sichtbarer Linktext - Kreis Wesel
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Das Problem Dekubitus:<br />
Neueste wissenschaftliche Erkenntnisse aus der Sicht der Praxis<br />
Gerhard Schröder<br />
Lehrer für Pflegeberufe, Journalist (DJV) und Supervisor, Lehrauftrag für Dekubitus<br />
an der Privaten Universität Witten/Herdecke<br />
Liebe Kolleginnen und Kollegen,<br />
gestatten Sie mir kurz die Vorstellung:<br />
Ich bin Mitglied der Arbeitsgruppe, die den sogenannten ersten nationalen Expertenstandard<br />
zur Dekubitusprophylaxe erstellt hat. Dieser Standard ist inzwischen drei Jahre alt und in der<br />
ersten Überarbeitung. Es wird davon ausgegangen, dass ein Expertenstandard eine<br />
Gültigkeit von ungefähr drei bis fünf Jahren hat. Alle drei Jahre wird es also ein Update<br />
geben. Dadurch soll aufgezeigt werden, was die aktuelle Forschungslage in der<br />
Zwischenzeit hergibt und ob es in dem Bereich Veränderungen gibt oder gegeben hat.<br />
Zur Zeit gibt der Expertenstandard keine klaren Auskünfte, wie Dekubitusprophylaxe im<br />
Einzelfall aussehen sollte. Wir wissen bis heute nicht, welche Lagerungsmaterialien wirklich<br />
suffizient sind und welche mehr oder weniger insuffizient sind. Wir wissen z. B. nur, dass<br />
durch bestimmte Parameter die Häufigkeit des Bewegens festgestellt werden kann, wir<br />
wissen aber auch ziemlich sicher, dass das 2stündliche Umlagern nicht mehr haltbar ist, so<br />
wie es bisher noch häufig gelehrt wird. D. h. wir stehen eigentlich nach dem<br />
Expertenstandard vor mehr Fragen als Antworten. Es gibt eine Formulierung, die da lautet:<br />
Dessen was wir an medizinischem Wissen haben sind zu 10 – 14 % evident, also<br />
wissenschaftlich abgesichert. Im Bereich der Pflegewissenschaft sprechen wir dagegen von<br />
einer sogenannten Promillewissenschaft, d. h. dessen was wir an wirklich abgesicherten<br />
Erkenntnissen haben, liegt weit unter 1 %.<br />
Aber liebe Kolleginnen und Kollegen, ich denke, gerade an der Stelle ist es notwendig, sich<br />
das, was wir wissen, noch einmal deutlich zu machen.<br />
Das ist der Auftrag an mich, Ihnen diese wissenschaftlichen Erkenntnisse mitzugeben. Zum<br />
anderen ist es aber auch wichtig, deutlich zu machen, welche Dinge denn noch nicht klar<br />
sind, wo Sie aber konkret in der Praxis zumindest eine Antwort für den Alltag finden müssen.<br />
Erlauben Sie mir zunächst, Ihnen das Thema mit 2 Bildern etwas mehr in den Raum zu<br />
holen und vielleicht auch etwas mehr ins Bewusstsein.<br />
Dekubitalgeschwüre sind ja immer ein Phänomen, die bei den meisten Patientinnen und<br />
Patienten Leid auslösen, aber ich denke, dieses Leid geht weiter, nämlich auch an die<br />
Angehörigen und die Pflegenden. Sie erleben dies in Ihrer eigenen beruflichen Praxis immer<br />
wieder, dass Dekubitalgeschwüre als Meßlatte der sogenannten Pflegequalität genommen<br />
werden, nach dem Motto: Dort, wo viele entstehen, ist die Qualität schlecht, dort wo wenige<br />
entstehen, ist die Qualität gut.<br />
Liebe Kolleginnen und Kollegen,<br />
wir müssen uns aber auch darüber im Klaren sein, dass Dekubitalgeschwüre und<br />
Dekubitusprophylaxe immer ein Thema darstellen, das auch am Ende eines Lebens häufig<br />
die Frage ethischer Entscheidungen stellt, z. B. der Selbstbestimmung des Patienten bzw.<br />
der Patientin.<br />
Was machen Sie, was machen Ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in der Praxis, wenn ein<br />
Patient bzw. eine Patientin nicht gelagert werden möchte? Wenn ein Patient eine Patientin<br />
sich weigert und immer wieder auf die Stelle, auf der er bzw. sie nicht mehr liegen sollte,<br />
zum Liegen kommt. Das sind vielleicht banal klingende Dinge, die aber leider die Kolleginnen<br />
und Kollegen in der Praxis tagtäglich belasten. Das meine ich nicht nur im praktischen,<br />
sondern auch im emotionalen Sinne.<br />
Von daher sind Dekubitalgeschwüre ein vielschichtiges Problem der Pflege.
