IGA_Artikel_SonntagsZeitung_2013-06-23.pdf - IG altbau
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23. Juni <strong>2013</strong> Dossier Wohnen — 79<br />
Die nötige Wende<br />
kostet viel Energie<br />
In der Schweiz wird jährlich nur<br />
1 Prozent der alten Gebäude saniert<br />
Von Marius Leutenegger und Esther Betschart<br />
Laut Energie Schweiz verbraucht<br />
ein Wohngebäude,<br />
das vor 1970 gebaut wurde,<br />
jährlich pro Quadratmeter<br />
120 bis 150 Kilowattstunden<br />
Energie – während ein modernes,<br />
energieeffizientes Haus mit einem<br />
Drittel davon auskommt. Die<br />
Erneuerung von Gebäuden könnte<br />
also einen enormen Beitrag zur<br />
Energiewende leisten.<br />
Genutzt wird dieses Potenzial<br />
jedoch kaum. Gemäss Gebäudeprogramm<br />
von Bund und Kantonen<br />
müssten in der Schweiz 1,5 Millionen<br />
Häuser aus energetischen Gründen<br />
erneuert werden, tatsächlich<br />
aufgefrischt wird jährlich aber nur<br />
etwas über ein Prozent aller bestehenden<br />
Liegenschaften. Und wer<br />
hofft, es würden dafür viele alte<br />
Häuser durch neue, energieeffiziente<br />
ersetzt, muss ernüchtert zur<br />
Kennt nis nehmen, dass die jährliche<br />
Ersatzbaurate deutlich unter 0,1 Prozent<br />
liegt – nicht einmal jedes tausendste<br />
Haus macht pro Jahr einem<br />
neuen Platz. Geht es in diesem<br />
Tempo weiter, bleibt die 2000-Watt-<br />
Gesellschaft noch für Generationen<br />
eine Illusion.<br />
Viele Bauten sind Sünden<br />
aus der Hochkonjunktur<br />
Das Problem in der Schweiz ist dasselbe<br />
wie in vielen Ländern Europas:<br />
Ein grosser Teil der Gebäude wurde<br />
ungefähr zur gleichen Zeit erstellt<br />
und kommt jetzt auch gleichzeitig in<br />
die Jahre. Am bedeutendsten ist der<br />
Sanierungsbedarf bei den Gebäuden<br />
aus den 1960er- und 1970er-Jahren.<br />
Als sie gebaut wurden, waren die<br />
Energiepreise besonders tief, gute<br />
Isolierung war kein Thema. Über die<br />
Hälfte dieser Bauten wird noch<br />
heute mit Öl beheizt, 20 Prozent mit<br />
Gas.<br />
Einen Lichtblick gibt es aber: Der<br />
Anteil der Renovationen an den gesamten<br />
Bauausgaben steigt kontinuierlich.<br />
Laut Bundesamt für Statistik<br />
wurden seit 2005 jährlich zwischen<br />
31 und 36 Milliarden Franken<br />
für Neubauten ausgegeben, für Umbauten<br />
zwischen 15 und 19 Milliarden<br />
– das ist immerhin halb so viel.<br />
In den 1980er-Jahren machten die<br />
Ausgaben für Umbauten nur etwa<br />
ein Viertel jener für Neubauten<br />
aus.<br />
Zahlen und Fakten<br />
12 + 12 Jahre<br />
Renovation – betrifft mich nicht? Falsch:<br />
Jedes Haus braucht regelmässige Pflege,<br />
damit es seinen Wert behält und langfristig<br />
seinen Zweck erfüllt. Ungefähr im<br />
Zwölfjahresrhythmus folgen einander ein<br />
kleiner und ein grosser Service. Bei einer<br />
Teilerneuerung müssen Apparate instand<br />
gesetzt, Armaturen sowie Beläge erneuert<br />
werden. Bei einer Generalüberholung<br />
werden zusätzlich Leitungen, Küchenbauten<br />
und die Heizanlage erneuert,<br />
Installationen angepasst und die<br />
Gebäudehülle renoviert. Hinzu kommen<br />
meist aufwendige Massnahmen zur<br />
