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Formen der Tragödie in der Moderne - Klassik Stiftung Weimar

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346<br />

Mark W. Roche<br />

agonist sich mit falschen sozialen o<strong>der</strong> kulturellen Normen identifiziert, wie<br />

zum Beispiel Willy Loman, <strong>der</strong> sich <strong>in</strong> Arthur Millers Tod e<strong>in</strong>es Handlungsreisenden<br />

vollkommen dem verschreibt, was <strong>in</strong> Amerika geme<strong>in</strong>h<strong>in</strong> als Erfolg<br />

angesehen wird.<br />

Die entscheidende Schwäche <strong>der</strong> Eigens<strong>in</strong>nstragödie ist die Reduktion<br />

des Tragischen auf formale Größe: Der Held ist kaum noch bewun<strong>der</strong>nswert.<br />

Während das Leiden des Helden <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Tragödie</strong> <strong>der</strong> Selbstaufopferung<br />

ungerecht ersche<strong>in</strong>t, entspricht <strong>der</strong> Untergang des Helden <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Tragödie</strong><br />

des Eigens<strong>in</strong>ns dem Verlangen des Publikums nach poetischer Gerechtigkeit.<br />

Er wi<strong>der</strong>setzt sich damit <strong>der</strong> für die <strong>Tragödie</strong> wesentlichen Inkongruenz.<br />

Was bleiben muss, ist <strong>der</strong> S<strong>in</strong>n für die Größe des Helden, die, wenn auch<br />

verdorben, so doch zum<strong>in</strong>dest <strong>in</strong> gewisser H<strong>in</strong>sicht bewun<strong>der</strong>nswert ist.<br />

III<br />

Hegel betrachtet die <strong>Tragödie</strong> als e<strong>in</strong>e Kollision zweier Positionen, die zwar<br />

beide gerechtfertigt, jedoch auch <strong>in</strong> dem Ausmaß falsch s<strong>in</strong>d, <strong>in</strong> dem sie die<br />

Gültigkeit o<strong>der</strong> wenigstens die Teilwahrheit <strong>der</strong> an<strong>der</strong>en Position negieren. 11<br />

Im H<strong>in</strong>blick auf die <strong>Tragödie</strong> <strong>der</strong> Kollision möchte ich e<strong>in</strong>e Differenzierung<br />

vornehmen: In e<strong>in</strong>igen <strong>Tragödie</strong>n wird <strong>der</strong> Konflikt zwischen guten Kräften<br />

durch zwei Personen o<strong>der</strong> Gruppen vertreten, was ich als äußerliche Kollision<br />

o<strong>der</strong> <strong>Tragödie</strong> <strong>der</strong> Opposition bezeichnen möchte; <strong>in</strong> an<strong>der</strong>en <strong>Tragödie</strong>n<br />

wird dieser Konflikt im Gewissen e<strong>in</strong>es e<strong>in</strong>zelnen Helden ausgetragen,<br />

was ich als <strong>in</strong>nerliche Kollision o<strong>der</strong> <strong>Tragödie</strong> des Bewusstse<strong>in</strong>s bezeichnen<br />

möchte.<br />

Die <strong>Tragödie</strong> <strong>der</strong> Opposition führt gegenüber früheren <strong>Tragödie</strong>nformen<br />

nicht nur zu e<strong>in</strong>em Komplexitätsgew<strong>in</strong>n, son<strong>der</strong>n auch zu e<strong>in</strong>er Zunahme<br />

<strong>der</strong> dramatischen Intensität. In allen großen Dramen <strong>der</strong> Opposition begegnen<br />

wir zwei Charakteren o<strong>der</strong> Kräften, die beide legitim s<strong>in</strong>d. Wie um die<br />

versteckte Identität <strong>der</strong> beiden Kräfte zu unterstreichen, s<strong>in</strong>d die konkurrierenden<br />

Helden, trotz ihrer offensichtlichen Unterschiede, oftmals als spiegelbildliche<br />

Wie<strong>der</strong>gabe des jeweils an<strong>der</strong>en angelegt. E<strong>in</strong>e spiegelbildliche<br />

Struktur wird beispielsweise <strong>in</strong> Shakespeares Julius Cäsar offenbar, wo die<br />

Ähnlichkeiten zwischen Cäsar und Brutus <strong>in</strong> parallelen und unmittelbar aufe<strong>in</strong>an<strong>der</strong>folgenden<br />

Szenen vorgeführt werden (II.1 und II.2); ebenso <strong>in</strong> Büchners<br />

Dantons Tod, wo sowohl Robespierre als auch Danton sich mit Christus<br />

vergleichen und sich auf diese Weise <strong>in</strong> ihren Monologen <strong>in</strong>tellektuell<br />

e<strong>in</strong>an<strong>der</strong> annähern. Nicht zufällig enthält Büchners Dantons Tod Anspielun-<br />

_____________<br />

11 G. W. F. Hegel: Werke <strong>in</strong> zwanzig Bänden. Hg. v. Eva Moldenhauer u. Karl Markus Michel.<br />

Frankfurt a. M. 1978. Bd. 15: Vorlesungen über die Ästhetik III, S. 520–569.<br />

In: Daniel Fulda, Thorsten Valk (Hrsg.): Die <strong>Tragödie</strong> <strong>der</strong> Mo<strong>der</strong>ne. Gattungsgeschichte – Kulturtheorie – Epochendiagnose. Berl<strong>in</strong>, New York 2010, S. 339–354.

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