschwerde vor einem kantonalen Gericht (Art. 50 BüG)<br />
<strong>Die</strong>se Bestimmung verpflichtet die Kantone, eine Gerichtsbehörde einzusetzen, die sich mit ablehnenden<br />
Einbürgerungsentscheiden von Gemeinden oder Kantonen befasst. Dadurch entsteht für jeden<br />
Gesuchsteller die Möglichkeit, Beschwerde im Kanton einzureichen. 97<br />
<strong>Die</strong>s zeigt wiederum, dass der Gesetzgeber, gleich wie das Bundesgericht, die Einbürgerung überwiegend<br />
als einen Verwaltungs- und Rechtsanwendungsakt sieht. Daher gelten insbesondere auch die<br />
Verfahrensgarantien von Art. 29 BV (rechtliches Gehör, Akteneinsichtsrecht, Anspruch auf Begründung).<br />
Auch hier ist klar die Verrechtlichung der Einbürgerung zu erkennen. Denn zuvor konnte der abgelehnte<br />
Gesuchsteller nur Beschwerde am Bundesgericht einreichen. <strong>Die</strong>ses ist jedoch in der Überprüfung<br />
des Falles eingeschränkt. Insbesondere prüfen die kantonalen Gerichte - anders als das Bundesgericht<br />
98 - auch dann, wenn kein Rechtsanspruch auf Erteilung des Bürgerrechts besteht, ob das Willkürverbot<br />
verletzt wurde. Abgelehnte Bürgerrechtsbewerber können somit vor dem kantonalen Gericht<br />
gemäss Art. 50 BüG geltend machen, die Ablehnung sei willkürlich, d.h. grob ungerecht. Im Ergebnis<br />
entsteht damit für die Gesuchsteller eben doch ein "schwacher" Anspruch auf Einbürgerung: Wenn es<br />
keine guten (d.h. nicht-willkürlichen) Gründe gegen die Einbürgerung gibt, muss eingebürgert werden.<br />
4.6 <strong>Die</strong> Volksabstimmung vom 1. Juni 2008 über die Initiative „für demokratische Einbürgerungen“<br />
der SVP<br />
4.6.1 <strong>Die</strong> Ausgangslage<br />
Am 6. April 2004 lancierte die SVP die Volksinitiative „für demokratische Einbürgerungen“. <strong>Die</strong> Sammelfrist<br />
für die Unterschriften lief bis am 18. November 2005 und es wurde bis dann auch die nötige<br />
Anzahl Unterschriften eingereicht. Am 25. Oktober 2006 lehnte der Bundesrat die Volksinitiative ab. 99<br />
<strong>Die</strong> Bundesversammlung prüfte den Inhalt der Initiative, ob dieser nicht die Menschenrechte und<br />
95 Art 15c Abs. 2BüG.<br />
96 BBl 2005 6953.<br />
97 BBl 2005 6953.<br />
98 Siehe dazu oben Abschnitt 4.1.1 c) zur einschränkenden Praxis des Bundesgerichts zum Willkürverbot.<br />
99 BBl 2006 8954.<br />
21
Maturaarbeit<br />
<strong>Die</strong> <strong>ordentliche</strong> Einbürgerung - Vom reinen Ermessensentscheid zum Rechtsanspruch<br />
Grundfreiheiten verletzt. <strong>Die</strong>se wurden laut Bundesversammlung verletzt. Jedoch verletzte die Initiative<br />
die Bestimmungen des zwingenden Völkerrechts (ius cognes) nicht. 100<br />
Am 25. Oktober 2006 lehnte der Bundesrat die Volksinitiative ab. Auch der Ständerat sowie der Nationalrat<br />
lehnten die Initiative mit eine deutlichen Mehrheit ab. 101 <strong>Die</strong> Volksabstimmung fand am 1. Juni<br />
2008 statt.<br />
4.6.2 Der Inhalt<br />
<strong>Die</strong> SVP wollte mit dieser Initiative die Situation wiederherstellen, wie sie vor den Bundesgerichtsentscheiden<br />
im Sommer 2003 gewesen war. <strong>Die</strong> Initianten sehen die Einbürgerung als einen politischen<br />
Entscheid, der demokratisch an der Gemeindeversammlung und an der Urne gefällt werden soll. <strong>Die</strong><br />
Initiative forderte, den Artikel 38 der Bundesverfassung mit einem vierten Absatz zu ergänzen. 102 <strong>Die</strong>ser<br />
hätte festlegen sollen, dass es den Stimmberechtigten jeder Gemeinde obliegt, in der Gemeindeordnung<br />
festzulegen, welches Organ das Gemeindebürgerrecht erteilt. Der Entscheid dieses Organs<br />
über die Erteilung des Gemeindebürgerrechts sollte endgültig sein.<br />
Unter endgültig kann man jedoch zwei verschiede Dinge verstehen. Einerseits, und das ist auch, was<br />
die Initianten mit diesem endgültig meinten, dass ein abgelehnter Gesuchsteller keine Beschwerdemöglichkeit<br />
hat. Andererseits, was man heute mehrheitlich unter diesem Begriff versteht, dass eine<br />
Beschwerde nicht vollkommen ausgeschlossen ist. Der Gesuchsteller könnte eine subsidiäre Verfassungsbeschwerde<br />
am Bundesgericht einreichen oder individuelle Beschwerde vor dem Europäischen<br />
Gerichtshof für Menschenrechte. <strong>Die</strong>s wäre trotz dem endgültigen Entscheid möglich, da eine Beschwerde<br />
eingereicht wird, mit der die Verletzung von Grundrechten gerügt wird. 103<br />
4.6.3 <strong>Die</strong> Abstimmungsresultate<br />
In der Volksabstimmung vom 1. Juni 2008 wurde die Initiative mit 36.2 zu 63.8 Prozent der Stimmen<br />
abgelehnt. 104 Alle Kantone, ausgenommen der Kanton Schwyz, lehnten die Initiative ab. Interessant ist<br />
zu beobachten, dass vor allem die Kantone in der Zentral- und Ostschweiz die Initiative etwas knapper<br />
ablehnten. <strong>Die</strong>s sind auch mehrheitlich jene Kantone, die bis zu den beiden Bundesgerichtsentscheiden<br />
vom 29. Juni 2003 die Entscheide über die Einbürgerung an der Urne durchführten.<br />
Abb. 1<br />
Je dunkelroter,<br />
desto mehr<br />
Stimmende<br />
lehnten die<br />
Initiative ab.<br />
Grün zu erkennen<br />
ist der Kanton<br />
Schwyz, der<br />
die Initiative<br />
annahm.<br />
100 BBl 2006 8961 - 8962.<br />
101 http://www.ekm.admin.ch/de/dokumentation/doku/Argumentarium_einbuerg_d.pdf) S. 2<br />
102 BBl 2006 8969 f.<br />
103 BBl 2006 8971 f.<br />
104 http://www.admin.ch/ch/d/pore/va/20080601/index.html<br />
22
Maturaarbeit<br />
<strong>Die</strong> <strong>ordentliche</strong> Einbürgerung - Vom reinen Ermessensentscheid zum Rechtsanspruch<br />
4.6.4 <strong>Die</strong> Folgerungen<br />
Falls die Initiative angenommen worden wäre, hätte das klar eine "Trendumkehr" weg von der Verrechtlichung<br />
bedeutet. Man hätte wieder die gleiche Situation wie vor den Bundesgerichtsentscheiden<br />
gehabt. Am Abstimmungsergebnis kann man jedoch erkennen, dass auch die Mehrheit des Volkes die<br />
gleiche Richtung wie der Gesetzesgeber und das Bundesgericht wünscht. Somit unterstützt auch die<br />
Mehrheit der Stimmbürger die Verrechtlichung des Einbürgerungsverfahrens.<br />
4.7 Der Vorschlag des Bundesrates vom 11. März 2011 zur Totalrevision des Bundesgesetzes<br />
über das Schweizer Bürgerrecht<br />
4.7.1 <strong>Die</strong> Ausgangslage<br />
Nachdem gegen die entsprechenden Vorlagen das Referendum ergriffen worden war, stimmten die<br />
Stimmbürger in der Volksabstimmung vom 24. September 2006 der Revision des Bundesgesetzes über<br />
die Ausländerinnen und Ausländer 105 und des Asylgesetzes 106 zu Dadurch entstanden neue Anforderungen<br />
bezüglich der Integration für Ausländer. <strong>Die</strong> Einbürgerung wird als letzter Schritt der Integration<br />
angeschaut und dort sollen auch die höchsten Anforderungen gestellt werden. Im Bereich des Bürgerrechts<br />
selbst hat sich jedoch mit der Revision der beiden Gesetze nichts geändert. Um das Bürgerrecht<br />
an das revidierte Asyl- und Ausländerrecht anzupassen, ist beabsichtigt, das Bürgerrechtsgesetz<br />
einer Totalrevision zu unterziehen. <strong>Die</strong> entsprechende Botschaft zu einer Gesetzesänderung hat der<br />
Bundesrat am 4. März 2011 dem Parlament vorgelegt. 107 Wie kontrovers das Thema ist, hat sich darin<br />
gezeigt, dass die staatspolitische Kommission des Nationalrats es abgelehnt hat, auf die Vorlage einzutreten.<br />
Während der Linken die Vorlage zu weit geht, indem nur noch Niedergelassene zur Einbürgerung<br />
zugelassen werden sollen, fand umgekehrt die SVP, die eine "Einbürgerung auf Probe" einführen<br />
will, die Vorlage gehe nicht weit genug. 108<br />
Im Folgenden wird ein kurzer Überblick über die wichtigsten vom Bundesrat vorgeschlagenen Änderungen<br />
gegeben.<br />
4.7.2 <strong>Die</strong> wichtigsten Änderungen<br />
a) Vereinheitlichung des Verfahrensablauf in den Kantonen<br />
Heute sind die Vorschriften dazu, wo ein Einbürgerungsgesuch einzureichen ist, welches Formular<br />
dazu zu verwenden ist und wann dem Bund die Unterlagen zukommen, von Kanton zu Kanton unterschiedlich.<br />
Neu soll dies in allen Kantonen gleich sein. Wichtig ist dabei die Reihenfolge der Erteilung<br />
der Bürgerrechte. Zukünftig soll in allen Kantonen zuletzt das Bundesbürgerrecht erteilt werden. 109<br />
b) Kompetenzen des Bundes und der Kantone<br />
Momentan ist nicht ganz klar, was der Bund und was die Kantone im Bereich der Eignung eines Kandidaten<br />
abklären. <strong>Die</strong>s soll nun genau geregelt werden, damit nicht gewisse Dinge doppelt geprüft werden.<br />
110<br />
c) Integrationsbegriff<br />
Der Begriff ist im Schweizer Bürgerrecht nicht klar definiert. Im Asylrecht wird der gleiche Begriff gebraucht,<br />
ist dort aber anders definiert. Der Integrationsbegriff des Bürgerrechtsgesetzes soll nun demjenigen<br />
