IGA_Artikel_SonntagsZeitung_2013-06-23.pdf - IG altbau
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23. Juni <strong>2013</strong> Dossier Wohnen — 91<br />
«Eine 4-zimmer-wohnung darf<br />
wieder 95 statt 110 m 2 haben»<br />
Martin Grüninger, Leiter Bau und Bewirtschaftung der<br />
Allgemeinen Baugenossenschaft Zürich, über Flächenverbrauch,<br />
hohe Sanierungskosten und den Verzicht auf Labels<br />
von Benjamin Gygax (Text) UND PHILIPP ROHNER (Foto)<br />
M<br />
it 4600 Wohnungen und<br />
122 Einfamilienhäusern<br />
in 60 Siedlungen ist die<br />
Allgemeine Baugenossenschaft<br />
Zürich die<br />
grösste Wohnbau genossenschaft<br />
der Schweiz. Wächst sie weiter?<br />
Wir sind seit 1916 kontinuierlich<br />
gewachsen und wachsen weiter. In<br />
absehbarer Zeit werden wir bei den<br />
Wohneinheiten die 5000er-Grenze<br />
erreichen, einerseits dank einem<br />
grossen Projekt im Glattpark, aber<br />
auch dank geplanter Ersatzneubauten.<br />
Denn bei Ersatzneubauten entstehen<br />
immer mehr neue Wohnungen,<br />
als alte wegfallen – alte Siedlungen<br />
verfügen meist über beträchtliche<br />
Ausnützungsreserven, die wir<br />
zur Verdichtung nutzen können.<br />
Wie viel investiert die ABZ in<br />
Renovationen?<br />
Wir haben in den letzten fünf Jahren<br />
rund 750 Wohnungen saniert. Dabei<br />
wurden 105 Millionen Franken investiert,<br />
also 20 Millionen pro Jahr<br />
oder 140000 Franken pro Wohneinheit.<br />
Jährlich sanieren wir also etwa<br />
150 Wohnungen, was bei insgesamt<br />
4600 Einheiten eine Erneuerungsquote<br />
von rund 3 Prozent ergibt.<br />
Diese Quote schwankt allerdings<br />
stark, obwohl wir aus Ressourcenüberlegungen<br />
versuchen, die Renovationen<br />
in der Planung etwas zu<br />
verteilen. Doch man kann nicht alles<br />
planen – es gibt auch viele äussere<br />
Einflüsse, Rekurse zum Beispiel,<br />
komplizierte Bewilligungsverfahren<br />
oder unerwartete Altlasten.<br />
Trügt der Eindruck, dass<br />
Genossenschaften gegenwärtig<br />
stark in die Erneuerung ihrer<br />
Liegenschaften investieren?<br />
Nein, denn ein grosser Teil der Genossenschaftswohnungen<br />
stammt<br />
aus der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts<br />
und muss jetzt erneuert<br />
werden. Hinzu kommt, dass viele<br />
Genossenschaften über grosse innere<br />
Landreserven verfügen, die angesichts<br />
der Nachfrage nach Wohnraum<br />
besser genutzt werden müssen.<br />
Die Bau- und Zonenordnung schafft<br />
ein Ausnutzungspotenzial, das beim<br />
eineinhalb- bis dreifachen der 80<br />
Jahre alten Siedlungen liegt. Ob es<br />
städtebaulich und architektonisch<br />
sinnvoll ist, die Reserven in jedem<br />
Fall bis zum Letzten auszunützen,<br />
muss man natürlich von Fall zu Fall<br />
prüfen; wir gehen nicht ans Limit.<br />
Was entscheidet darüber, ob eine<br />
Siedlung saniert werden muss?<br />
Wir können Sanierungen auch einmal<br />
hinauszögern, weil wir nicht<br />
renovieren müssen, um hohe Marktmieten<br />
zu rechtfertigen. Doch irgendwann<br />
kommt der Punkt, an dem<br />
man einfach erneuern muss: Das Interesse<br />
an den frei werdenden Wohnungen<br />
sinkt, es meldet sich plötzlich<br />
ein anderes Publikum, bestehende<br />
Mitglieder rümpfen über die Wohnungen<br />
nur noch die Nase, die Reparaturkosten<br />
werden zu hoch. Der<br />
technische Aspekt ist auch wichtig:<br />
Oft erfüllen die Wohnungen die aktuellen<br />
Ansprüche an die Alters- und<br />
Behindertentauglichkeit, die Erdbebensicherheit<br />
oder den Energieverbrauch<br />
nicht mehr. Wir sind mit einer<br />
hohen Regeldichte konfrontiert, so<br />
dass es mit einer Pinselsanierung<br />
nicht mehr getan ist. Ein grosses Problem<br />
ist auch die Ringhörigkeit.<br />
