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Predigt 1.11.11, Allerheiligen, Pfr. Stephan Guggenbühl

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<strong>Allerheiligen</strong> 2011<br />

Manche Menschen wissen nicht,<br />

wie wichtig es ist,<br />

dass sie einfach da sind.<br />

Manche Menschen wissen nicht,<br />

wie gut es tut, sie nur zu sehen.<br />

Manche Menschen wissen nicht,<br />

wie tröstlich ihr gütiges Lächeln ist.<br />

Manche Menschen wissen nicht,<br />

wie wohltuend ihre Nähe ist.<br />

Manche Menschen wissen nicht,<br />

wie viel ärmer wir ohne sie wären.<br />

Manche Menschen wissen nicht,<br />

dass sie ein Geschenk des Himmels sind.<br />

– Sie wüssten es,<br />

würden wir es ihnen sagen.<br />

Wenn ich dieses Gedicht von Petrus Ceelen weiter phantasiere, wage<br />

ich zu sagen, nicht nur manche sondern letztlich sind alle Menschen ein<br />

Geschenk des Himmels oder zumindest in jedem Menschen will Gottes<br />

Liebe sich verschenken – ihm zum Geschenk und zum Heil – zum Glück<br />

und zur Seligkeit werden. In den sogenannten acht Seligpreisungen –<br />

die wir eben gehört haben - kommt dies klar und deutlich zum Ausdruck.


Es sind das keine Forderungen und keine Du-sollst-Ansprüche in einem<br />

moralischen Sinn, sondern sie beschreiben nur das, was dem<br />

Menschen, dem Armen, dem Traurigen, dem Demütigen, dem nach<br />

Gerechtigkeit Sich-Sehnenden, möglich ist und was er erhoffen darf,<br />

wenn er sich voll und ganz auf Gott einlässt.<br />

In der Vorbereitung zur heutigen <strong>Predigt</strong> ist mir einmal mehr aufgefallen,<br />