des Ausländer- und des Asylgesetzes angepasst werden. Eine erfolgreiche Integration zeigt<br />
sich gemäss der Vorlage insbesondere im Beachten der öffentlichen Sicherheit und Ordnung, in der<br />
Respektierung der Werte der Bundesverfassung, in der Fähigkeit, sich in einer Landessprache zu verständigen<br />
sowie im Willen zur Teilnahme am Wirtschaftsleben oder zum Erwerb von Bildung. Den<br />
105 Bundesgesetz vom 16. September 2005 über die Ausländerinnen und Ausländer (SR 142.20; Ausländergesetz, AuG).<br />
106 Asylgesetz vom 26. Juni 1998 (SR 142.31; AsylG).<br />
107 BBl 2011 2825 - 2888.<br />
108 Vgl. SDA-Meldung vom 19. Mai 2011.<br />
109 BBl 2011 2830.<br />
110 BBl 2011 2826.<br />
23
Maturaarbeit<br />
<strong>Die</strong> <strong>ordentliche</strong> Einbürgerung - Vom reinen Ermessensentscheid zum Rechtsanspruch<br />
Kantonen soll nach wie vor die Möglichkeit offen stehen, in diesem Bereich weitere Konkretisierungen<br />
vorzunehmen. 111<br />
d) Aufenthaltsstatus und Wohnsitzerfordernisse<br />
Für die <strong>ordentliche</strong> Einbürgerung soll die Niederlassungsbewilligung, der sogenannte C-Ausweis, erforderlich<br />
sein. Bisher war dies nicht nötig. Daher bleiben Asylsuchende (N-Bewilligung), vorläufig aufgenommene<br />
(F-Bewilligung) und Menschen mit der "normalen" Aufenthaltsbewilligung (B-Ausweis)<br />
vom Einbürgerungsverfahren ausgeschlossen. <strong>Die</strong>se müssen nun zunächst eine Niederlassungsbewilligung<br />
beantragen und auch erhalten, wobei gemäss der neuen Regelung im Ausländergesetz immerhin<br />
für besonders gut integrierte Ausländer die Möglichkeit besteht, schon nach fünf Jahren eine Niederlassungsbewilligung<br />
zu beantragen. 112 <strong>Die</strong>ser Anreiz soll auch auf das Bürgerrecht übertragen werden,<br />
indem für solche Gesuchsteller das Wohnsitzerfordernis von 12 auf 8 Jahre gesenkt werden soll. 113<br />
111 BBl 2011 2832 sowie die neu vorgeschlagene Bestimmung von Art. 12 Abs. 1 BüG (BBl 2011 2876).<br />
112 Gemäss Art. 34 Abs. 4 kann die Niederlassungsbewilligung "bei erfolgreicher Integration, namentlich wenn die betroffene<br />
Person über gute Kenntnisse einer Landessprache verfügt, nach ununterbrochenem Aufenthalt mit Aufenthaltsbewilligung<br />
während der letzten fünf Jahre erteilt werden".<br />
113 Einbürgerungsgesetz soll verschärft werden 10vor10 vom 04.03.2011 und BBL 2011 2837 sowie die neu vorgeschlagene<br />
Fassung von Art. 9 Abs. 1 BüG.<br />
24
Maturaarbeit<br />
<strong>Die</strong> <strong>ordentliche</strong> Einbürgerung - Vom reinen Ermessensentscheid zum Rechtsanspruch<br />
5 <strong>Die</strong> Auswirkungen der Veränderungen auf Bundesebene im Zeitraum von<br />
2003 bis heute auf die Gemeinden im Kanton Luzern - eine Verrechtlichung<br />
der <strong>ordentliche</strong>n Einbürgerung<br />
Im nachfolgenden Kapitel werden die Veränderungen von 2003 bis heute in den Gemeinden des Kantons<br />
Luzerns aufgezeigt. Es wird gezeigt, inwiefern die im Kapitel 4 erklärten Veränderungen Auswirkungen<br />
auf die Gemeinden hatten. Um die Veränderung zu erkennen, wurden zwei Umfragen verglichen<br />
und von der Verfasserin in verschiedenen Gemeinden geführte Interviews mit in die Betrachtung<br />
einbezogen. <strong>Die</strong> eine Umfrage stammt aus dem Jahr 2004 114 , die andere Umfrage wurde für eine Diplomarbeit<br />
vom Frühjahr 2011 115 durchgeführt.<br />
<strong>Die</strong> Verfasserin führte in insgesamt 5 Gemeinden Interviews. 116 Dabei wurden oft unterschiedliche<br />
Personen befragt: Gemeindeschreiber, Gemeindepräsidenten, aber auch Mitglieder der Bürgerrechtskommissionen.<br />
Meistens wurden Leute mit langjähriger Erfahrung mit Einbürgerungen oder sonst<br />
mehrere Leute, die zu unterschiedlichen Zeiten dort gearbeitet haben, befragt. Auch wurde darauf<br />
geachtet, dass es Gemeinden mit unterschiedlichen Verfahren, aber auch mit einer unterschiedlichen<br />
Bevölkerungsstruktur und Einwohnerzahl waren.<br />
Zu dem Vergleich der beiden Umfragen ist noch zu sagen, dass es im Jahr 2004 im Kanton Luzern 107<br />
Gemeinden gab und heute nur noch 87. Auch ist die Rücklaufquote der beiden Umfragen nicht die<br />
gleiche. <strong>Die</strong> Umfrage vom Jahr 2004 hatte einen Rücklauf von 71% und diejenige vom Jahr 2011 einen<br />
solchen von 91%. Bei der Umfrage von 2004 wurden alle Fragen stets auch in allen Gemeinde gestellt,<br />
in derjenigen von 11 jedoch nicht. Bei einigen Fragen wurden nur diejenigen Gemeinden befragt, welche<br />
mehr als fünf Gesuche im Jahr haben, da die Gemeinden mit weniger als fünf Gesuchen eine kleinere<br />
Erfahrung haben. In der Fusszeile wird stets angegeben, von wie vielen Gemeinden Daten zu der<br />
jeweiligen Frage vorhanden sind. Bei den Antworten auf die Fragen gab es zum Teil auch Enthaltungen.<br />
Zusätzlich ist zu erwähnen, dass die Umfrage von 2004 nur das Einbürgerungsverfahren jener Gemeinden<br />
erfasste, die auch an der Umfrage teilgenommen hatten. In der Diplomarbeit von 2011 wurden<br />
jedoch alle Gemeinden mit in die Betrachtung einbezogen, d.h. auch diejenigen, die nicht an der<br />
Umfrage teilgenommen hatten. Aufgrund dieser unterschiedlichen Voraussetzungen und des Umstands,<br />
dass naturgemäss nicht in allen Gemeinden im Kanton Interviews durchgeführt worden sind,<br />
lassen sich zwar die Unterschiede zwischen den einzelnen Gemeinden und die Entwicklung der Praxis<br />
nicht exakt ablesen. Dennoch sind Feststellungen über einige Tendenzen in den jeweiligen Bereichen<br />
möglich.<br />
5.1 Das Verfahren<br />
Im Kanton Luzern gibt es unterschiedliche Verfahren der Einbürgerung und der Entscheidungskompetenz.<br />
Um Kapitel 5.2 zu verstehen, muss man zuerst wissen, wie diese unterschiedlichen Verfahren<br />
ausgestaltet sind. <strong>Die</strong> Verfahren werden daher hier kurz beschrieben.<br />
5.1.1 Das Verfahren mit Entscheidungskompetenz der Gemeindeversammlung bzw. des Gemeindeparlaments<br />
Mitglieder der Gemeindeverwaltung oder des Gemeinderats, der Exekutive der Gemeinde, prüfen das<br />
eingereichte Gesuch. Das Gespräch des Gesuchstellers wird mit der Verwaltung oder mit Mitgliedern<br />
des Gemeinderats geführt. Der Gemeinderat gibt dann eine Empfehlung an die Gemeindeversammlung<br />
bzw. in Gemeinden, die über ein Gemeindeparlament (sog. Einwohnerrat) verfügen, an das Ge-<br />
114 <strong>Die</strong> Umfrage wurde gemeinsam von Helen Estermann von der Gemeindekanzlei Neudorf, Claudia Wicki von der Gemeindekanzlei<br />
Menznau und Beatrice Wigger von der Gemeindekanzlei Greppen durchgeführt.<br />
115 Diplomarbeit „Einbürgerungen-Verschiedene Wege führen zum Ziel“ von Andrea Fischer und Jeannine Meier.<br />
116 <strong>Die</strong> Interviews wurden mit Triengen, Geuensee, Emmen, Oberkirch und Schenkon durchgeführt, für die genaue Auswertung<br />
siehe Anhang.<br />
25
Maturaarbeit<br />
<strong>Die</strong> <strong>ordentliche</strong> Einbürgerung - Vom reinen Ermessensentscheid zum Rechtsanspruch<br />
meindeparlament ab, ob die Stimmberechtigten das Gesuch annehmen oder ablehnen sollen. Anschliessend<br />
wird an der Gemeindeversammlung bzw. im Einwohnerrat über den Antrag des Gemeinderats<br />
diskutiert und abgestimmt. 117<br />
5.1.2 Das Verfahren mit vorbereitender oder abschliessender Kompetenz der Bürgerrechtskommission<br />
<strong>Die</strong> Kommission besteht aus einem Präsidenten und einer gewissen Anzahl von Mitgliedern aus der<br />
Bevölkerung. <strong>Die</strong> Kommission prüft das eingereichte Gesuch und führt Gespräche mit dem Gesuchsteller.<br />
Sofern die Bürgerrechtskommission eine abschliessende Entscheidungskompetenz hat, entscheidet<br />
sie selbst über das Gesuch. Andernfalls gibt sie eine Empfehlung an das zuständige Organ. 118<br />
5.1.3 Das Verfahren mit abschliessender Kompetenz des Gemeinderats<br />
Mitglieder der Gemeindeverwaltung oder der Gemeinderat selbst prüfen das Gesuch. Der Gemeinderat<br />
führt ein Gespräch mit dem Gesuchsteller und fällt den Entscheid über die Einbürgerung.<br />
5.2 <strong>Die</strong> Auswirkungen auf die Zuständigkeit und Entscheidungskompetenz 119<br />
Wie hat sich nun die Einbürgerung hinsichtlich der Frage, welches Einbürgerungsverfahren angewendet<br />
wird, in den letzten Jahren verändert?<br />
Im Jahr 2004 gab es im Kanton Luzern gerade einmal 12 Bürgerrechtskommissionen, jedoch hatte nur<br />
eine davon die abschliessende Entscheidungskompetenz. In 68 Gemeinden wurde der abschliessende<br />
Entscheid über eine Einbürgerung an der Gemeindeversammlung getroffen. In 3 Gemeinden entschied<br />
der Gemeinderat, in weiteren 3 das Gemeindeparlament und weitere 3 Gemeinden gaben an, eine<br />
anderes Organ entscheide, wie z.B. an der Urne 120 oder das Stimmvolk.<br />
Im Jahr 2011 gibt es im Kanton Luzern insgesamt 52 Bürgerrechtskommissionen, wobei 12 dieser<br />