Die Patientin, die Sie hier nur ausschnittsweise in diesem Bild sehen, hat innerhalb von 6<br />
Wochen insgesamt 11 Dekubitalulcera erlitten und hat massive spastische Kontrakturen.<br />
Unter Berücksichtigung dieser Bilddarstellung stellt sich auch einem Laien die Frage: Ist so<br />
etwas nicht vermeidbar? Das ist auch die Kernfrage, die der Expertenstandard zur<br />
Dekubitusprophylaxe stellt, nämlich: Sind Dekubitalgeschwüre letztendlich ein Pflegefehler?<br />
Ein zweites Bild macht vielleicht die Problematik von einer anderen Seite noch einmal<br />
deutlicher.<br />
Sie sehen hier einen Mann, einen Patienten von unten betrachtet, Sie sehen die beiden<br />
Gesäßbacken. Sie sehen ein Dekubitalulcus an der Analfalte und eins am Hodensack. Dass<br />
ein Patient ein Dekubitus am Hodensack erleidet, ist etwas, was ich vorher auch noch nicht<br />
so häufig in meiner pflegerischen Praxis gesehen habe. Die Ursache ist hier eine Urinflasche<br />
gewesen, die dem Patienten postoperativ auf einer Station angelegt wurde, um das<br />
Betteinnässen zu vermeiden. Man muss sagen, dass dieses Dekubitalgeschwür eine<br />
zumindest vermeidbare Schädigung und damit zunächst im zivilrechtlichen Sinne ein<br />
Pflegefehler ist. Das Krankenhaus, das hier dieses Dekubitalgeschwür „ausgelöst hat“, sah<br />
das übrigens nicht so. Hier bestand eher die Meinung, dass der Patient selber der Schuldige<br />
wäre, denn immerhin wäre er derjenige gewesen, der durch seine Bewegung in der<br />
Aufwachphase die Urinflasche verschoben hat und somit diese Urinflasche unter seinen<br />
Hodensack selber postiert hätte. Die Urinflasche wäre ja von der Schwester korrekt angelegt<br />
worden.<br />
Fassen wir zusammen:<br />
Solche Dekubitalgeschwüre an Stellen, die durch besondere Maßnahmen ausgelöst werden,<br />
sind sicherlich keine im klassischen Sinne, so dass hier auch nicht im klassischen Sinne<br />
über Dekubitusprophylaxe geredet werden kann.<br />
Dennoch lassen die klassischen Dekubitalgeschwüre, aber auch diese „Spezialitäten“, immer<br />
wieder die Frage zu:<br />
Lassen sich Dekubitalgeschwüre vermeiden oder nicht?<br />
Wir gehen, zusammen mit Kolleginnen und Kollegen aus Großbritannien und den USA,<br />
davon aus, dass Dekubitalgeschwüre weitgehend, aber nicht immer, vermeidbar sind. Wir<br />
vertreten die Auffassung, wenn die Pflege die Rahmenbedingungen hätte, unter denen<br />
Pflege eigentlich auch optimal stattfinden könnte, dann würden sich bis zu 90 % der heute<br />
entstandenen Dekubitalulcera vermeiden lassen.<br />
Es wird aber nicht so sein, dass wir in 10, 15 oder 20 Jahren - selbst wenn die<br />
Rahmenbedingungen besser wären - keine Dekubitalulcera mehr hätten. Es wird sicherlich<br />
immer ein restlicher, aber minimaler Teil bleiben und das ist auch so im Expertenstandard<br />
formuliert.<br />
Es geht nicht um die Abschaffung von Dekubitalulcera, sondern um ihre Minimierung.<br />
Ich betone nochmals, dass Dekubitalgeschwüre immer auch eine ethische Entscheidung<br />
fordern, die in der Praxis sehr schwierig zu treffen und zu fällen ist.<br />
Heute Morgen sagte an dieser Stelle ein Schüler: „Wenn wir bessere Rahmenbedingungen<br />
hätten, sprich mehr Personal, dann könne man seiner Meinung nach auch stündlich oder<br />
halbstündlich lagern, das wäre überhaupt gar kein Thema“. Darauf habe ich gesagt: „Wissen<br />
Sie, vielleicht, wenn ich 30 Jahre später bei Ihnen liege und gepflegt würde, ich weiß gar<br />
nicht, ob ich das möchte, dass halbstündlich jemand kommt. Ich persönlich hätte vielleicht<br />
den Wunsch, in Ruhe gelassen zu werden“.<br />
Ich denke, das sind Dinge, die wir einfach unter diesen ethischen Gesichtspunkten sehen<br />
und öffentlich diskutieren müssen, was Dekubitalgeschwüre wirklich für Ursachen haben.<br />
Meiner Meinung nach gibt es diese öffentliche Diskussion in Deutschland bisher nicht, in<br />
Großbritannien z.B. schon. Dort erlitt eine 49jährige Frau massivste Dekubitalgeschwüre.<br />
Diese Frau untersagte die Lagerung, wurde an mehreren Stellen am Körper wund und starb<br />
schließlich an einer Sepsis (Blutvergiftung). Dieser Fall ging in England durch die<br />
Fachpresse, weil man sich an der Stelle gefragt hat: Wären wir nicht verpflichtet gewesen,
diese Patientin so zu lagern und zu pflegen, dass Sie keine Dekubitalgeschwüre bekommen<br />
hätte ?<br />
Hierauf gibt es keine einfache Antwort, aber es gibt, denke ich, zumindest den Prozess der<br />
Auseinandersetzung und damit auch letztendlich die Fragestellung: Was ermöglicht<br />
Wissenschaft und was lässt Wissenschaft eben auch an Fragen unter Umständen offen.<br />
Häufig stehen Sie oder Ihre Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen in der Praxis vor einer recht<br />
schwierigen Aufgabenstellung, nämlich: Beschreiben Sie mal eine Wunde. Teilweise wissen<br />
Sie gar nicht, wie bei der gerade gezeigten Wunde im ersten Bild, wo man anfangen und wo<br />
man aufhören soll. Oft lesen Sie dann solche Phänomene wie: Wunde sieht schon ganz gut<br />
aus, oder Wunde wird von Tag zu Tag schöner – was natürlich immer eine<br />