Erhöhung der Energieeffizienz.<br />
350 000<br />
300 000<br />
250 000<br />
200 000<br />
150 000<br />
100 000<br />
50 000<br />
35 000<br />
30 000<br />
25 000<br />
20 000<br />
15 000<br />
10 000<br />
5000<br />
0<br />
0<br />
bis<br />
1919<br />
Gebäudebestand<br />
bis<br />
1945<br />
in Mio. Fr.<br />
zu Preisen<br />
von 2000<br />
in der Schweiz<br />
Der Gebäudebestand in der Schweiz ist alt, ein beachtlicher Anteil<br />
der Altbauten wurde noch nicht saniert – und viele frühere<br />
Sanierungen entsprechen nicht mehr dem heutigen Standard.<br />
Bauausgaben<br />
1980<br />
1981<br />
1982<br />
1983<br />
1984<br />
1985<br />
1986<br />
1987<br />
1988<br />
1989<br />
1990<br />
1991<br />
1992<br />
1993<br />
1994<br />
1995<br />
1996<br />
1997<br />
1998<br />
1999<br />
2000<br />
2001<br />
2002<br />
2003<br />
2004<br />
2005<br />
20<strong>06</strong><br />
2007<br />
2008<br />
2009<br />
2010<br />
2011<br />
Neubau Umbau Öffentliche Unterhaltsarbeiten<br />
40 Prozent<br />
neubauten in der Schweiz<br />
davon nicht saniert<br />
bis<br />
1960<br />
bis<br />
1970<br />
bis<br />
1980<br />
bis<br />
1990<br />
nach Art der Arbeiten<br />
Apropos Energieeffizienz: Da geht es<br />
keineswegs um Resultatkosmetik. Häuser<br />
sind in der Schweiz eindeutig die<br />
Umweltverschmutzer Nummer eins. Über<br />
40 Prozent der CO2-Emissionen und fast<br />
die Hälfte des Energiekonsums entfallen<br />
hierzulande auf den Gebäudebereich.<br />
So gross der Verbrauch der Häuserparks,<br />
so riesig auch sein Sparpotenzial:<br />
Mit energetischer Sanierung kann der<br />
Energieverbrauch vieler alter Gebäude mehr<br />
als halbiert werden. Dazu reicht es aber<br />
nicht, einfach auf Stromsparlampen<br />
umzustellen – man muss zum Beispiel die<br />
Gebäudehülle sanieren.<br />
bis<br />
1995<br />
bis<br />
2000<br />
Quelle: Schweiz. Mieter- und Mieterinnenverband<br />
2011 betrugen die Bauausgaben (Häuser, Schulen, Strassen,<br />
Brücken usw.) in der Schweiz gesamthaft rund 60 Milliarden<br />
Franken. Die Ausgaben für Gebäudeumbauten steigen zwar<br />
kontinuierlich, jene für Neubauten sind aber weiterhin doppelt<br />
so hoch – trotz zunehmendem Sanierungsbedarf.<br />
8 Millionen m 2<br />
Energieverlust<br />
Das Gebäudeprogramm von Bund und<br />
Kantonen will dazu beitragen, das grosse<br />
Sparpotenzial besser auszuschöpfen:<br />
Mit Subventionen motiviert es die<br />
Hauseigentümerinnen und -eigentümer, ihre<br />
Gebäude zu sanieren. 10 000 Sanierungen<br />
pro Jahr werden angestrebt. Fürs Programm<br />
stehen jährlich 260 bis 280 Millionen<br />
Franken bereit; der Beitrag des Bundes<br />
stammt aus der CO2-Abgabe auf fossile<br />
Brennstoffe. Das Programm ist recht<br />
erfolgreich: Bis Ende 2012 wurden mit den<br />
Beiträgen über 8 Millionen Quadratmeter<br />
Wohnfläche energieeffizient saniert.<br />
nach Bauteil bei schlechter Dämmung<br />
Den grössten Beitrag zur Energiewende kann bei Sanierungen<br />
die Erneuerung der Fassade leisten.<br />
Kellerdecke<br />
43%<br />
Fassade<br />
6%<br />
4%<br />
20%<br />
27%<br />
SoZ Candrian; Quelle: Bundesamt für Statistik (BFS)<br />
23 Twh<br />