Kommissionen nicht die abschliessende Entscheidungskompetenz besitzen. <strong>Die</strong>se liegt in 11 Gemeinden<br />
bei der Gemeindeversammlung und in einer beim Gemeinderat. Daher wird der endgültige Entscheid<br />
einer Einbürgerung bei 45 Gemeinden an der Gemeindeversammlung getroffen. <strong>Die</strong> meisten<br />
der Gemeinden, die das Verfahren ausschliesslich bei der Gemeindeversammlung durchführen, sind<br />
jedoch relativ klein und haben oftmals unter 5 Gesuche im Jahr. In einer einzigen Gemeinde ist allein<br />
der Gemeinderat für die Einbürgerungen zuständig, nämlich in Neudorf.<br />
80<br />
70<br />
60<br />
50<br />
40<br />
30<br />
20<br />
10<br />
0<br />
2004<br />
2011<br />
Abb. 2<br />
117 Diplomarbeit 2011, S. 15.<br />
118 Diplomarbeit 2011, S. 13 f.<br />
119 In der Umfrage von 2004 sind Resultate von 76 Gemeinden und in jener von 2011 solche von allen 87 Gemeinden enthalten.<br />
120 <strong>Die</strong>ses Verfahren ist seit den Entscheiden des Bundesgerichts vom 29. Juni 2003 nicht mehr zulässig.<br />
26
Maturaarbeit<br />
<strong>Die</strong> <strong>ordentliche</strong> Einbürgerung - Vom reinen Ermessensentscheid zum Rechtsanspruch<br />
In Abbildung 2 sieht man die Anzahl der Gemeinden und das für den Einbürgerungsentscheid abschliessend<br />
zuständige Organ in den Jahre 2004 und 2011.<br />
Ganz deutlich zu erkennen ist, dass die Gemeinden die Art des Einbürgerungsverfahrens geändert<br />
haben. <strong>Die</strong> Zuständigkeit wird vermehrt vom Volk auf einzelne Vertreter des Volkes übertragen. Es<br />
besteht eine starke Tendenz, die Entscheidungskompetenz einer Bürgerrechtskommission zu übertragen<br />
Man könnte also sagen, dass das Einbürgerungsverfahren „professioneller“ wird. Denn bei den Bürgerrechtskommissionen<br />
sind es einige Leute, welche sich intensiver mit dem Verfahren befassen und zum<br />
Teil sogar die Integrationsprüfung selbst durchführen. <strong>Die</strong>se Personen verfügen dann auch über eine<br />
erhebliche Erfahrung in der Beurteilung von Einbürgerungsgesuchen. In den meisten Gemeinden mit<br />
einer Bürgerrechtskommission besuchen die neuen Mitglieder sogar einen Kurs beim Amt für Gemeinden.<br />
<strong>Die</strong>ser Kurs informiert sowohl über die Gesetze und Rahmenbedingungen des Bundes und<br />
des Kantons, als auch darüber, wie man am besten bei der Integrationsprüfung vorgeht und worauf<br />
man achten sollte. In den Bürgerrechtskommissionen lernen deren Mitglieder als Entscheidungsträger<br />
den Gesuchsteller auch persönlich kennen, sodass sie sich selbst ein Bild machen können.<br />
In vielen Gemeinden ist aber immer noch die Gemeindeversammlung für den Entscheid über Einbürgerungsgesuche<br />
zuständig. Da dies jedoch hauptsächlich kleinere Gemeinden mit wenigen Gesuchen<br />
sind, geht man wohl davon aus, dass die Abstimmenden die Gesuchsteller persönlich kennen. <strong>Die</strong> Integrationsprüfung<br />
wird dort jedoch auch ausgeführt, und der Sachbearbeiter der Gemeinde gibt eine<br />
Empfehlung an der Gemeindeversammlung ab. <strong>Die</strong> Gemeindeversammlung bekommt jedoch nur einige<br />
knappe Informationen, wie Name, Adresse etc., denn der Schutz der Privatsphäre des Gesuchstellers<br />
muss gewährleistet sein.<br />
5.3 <strong>Die</strong> Auswirkungen auf die Prüfung der Erfüllung der Bedingungen der Gesuchsteller<br />
5.3.1 <strong>Die</strong> Integrationsprüfung 121<br />
Unter Integrationsprüfung versteht man die Überprüfung des Gesuchstellers auf dessen Wissen<br />
betreffend die Schweiz und die Gemeinde, aber auch hinsichtlich seiner Eingliederung in die örtlichen<br />
Verhältnisse.<br />
Im Jahr 2004 prüften alle Gemeinden die Sprachkenntnisse des Gesuchstellers. Weiteres Wissen wie<br />
Staatswissen oder Kenntnisse über die Wohngemeinde des Gesuchstellers wurde nur in knapp 60%<br />
der Gemeinden geprüft. Heute ist eine solche Prüfung vom Amt für Gemeinden vorgegeben, dass dies<br />
geprüft werden muss, was denn auch alle Gemeinden tun. Das Vorgehen bei der Überprüfung der<br />
Integration ist in allen Gemeinden fast gleich. Man fragt die drei angegebenen Referenzen und führt<br />
mit dem Gesuchsteller ein persönliches Gespräch. Beim Staatswissen wird teilweise ergänzend ein<br />
Test eingesetzt. Was jedoch genau der Gesuchsteller wissen muss, ist je nach Gemeinde sehr unterschiedlich.<br />
In allen Gemeinden wird Wissen im Bereich der Staatskunde, Geographie und Geschichte<br />
der Schweiz geprüft und auch, ob der Gesuchsteller die Pflichten und Rechte eines Schweizer Bürgers<br />
kennt. Wie viel ein Gesuchsteller wissen muss und wie stark der jeweilige Teil gewichtet wird, ist von<br />
Gemeinde zu Gemeinde sehr unterschiedlich. In einigen Gemeinden reicht es aus, wenn der Gesuchsteller<br />
weiss, dass es in der Schweiz eine Demokratie und einen Bundesrat gibt. Andere verlangen,<br />
dass der Gesuchsteller alle Bundesräte und mindesten etwa zwei Kantons- und Regierungsräte des<br />
Kantons Luzern aufzählen kann. Einige Gemeinden führen sogar einen schriftlichen Staatskundetest<br />
durch. Auch die Kenntnisse über die Gemeinde werden, wie schon erwähnt, heute in allen Gemeinden<br />
geprüft. Dabei wird vor allem nach Kenntnissen über Anlässe und Vereine der Gemeinde gefragt. <strong>Die</strong><br />
Mitgliedschaft des Gesuchstellers in einem Verein wird von vielen Gemeinden als sehr positiv betrachtet,<br />
bei einigen Gemeinden ist dies sogar vorausgesetzt. Im kantonalen Gesetz ist zusätzlich noch vorgegeben,<br />
dass der Gesuchsteller einen guten Ruf geniessen muss 122 . <strong>Die</strong>ser Faktor wird von allen Ge-<br />
121 In der Umfrage von 2004 sind Resultate von 76 Gemeinden und in jener von 2011 solche von 44 Gemeinden enthalten.<br />
Informationen zum guten Ruf aus den Interviews entnommen.<br />
122 § 12 lit. c BüG-LU<br />
27
Maturaarbeit<br />
<strong>Die</strong> <strong>ordentliche</strong> Einbürgerung - Vom reinen Ermessensentscheid zum Rechtsanspruch<br />
meinden gleich überprüft, da dies auch vom Amt von Gemeinden vorgegeben ist. Der Gesuchsteller<br />
darf keine Betreibungen, keinen negativen Polizeibericht, kein Strafregistereintrag, keinen Zahlungsverzug<br />
bei den Schulden, keine negativen Aussagen der Referenzen und keine negativen Meldungen<br />
aus dem Volk haben.<br />
<strong>Die</strong>se vermehrte Überprüfung der Integration führt zu einem grösseren Zeitaufwand wie früher. <strong>Die</strong>s<br />
wurde auch von fast allen Interviewpartnern bestätigt.<br />
5.3.2 <strong>Die</strong> Sprachprüfung 123<br />
Bei der Sprachprüfung hat sich nicht so viel geändert. <strong>Die</strong> Mehrheit der Gemeinden untersucht die<br />
Sprachkenntnisse immer noch in einen Gespräch, wobei es dort den meisten Gemeinden ausschliesslich<br />
um das Hörverständnis geht. Bei den meisten Gemeinden kann man das Gespräch auf Hochdeutsch<br />
oder Schweizerdeutsch führen, wobei bei gewissen Gemeinden Schweizerdeutsch gewünscht<br />
wird und Kenntnisse des Dialekts als Anzeichen für eine stärkere Integration angesehen werden.<br />
Bei immer mehr Gemeinden müssen die Gesuchsteller einen externen Deutschtest mit gewissen Niveauangaben<br />
absolvieren. <strong>Die</strong>ser Sprachtest wird oft durch ein persönliches Gespräch ergänzt. Das<br />
verlangte Niveau dieser Sprachtests ist oft das Niveau A2a oder B1a des europäischen Sprachenportfolios.<br />
Bei dieser Prüfung werden die Kenntnisse in der deutschen Sprache im Sprechen, Hören, Lesen<br />
und Schreiben geprüft, wobei den kommunikativen Fähigkeiten (Hörverständnis, Sprechen) ein starkes<br />
Übergewicht zukommt.<br />
Im Jahr 2004 führten drei Gemeinden Sprachprüfungen durch. Heute sind es bereits zehn. Drei Gemeinden,<br />
die einen Sprachtest durchführen und in denen die Verfasserin ein Interview durchführte,<br />
hatten diesen Sprachtest erst kürzlich eingeführt. In einer weiteren Gemeinde (Schenkon) steht diese<br />
Option zur Diskussion. Es ist also in Zukunft zu erwarten, dass noch weitere Gemeinden einen Sprachtest<br />
einführen.<br />
In Abbildung 3 sieht man den Anteil der Gemeinden, die<br />
einen Sprachtest oder ein persönliches Gespräch<br />
durchführten, im Jahr 2004 und 2011. Gemeinden, die<br />
einen Sprachtest und ein Gespräch durchführten,<br />
wurden in der Graphik zweimal erfasst.<br />
Abb. 3<br />
123 In der Umfrage von 2004 sind Resultate von 76 Gemeinden und in jener von 2011 von 44 Gemeinden enthalten.<br />
28
Maturaarbeit<br />
<strong>Die</strong> <strong>ordentliche</strong> Einbürgerung - Vom reinen Ermessensentscheid zum Rechtsanspruch<br />
5.3.3 Das Vorstrafenregister/Betreibungsregister 124<br />
Alle Gemeinden verlangen heute einen Auszug aus dem Vorstrafen- und Betreibungsregister, da es<br />
vom Amt für Gemeinden vorgegeben ist. Bei einem Eintrag im Vorstrafen- oder im Betreibungsregister<br />