Geschmacksfrage ist. Oder Sie lesen häufig in den Dokumentationen, wenn es sich um<br />
Dekubitusstadium 1 handelt: Po ist rot. Das sind nicht sehr „aussagekräftige“<br />
Formulierungen. Zur Zeit beschäftigt sich die „Initiative Chronische Wunden“ mit dem Thema<br />
„Wunddokumentation“. Die Initiative hat zur Zeit verschiedene Wunddokumentationssysteme<br />
analysiert und dabei festgestellt, dass die Dokumentationssysteme nur wenige<br />
Gemeinsamkeiten haben. In diesen Systemen findet man meistens „den jeweiligen<br />
Geschmack bzw. die Richtung des Autors oder der Autorin“ wieder. Das Problem ist, dass<br />
sie zum Teil unverständliche Formulierungen für die Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen<br />
beinhalten oder sie stellenweise auch Formulare haben, die den Mitarbeitern und<br />
Mitarbeiterinnen in der Praxis eine Menge an Dokumentationsaufwand abverlangen, der<br />
aber nicht praktikabel ist.<br />
Daher möchte ich Ihnen auf eine sehr einfache, aber effektive Art 5 Punkte mitgeben, wie<br />
man Wunden, vor allem Dekubitalgeschwüre, dokumentieren sollte.<br />
1. Wundart<br />
Die erste Angabe muss immer die Angabe der Wundart sein, z.B. Dekubitus. Das sage ich<br />
Ihnen bewusst, weil in vielen Erhebungen, Pflegevisiten und Dokumentationen festgestellt<br />
werden kann, dass im Bereich des Pos alles Dekubitus ist. Das ist aber nicht so. Es gibt<br />
Fälle, die bis ins deutsche Ärzteblatt gewandert sind, z.B. ein Fall aus Hamburg. Dort ist ein<br />
Patient in einem Krankenhaus mit einer schwarzen Nekrose im Gesäßbereich eingeliefert<br />
worden und die Nekrose wurde direkt als Dekubitus klassifiziert. Die Ursache hat sich erst<br />
später herausgestellt. Es war eine Brandwunde, ausgelöst durch eine Wärmflasche.<br />
Ich will Ihnen damit sagen: Prüfen Sie, ob all das, was im Gesäß eine offene Hautstelle ist,<br />
tatsächlich ein Dekubitus ist. Wie unsere eigene Studie belegt, finden wir in immerhin bis zu<br />
40 % der Fälle andere Hautschädigungen. Ein Dekubitus, das werde ich Ihnen gleich<br />
aufzeigen, ist keine Hautschädigung, sondern eine Gewebeschädigung. Eine<br />
Hautschädigung lässt sich vermeiden durch entsprechende Hautpflege und Hautschutz, eine<br />
Gewebeschädigung lässt sich durch Hautpflege nicht vermeiden, sondern nur durch die<br />
Behebung der Ursache und zwar den lang anhaltenden Druck .<br />
2. Lokalisation<br />
Es ist wichtig, die richtige Örtlichkeit anzugeben.<br />
Wenn Sie sich dieses Bild noch einmal ansehen.<br />
Das Dekubitusgeschwür befindet sich im Sakralbereich, explizit ist hier das Kreuzbein zu<br />
sehen. Es tut derjenige gut daran, der die vorhandenen Dekubitalulcera nummeriert. Durch<br />
die Nummerierung haben Sie eine einfache Möglichkeit, auf das jeweilige Dekubitalgeschwür<br />
später in der Dokumentation sehr einfach Bezug zu nehmen, ohne dass Sie immer<br />
sprachlich Kreuzbein, Sakrum, etc. betiteln müssen.<br />
3. Größenangabe<br />
Die dritte Angabe ist die Größe der Wunde. Eine Wunde ist in der Regel nicht rechteckig und<br />
so macht es keinen Sinn, Länge mal Breite zu messen, da dies immer eine sehr pauschale<br />
und fehlerhafte Angabe ist. Die genaueste Angabe ist die Messung der Wundfläche in
Quadratzentimeter. Hier gibt es zwei Möglichkeiten. Entweder Sie können digitale<br />
Aufnahmen machen und diese in eine Software eingeben. Mit diesem Programm können Sie<br />
durch Anklicken des Wundrandes automatisch die Wundfläche errechnen. Sollte dieses<br />
System in Ihrer Einrichtung noch nicht vorhanden sein, dann können Sie eine andere<br />
einfachere Form wählen. Viele Hersteller der Wundauflagen benutzen bei den<br />
Wundverpackungen eine Seite, die enthält ein Gitter - wie ein Rechengitter. In der Regel ist<br />
ein Kästchen ein Quadratzentimeter. Sie halten diese sterile Fläche über die Wunde und<br />
malen mit einem Filzstift die Wundränder nach. Danach zählen Sie die in der Abzeichnung<br />
liegenden Kästchen und haben dann die Fläche in Quadratzentimetern. Dieses Prozedere<br />
wird nicht jeden Tag, sondern ca. alle 2 Wochen je nach Wundheilungsgeschwindigkeit<br />
durchgeführt. Dies ist bei einer chronischen Wunde durchaus ausreichend.<br />
Bei der Angabe des Stadiums tun wir uns schwer. In vielen wissenschaftlichen Studien<br />
verwenden wir die Stadieneinteilung nicht mehr, weil sie sehr häufig fehlerhaft ist. Die<br />
Stadieneinteilung ist für die Therapie zunächst nicht relevant. Dennoch werden Sie in<br />
gerichtlichen Prozessen die Stadieneinteilung immer angeben müssen. In gerichtlichen<br />
Prozessen werden Sie Gutachter aus dem ärztlichen Bereich haben, die als sofort fragen<br />
werden: „Dekubitus? Welches Stadium denn?“<br />
Daher empfehle ich Ihnen die Stadieneinteilung 1 – 4 nach Shea. Die werden Sie mit<br />
Sicherheit alle kennen. Die Einteilung der Tiefe kommt nur dann in Frage, wenn es sich um<br />
eine Wunde handelt, die oben eine kleine Öffnung hat und unten einen großen Krater, der<br />
durch sogenannte Scherkräfte entsteht. Wird dieser Krater größer, so ist das immer ein<br />