Fenster<br />
Estrichboden<br />
DAch<br />
Quelle: Schweiz. Maler- und Gipserunternehmer-Verband (SMGV)<br />
Im Rahmen der angestrebten<br />
«Energiewende» hat Umweltministerin<br />
Doris Leuthard auch Ziele für den<br />
Schweizer Gebäudepark definiert. Dank<br />
Altbausanierungen und strengeren<br />
Effizienzvorschriften bei Neubauten sollen<br />
bis 2050 insgesamt 23 Terawattstunden<br />
Energie gespart werden – was ungefähr der<br />
Energie entspricht, welche die fünf<br />
Schweizer AKW heute produzieren.<br />
Liebe<br />
Leserinnen<br />
und<br />
Leser<br />
«Das Alte stürzt, es ändert sich die<br />
Zeit», heisst es in Schillers «Wilhelm<br />
Tell». So schlimm steht es bei uns<br />
glücklicherweise noch nicht. Aber<br />
die Fakten geben zu denken, unsere<br />
Dörfer und Städte ein Haufen alter<br />
Häuser. Eineinhalb Millionen Bauten<br />
müssten gemäss Gebäudeprogramm<br />
von Bund und Kantonen saniert<br />
werden, weil sie bis zu dreimal<br />
so viel Energie verbrauchen wie ein<br />
Neubau. Und über die Hälfte der<br />
Bauten aus den 1960er- und 1970er-<br />
Jahren werden noch mit Öl beheizt.<br />
Sie gehören damit zu den grössten<br />
Dreckschleudern und Energiefressern<br />
in unserem Land.<br />
Doch «neues Leben blüht aus den<br />
Ruinen». Renovieren heisst das<br />
Zauberwort. Durch Altbausanierungen<br />
und strengere Effizienzvorschriften<br />
könnten bis 2050 rund<br />
23 Terawattstunden Energie gespart<br />
werden, etwa so viel, wie alle fünf<br />
Schweizer AKW zusammen produzieren.<br />
Aber nicht immer braucht es<br />
teure Totalrenovationen, auch kleinere<br />
Umbauten wie neue Fenster oder<br />
bessere Isolation führen zu erstaunlichen<br />
Resultaten. Und mit einem<br />
neuen Lichtkonzept oder einem frischen<br />
Farbanstrich spart man zwar<br />
keine Energie, verhilft aber der Wohnung<br />
zu neuem Leben. «Die Axt im<br />
Haus erspart den Zimmermann», um<br />
nochmals mit Schiller zu sprechen.<br />
Dass übrigens auch berühmte Gebäude<br />
saniert werden müssen, zeigt<br />
sich am Eiffelturm. Das 1889 erbaute<br />
Wahrzeichen von Paris wird alle<br />
sieben Jahre mit rund sechzig Tonnen<br />
Farbe neu bemalt. Bei der aktuellen<br />
Renovation ging man noch einen<br />
Schritt weiter und baute gleich vier<br />
Windräder ein, die in Zukunft Strom<br />
für die neuen Lifte liefern.<br />
<br />
Dominic Geisseler<br />
<br />
stv. Chefredaktor<br />
Impressum<br />
DOSSIER Wohnen<br />
ist eine Beilage der Sonntags<br />
Zeitung, siehe Impressum Seite 76<br />
Chefredaktion Martin Spieler<br />
Leitung Dominic Geisseler<br />
Redaktion Marius Leutenegger<br />
Autoren Esther Betschart, Erik<br />
Brühlmann, Markus Ganz,<br />
Benjamin Gygax, Christina Hwang,<br />
Marius Leutenegger<br />
Art Direction Tobias Gaberthuel<br />
Design und Layout<br />
Marius Vogelmann<br />
Infografik Jürg Candrian<br />
Produktion Michael Matthes,<br />
Detlef Paulus<br />
Fotoredaktion Sonia Favre<br />
Coverfoto Philipp Rohner<br />
Verlagsleitung Diego Quintarelli<br />
Leitung Werbemarkt<br />
Adriano Valeri, Werdstrasse 21,<br />
Postfach, 8021 Zürich,<br />
Tel 044 248 40 40,<br />
www.sonntagszeitung.ch