ist die Wahrscheinlichkeit einer Einbürgerung sehr viel kleiner wie ohne einen Eintrag. Jedoch wird bei<br />
den Vorstrafen hinsichtlich der Schwere des Verbrechens und ob der Gesuchsteller ein Wiederholungstäter<br />
ist oder nicht, unterschieden. Bei den Betreibungen unterscheidet man nach der Höhe, ob<br />
sie offen sind und nach der Menge der Betreibungen. <strong>Die</strong> Beurteilung dieser Unterschiede und deren<br />
Gewichtung ist jedoch von Gemeinde zu Gemeinde unterschiedlich. Früher war dieser Bereich jedoch<br />
nicht klar geregelt und man unterschied normalerweise nicht nach den obigen Kriterien.<br />
5.3.4 Weitere relevante Eignungskriterien<br />
In beiden Umfragen wurde der Frage nachgegangen, welche negativen Tatsachen negative Folgen auf<br />
den Antrag des Gesuchstellers haben. Bezüglich der Betreibungen, negativer Polizeiberichte und Strafregistereinträgen<br />
hat sich nicht viel verändert. Heute besteht auch vom Amt für Gemeinden eine klare<br />
Vorgabe, dass in solchen Fällen der Antrag abgelehnt werden soll. Arbeitslose und Sozialhilfeempfänger<br />
haben jedoch heute im Vergleich zu 2004 eine grössere Chance eingebürgert zu werden. Eigentlich<br />
sollte dies keine Auswirkungen auf den Entscheid haben, da es nichts direkt mit der Integration zu tun<br />
hat.<br />
Sozialhilfeempfänger<br />
Arbeitslosigkeit<br />
Steuerschulden<br />
negativer Polizeibericht<br />
2004<br />
2011<br />
Betreibungen<br />
Strafregistereintrag<br />
0% 20% 40% 60% 80% 100% 120%<br />
Abb. 4<br />
Abbildung 4 zeigt die Anzahl Gemeinden in Prozent, bei welchen die betreffende Tatsache negative<br />
Auswirkungen auf das Gesuch hat, in den Jahren 2004 und 2011.<br />
124 Angaben aus den Interviews<br />
29
Maturaarbeit<br />
<strong>Die</strong> <strong>ordentliche</strong> Einbürgerung - Vom reinen Ermessensentscheid zum Rechtsanspruch<br />
5.4 <strong>Die</strong> Auswirkungen auf die Verfahrensdauer 125<br />
Als Verfahrensdauer wird die Zeitspanne zwischen dem Einreichen des Gesuches bis zum Entscheid<br />
der Gemeinde über das Gemeindebürgerrecht bezeichnet.<br />
60.0%<br />
50.0%<br />
40.0%<br />
30.0%<br />
20.0%<br />
10.0%<br />
2004<br />
2011<br />
0.0%<br />
weniger als<br />
1/2 Jahr<br />
1/2 bis 1 Jahr 1 bis 1 1/2<br />
Jahr<br />
1 1/2 bis 2<br />
Jahre<br />
über 2 Jahre<br />
Abb. 5<br />
In Abbildung 5 sieht man den Vergleich der Verfahrensdauer in Prozenten (Wie viele Gemeinden in<br />
Prozent haben welche Verfahrensdauer?). Im Jahr 2004 brauchten etwa 57% der Gemeinden ein halbes<br />
bis ein ganzes Jahr und 16% bis zu anderthalb Jahren. Heute dauern die Verfahren länger, nämlich<br />
ein Jahr bis etwa 2 Jahre, denn etwa 39% der Gemeinden haben eine Verfahrensdauer von ein bis<br />
anderthalb Jahre, 27 % eine von anderthalb bis 2 Jahren und 20 % über 2 Jahre.<br />
Wieso das Verfahren heute im Schnitt etwas länger dauert, lässt sich nicht genau sagen, da so viele<br />
unterschiedliche Kriterien darauf einwirken. Ein entscheidender Punkt ist die Anzahl der Gesuchsteller,<br />
aber auch die Verfahrensart, und damit verbunden ist auch entscheidend, wer die Eignungsprüfung<br />
durchführt.<br />
Der Grund dafür, warum die meisten grösseren Gemeinden eine Bürgerrechtskommission haben, liegt<br />
darin, dass das Verfahren sonst, d.h. wenn der Gemeinderat oder die Gemeindeversammlung dafür<br />
zuständig wäre, viel zu lange ginge. <strong>Die</strong> Anzahl der Gemeindeversammlungen in einem Jahr ist beschränkt<br />
und auch die Anzahl Gesuche, über die man pro Versammlung abstimmt, sollte sinnvollerweise<br />
beschränkt sein. Ist nur der Gemeinderat zuständig, ist dieser häufig mit den vielen Gesuchen<br />
überfordert, zumal er viele weitere Aufgaben zu übernehmen hat. In grösseren Gemeinden kennt<br />
auch nicht jeder jeden, sodass die Vorstellung der Person sich schwierig gestalten würde. So wurde<br />
z.B. in Geuensee die Bürgerrechtskommission eingeführt, da der Gemeinderat mit den vielen Gesuchen<br />
überfordert war. Durch die vielen Gesuche und die Überforderung entstand eine lange Wartezeit<br />
von 4-5 Jahren. Heute hat man in Geuensee fast alle Gesuche abgebaut und auch nicht mehr so viele<br />
Gesuchsteller, sodass man maximal 3 Jahre warten muss.<br />
Auch die Zeit, die man für die Integrationsprüfung braucht, spielt eine Rolle. Wie im Kapitel 5.3.1 gesagt<br />
wurde, ist der Aufwand für die Integrationsprüfung grösser geworden und somit auch der Zeitaufwand.<br />
Trotz diesen viele Kriterien, die auf diese Verfahrensdauer einwirken, kann man eine Vermutung anstellen.<br />
Durch den starken Anwuchs an Ausländern und somit auch an Gesuchstellern, aber auch durch<br />
die genauere Integrationsprüfung, dauert das Verfahren heute länger.<br />
125 Bei dieser Auswertung hatte die Umfrage von 04 Daten von 76 Gemeinden und die von 11 von 44 Gemeinden. Von den<br />
restlichen 43 Gemeinden, die zu diesem Thema nicht befragt wurden, waren 28 Gemeinden dabei, die ihr Verfahren an<br />
der Gemeindeversammlung durchführen. Dadurch fallen in Gegensatz zu den anderen Verfahrensarten, auffallend viele<br />
weg.<br />
30
Maturaarbeit<br />
<strong>Die</strong> <strong>ordentliche</strong> Einbürgerung - Vom reinen Ermessensentscheid zum Rechtsanspruch<br />
1 200 000<br />
1 000 000<br />
800 000<br />
600 000<br />
400 000<br />
n. Ausländer<br />
Einbürgerung<br />
200 000<br />
-<br />
1990 1992 1994 1996 1998 2000 2002 2004 2006 2008<br />
Abb. 6<br />
In Abbildung 6 sieht man den Anstieg der niedergelassenen Ausländer schweizweit von 1990 bis 2009<br />
und den Anstieg der Einbürgerungen schweizweit. Durch den Anstieg an Ausländern steigt - nach 12<br />
Jahren aufgrund der Wohnsitzerfordernisse - auch die Anzahl an Gesuchen, die eine Gemeinde behandeln<br />
muss, und somit steigt auch die Verfahrensdauer.<br />
5.5 <strong>Die</strong> Auswirkungen auf die Gebühren 126<br />
<strong>Die</strong> Gebühren richten sich heute nicht mehr nach Einkommen oder Vermögen. Mit der Annahme der<br />
Revision des Bürgerrechtsgesetzes vom 3. Oktober 2003 ist dies seit 2006 auch nicht mehr zulässig.<br />
Zuvor wurden aber in einigen Gemeinden noch Gebühren erhoben, die in einem Missverhältnis zum<br />
tatsächlichen Aufwand standen. Heute werden entweder pauschale Gebühren erhoben, die dem<br />
durchschnittlichem Aufwand entsprechen, oder aber es wird direkt der konkrete Aufwand in Rechnung<br />
gestellt. Da die Höhe der Gebühren von Gemeinde zu Gemeinde stark variiert und die Gebühren<br />
auch sehr unterschiedlich berechnet werden, kann man nicht genau sagen, wie genau die Gebühren<br />
sich verändert haben. Man stellt aber fest, was auch die in den Interviews befragten Gemeinden bestätigen,<br />
dass grundsätzlich für die Mehrheit der Gesuchsteller die Gebühren höher sind als früher. Für<br />
wohlhabendere Gesuchsteller verhält es sich aber umgekehrt, weil diese heute nicht mehr nach Einkommen<br />
oder Vermögen Gebühren zahlen müssen.<br />
5.6 <strong>Die</strong> Auswirkungen auf die gesetzliche Verankerung des Verfahrens in den Gemeinden 127<br />
Im Jahr 2004 war bei 90% der Gemeinden das Einbürgerungsverfahren nicht in der Gemeindeordnung<br />
verankert. Verankerung wurde bei der Umfrage so verstanden, dass keine genauen Ausführungen zum<br />
Verfahren vorhanden sein müssen; die Nennung der Zuständigkeit für den Entscheid der Einbürgerung<br />
in der Gemeindeordnung gilt als Verankerung. Bei gut 30% der Gemeinden gibt es jedoch einige Richtlinien,<br />
Leitfäden oder dergleichen.<br />
Bei den für die vorliegende Arbeit geführten Interviews war festzustellen, dass heute viele Gemeinden<br />
allgemeine Verfahrensregeln haben. Viele haben sogar Verordnungen, die Bedingungen enthalten, die<br />
ein Gesuchsteller erfüllen muss, und die ausserdem angeben, wie das Verfahren abläuft<br />
126 In der Umfrage von 04 sind Resultate von 76 Gemeinden und von 2011 von 44 Gemeinden bekannt.<br />
127 Resultat von 76 Gemeinden im Jahr 2004 von 2011 keine Daten aus der Umfragen, aber Informationen aus Interviews und<br />
Recherche im Internet nach Verordnungen.<br />
31
Maturaarbeit<br />
<strong>Die</strong> <strong>ordentliche</strong> Einbürgerung - Vom reinen Ermessensentscheid zum Rechtsanspruch<br />
5.7 Der Wunsch nach Vereinheitlichung 128<br />
In der Umfrage von 2004 wurden die Gemeinden befragt, ob sie eine Vereinheitlichung des Verfahrens<br />
wünschten. 71% der Gemeinden wünschten eine Vereinheitlichung. Gründe dafür waren, dass das<br />
Verfahren transparenter sein sollte; ausserdem könnten auf diese Weise willkürliche Entscheide vermieden<br />
werden. Auch erhoffte man sich durch die Vereinheitlichung die Gleichbehandlung der Gesuchsteller,<br />
eine sachlichere Behandlung der Gesuche und mehr Rechtssicherheit für Behörden und<br />
Gesuchsteller.<br />