Zeichen, dass die Druckentlastung nicht ausreichend ist.<br />
Die Größe des Kraters kann man bestimmen, indem man diese Höhle auslitert, d. h. mit<br />
einer Flüssigkeit füllt. Es wird die Menge der eingefüllten Flüssigkeit angegeben. Bei offenen<br />
Geschwüren ist das verständlicherweise nicht möglich und nicht notwendig. Diese Messung<br />
sollte ca. alle 2 Wochen vorgenommen werden. Wichtig: Die eingefüllte Flüssigkeit, z.B.<br />
Ringerlösung, Kochsalzlösung, sollte angewärmt werden. Wir wissen seit einiger Zeit, dass<br />
die Temperierung der Wunde eine ganz beachtliche Rolle im Wundheilungsprozess spielt.<br />
Wenn Sie die Wunde mit der kalten Lösung täglich spülen, dann verhindern Sie die<br />
Wundheilung nachhaltig, nämlich bis zu 14 Stunden lang. Daher empfiehlt es sich die<br />
Wundspülflüssigkeit in einem warmen Wasserbad vorher kurz anzuwärmen. Bereiten Sie in<br />
der Zwischenzeit die anderen Materialien vor.<br />
4. Wundbeschreibung<br />
Wie wird die Wunde selber beschrieben? Zunächst wird die Farbe beschrieben. Dazu kann<br />
man die Einteilung der Uhr - das Zifferblatt - nutzen. Wenn einzelne Regionen der Wunde<br />
anders aussehen als andere, dann kann mit Hilfe des Zifferblatts die Wunde wie folgt<br />
beschrieben werden: Von 3 bis 4 Uhr handelt es sich um eine schwarze, trockene Nekrose.<br />
Die Lokaltherapie ist davon abhängig, dass bei der Wunde zwei Dinge angegeben sind:<br />
Einmal die Menge des Sekretes: hiervon hängt vor allem die richtige Wundauflage ab. Des<br />
weiteren die Aufzeichnung, ob Beläge vorhanden sind oder nicht, z. B. Nekrose, Fibrin.<br />
5. Beschreibung des Wundrandes<br />
Die Beschreibung des Wundrandes sollte aussagen, ob er gerötet, geschwollen und<br />
schmerzhaft ist. Wenn diese drei Punkte gleichzeitig vorhanden sein sollten, ist das ein<br />
Anzeichen einer Infektion. Dann ist es sicherlich die Aufgabe des Arztes bzw. der Ärztin, sich<br />
hier entsprechend diagnostisch und therapeutisch um den Patienten bzw. die Patientin zu<br />
kümmern. Diese Wundbeschreibung hat freilich eine andere Aussagequalität als wenn in der<br />
Dokumentation steht: Wundrand gut durchblutet. Diese Aussage würde vom Erkennen her in<br />
eine falsche Richtung driften.<br />
In diesen 5 Punkten ist der Geruch des Wundsekretes nicht enthalten.<br />
Zum einen, weil er sehr unspezifisch ist. Sie alle wissen, wenn Sie Hydrokolloide benutzen,<br />
dass das immer riecht. Zum anderen ist die Beurteilung des Wundgeruches sehr schwierig,<br />
weil sie sehr subjektiv ist. Der Wundgeruch sollte nur dann benannt werden, wenn er
tatsächlich eine Rolle spielt, z.B. wenn die Wunde bisher nicht gerochen hat und plötzlich<br />
riecht .<br />
Liebe Kolleginnen und liebe Kollegen,<br />
kommen wir jetzt auf die Prophylaxe zu sprechen. Es geht in der Dekubitusprophylaxe vor<br />
allem darum, dass wir Maßnahmen durchführen, die wenigstens nicht schaden.<br />
Der Bereich Dekubitusprophylaxe und Hautpflege geht immer noch sehr eng zusammen. Sie<br />
alle kennen das Lehrbuch von Schwester Liliane Juchli, das inzwischen „Thiemes Pflege“<br />
heißt. In diesem Buch hatte ich u.a. das Kapitel Dekubitusprophylaxe übernommen. Man<br />
hatte vorgehabt, das Kapitel Dekubitusprophylaxe in den Bereich Hautpflege (Waschen)<br />
auszusiedeln. Dies mit der Begründung, dass der Schüler bzw. die Schülerin wenn er bzw.<br />
sie einen Dekubitus sieht, keine Bewegung sieht, sondern vom Phänomen her eine<br />
Hautveränderung wahrnimmt, eine Rötung, eine Wunde usw. Deshalb gehört<br />
Dekubitusprophylaxe, so war die Überlegung, in den Bereich Hautpflege hinein. Ich habe<br />
mich dagegen erfolgreich gewehrt. Ich habe dargelegt, was sich in der Pflegelandschaft<br />
verändert, wenn in dem Juchli-Lehrbuch Dekubitusprophylaxe plötzlich zur Hautpflege zählt.<br />
Dann wären wir nämlich, ich sage das mal ganz offen, wieder auf dem falschen Ast, denn wir<br />
würden zukünftig die Einreibungen, Cremes, Lotionen usw. als Dekubitusprophylaxe<br />
durchführen.<br />
Es gibt eine aus dem Jahr 1972 in England durchgeführte Studie, hier wurde eine Gruppe<br />
gecremt und gesalbt, die andere Gruppe nicht. Die Gruppe, die gecremt und gesalbt wurde,<br />
hatte signifikant weniger Dekubitalgeschwüre als die Gruppe, die nicht gecremt wurde. Die<br />
Pflegenden glaubten natürlich an das Präparat, was aber überhaupt gar keine spezifische<br />
Wirkung im Rahmen der Dekubitusprophylaxe hatte. Die Ursache dieses Unterschiedes lag<br />
lediglich darin, dass die gecremte Gruppe erheblich häufiger gedreht bzw. druckentlastet<br />
wurde. Das können Sie in vielen anderen Bereichen ähnlich erfahren. Es gibt eine Studie,<br />
die die Wundheilungsgeschwindigkeit von Dekubitalulcera untersucht und mit einem<br />
Bestrahlungsgerät gearbeitet hat. Bestrahlte Patienten und Patientinnen heilten schneller,<br />
obwohl das Gerät keinerlei Strahlung von sich gab. Mit anderen Worten: all das, was zu<br />
einer Bewegung führt, ist Prophylaxe. Hautpflege selber ist aber verständlicherweise nicht im<br />
Bereich von Druck oder Zeit tätig, von daher ist es nicht ursächlich wirksam.<br />