wie unterschiedlich diese Seligpreisungen von den Exegeten, den<br />

Bibelwissenschaftlern, mit je verschiedenen Akzenten übersetzt werden.<br />

Die Einheitsübersetzung, zum Beispiel, hat wie gehört die dritte<br />

Seligpreisung wie folgt formuliert: "Selig, die keine Gewalt anwenden,<br />

denn sie werden das Land erben", früher hiess die offizielle Version:<br />

"Glücklich die Demütigen" Ein zeitgenössischer Übersetzer aber meint,<br />

es müsste heissen "Glücklich die Ge-demütigten – und folgert dann<br />

weiter - "Glücklich sind die Wehrlosen und Ausgesetzten" – er wählt also<br />

bewusst eine passive Form und denkt an Menschen, die eigentlich als<br />

unglücklich gelten müssten, wenn sie ihren Zustand nicht von Gott her<br />

ganz anders zu erleben wüssten. Von der Lutherübersetzung her lautet<br />

in anderen Bibelausgaben die Formulierung: "Selig sind die<br />

Sanftmütigen" und wieder andere schreiben nur "Selig sind die Sanften"<br />

Und diese Sanften – im Hebräischen anawim genannt – bezeichnen<br />

andere wieder als die "Gewaltlosen" -<br />

Alle diese Formulierungen zeigen einmal mehr sehr deutlich, wie die<br />

biblische Sprache nicht eindeutig und eingrenzend ist, sondern schon<br />

durch ihre Übersetzungen viel Spielraum lässt zur eigenen Reflexion<br />

und Aneignung. Ist das nicht auch ein Hinweis darauf, dass die<br />

Lebensmodelle dieser Seliggepriesenen – also der von der Kirche<br />

besonders verehrten Heiligen – eben auch sehr vielfältig sind und dass<br />

sie sich manchmal geradezu durch gegensätzliche Eigenschaften und


Merkmale ausgezeichnet haben. Es ist also uns überlassen, von<br />

welchen Heiligen wir uns ganz persönlich besonders animieren und<br />

inspirieren lassen wollen.<br />

Ich persönlich meine, dass mit den vorher genannten Attributen der<br />

dritten Seligpreisung Eigenschaften eines Christen aufgelistet sind, die<br />

ganz zentral in die Welt und ihre Gesellschaft heute passen und somit<br />

besonders von uns eingefordert sind. Ja – es braucht in der heutigen so<br />

harten und kalten Welt grossen Mut , sanft zu sein. Der Sanfte ist nicht<br />

einfach der "Nur-Gebeugte" , der etwas lahme, fade, und<br />

bleichgesichtige Langweiler, - wie wir ihn übrigens auch von vielen<br />

Heiligenbildchen kennen – er ist nicht der harmlose Weichling, der<br />

"Softi", wie er manchmal belächelt wird – und wie er in der<br />

Umgangssprache sehr oft wahrgenommen und bezeichnet wird – er<br />

bedarf vielmehr des aufrechten Ganges - und dazu braucht er eben den<br />

Mut – und deshalb nennen wir ja den Sanften auch den Sanft-Mütigen,<br />

den De-Mütigen und letztlich den Lebens-Mutigen.<br />

Sanftes Denken enthält sich aller bissigen und Menschenverachtender<br />

Rede, hält wild ausufernde Aggressionen im Zaun, ist frei von Missgunst<br />

und Neid, ist sensibel, feinfühlig, hellhörig, zärtlich allem Gegenüber,<br />

dem Menschen genauso wie der Schöpfung: Sanftes Denken ebnet stets<br />

Wege der Versöhnung, sucht den Frieden, öffnet das Tor zur Seligkeit.<br />

Es gibt aber auch ein sanftes Tun und Handeln, so zum Beispiel ein<br />

sanftes achtsames Autofahren, eine sanfte, sorgfältige Handhabe der<br />

Gerätschaften im Haushalt oder der Maschinen am Arbeitsplatz, ein<br />

sanfter, verantwortungsbewusster Umgang mit den Ressourcen der<br />

Natur, eine sanfte, erneuerbare Energie, sanfte, ethisch tragfähige


Wissenschaften, eine sanfte, der Menschenwürde entsprechende<br />

Medizin, sanfte, wohltuende Töne in der Musik, usw. usw.<br />

Aber gibt es auch eine sanfte Börse, einen sanften Spitzensport, sanfte<br />

Töne am Stammtisch, auf dem Bauplatz, im Asylzentrum, in den<br />

Chefetagen der Wirtschaft, in der Politik, oder etwa in der Arena im<br />

Fernsehen? Überprüfen sie selber gelegentlich ihren eigenen Umgang<br />

in der Familie und in den verschiedenen Alltagssituationen auf seine<br />

Sanftheit – sicher werden sie fündig – jedoch genauso sicher stossen sie<br />

auch auf das bare Gegenteil – die Brutalität. Sanft – als deutsches Wort<br />

meint etwa – das friedliche Zusammensein, Zusammenstimmen und<br />

Zustandebringen, was zu einander passt – und das will gelernt werden –<br />

So wie ich jetzt mit dem Wort sanft phantasiert habe, könnte ich –<br />

könnten wir - nun genauso weitermachen mit den verwandten Begriffen:<br />

Wehrlosigkeit - Gewaltlosigkeit - Zärtlichkeit – Weichheit - aber auch<br />

Milde und geduldiges Warten. Das sind alles Haltungen, mit der unsere<br />

Gesellschaft heute sich schwertut, wonach sich aber fast alle sehnen.<br />

Bei genauem Hinsehen und Hinhören – so bin ich überzeugt – verbirgt<br />

sich hinter unseren alltäglichen Lebensgewohnheiten ein sanfter,<br />

keimender Samen, der sich verwurzeln und wachsen möchte; unter der<br />

rauen Oberfläche unserer Lebensumständen liegt das Sanfte oft brach<br />

und wartet, dass es zu neuem Leben erweckt wird.<br />

Manche Menschen wissen nicht,<br />

dass ihr wohlwollendes Hinsehen andern Wertschätzung<br />

und Anerkennung schenkt<br />

Manche Menschen merken nicht,


dass ihr aufmerksames Zuhören<br />

andern das Gefühl gibt, ernst genommen zu sein.<br />

Manche Menschen wissen nicht,<br />

dass Schwäche zeigen andere beeindruckt.<br />

Manche Menschen merken nicht, dass sie eine feine Ader haben,<br />

von denen andere gerne profitieren.<br />

Manche Menschen wissen nicht,<br />

dass ihr geduldiges Warten auch andere dazu ermutigt.<br />

Manche Menschen gestehen sich nicht ein,<br />

dass sie ein grosses Herz haben,<br />

ihre Bescheidenheit ehrt sie und Dankbarkeit ist ihnen sicher.<br />

Manche Menschen können es nicht wahr haben,<br />

dass auch ohne Gewalt - sich Gewaltiges zum Guten kehren kann.<br />

Manche – auch religiöse Menschen - wissen nicht,<br />

dass sie ein Geschenk des Himmels sind.<br />

Sie wüssten es, wenn wir es ihnen sagen – und solche Worte haben<br />

bereits eine heilende Wirkung. Es braucht also gar keine grossen,<br />

offiziellen, römische Heiligsprechungen – in unseren sanften,<br />

wohlwollenden Begegnungen allein schon liegt eine heilende Wirkung.<br />

Im Kleinen und Unscheinbaren beginnt der Weg zur Heiligkeit –<br />

auf dem wir uns alle bereits befinden.<br />

<strong>Stephan</strong> <strong>Guggenbühl</strong>, Appenzell

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