<strong>Die</strong> Gemeinden, die gegen eine Vereinheitlichung waren, hatten hauptsächlich Angst, dass die Einbürgerung<br />
kein politischer Entscheid mehr sein würde und die Entscheidungskompetenz nicht mehr bei<br />
den Bürgern in der Gemeinde bliebe.<br />
Bei den für die vorliegende Arbeit geführten Interviews ergab sich, dass einige Gemeinden keine weitere<br />
Vereinheitlichung vom Kanton wünschen, da sie den Spielraum, den sie haben, weiterhin beibehalten<br />
möchten. Andere Gemeinden wiederum sind der Ansicht, dass eine weitere Vereinheitlichung<br />
gut wäre, damit alle Gesuchsteller gleich behandelt und die Kriterien der Eignungsprüfung gleich gewertet<br />
werden. Eine Gemeinde war der Ansicht, dass genauere Vorschriften vom Kanton nicht nötig<br />
seien, da schon genug Austausch zwischen den Gemeinden bestünde und die Erkenntnisse daraus nur<br />
der Umsetzung bedürften.<br />
128 Resultate von 76 Gemeinden aus dem Jahr 2004 und Antworten aus den Interviews.<br />
32
Maturaarbeit<br />
<strong>Die</strong> <strong>ordentliche</strong> Einbürgerung - Vom reinen Ermessensentscheid zum Rechtsanspruch<br />
6 Fazit<br />
Insgesamt lässt sich feststellen, dass es in den letzten Jahren zu einer starken Verrechtlichung bei der<br />
<strong>ordentliche</strong>n Einbürgerung gekommen ist. Hauptsächlich dazu beigetragen haben die beiden Entscheide<br />
des Bundesgerichts im Jahr 2003. <strong>Die</strong> Entscheide stellten klar, dass die Einbürgerung nicht nur<br />
ein politischer Akt ist, sondern auch oder vor allem ein Rechtsanwendungs- bzw. Verwaltungsakt. Das<br />
Bundesgericht erklärte die Urnenabstimmungen als rechtswidrig, weil für ein abgelehntes Gesuch eine<br />
Begründung benötigt wird und die Privatsphäre des Gesuchstellers gewährleistet sein muss, was bei<br />
der Urnenabstimmung nicht der Fall ist. <strong>Die</strong> Begründungspflicht stellt klar eine Verrechtlichung dar, da<br />
der Gesuchsteller nun weiss, weshalb er abgelehnt wurde und dadurch auch die Möglichkeit erhält,<br />
sich sachgenmäss gegen einen Entscheid zu wehren. Diskriminierende und willkürliche Entscheide sind<br />
daher nicht mehr möglich, da sie nicht sachlich begründet werden können. <strong>Die</strong> Initiative Pfisterer im<br />
Jahr 2007 verankerte die Rechtsprechung des Bundesgerichts im BüG und präzisierte im Bereich des<br />
Schutzes der Privatsphäre, welche Daten über den Gesuchsteller veröffentlicht werden dürfen. <strong>Die</strong><br />
Initiative führte auch zu einem Beschwerderecht auf kantonaler Ebene, was wiederum eine Verrechtlichung<br />
darstellt. Das bedeutet in diesem Fall, dass ein gewisser „schwacher“ Rechtsanspruch auf Einbürgerung<br />
entsteht, wenn der Entscheid nicht diskriminierend oder willkürlich begründet werden<br />
kann. Zuvor konnte der Gesuchsteller nur Beschwerde ans Bundesgericht einreichen und dieses war<br />
wiederum eingeschränkt, denn es konnte nur die Verletzung der Verfahrensrechte prüfen. Auch die<br />
Einführung der höchstens kostendeckenden Gebühren per 1. Januar 2006 bedeutet eine Verrechtlichung,<br />
da sich damit eine gewisse Vereinheitlichung der Gebühren ergab. <strong>Die</strong> Ablehnung der SVP-<br />
Initiative „für demokratische Wahlen“, mit der Urnenabstimmungen wieder möglich gemacht werden<br />
sollten, durch das Volk am 1. Juni 2008 zeigt, dass die Mehrheit der Stimmenden die Bundesgerichtsentscheide<br />
vom 9. Juni 2003 akzeptiert hat und die bisherigen Schritte der Verrechtlichung grundsätzlich<br />
unterstützt. Auch die neusten Vorschläge zur Revision des Bürgerrechtsgesetzes liegen auf der<br />
Linie der festgestellten Tendenz zu einer Verrechtlichung. Hauptsächlich geht es bei diesen Vorschlägen<br />
um eine Vereinheitlichung, indem der Verfahrensablauf in den Kantonen vereinheitlicht werden<br />
soll. Aber auch die genaue Definition des Integrationsbegriffes stellt eine Vereinheitlichung dar.<br />
Jedoch unterstützte das Volk nicht nur die Stossrichtung des Bundesgerichtes und des Gesetzesgebers,<br />
sondern verhinderte auch eine weitere Verrechtlichung, indem die Stimmberechtigten am 26. September<br />
2004 gegen die Vorlage stimmten, welche die erleichterte Einbürgerung der zweiten und dritten<br />
Ausländergeneration in allen Kantonen vorsah. Durch die Annahme der Initiative wäre es zu einer<br />
Vereinheitlichung gekommen und es wäre auch ein gewisser Rechtsanspruch für die jungen Ausländer,<br />
welche die vorgegebenen Kriterien erfüllt hätten, entstanden.<br />
Einzelne Kantone (so insbesondere die Kantone Schwyz und Aargau) wehrten sich ausdrücklich gegen<br />
eine Verrechtlichung, vor allem gegen die Einschränkung der direkten Demokratie durch die beiden<br />
Bundesgerichtsentscheide. Da mit den Bundesgerichtsentscheiden vom 09. Juli 03 die Urnenabstimmungen<br />
untersagt worden waren, wollte der Kanton Schwyz sicherstellen, dass Entscheide über Einbürgerungen<br />
an Gemeindeversammlungen immer noch möglich sind. Das Bundesgericht stellte dies in<br />
seinem Entscheid vom 12. Mai 2004 sicher. 2007 wurde mit der Initiative Pfisterer die Zulässigkeit<br />
dieser Lösung gesetzlich verankert. <strong>Die</strong> Kantone können somit seit der Annahme der Initiative Pfisterer<br />
im Jahre 2008 selbständig über das Verfahren für die Einbürgerung entscheiden, was die Selbständigkeit<br />
der Kantone heraushebt. Dadurch gibt es viele unterschiedliche Verfahrensmöglichkeiten, was<br />
keine Vereinheitlichung darstellt und somit auch keine Verrechtlichung. Auch die Möglichkeit der Gemeindeversammlung<br />
bleibt bestehen, d.h. die Legislative der Gemeinde kann weiterhin die Einbürgerungsentscheide<br />
treffen. Daher bleibt die Einbürgerung teilweise ein politischer Akt. Es ist fraglich, ob<br />
die Abschaffung der Entscheidungszuständigkeit der Gemeindeversammlungen in einer Volksabstimmung<br />
angenommen worden wäre. Schon gegen das Verbot der Urnenabstimmung gab es heftige Proteste.<br />
Wäre auch die Entscheidungskompetenz der Gemeindeversammlung abgeschafft worden, hätte<br />
33
Maturaarbeit<br />
<strong>Die</strong> <strong>ordentliche</strong> Einbürgerung - Vom reinen Ermessensentscheid zum Rechtsanspruch<br />
dies zu noch heftigeren Gegenreaktionen geführt. Es ist unwahrscheinlich, dass die Abschaffung der<br />
Entscheidungskompetenz der Gemeindeversammlung in naher Zukunft politisch durchsetzbar ist. 129<br />
Obwohl die Gemeindeversammlung immer noch über Einbürgerungsgesuche entscheiden darf, haben<br />
im Kanton Luzern viele Gemeinden zur Bürgerrechtskommission gewechselt. In den Gemeinden selbst<br />
ist auch eine Tendenz zur Verrechtlichung zu erkennen. Nicht nur wird vermehrt die Entscheidungskompetenz<br />
über Einbürgerungen vom Volk auf einige Vertreter des Volkes übertragen, sondern auch<br />
die Integrationsprüfung wird genauer und mit mehr Zeitaufwand durchgeführt. <strong>Die</strong> Sprachkenntnisse<br />
werden immer häufiger mit einem externen Deutschtest überprüft. Und das Verfahren in den Gemeinden<br />
wird gesetzlich verankert. Für den Gesuchsteller werden die Voraussetzungen, die er erfüllen<br />
muss, immer klarer. Wenn er diese alle erfüllt, entsteht für ihn ein gewisser Rechtsanspruch. Durch<br />
diese Verrechtlichung sind die Gemeinden befähigt, den Gesuchsteller mit einer klareren und sachlichen<br />
Begründung abzulehnen, was auch für die Gemeinden mehr Rechtssicherheit bedeutet.<br />
Insgesamt kann man somit trotz gewisser gegenläufiger Tendenzen sowohl auf Bundesebene als auch<br />
in den Gemeinden von einer starken Tendenz zur Verrechtlichung der Einbürgerungsverfahren sprechen.<br />
Durch die Vereinheitlichung des Verfahrens und auch dadurch, dass die Einbürgerung als ein<br />
Rechtsanwendungsakt angesehen wird, ist das Verfahren für den Gesuchsteller durchschaubarer geworden.<br />
Durch die Vereinheitlichung ist das Einbürgerungsverfahren auch fairer geworden, da die<br />
Gesuchsteller ähnlicher behandelt werden. Jedoch bestehen immer noch grosse Unterschiede zwischen<br />
den Gemeinden, da diese weiterhin in vielen Bereichen viel Spielraum haben. Grundsätzlich sind<br />
die Schritte, die bis heute in Richtung auf eine Verrechtlichung des Einbürgerungsverfahrens unternommen<br />
wurden, zu begrüssen, da so die Grundrechte der Gesuchsteller geachtet werden und das<br />
Verfahren durch die Vereinheitlichung gerechter wird.<br />
Auf Grund der Verrechtlichung sind die Kriterien, die ein Gesuchsteller erfüllen muss, klarer geworden.<br />
Dadurch entsteht für den Gesuchsteller, falls er alle Kriterien erfüllt, ein gewisser Rechtsanspruch auf<br />
Einbürgerung. Man kann nicht sagen, dass ein zwingender Rechtsanspruch besteht, da in gewissen<br />
Bereichen die Bedingungen nicht ganz genau definiert sind und die Gemeinden daher auch einen gewissen<br />
Spielraum haben und es teilweise immer noch ein Ermessensentscheid ist. Jedoch ist der Spielraum<br />