Seit dem Jahr 2000 haben wir diesen Expertenstandard. Vor Einführung des<br />
Expertenstandards gab es zum Thema Dekubitus schon lange rechtliche<br />
Auseinandersetzungen mit Pflegeeinrichtungen, Altenpflegeheimen oder Krankenhäusern.<br />
Zur Zeit nehmen wir im Bundesgebiet eine zunehmende Zahl von solchen Rechtsfällen wahr<br />
Zum einen klagen die Angehörigen. Wie Sie sicherlich wissen, ist seit 1992 Schmerzensgeld<br />
auf die Angehörigen vererbbar, die dieses entsprechend zivilrechtlich einklagen können.<br />
Zum anderen klagen die Institutionen untereinander. Z. B. verklagt ein Altenpflegeheim ein<br />
Krankenhaus wegen eines entstandenen Dekubitalschadens, um die Folgekosten erstattet<br />
zu bekommen.<br />
Und ich garantiere Ihnen, unter dem Gesichtspunkt DRG’s (diagnostische Fallpauschalen)<br />
und Kosten wird dieses Thema sicherlich in der nächsten Zukunft noch ernster<br />
wahrgenommen werden. Hier geht es um Schadenersatz bei einem Dekubitusfall und der<br />
liegt bei weitem höher als das von dem Patienten bzw. der Patientin eingeforderte<br />
Schmerzensgeld.<br />
Wunden sollten zwecks Dokumentationen mit einer qualitativ hochwertigen Kamera<br />
fotografiert werden. Sie müssen nachher auf dem Foto erkennen können, ob es sich um<br />
einen Fuß oder ein Gesäß handelt. Bei Polaroidaufnahmen z.B. können Sie nachher nicht<br />
genau erkennen, ob das der Fußboden oder das Gesäß war. Hier können Sie sich die<br />
Kamera und damit eigentlich auch die Investition schenken. Es macht wenig Sinn, wenn man<br />
auf dem Bild nichts sehen kann. Denken Sie daran, dass Sie solche Bilder über Jahre<br />
archivieren müssen und das ist in der Regel bei Polaroidaufnahmen schwierig. Wir<br />
empfehlen – insbesondere gestützt durch eine Abfrage der Rechtswissenschaftler und
Rechtswissenschaftlerinnen in Deutschland – die Fotografien mit einer Digitalkamera<br />
aufzunehmen. Es gibt viele Rechtsfälle, in denen Digitalfotos inzwischen zugelassen worden<br />
sind. Es wird empfohlen, diese Bilder möglichst auszudrucken und der Akte beizufügen. Das<br />
Argument, man könne die Bilder fälschen, ist ein schlaffes Argument. Jegliche schriftliche<br />
Dokumentation kann leichter gefälscht werden als ein Bild. Sie können z.B. nachts<br />
aufschreiben, ich habe den Patienten die Patientin fünfmal gelagert, obwohl es gar nicht<br />
stimmt. Wenn das in der Dokumentation steht, ist das natürlich eine Urkundenfälschung. Das<br />
ist bei einer Fotografie genauso.<br />
Wichtig ist, dass Sie den Namen mit fotografieren und mit Zentimetereinteilung arbeiten. Ein<br />
Hinweis für stationäre Einrichtungen: Denken Sie an das MRSA- und Hygiene-Problem.<br />
Benutzen Sie bitte keine Zentimetermaßbänder mehr, das ist unhygienisch. Nehmen Sie das<br />
Lineal, fotokopieren es und halten diese Kopie an die Wunde. Auf dieser Kopie können Sie<br />
zusätzlich den Namen und das entsprechende Datum, wann die Aufnahme gemacht worden<br />
ist, schreiben. Danach können Sie die Kopie einfach wegwerfen.<br />
Kurz zum Expertenstandard:<br />
Die Gesundheitsministerkonferenz will in ihrem Beschluss fünf Standards im pflegerischen<br />
Bereich verabschieden.<br />
Der erste Standard beinhaltet das Thema Dekubitusprophylaxe.<br />
Der zweite Standard, widmet sich dem Thema Entlassungsmanagement und<br />
Überleitungsmanagement.<br />
Der dritte Standard beinhaltet in diesem Jahr das Thema Schmerz.<br />
Der vierte Standard wird dann dem Thema Sturzprophylaxe gewidmet.<br />
Der fünfte Standard wird das Thema Inkontinenz behandeln.<br />
Die erste Aussage des Expertenstandards Dekubitusprophylaxe ist, dass die Pflegefachkraft<br />
ein aktuelles Wissen über die Dekubitusentstehung haben muss.<br />
Das werde ich Ihnen gleich abschließend in meinem Vortrag noch mitgeben.<br />
Die Risikoeinschätzung sollte mit einer Skala erfolgen. Nicht nur, um den<br />
Dokumentationspflichten genüge zu tun, sondern die Risikoskala ist die Basis für die<br />
standardisierte Prophylaxe. Welche Prophylaxe Ihre Einrichtung daraus folgert, das müssen<br />
Sie sozusagen in der Einrichtung selber klären. Angenommen Sie schätzen mit der Braden-<br />
Skala ein und das Ergebnis ist „gering gefährdet“, bedeutet das, z. B. 3 – 4stündig umlagern<br />
und Standardmatratze. Lautet das Ergebnis „mittel gefährdet“, dann heißt das: 2 – 3stündig<br />
umlagern und Normalmatratze. Heißt das Ergebnis „hoch gefährdet“, bedeutet dies 2 –<br />
3stündig umlagern und Matratze A. Ist ein Patient bzw. eine Patientin als „sehr hoch“<br />
gefährdet eingeschätzt, könnte das bedeuten, dass als Unterlage Matratze B oder C benutzt<br />
werden muss, je nachdem welche Systeme Sie haben.<br />
Wichtig ist, dass das Lagern auf einem Spezialsystem nicht das Umlagern erübrigt, nach<br />
dem Motto: Der Patient bzw. die Patientin liegt auf so einem schönen System, da erübrigt<br />
sich das Umlagern. Dies ist nicht realistisch.<br />
Die zweite Aussage im Expertenstandard ist die Bewegungsförderung und damit der<br />
eigentliche Kerninhalt des Expertenstandards. Frau Bienstein hat in der Arbeitsgruppe dabei<br />