10000 Menschen<br />
«wichtig<br />
ist der<br />
Grundriss»<br />
Wie entscheiden Sie darüber, ob _<br />
saniert oder neu gebaut wird?<br />
Diesem Entscheid geht eine sorgfältige<br />
Analyse der Siedlung voraus.<br />
Der bautechnische Teil ist nur ein<br />
Aspekt, den es zu berücksichtigen<br />
gilt. Ganz wichtig ist auch, wie sich<br />
die Bewohnerstruktur in der Siedlung<br />
präsentiert und wie diese in Zukunft<br />
aussehen soll. Welches Wohnungsangebot<br />
braucht es dafür? In<br />
dem Moment, in dem man keine Familien<br />
mit Kindern mehr in eine<br />
Siedlung bringt, stimmt etwas nicht<br />
mehr – entweder das Quartierumfeld<br />
oder das Wohnungs- und Umgebungsangebot.<br />
Ist das Ausnützungspotenzial<br />
gross sowie die Substanz<br />
und Bewohnerstruktur ungenügend,<br />
spricht vieles für einen Ersatzneubau.<br />
Manche unserer Siedlungen<br />
stammen noch aus den 1920er- und<br />
1930er-Jahren und weisen die bekannten<br />
Defizite auf – die man mit<br />
Umbauen nur teilweise, aber nie<br />
ganz beseitigen könnte. Ausserdem<br />
sind Sanierungen pro Quadratmeter<br />
Wohnfläche oft teuer als ein Neubau.<br />
Es kann aber sein, dass eine Siedlung<br />
unter Denkmalschutz steht, dann ist<br />
kein Ersatz möglich.<br />
Wie hoch ist denn der Anteil ihrer<br />
Objekte, die geschützt sind?<br />
Er ist bei uns nicht so hoch wie bei<br />
anderen Genossenschaften. Aber wir<br />
haben gerade die denkmalgeschützte,<br />
1928 erstellte Siedlung Sihlfeld<br />
mit 138 Wohnungen umfassend saniert.<br />
Dabei haben wir 32 Millionen<br />
Franken investiert – über 3100 Franken<br />
pro Quadratmeter Wohnfläche.<br />
Dafür könnte man auch eine flächenmässig<br />
gleich grosse Siedlung<br />
im Minergie-Standard neu bauen.<br />
Apropos Minergie: Nur vier Ihrer<br />
60 Siedlungen verfügen über ein<br />
entsprechendes Label. Deutet das<br />
auf den hohen Erneuerungsbedarf<br />
hin oder legt die ABZ gar keinen<br />
grossen Wert auf Label?<br />
Sagen wir es so: Wir sind nicht mehr<br />
auf Teufel komm raus auf ein Label<br />
aus. Bei unseren letzten beiden<br />
Projekten war die Vorgabe nicht das<br />
Label – wir haben es dann aber trotzdem<br />
erreicht. Die Vorgabe lautet<br />
heute, dass die Siedlung nach dem<br />
SIA-Effizienzpfad Energie des<br />
Schweizerischen Ingenieur- und<br />
Architektenvereins 2000-Watt-tauglich<br />
sein muss. Dies ist eine umfassendere<br />
Betrachtungsweise, die nicht<br />
nur die Betriebsenergie einbezieht,<br />
sondern auch die Graue Energie für<br />
die Erstellung und die Mobilität. Der<br />
Planungsspielraum wird erweitert<br />
und ermöglicht wieder dünnere<br />
Dämmstoffdicken von 20 bis 25 Zentimetern<br />
in Verbindung mit erneuerbarer<br />
Energie für die Wärmeerzeugung.<br />
Komplizierte und teure Konstruktionen<br />
mit Wärmedämmungen<br />
von 30 Zentimetern und mehr oder<br />
eine kontrollierte Wohnungslüftung,<br />
wie sie Minergie vorschreibt, sind<br />
nicht zwingend.<br />
Wenn Sie sich bei einer Siedlung<br />
gegen einen Ersatzneubau und für<br />
eine Sanierung entschieden haben<br />
– wie gehen Sie vor?<br />
Wir haben genügend Ressourcen,<br />
um die Bauherrenfunktionen selber<br />
zu übernehmen. Wir planen aber<br />
nicht selber und führen auch nicht<br />
Der 54-jährige Martin Grüninger ist Leiter Bau und Bewirtschaftung<br />
und Mitglied der Geschäftsleitung der Allgemeine Baugenossenschaft Zürich<br />
(ABZ). Er studierte Raumplanung an der Fachhochschule Rapperswil. ABZ,<br />
die grösste Baugenossenschaft der Schweiz, wurde 1916 von einer<br />
Gruppe von 15 Eisenbähnlern gegründet. Sie hat heute über 7000 Mitglieder,<br />
rund 10 000 Menschen leben in den Wohnungen der ABZ. Fortsetzung auf Seite 93