geschrumpft und man kann auch nicht mehr von einem reinen Ermessenentscheid sprechen.<br />
Auch wenn nur ein gewisser Rechtsanspruch auf Einbürgerung entsteht, besteht aber ein Rechtsanspruch<br />
auf ein sachliches und an sich die Grundrechte haltendes Einbürgerungsverfahren.<br />
129 Dafür spricht sich mit überzeugenden Argumenten Auer in seinem Aufsatz aus.<br />
34
Maturaarbeit<br />
<strong>Die</strong> <strong>ordentliche</strong> Einbürgerung - Vom reinen Ermessensentscheid zum Rechtsanspruch<br />
7 Reflexion<br />
Ziel der Matuararbeit war, die Tendenz einer Verrechtlichung bei der <strong>ordentliche</strong>n Einbürgerung aufzuzeigen<br />
und der Frage nachzugehen, ob heutzutage auf Grund der Verrechtlichung ein Rechtsanspruch<br />
auf eine <strong>ordentliche</strong> Einbürgerung besteht. <strong>Die</strong> Tendenz einer Verrechtlichung und deren Bedeutung<br />
für die Praxis konnten aufgezeigt werden. <strong>Die</strong> Frage, ob heute ein Rechtsanspruch besteht,<br />
konnte ich zwar ansatzweise, aber nicht ganz abschliessend beantwortet, da ich zu wenig mit der heutigen<br />
Praxis und dem Entscheidungsspielraum der Gemeinden vertraut bin. Ich habe aber anhand gezielter<br />
Interviewfragen einen Einblick in die Praxis gewonnen, so dass ich einige Aspekte, die zu einem<br />
Rechtsanspruch führen, ausmachen konnte. Zu bedenken ist ebenfalls, dass ich im Rahmen der Maturaarbeit<br />
nur einige Gemeinden befragen konnte, andererseits war es mir möglich, valide Schlüsse zu<br />
ziehen, da mir zwei Umfragen zur Verfügung standen.<br />
Ich schränkte das Thema nach dem Einlesen relativ bald zeitlich und thematisch ein, da die Entwicklung<br />
des Schweizer Bürgerrechts ein grosses Thema ist. Ich lernte mit der Informationsflut zu diesem<br />
Thema, vor allem im Internet, umzugehen. Mit der Zeit gelang es mir immer besser, gezielt Informationen<br />
auszusuchen und zu lesen.<br />
Es ist mir bewusst, dass der Umfang der Arbeit eher an der oberen Grenze liegt. Ich entschied mich<br />
jedoch letztendlich, keine Teile der Arbeit zu streichen, da aus meiner Sicht die Arbeit in sich stimmig<br />
ist. Streichungen oder Kürzungen hätten die Aussagen zum Teil auch leicht verändert. Falls ich nochmals<br />
eine Arbeit zu diesem Thema schreiben würde, würde ich mich jedoch stärker auf den Inhalt der<br />
jeweiligen Änderung konzentrieren, als darauf, wie sie entstanden ist.<br />
Auf Grund des relativ komplexen Themas habe ich gelernt, besser mit schwierigen Texten umzugehen.<br />
Zum Teil hatte ich den Eindruck, nach dem ersten Lesen den Text an sich verstanden zu haben. Beim<br />
zweiten Lesedurchgang fielen mir jedoch wichtige Aussagen auf, die ich beim ersten Lesen nicht wahrgenommen<br />
hatte. Mir war bewusst, dass es gerade im Recht oft auf genaue Formulierungen ankommt,<br />
so dass ich die Texte sehr langsam und sorgfältig las und zum Teil auch Fachbegriffe nachschlug,<br />
auch wenn das relativ zeitaufwändig war. Der Grund dafür, dass die Texte aus meiner Sicht<br />
schwierig zu verstehen waren, ist, dass ich mit dem Fachgebiet des Rechts noch wenig vertraut bin,<br />
insbesondere mit dem Fachausdrücken. Es brauchte für meine Maturaarbeit im Bereich der Einbürgerung,<br />
aber auch im Bereich des Staatsrechts, ein Basiswissen, das ich nicht ausreichend hatte. Daher<br />
musste ich mich anfänglich gezielt einlesen.<br />
<strong>Die</strong> Interviews sollten erst durchgeführt werden, wenn man sich schon relativ gut in das Thema eingelesen<br />
hat. So kann man gezieltere Fragen stellen und überflüssige Fragen vermeiden. Zwar hatte ich<br />
mich mit der Materie vertraut gemacht, bevor ich die Interviews durchführte. Da ich diese aber vor<br />
den Sommerferien durchführen musste, waren die Fragen bei dem ersten Interview zum Teil nicht<br />
genügend präzise formuliert und ich stellte teilweise auch weniger relevante Fragen. Nach dem Interview<br />
passte ich die Fragen aber an und konnte so die weiteren Interviews besser durchführen.<br />
Ich habe bei der Auswertung auch realisiert, dass Aussagen der Interviewpartner nicht immer wörtlich<br />
genommen werden dürfen. Bei einer kurzen Entscheidungsfrage antwortete die Person zum Beispiel<br />
zwar mit einem Nein, die Ausführungen, die sie jedoch dazu machte, ergaben eigentlich eine positive<br />
Antwort auf die Ausgangsfrage.<br />
Den Zeitplan konnte ich mehrheitlich einhalten, auch wenn ich den Zeitaufwand unterschätzt habe,<br />
vor allem den, einen Text zu schreiben.<br />
Ich habe gelernt, im Fachbereich Recht genau zu formulieren und korrekt zu zitieren.<br />
Mit dem Resultat meiner Arbeit bin ich zufrieden, denn ich habe meine gesetzten Ziele mehrheitlich<br />
erreicht, bei meiner ersten wissenschaftlichen Arbeit auch vieles gelernt und die Auseinandersetzung<br />
mit Fragen rund um die <strong>ordentliche</strong> Einbürgerung haben mein Interesse an der Thematik vertieft.<br />
35
Maturaarbeit<br />
<strong>Die</strong> <strong>ordentliche</strong> Einbürgerung - Vom reinen Ermessensentscheid zum Rechtsanspruch<br />
8 Dank<br />
Ich danke meiner Betreuerin Ulrike Gerhardt für ihre Unterstützung. Den Verantwortlichen der Gemeinden<br />
danke ich, dass sie sich Zeit genommen haben, die Interviewfragen in einem Gespräch zu<br />
beantworten. Andrea Fischer und Jeannine Meier danke ich dafür, dass sie mir ihre Diplomarbeit „Einbürgerungen<br />
- Verschiedene Wege führen zum Ziel“ zur Verfügung stellten. Auch dem Amt für Gemeinden<br />
danke ich für die Zusendung der Unterlagen über die gesetzliche Verankerung des Einbürgerungsverfahrens<br />
und wie man konkret beim Verfahren, hauptsächlich bei der Eignungsprüfung, vorgehen<br />
soll.<br />
9 Deklaration<br />
„Ich erkläre hiermit,<br />
Ort:<br />
dass ich die vorliegende Arbeit selbständig und nur unter Benutzung der angegebenen Quellen<br />
verfasst habe,<br />
dass ich auf eine eventuelle Mithilfe Dritter in der Arbeit ausdrücklich hinweise,<br />
dass ich vorgängig die Schulleitung und die betreuende Lehrperson informiere, wenn ich diese<br />
Maturaarbeit, bzw. Teile oder Zusammenfassungen davon veröffentlichen werde, oder Kopien<br />
dieser Arbeit zur weiteren Verbreitung an Dritte aushändigen werde.“<br />
Datum:<br />
Unterschrift:<br />
36
Maturaarbeit<br />
<strong>Die</strong> <strong>ordentliche</strong> Einbürgerung - Vom reinen Ermessensentscheid zum Rechtsanspruch<br />
Anhang<br />
37
Maturaarbeit<br />
<strong>Die</strong> <strong>ordentliche</strong> Einbürgerung - Vom reinen Ermessensentscheid zum Rechtsanspruch<br />
Literaturverzeichnis<br />
AUBERT/KURT EICHENBERGER/JÖRG PAUL MÜL-<br />
LER/RENÈ A. RHINOW/DIETRICH SCHINDLER (HRSG.),<br />
ANDREAS AUER<br />
DORIS BIANCHI<br />
WERNER BAUMANN<br />
BUNDESAMT FÜR MIGRATION<br />
BUNDESBLATT - FEUILLE FÉDÉRALE - FOGLIO FEDERALE<br />
BUNDESRAT DER SCHWEIZERISCHEN EIDGENOSSENSCHAFT<br />
WALTER BURCKHARDT<br />
BERNHARD EHRENZELLER/PHILIPP MASTRONAR-<br />
DI/RAINER J. SCHWEIZER/KLAUS A. VALLENDER (HRSG.)<br />
BERNHARD EHRENZELLER<br />
Kommentar zur Bundesverfassung der Schweizerischen<br />
Eidgenossenschaft vom 29. Mai 1874,<br />
Basel 1986 ff. (Loseblatt); zitiert: Kommentar<br />
aBV sowie der jeweilige Verfasser und das Erscheinungsjahr<br />
Einbürgerungen durch Gemeindeversammlungen:<br />
Um- und Holzwege der bundesgerichtlichen<br />
Rechtsprechung, ZBl 110/2009, S. 69 - 91<br />
Paradigmenwechsel im Einbürgerungsrecht.<br />
Vom politischen Einbürgerungsentscheid zum<br />
Verwaltungsakt, Bern 2004<br />
Aus der Werkstatt des neuen Bürgerrechtsgesetzes,<br />
ZBl 51/1950, S. 557 ff.<br />
Bericht über hängige Fragen des Bürgerrechts,<br />
Bern 2005, zitiert: Bericht BFM<br />
Bern, seit 1849, chronologische Sammlung von<br />
Botschaften des Bundesrats, Berichten und Entwürfen<br />
von Kommissionen der Bundesversammlung<br />
etc. (vgl. Art. 3 Abs.1 des Bundesgesetzes<br />
vom 18. Juni 2004<br />
über die Sammlungen des Bundesrechts; Publikationsgesetz;<br />
SR 170.512)<br />
Erläuterungen des Bundesrates zur Abstimmung<br />
vom 26. September 2004 (Revision des Bürgerrechts),<br />
Bern 2004, zitiert: Abstimmungsbüchlein<br />
2004<br />
Das Beschwerderecht der Ausländer in Niederlassungs-<br />
und Naturalisationssachen, Zeitschrift<br />
des Bernischen Juristenvereins (ZBJV) 72/1936,<br />
S. 201 - 220<br />
<strong>Die</strong> Schweizerische Bundesverfassung, Kommentar,<br />
2. Auflage, St. Gallen 2008; zitiert: Kommentar<br />
BV sowie der jeweilige Verfasser<br />
Entwicklungen im Bereich des Bürgerrechts. in:<br />
ALBERTO ACHERMANN/ASTRID EPINEY/WALTER KÄ-<br />
LIN/MIN SON NGUYEN (HRSG.): Jahrbuch für Migrationsrecht/Annuaire<br />
du droit de la migration<br />
2004/2005, Bern, 2005, S. 13 - 43.<br />
38
Maturaarbeit<br />