ein Wort geprägt, nämlich es gibt keine Lagerungspläne mehr, sondern Bewegungspläne.<br />
Nun könnte man sagen, es ist doch egal, ob ich das Ding Lagerungsplan oder<br />
Bewegungsplan nenne. Nein, ich glaube es ist nicht egal, der Bewegungsplan umfasst z. B.<br />
auch Bewegung außerhalb des Bettes. Dahinter steht eine Philosophie, nämlich alles was<br />
sich bewegt, hat gewonnen.<br />
Mit anderen Worten: Dekubitusprophylaxe ist Bewegung – oder umgekehrt: jede Bewegung<br />
ist Prophylaxe.<br />
Ich entsinne mich noch an die Krankenpflegeschule, in der ich tätig war.<br />
Wir haben mit den Schülern und Schülerinnen gerade im Einführungsblock immer fleißig das<br />
Lagern eingeübt und es waren immer sehr statische Aufnahmen. Z.B. sollte ein Patient so
gelagert werden, dass er eine 30°-Lage hatte. Sie kennen das bestimmt alle, sobald Sie das<br />
Patientenzimmer verlassen haben bewegt der Patient sich nach 10 Minuten.<br />
Meistens wird der Patient dann nochmals gelagert, weil er sich bewegt hat.<br />
Dem Grunde nach, ist das, was der Patient gemacht hat, also die Bewegung, Prophylaxe.<br />
Daher kann das Ziel von Dekubitusprophylaxe nur sein, den Patienten bzw. die Patientin so<br />
zu lagern, dass er sich möglichst bewegen kann.<br />
In dieser Reihenfolge sieht die Dekubitusprophylaxe erst als dritten Punkt die<br />
Lagerungshilfsmittel vor. Diese Reihenfolge hat natürlich so manchen in der Industrie etwas<br />
kritisch gestimmt. Eigentlich hätte man gerne gesehen, dass der Expertenstandard fordert,<br />
dass jeder, der gefährdet ist, als erstes auf eine Matratze gelagert werden muss.<br />
Das sagt der Expertenstandard nicht, sondern der Expertenstandard sagt vor allem: wenn<br />
die Bewegung gefördert werden kann, solltet ihr das tun. Weiterhin sollte im Blick bleiben,<br />
dass so manche Matratze die Bewegungen eher hemmen, nämlich dann, wenn der Patient<br />
bzw. die Patientin einsinkt und die Matratze damit sehr weich ist. D.h., ich muss mir vorher<br />
im Klaren sein, was ich eigentlich bei dem Patienten bzw. der Patientin pflegerisch will und<br />
kann danach eigentlich erst die Prophylaxe planen.<br />
Die vierte Aussage ist wissenschaftlich gesehen ein sehr wackeliger Punkt, nämlich die<br />
weiteren unterstützenden Maßnahmen. Hier haben wir explizit die Ernährung und die<br />
Hautpflege hervorgehoben. Sie alle wissen, dass es bisher keine Validitätsuntersuchung<br />
gibt, die einen direkten Zusammenhang zwischen der Ernährung und dem Entstehen von<br />
Dekubitalgeschwüren nachgewiesen hat. Das gleiche gilt auch für den Bereich der<br />
Hautpflege. Der Expertenstandard gibt nur sehr allgemeine Hinweise, so z.B. dass<br />
Ernährung und Hautpflege für ältere Menschen wichtig sind. Das ist richtig, aber im Grunde<br />
genommen können Sie damit natürlich einen Dekubitus nicht vermeiden. Die britischen<br />
Kolleginnen und Kollegen haben den Punkt Ernährung aus ihrer Überarbeitung des<br />
Standards, der beim Royal College of Nursing (http://www.rcn.org.uk/publications/pdf/<br />
pressure_ulcer_risk_assess_2.pdf) neuerdings erschienen ist, wieder herausgenommen, weil<br />
eben dieser Teil nicht evident ist.<br />
Ich persönlich würde es eher aus einer pragmatischen Sicht sehen und denke, wir müssen<br />
diesen Punkt belassen, weil gerade der Punkt Mangelernährung bei älteren Menschen ein<br />
sehr wichtiger Aspekt ist. Unzureichende Nahrungszufuhr führt vermutlich zu Energieverlust<br />
und damit einhergehender Einschränkung der Mobilität und Motivation. Aber ich werde nie<br />
nachweisen können, dass ich durch Eiweiß und Vitamine weniger Dekubitalgeschwüre habe<br />
und dass das Fehlen der Vitamine am Entstehen von Dekubitalgeschwüren schuld ist.<br />
Der fünfte Punkt des Expertenstandards ist der allgemeine Punkt, nämlich die Anleitung,<br />
Information von Angehörigen und Betroffenen.<br />
Der sechste Punkt beinhaltet die Zusammenarbeit, d. h. die Kontinuität der Prophylaxe in der<br />
Einrichtung.<br />
Der siebte Punkt des Expertenstandards befasst sich schließlich mit der<br />
Überprüfungskompetenz auf Erfolg - wie sehe ich, ob meine Maßnahmen Erfolg hatten oder<br />
nicht. Leider ist das bisher ein müßiges Thema gewesen, weil an Prophylaxe sieht man ja<br />
eigentlich den Erfolg, wenn man nichts sieht und das ist eigentlich wenig befriedigend. Hier<br />
gibt es im Expertenstandard eine Kompetenz, nämlich den Fingertest, mit dem Sie nach<br />
jeder Lagerung nachweisen können, dass Sie Erfolg mit ihrer Maßnahme haben, wenn der<br />
Fingertest negativ bleibt.<br />
Der Fingertest ist eine einfache Möglichkeit, den Dekubitusgrad 1 festzustellen. Da jeder<br />
Patient und jede Patientin nach einer Druckbelastung eine rote Stelle an der bedrückten<br />
Region hat, muss differenziert werden, ob es sich um eine reaktive, ungefährliche Rötung<br />
oder um das Stadium 1 handelt. Man drückt einfach mit dem Finger in die Rötung. Lässt sich<br />
die Rötung nicht wegdrücken, so handelt es sich um Dekubitus Grad 1. Wird dagegen das<br />
Gewebe durch den Fingerdruck weiß, so ist es eine reaktive Rötung, also kein Dekubitus.
In den englischsprachigen Lehrbüchern wird u.a. dieser Fingertest als ideales Instrument zur<br />
Erfolgskontrolle der Dekubitusprophylaxe gesehen. Hierzu muss allerdings nach jeder<br />
Umlagerung der Fingertest durchgeführt werden. In den Bewegungsplan sollte die<br />
zusätzliche Spalte „Fingertest“ aufgenommen werden und durch klare Zeichen wie – für<br />
negativ oder + für positiv (= Stadium 1) dokumentiert werden.<br />
Ganz kurz auf die Dekubitusentstehung. Sie sehen hier oben die beiden Ursachen: Zeit und<br />
Druck, also das Gewicht. Die Zeit ist von beiden der entscheidende Faktor, d. h. die Zeit<br />
können Sie nicht einfach ausschalten, indem Sie sagen: wir lagern nicht mehr um, wir<br />
reduzieren dafür den Druck. Das geht nicht. Umgekehrt müssen Sie wissen, dass Druck und<br />
Zeit immer voneinander abhängig sind. Erniedrige ich den Druck, fördere ich die Immobilität.<br />
Wenn ich die Mobilität fördern will, wäre es paradox, eine weiche Matratze zu benutzen, weil<br />
die zumindest tendenziell die Beweglichkeit einschränkt.<br />
Was spielt sich im Gewebe ab? Hier wissen wir, dass sich im betroffenen Gewebe eine<br />
klassische Entzündungsreaktion abspielt und zwar in dem Sinne, dass die venösen<br />
Kapillaren, nicht die arteriellen, abgedrückt werden. Wir haben also keine<br />
Mangeldurchblutung im arteriellen Sinne, sondern wir haben eine venöse Stauung. Das ist<br />
wichtig, erstens weil der Druck niedriger ist und zweitens, weil diese Stauung bewirkt, dass<br />
im Gewebe eine Übersäuerung stattfindet und diese Übersäuerung dazu führt, dass das<br />
Gefäß allmählich durchlässiger wird. Das Gefäß lässt nunmehr Wasser ins Gewebe und<br />
dieses Gewebsödem führt dazu, dass im Gewebe die Durchblutung durch die Stauung<br />
schlechter wird. Wenn dieses Ödem bestimmte Grenzen überschritten hat, dann sprechen<br />
wir vom Dekubitusstadium 1.<br />
Wichtig sind jetzt zwei Dinge:<br />
1.<br />
Eine schwedische Pflegewissenschaftlerin hat festgestellt, dass die Massage dieses<br />
vorgeschädigten Bereiches nicht zu einer vermehrten Durchblutung, sondern zu einer<br />
reduzierten Durchblutung führt. Die Begründung liegt darin, dass wir eine Blutstauung im<br />
Gewebe finden. Wenn ich diese Blutstauung massiere, dann erreiche ich genau das<br />
Gegenteil von dem, was ich eigentlich erreichen will. Warum? Wenn ich massiere, reize ich<br />
die Zellen, den Stoffwechsel zu forcieren. Die Zellen forcieren ihren Stoffwechsel und dabei<br />
produzieren die Zellen verständlicherweise mehr Schlackenstoffe. Wenn die Zellen mehr<br />
Schlackenstoffe produzieren, bleiben diese liegen und diese Schlackenstoffe führen dann<br />
dazu, dass das Ödem zunimmt und somit die Schädigung größer wird. Kurzum: Massage ist<br />
also kontraproduktiv und darf nicht durchgeführt werden.<br />
2.<br />
Außerdem hat die Pflegewissenschaftlerin Ek festgestellt, dass unter urininkontinenten<br />
Patienten und Patientinnen diejenigen mit transurethralen Blasendauerkathetern mehr<br />
Dekubitalgeschwüre hatten als diejenigen, die mit Windeln o.ä. versorgt waren.<br />
Durch den Dauerkatheder wird die Harnröhre und –blase gereizt und somit das Gewebe<br />
stärker durchblutet. Dabei wird das Blut aus der Glutealregion abgezogen, so dass der<br />
Gesäßbereich schlechter durchblutet wird. D. h. Patienten und Patientinnen mit einem<br />
transurethralen Dauerkatheter haben durch die Reizung des Katheters eine verstärkte<br />
Durchblutung in der Harnröhre und –blase und im Gesäßbereich weniger Blut. Daher erhöht<br />
der Blasendauerkatheter das Risiko für das Entstehen von Dekubitalgeschwüren.<br />
Mehr als 1/3 der vorhandenen Dekubitalgeschwüre sind an der Ferse lokalisiert. Das liegt<br />
vor allem daran, dass das Fersenbein ein konvexer, also nach außen gewölbter Knochen ist.<br />
Physikalisch konzentriert sich der Druck am konvexen Knochen in der Tiefe. D.h., dass der<br />
Druck in der Tiefe des Fersenbeins 3-5 mal höher ist als der Druck an der Hautoberfläche.<br />
Eine blauschwarze Verfärbung unter der intakten Haut an der Ferse ist ein Dekubitus, der in<br />
der Tiefe entstanden ist und nach außen durchbricht. Hier ist es wichtig die Ferse nicht mehr<br />
zu polstern, weil wenn Sie z.B. durch ein dickes Wattepolster den Druck auf ca. 30 mmHg<br />
reduzieren, dann würden Sie dadurch trotzdem den Druck in der Tiefe auf das 3 – 5 fache, 3
x 30 mmHg sind also 90 mmHg und 5 x 30 mmHg sind 150 mmHg erhöhen. Kurzum: Die<br />