<strong>Die</strong> <strong>ordentliche</strong> Einbürgerung - Vom reinen Ermessensentscheid zum Rechtsanspruch<br />
EIDGENÖSSISCHES JUSTIZ UND POLIZEIDEPARTEMENT<br />
(EJPD)<br />
ENTSCHEIDUNGDEN DES SCHWEIZERISCHEN BUNDESGE-<br />
RICHTS -<br />
ARRÊTS DU TRIBUNAL FÉDÉRAL SUISSE<br />
DECISIONI DEL TRIBUNALE FEDERALE SVIZZERO<br />
Rundschreiben betreffend die Revision des Bürgerrechtsgesetzes<br />
(Bürgerrechtserwerb von Personen<br />
schweizerischer Herkunft und Gebühren),<br />
Bern-Wabern 2005, zitiert: Rundschreiben<br />
Amtliche Sammlung der Entscheidungen des<br />
Schweizerischen Bundesgerichts, Lausanne, seit<br />
1874; zitiert: BGE sowie Jahrzahl ab 1874 und<br />
Band (I = erste öffentlich-rechtliche Abteilung<br />
des Bundesgerichts)<br />
HELEN ESTERMANN / CLAUDIA WICKI / BEATRICE WIG-<br />
GER<br />
ANDREA FISCHER/JEANNINE MEIER<br />
FRITZ FLEINERZACCARIA GIACOMETTI<br />
ULRICH HÄFELIN/ WALTER HALLER/ HELEN KELLER<br />
Auswertung der Fragebögen über das Einbürgerungsverfahren<br />
von ausländischen Staatsangehörigen<br />
in Luzerner Gemeinden<br />
Einbürgerungen-Verschiedene Wege führen zum<br />
Ziel, Einbürgerung von ausländischen Staatsangehörigen-Vergleich<br />
und Beurteilung der verschiedenen<br />
Verfahren im Kanton Luzern, Diplomarbeit<br />
von 2011, Hochschule Luzern, Wirtschaft<br />
Lehrgang Verwaltungsmanagement LVM<br />
09<br />
Schweizerisches Bundesstaatsrecht, Neubearbeitung<br />
der ersten Hälfte des gleichnamigen Werkes<br />
von F. Fleiner, Zürich 1949<br />
Schweizerisches Bundesstaatsrecht, 7. Auflage,<br />
Zürich 2008<br />
FELIX UHLMANN Das Willkürverbot (Art. 9 BV), Bern 2005<br />
Internetquellen<br />
http://www.parlament.ch/d/mm/2007/Seiten/mm_2007-02-19_058_01.aspx<br />
http://www.ekm.admin.ch/de/dokumentation/doku/Argumentarium_einbuerg_d.pdf<br />
http://www.admin.ch/ch/d/pore/va/20080601/index.html<br />
39
Maturaarbeit<br />
<strong>Die</strong> <strong>ordentliche</strong> Einbürgerung - Vom reinen Ermessensentscheid zum Rechtsanspruch<br />
Abbildungsverzeichnis<br />
Abb. 1<br />
Abb.2<br />
Abb. 3<br />
Abb. 4<br />
Abb.5<br />
Abb. 6<br />
http://www.tagesschau.sf.tv/Hintergrund/Abstimmungen/Abstimmung-vom-1.-Juni-<br />
2008/Fuer-demokratische-Einbuergerungen/SVP-Schlappe-bei-Einbuergerungs-Initiative<br />
Grafik wurde mit Daten aus den beiden Umfragen aus dem Jahr 2004 und 2011 erstellt.<br />
Grafik wurde mit Daten aus den beiden Umfragen aus dem Jahr 2004 und 2011 erstellt.<br />
Grafik wurde mit Daten aus den beiden Umfragen aus dem Jahr 2004 und 2011 erstellt.<br />
Grafik wurde mit Daten aus den beiden Umfragen aus dem Jahr 2004 und 2011 erstellt.<br />
Grafik wurde mit Daten für<br />
Ausländische Wohnbevölkerung nach Anwesenheitsbewilligung von<br />
http://www.bfs.admin.ch/bfs/portal/de/index/themen/01/07/blank/key/01/02.html<br />
Erwerb des Schweizer Bürgerrechts (Total) nach Erwerbsart von<br />
http://www.bfs.admin.ch/bfs/portal/de/index/themen/01/07/blank/key/03.html<br />
erstellt.<br />
Abkürzungsverzeichnis<br />
aBV<br />
BBl<br />
BFM<br />
BGE<br />
BüG<br />
(alte) Bundesverfassung der Schweizerischen<br />
Eidgenossenschaft vom 29. Mai 1874<br />
Bundesblatt<br />
Bundesamt für Migration<br />
Bundesgerichtsentscheid<br />
Bundesgesetz vom 29. September 1952 über<br />
Erwerb und Verlust des Schweizer Bürgerrechts<br />
(SR 141.0)<br />
BüG-LU Bürgerrechtsgesetz des Kantons Luzern vom 21.<br />
November 1994 (SRL 2)<br />
BV<br />
Rz<br />
SDA<br />
SR<br />
SRL<br />
VO-BüG-LU<br />
ZBl<br />
(neue) Bundesverfassung der Schweizerischen<br />
Eidgenossenschaft vom 18. April 1999 (SR 101.0)<br />
Randziffer<br />
Schweizerische Depeschenagentur<br />
Systematische Sammlung des Bundesrechts<br />
Systematische Rechtssammlung des Kantons<br />
Luzern<br />
Verordnung vom 9.Mai 1995 zum Bürgerrechtsgesetz<br />
des Kanton Luzern (SRL 3)<br />
Schweizerisches Zentralblatt für Staats- und<br />
Verwaltungsrecht<br />
40
Maturaarbeit<br />
<strong>Die</strong> <strong>ordentliche</strong> Einbürgerung - Vom reinen Ermessensentscheid zum Rechtsanspruch<br />
Interview mit den Gemeinden<br />
Fragen<br />
1. a) Welches Verfahren wird jetzt angewendet und seit wann? Welches vorher?<br />
b) Wieso nahm man diese Änderung vor? Vom wem kam der Wunsch, oder auf welche Gesetzesänderung<br />
oder Bundesgerichtsentscheidungen folgte er?<br />
2. Gab es Urnenabstimmungen? Wenn ja, seit wann nicht mehr?<br />
3. Wie lange dauert das ganze Verfahren maximal? Heute/Früher<br />
4. Wie wird die Eingliederung in die Gemeinde und geprüft? Welche Fragen werden gestellt?<br />
5. a)Wie viel Zeit wird für die Integration-/Eignungsprüfung verwendet? Heute/Früher<br />
b) Wer führt dies durch? Heute/Früher<br />
6. Wie hoch sind die Kosten für ein Einbürgerungsverfahren und wie werden sie berechnet? Heute/Früher<br />
7. Wie prüft man, ob die Referenzen aussagekräftig, objektiv und repräsentative sind? (Familie, Freunde<br />
oder Arbeitgeber)<br />
8. Wie wird geprüft , ob der Kandidat einen guten Ruf hat und was versteht man überhaupt darunter?<br />
9. Bei dem Gespräch mit dem Kandidaten<br />
a) Wie lange dauert dies?<br />
b) Wer nimmt daran teil? Wird ein Protokoll erstellt?<br />
10. Wird das Bildungsniveau geprüft? Werden Schulzeugnisse, Arbeitszeugnisse, Referenzen beim<br />
Arbeitgeber eingeholt?<br />
11. a)Wie wird die Sprachkenntnis der Bewerber ermittelt? (Gespräch, Sprachtest)<br />
b) Wird dabei das Bildungsniveau berücksichtigt?<br />
c) Muss man Sprachkenntnisse mündlich/schriftlich haben in Schweizerdeutsch /Hochdeutsch?<br />
d) Wie hoch müssen die Sprachkenntnisse sein? (A2, B2.., Verständnis, korrekte Grammatik)<br />
12. Wird die Einstellung der Einbürgerungskandidaten geprüft und ist sie entscheidend für die Einbürgerung?<br />
(Gleichberechtigung der Geschlechter, Anhänger einer bestimmten Partei oder Religion)<br />
13. Wird Wissen über die Schweiz geprüft und welche Fragen stellt man konkret?<br />
14. a) Wird ein Auszug aus dem Vorstrafenregister/Betreibungsregister verlangt?<br />
b) Führt jeder Eintrag im Vorstrafenregister/Betreibungsregister zur Ablehnung des Gesuches oder<br />
werden je nachdem, wie schwerwiegend der Eintrag ist, Unterschiede gemacht?<br />
15. a)Welche Informationen erhalten die Mitglieder der Kommission/Gemeindeversammlung über die<br />
Gesuchsteller? Heute/ Früher<br />
b)Welche die Bürger der Gemeinde (Anschlagkasten)? Heute/Früher<br />
41
Maturaarbeit<br />
<strong>Die</strong> <strong>ordentliche</strong> Einbürgerung - Vom reinen Ermessensentscheid zum Rechtsanspruch<br />
16. a) Hatten Sie schon Fälle, bei denen das Gesuch abgelehnt worden ist? Hat die Kommission/Gemeindeversammlung<br />
abgelehnt oder hat man der betroffene Person im Voraus empfohlen den<br />
Antrag zurückzuziehen?<br />
b)Wenn empfohlen wurde , den Antrag zurückzuziehen, haben die Leute dann ohne weiteres zurückgezogen?<br />
c)Was waren konkrete Gründe für eine Abweisung bzw. Zurückstellung?<br />
d) Wurden bei einer Zurückstellung auch Gründe genannt?<br />
17. a) Muss man besondere Qualifikationen haben, um in der Kommission zu sein?<br />
b) Gibt es Weiterbildungsmöglichkeiten (Amt für Gemeinden)?<br />
18. Wünsche, wie das Einbürgerungsverfahren und die Eignungsprüfung aussehen sollten?<br />
19. Wird eine Vereinheitlichung gewünscht?<br />
Auswertung der Interviews<br />
Befragten Personen:<br />
Gemeinde Befragte Person Arbeit in der Gemeinde Seit<br />
Triengen Frau Karin Pfenniger-Thürig Sekretärin Bürgerrechtskommission/ 2 ½ Jahre<br />
Sachbearbeiterin<br />
Geuensee<br />
Herr Kost<br />
Frau Rita Bussman<br />
Mitglied Bürgerrechtskommission<br />
Präsident Bürgerrechtskommission<br />
Mitglied Bürgerrechtskommission/<br />
Gemeinderätin<br />
5 Jahre<br />
3 Jahren<br />
3 Jahren<br />
Herr Alber Albisser<br />
Gemeindeschreiber<br />
22 Jahren<br />
Emmen Herr Michael Kost Gemeindeschreiber Stellvertreter 3 Jahren<br />
Oberkirch Frau Jeannine Meier Gemeindeschreiber-Stellvertreterin 1 ½ Jahren<br />
Schenkon Frau Karin Vogel Gemeindeschreiberin/Substitutin 22 Jahren<br />
Art des Verfahrens in den Gemeinden:<br />
Gemeinde Verfahren Falls geändert seit<br />
Triengen Gemeindeversammlung<br />
Bürgerrechtskommission 1.1.06<br />
Geuensee Gemeinderat mit abschliessenden Entscheid bei<br />
Gemeindeversammlung<br />
Emmen<br />
Oberkirch<br />
Schenkon<br />
Bürgerrechtskommission mit abschliessenden Entscheid<br />
bei der Gemeindeversammlung<br />
2008<br />
Einwohnerrat<br />
Urne<br />
Von 13. Juni 1999-3. Juli 2003<br />
Bürgerrechtskommission<br />
2005<br />
Gemeindeversammlung<br />
Gemeindeversammlung<br />
Bürgerrechtskommission 1.1.08<br />
42
Maturaarbeit<br />
<strong>Die</strong> <strong>ordentliche</strong> Einbürgerung - Vom reinen Ermessensentscheid zum Rechtsanspruch<br />
Auswertung der Fragen<br />
Es werden nur die Fragen ausgewertet, bei denen auch tatsächlich Resultate zu erkennen waren und<br />
deren Resultate für die Arbeit relevant waren.<br />
Dauer des Verfahrens<br />
Heute:<br />
3 ½ Jahr, 6 Jahre (aufgrund der Umstellung viele pendente Gesuche) Emmen<br />
3 Jahre, 4-5 Jahre (aufgrund der Umstellung viele pendente Gesuche) Geuensee<br />
1 Jahr Triengen<br />
2 Jahre Oberkirch<br />
1 ½ Jahr Schenkon<br />
Früher:<br />
Schneller<br />
Emmen, Oberkirch<br />
2-3 Jahre Geuensee, Triengen<br />
½ -1 Jahr<br />
Schenkon<br />
Zeitaufwand für Integrationsprüfung (Gespräche und Recherchen)<br />
Heute:<br />
4h<br />
Triengen<br />
1 ½ h Geuensee<br />
2h<br />
Emmen<br />
1 Tag Schenkon<br />
5-10 h Oberkirch<br />
Früher:<br />
Weniger<br />
Gleich<br />
Triengen, Emmen, Schenkon,<br />
(Oberkirch)<br />
Geunesee<br />
Wie wird die Eingliederung in die Gemeinde geprüft?<br />
Wird von allen Gemeinden gleich gemacht, da es vom Amt von Gemeinden vorgegeben ist<br />
Befragung 3 Referenzen<br />
Persönliches Gespräch mit Gesuchsteller<br />
Was gefragt wird, ist von Gemeinde zu Gemeinde unterschiedlich<br />
Kenntnisse über örtliche Infrastruktur, Veranstaltungen, Vereine, aktuelles politisches Geschehen,<br />
wird von fast allen Gemeinden gefragt<br />
Nachbargemeinden, was passiert mit den gezahlten Steuern, Gemeindefusion wird auch zum Teil<br />
gefragt<br />
43
Maturaarbeit<br />
<strong>Die</strong> <strong>ordentliche</strong> Einbürgerung - Vom reinen Ermessensentscheid zum Rechtsanspruch<br />
Dauer der Gespräche<br />
Dauer ist insgesamt berechnet<br />
2h<br />
Präsident und Sekretärin der Bürgerrechtskommission,<br />
ganze Kommission<br />
2 Bürgerrechtskommissionsmitglieder, ganze Kommission<br />
Triengen<br />
Geuensee<br />
1-1 ½ h 2 Personen von der Verwaltung, gesamte Gemeinderat Oberkirch<br />
¾-1 ½ h 3 Kommissionmitglieder, ganze Bürgerrechtskommission Schenkon<br />
¾ -3h Sachbearbeiter, Bürgerrechtskommission Emmen<br />
Höhe der Gebühren<br />
Heute:<br />
Höhe Art der Erhebung der Gebühr Gemeinde<br />
1520 CHF (Einzelperson) Pauschal nach Aufwand<br />
berechnet<br />
500 CHF (nach 1 Gespräch Rückzug<br />
des Gesuches)<br />
1500 CHF<br />
Pauschal nach Aufwand<br />
berechnet<br />
Triengen<br />
Geuensee<br />
Insgesamt Circa 1‘000-1‘200 CHF Aufwand Emmen<br />
100 pro h5‘000-1‘000 CHF Aufwand Oberkirch<br />
1‘000-1‘2000 CHF(Einzelperson)<br />
1‘5000 CHF (Fammilie)<br />
Pauschal nach Aufwand<br />
Schenkon<br />
Früher:<br />
Höhe Art der Erhebung der Gebühr Gemeinde<br />
Weniger Aufwand Triengen<br />
Max 20‘000 CHF,<br />
im Schnitt 3‘000-4‘000 CHF<br />
Weniger<br />
Einkommen<br />
Einkommen<br />
Nach Einkommen +Gebühr für<br />
Aufwand<br />
Geuensee<br />
Emmen<br />
Oberkirch<br />
Schenkon<br />
Wie wird geprüft, ob der Kandidat einen guten Ruf hat und versteht man darunter?<br />
Alle Gemeinden gaben sehr ähnliche Antworten, da dieser Punkt auch von Amt von Gemeinden vorgegeben<br />
ist.<br />
Keine Betreibungen<br />
Kein negativer Polizeibericht<br />
Kein Strafregistereintrag<br />
Kein mehrmaliger Zahlungsverzug bei den Steuern<br />
Keine schlechten Aussagen von Referenzen<br />
Keine negativen Meldungen aus dem Volk<br />
Bei der Gemeinde immer die Wahrheit angegeben (Schenkon)<br />
44
Maturaarbeit<br />
<strong>Die</strong> <strong>ordentliche</strong> Einbürgerung - Vom reinen Ermessensentscheid zum Rechtsanspruch<br />
Sprachkenntnisse<br />
Wie und das Sprachniveau<br />
Sprachtest (Niveau A2)<br />
Gespräch (Verständnis)<br />
Sprachtest wird mit Gespräch ergänzt<br />
Emmen, Oberkirch, Geunensee<br />
Schenkon, Triengen<br />
Gespräche werden auf Hochdeutsch geführt, in einigen Gemeinden wird Schweizerdeutsch gewünscht<br />
Wissen über die Schweiz<br />
Liste der Dinge, die in unterschiedlichen Gemeinden gefragt werden und einige Beispiele aus unterschiedlichen<br />
Gemeinden. Wie detailliert der Gesuchsteller etwas wissen muss und wie dieser Bereich<br />
gewichtet wird, ist sehr unterschiedlich.<br />
Politik: aktuelle Themen wie Abstimmungen<br />
Geschichte: Gründung der Eidgenossenschaft, Rütliwiese<br />
Staat: Demokratie, Nennung von Bundesräten, Staatsräten/Kantonsräten, Rechte und Pflichten eines<br />
Schweizers, Parteiensystem und Nennung einiger Parteien, wie viele Kantone, wie viele Landessprachen,<br />
Anzahl Mitglieder Nationalrat/Ständerat<br />
Geographie: Nennung von Gebirgen, Wo liegt der Napf, Wie kommt man nach Luzern, Verkehrsachsen<br />
Vorstrafenregister/Betreibungsregister<br />
Alle Gemeinde untersuchen dies, da es vom Amt von Gemeinde vorgeschrieben ist.<br />
Es wird zwischen der Schwere des Verbrechen unterschieden und auch, ob es sich um einen Wiederholungstäter<br />
oder nicht. Bei den Betreibungen unterscheidet man die Höhe, ob sie offen sind und ob<br />
der Gesuchsteller häufig Betreibungen hat. <strong>Die</strong> Beurteilung der Fakten ist den Gemeinden relativ offen<br />
gelassen.<br />
Bei einem Eintrag im Vorstrafenregister/Betreibungsregister kann jedoch der Gesuchsteller damit<br />
rechnen, dass er eine geringe Chance hat, eingebürgert zu werden.<br />
Welche Informationen erhalten die Bürger und die Kommissionsmitglieder?<br />
Es kamen keine klaren Angaben heraus. Jedoch war festzustellen, dass die Kommissionsmitglieder alle<br />
Informationen erhalten, die herausgefunden wurden. <strong>Die</strong> Bürger dagegen erhalten nur sehr wenige<br />
Angaben, wie Name, Geburtsdatum und Adresse. Früher erhielten die Bürger zum Teil etwas mehr<br />
Informationen, wie z.B. zum Vermögen und Einkommen des Gesuchstellers.<br />
Zurückstellung/Abweisung<br />
Es wird dem Gesuchsteller, sobald erkannt wird, dass er geringe Chancen auf eine Einbürgerung hat,<br />
empfohlen, das Gesuch mit Angabe eines Grundes zurückzuziehen. Oft wird ohne Weiteres zurückgezogen<br />
und später wieder ein Antrag gestellt, wenn der Abweisungsgrund aus dem Weg geräumt wurde.<br />
Bei der Gemeindeversammlung versucht man Abweisungen im Voraus zu verhindern, da dies für<br />
den Gesuchsteller einfacher ist, wie vor der ganzen Gemeindeversammlung abgelehnt zu werden.<br />
Auch bei der Bürgerrechtskommission wird schon im Voraus eine Zurückstellung empfohlen.<br />
<strong>Die</strong> am häufigsten genannten Gründe für eine Ablehnung sind mangelnde Integration/Sprachkenntnis.<br />
45
Maturaarbeit<br />
<strong>Die</strong> <strong>ordentliche</strong> Einbürgerung - Vom reinen Ermessensentscheid zum Rechtsanspruch<br />
Weiterbildungsmöglichkeiten für Bürgerrechtskommissionsmitglieder<br />
Alle Gemeinden empfehlen Mitglieder, die neu in die Kommission eintreten, einen Weiterbildungskurs<br />
beim Amt für Gemeinden zu besuchen. <strong>Die</strong>ser wird auch tatsächlich immer von allen neuen Mitgliedern<br />
besucht.<br />
<br />
<br />
<br />
<br />
<br />
Wünsche, wie das Einbürgerungsverfahren und Eignungsprüfung aussehen sollte?<br />
Zufrieden, wie es in der eigenen Gemeinde läuft, führen gute Prüfung durch(Schenkon)<br />
Nein, Kommission ist sich immer einstimmig einig (Triengen)<br />
Zufrieden, da die Gemeinde immer fortlaufend selbst Anpassungen macht (Geuensee)<br />
Etwas mehr Vorlagen, Anhaltspunkte, an die man sich richten könnte (Oberkirch)<br />
Anpassung des Ausländerrechts an das Bürgerrecht, Notwendigkeit der C-Ausweises um Gesuch zu<br />
stellen (Emmen)<br />
<br />
<br />
<br />
<br />
<br />
<br />
Wird eine Vereinheitlichung des Verfahrens vom Kanton aus gewünscht?<br />
Ja, Gemeinden sind heute relativ offen, es sollten alle Gesuchsteller die gleichen Voraussetzungen<br />
haben(Karin Vogel, Schenkon)<br />
Nein, Rahmenbedingungen sind gut und ausreichend, keine weiteren Einschränkungen, Einbürgerung<br />
soll kein Verfahrensakt werden (Michael Kost, Emmen)<br />
Nein, dies ist nicht nötig, da schon heute genügen Austausch zwischen den Gemeinden besteht, und<br />
als Gemeinde mit den Informationen der anderen immer selbst das Verfahren verbessert sollten(Rita<br />
Bussmann, Geuensee)<br />
Ja („nicht abgelehnt“), da die Gemeinden die Kriterien unterschiedlich werten (Kost, Triengen)<br />
Nein , Kommission schätzt den Spielraum, es war jedoch am Anfang schwierig, die Kriterien zu<br />
erstellen(Karin Pfenniger-Thürig, Triengen)<br />
Nein, Gemeinden sollen Freiheiten beibehalten können ( Jeannine Meier, Oberkirch)<br />
46
Maturaarbeit<br />
<strong>Die</strong> <strong>ordentliche</strong> Einbürgerung - Vom reinen Ermessensentscheid zum Rechtsanspruch<br />
Übersicht über die Verfahren im Kanton Luzern heute 130<br />
Legende:<br />
gelb: Bürgerrechtskommission mit abschliessender Entscheidungskompetenz<br />
rot: Bürgerrechtskommission ohne Entscheidungskompetenz<br />
(Kompetenz bei der Gemeindeversammlung / beim Gemeinderat)<br />
blau: Gemeindeversammlung<br />
grün: Gemeinderat<br />
130 Grafik aus der Diplomarbeit von Jeannine Meier und Andrea Fischer<br />
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