Ferse entwickelt immer einen Dekubitus, sofern sie Druck hat. Deshalb hilft an der Ferse nur<br />
eine Prophylaxe: Das Freilagern. Die Ferse muss kontinuierlich freigelagert werden, damit<br />
sie dauerhaft frei von Druck ist. Dazu legt man ein zusammengefaltetes Handtuch unter den<br />
Bereich der Achillessehne, so dass die Ferse frei ist.<br />
Scherkräfte und Reibungskräfte. Scherung ist etwas, das im Gewebe, vor allem im<br />
Fettgewebe, stattfindet. Hier wird der Druck, der von außen kommt, zur Seite umgeleitet und<br />
von daher zeigen sich bei adipösen Patienten und Patientinnen Dekubitalgeschwüre an<br />
untypischen Stellen. Wenn adipöse Patienten und Patientinnen einen Dekubitus am<br />
Kreuzbein haben, und Sie setzen sie auf einen Stuhl, dann sitzen sie nicht auf ihrem<br />
Dekubitus. Die Scherkräfte bewirken aber, dass durch den Druck des Sitzens diese Kräfte<br />
trotzdem in den Bereich des Dekubitalulcus ausstrahlen, d. h. dass die Wundheilung dadurch<br />
verzögert ist. Daher ist das absolute Freilagern dieser Dekubitalregion schon eine ganz<br />
wichtige Sache.<br />
Ich habe Ihnen jetzt die wichtigsten Erkenntnisse zunächst vorgestellt.<br />
Der Standard ist nur eine Basis für hauseigene Standards. Der Standard selber gibt Ihnen<br />
ein Abbild des heutigen wissenschaftlichen Stands. Der Vorteil ist, Sie müssen nicht selber<br />
alle drei Jahre nach den aktuell durchgeführten Studien forschen, sondern können in dem<br />
jeweils neuen Update des Standards nachlesen, was es Neues gibt. Wir nehmen uns<br />
Studien vor und schauen, ob sie eine Relevanz auf die Praxis haben. Im letzten Jahr z. B ist<br />
eine Studie zum Thema „Felle“ in der Altenpflegezeitschrift publiziert worden. Diese Studie<br />
ist in dem Update des Standards des Expertenstandards in diesem Jahr gewürdigt worden.<br />
Diese Studie hat keine Relevanz, weil nämlich die Aussagekraft dieser Studie<br />
wissenschaftlich nicht haltbar ist.<br />
Das können Sie in der Regel mit einfachen Mitteln nicht prüfen. Dazu müssten Sie alle<br />
Studien anfordern und wissenschaftlich auswerten. Wir haben z. B. für die Überarbeitung<br />
des Standards 100 Artikel bzw. Studien ausgewertet. Das kann eine Einrichtung in der Regel<br />
nicht alleine leisten. Das macht der Standard für die Einrichtungen. Die Konsequenzen<br />
daraus müssen Sie dann in Ihrer Einrichtung selber formulieren und entsprechend managen.<br />
Ein Wort vielleicht noch zu den Lagerungen, zu den Bewegungsförderungen abschließend.<br />
Der Expertenstandard benennt 2 Bewegungsformen. Zum einen die Makrolagerung, das ist<br />
die, wenn Sie eine große Lagerung machen und zum anderen die Mikrolagerung, das ist<br />
eben die kleinste Lagerung, die Sie in der Regel mit dem bloßen Auge kaum erkennen<br />
können. Es verändert sich aber der Druck, dieser kommt von der einen Seite zur anderen<br />
und damit ist die linke Seite stärker und die rechte Seite schwächer belastet. Es bleibt aber<br />
im Grunde genommen immer dabei, dass die Seiten gleich aufliegen, aber vom Druck<br />
unterschiedlich belastet werden. Wichtig ist, dass die Mikrolagerung häufiger und die<br />
Makrolagerung seltener durchgeführt wird. Wichtig ist: die Mikrolagerung muss durch die<br />
Makrolagerung ergänzt werden. Mikrolagerung alleine reicht nicht aus.<br />
Ich denke ich komme jetzt mit meinen Ausführungen allmählich zum Ende. Ich wollte Ihnen<br />
vor allem mit den ersten beiden Aussagen des Expertenstandards, dem aktuellen Wissen<br />
und mit der Bewegung, noch einmal zeigen, welche Erkenntnisse im Moment innerhalb der<br />
Dekubitusentstehung existieren und dass wir im Bereich der Lagerungshilfsmittel mit den<br />
Erkenntnissen noch arg hinterherhinken. Hier stehen wir erst am Anfang und es ist dringend<br />
erforderlich, dass wir hier signifikante, d. h. zum Ergebnis führende Studien durchführen.<br />
Sicherlich ist dies vom Aufwand her sehr umfangreich, weil ein großes Klientel untersucht<br />
werden muss, um überhaupt valide Untersuchungen in diesem Bereich erreichen zu können.<br />
Wir hoffen, dass unter den derzeitigen Rahmenbedingungen für ein solches Vorgehen in<br />
Zukunft überhaupt ein Interesse besteht, auch von Seiten der Politik.
Ich glaube, unter der Frage: „Lässt sich ein Dekubitus vermeiden oder nicht“, muss sicherlich<br />
immer auch das Thema Kosten in der Öffentlichkeit diskutiert werden. Damit kommen wir<br />
eigentlich schon zum zweiten Thema. Zunächst einmal vielen Dank.